Politische Entwicklungen brauchen
 mediale Berichterstattung

 

erstellt am
16. 04. 15
11.00 MEZ

JournalistInnen fordern Informationszugang zu staatlichen Dokumenten – Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie befasst sich mit Rolle der Medien
Wien (pk) – Das Amtsgeheimnis abschaffen, JournalistInnen einfach ihre Arbeit machen lassen und Qualitätsjournalismus stärker fördern. Diese Maßnahmen sind nach Meinung von MedienvertreterInnen am ehesten geeignet, um bei einer Ausweitung der direkten Demokratie in Österreich eine faire aus ausgewogene Berichterstattung über Pro und Contra einzelner Initiativen sicherzustellen, aber auch um BürgerInnen generell über Politik zu informieren. JournalistInnen bräuchten Zugang zu den Dokumenten des Staates, wollten sie nicht nur Politikerstatements wiedergeben und sich auf zugeworfene Informationshappen verlassen, meinte etwa die neue News-Chefredakteurin Eva Weissenberger bei der fünften Sitzung der parlamentarischen Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie in Österreich am 15.04. Auch Interviewverweigerungen von PolitikerInnen wurden von Seiten der MedienvertreterInnen massiv kritisiert.

Neben Weissenberger waren die JournalistInnen Wolfgang Sablatnig (Tiroler Tageszeitung), Charles E. Ritterband (NZZ international) Fritz Dittlbacher (ORF), Martin Thür (ATV) und Edgar Weinzettl (ORF Radio) sowie der Vorsitzende des Verbands österreichischer Privatsender Klaus Schweighofer, die Generalsekretärin des Presseclub Concordia Astrid Zimmermann und Josef Barth vom Forum Informationsfreiheit als ExpertInnen geladen. Außerdem referierten die Medienexperten Peter Filzmaier, Helge Fahrnberger und Hans-Peter Lehofer über die Tauglichkeit der österreichischen Medien zur direkten Demokratie und über medienrechtliche Fragen (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 358/2015).

Keinesfalls kann sich Sablatnig, Vorsitzender der Vereinigung der ParlamentsredakteurInnen, Eingriffe in die Redaktionsfreiheit von Printmedien, vorstellen, also etwa gesetzliche Vorgaben, in einem gewissen Ausmaß und Verhältnis über Argumente und Gegenargumente von Initiativen zu berichten. Die Berichterstattung liege in der Verantwortung der JournalistInnen, bekräftigte er. Einen gewissen Einfluss auf die Medien ließe sich nach Meinung von Zimmermann allerdings durch eine verstärkte Förderung von Qualitätsjournalismus im Rahmen der Presseförderung nehmen. Ritterband erachtet angesichts der Erfahrungen in der Schweiz neben den über die Medien verbreiteten Informationen eine offizielle Informationsbroschüre von staatlicher Seite mit allen Argumenten und Gegenargumenten über zur Abstimmung stehende Initiativen für unabdingbar.

Während der Sitzung der Enquete-Kommission wurden exakt 475 Tweets verzeichnet, die auch auf die Twitter-Wall in den Bundesratssitzungssaal eingespielt wurden. Ansonsten ist die Beteiligung der BürgerInnen an der Diskussion allerdings nach wie vor zurückhaltend. Laut Zweitem Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf, der bei der Sitzung den Vorsitz führte, sind bislang erst zehn schriftliche Stellungnahmen im Parlament eingelangt.

Ritterband rügt Werbeinserate der Regierung in Boulevardmedien
Emotionen und Informationen seien die beiden wesentlichen Grundlagen für politische Entscheidungen der BürgerInnen, meinte Charles E. Ritterband (NZZ International) in seinem Statement. Oftmals vermischten sich diese beiden Elemente zu einem unentwirrbaren Knäuel. Ziel müsse es jedenfalls sein, die Information zu stärken. Neben der Berichterstattung der Medien kommt laut Ritterband dabei einer offiziellen Informationsborschüre mit sämtlichen Pro und Contra zu einem Thema enorme Bedeutung zu. In der Schweiz werde die Broschüre von der Regierung erstellt, skizzierte er, wobei es darin auch ein wertendes Element gebe: Eine Empfehlung der Regierung, die Volksinitiative anzunehmen oder abzulehnen.

Was die Rolle der Medien betrifft, berichtete Ritterband, dass die NZZ gelegentlich auch Abstimmungsempfehlungen abgebe. Diese beruhten aber auf einer fundierten Analyse. Es gebe keine Neutralität in den Zeitungen, aber ein Bestreben nach sachlicher Berichterstattung, bekräftigte er. Als "undemokratisch und skandalös" wertete der Schweizer Journalist hingegen eine Praxis, die er in Österreich ortet, nämlich dass PolitikerInnen mit Steuergeldern, konkret Inseraten, die Berichterstattung in Boulevardmedien beeinflussen können.

Allgemein gab Ritterband zu bedenken, dass bei Volksentscheiden in der Schweiz immer eine Minderheit entscheide, unabhängig davon, ob die Pro-Seite oder die Contra-Seite eine Abstimmung gewinne. Die Stimmbeteiligung liege meist nur zwischen 35 % und 40 %, je nachdem wie emotional geladen und politisch relevant eine Vorlage sei. Es lasse sich nicht wegwischen, dass es stets eine schweigende Mehrheit gebe, so Ritterband. Man könne nur hoffen, dass die Minderheit möglichst gut informiert sei.

Dittlbacher: ORF braucht keine neuen gesetzlichen Regeln
ORF-Journalist Fritz Dittlbacher wies darauf hin, dass der ORF als öffentlich-rechtliche Anstalt bestimmte Vorgaben erfülle müsse und etwa eine umfassende Informationspflicht habe. Er ist überzeugt, dass der ORF seinen Auftrag erfülle und wies unter anderem auf das Bemühen um Objektivität und Ausgewogenheit in der Wahlkampfberichterstattung hin. Neue gesetzliche Regeln für den Sender im Falle einer Ausweitung der direkten Demokratie hält er nicht für erforderlich.

Für den ORF gelten aber nicht nur die Gesetze des Staates, sondern auch die Gesetze der Medienbranche, unterstrich Dittlbacher. Dieser müsse für seine Berichte auch ein Publikum finden. Dabei stehe der ORF im Wettbewerb mit vielen anderen deutschsprachigen Sendern. Ein wesentliches Asset sieht Dittlbacher dabei in der Glaubwürdigkeit des ORF. Ihm zufolge nimmt Österreich in einem EU-weiten Ranking, was das Vertrauen der Menschen in das Fernsehen betrifft, nach Finnland mit 74 % den zweiten Platz ein.

Kritisch beurteilte Dittlbacher die neuen Untersuchungsausschuss-Regeln, die seiner Meinung nach in Richtung Bildverbote gehen. Generell meinte er, die Demokratie brauche mündige und informierte BürgerInnen, es sei Aufgabe der Medien, einen Beitrag dazu zu leisten.

Thür kritisiert Interviewverweigerung von PolitikerInnen
ATV-Journalist Martin Thür übte massive Kritik am aktuellen Umgang der PolitikerInnen mit Medien. Es gebe mittlerweile eine erkleckliche Anzahl von PolitikerInnen, die sich allen Interviews zu einem Thema entziehen, beklagte er. Keine Antwort zu geben, sei mittlerweile Standard. Der Zugang zu PolitikerInnen würde außerdem oft von PressesprecherInnen blockiert. Er versuche beispielsweise seit acht Monaten einen Landesfinanzreferenten zu finden, der in seiner Sendung bereit wäre, über die Veranlagungsstrategie seines Bundeslandes zu referieren, nannte Thür ein konkretes Beispiel. Ebenso verweigerten die ehemaligen Finanzminister Fekter, Pröll und Spindelegger ein Interview zur Hypo.

Was das Parlament selbst betrifft, bemängelte Thür, dass ältere parlamentarische Materialen wie Anfragen und Anfragebeantwortungen nicht online abrufbar sind. Er wünscht sich außerdem ein Archiv mit den Aufzeichnungen sämtlicher Parlamentsreden.

Weinzettl: Radio ist ein flüchtiges Medium
ORF-Radiojournalist Edgar Weinzettl äußerte die These, dass nicht die Demokratie in einer Krise steckt, sondern die Repräsentanz. Seiner Einschätzung nach könnte man der Krise dadurch begegnen, dass man sich ein Stück von der derzeitigen freien Repräsentation in Richtung einer stärker gebundenen Repräsentation bewege.

Was die Berichterstattung im Radio über direktdemokratische Initiativen betrifft, gab Weinzettl zu bedenken, dass das Radio ein flüchtiges Medium sei. Die Botschaft müsse beim ersten Mal ankommen und verstanden werden und könne auch nicht durch Grafiken veranschaulicht werden. Für eine Berichterstattung brauche man einen Anlassfall, also eine konkrete Initiative, sagte Weinzettl, ansonsten liefere das Radio auch noch Servicebeiträge, etwa über Eintragungsmöglichkeiten von Volksbegehren.

Weissenberger: Journalismus braucht Zugang zu Dokumenten des Staates
Die neue News-Chefredakteurin Eva Weissenberger machte sich für einen umfassenden Zugang für JournalistInnen zu Dokumenten der Verwaltung stark. Wenn man nicht nur Gesagtes wiedergeben, aus dem Zusammenhang gerissene Zahlen nachplappern und sich auf zugeworfene Informationshappen verlassen wolle, brauche man Originalquellen, betonte sie. Nur so könne man BürgerInnen mit präzisen Informationen beliefern und ihnen Orientierungshilfe für Abstimmungen bieten. Nur wenn man Einsicht in Vergaben und Verträge habe, sei feststellbar, für was der Staat Steuergeld ausgebe. Zum Untersuchungsausschuss merkte Weissenberger an, es sei ein Skandal, wenn Akten, die ohnehin der Geheimhaltung unterliegen, auch noch geschwärzt würden.

Sablatnig: Keine Eingriffe in unabhängige mediale Berichterstattung
Auch Innenpolitik-Journalist Wolfgang Sablatnig, Vorsitzender der Vereinigung der ParlamentsredakteurInnen, drängte auf einen freien Zugang für JournalistInnen zu öffentlichen Daten und öffentlichen Informationen. Was die Berichterstattung über direktdemokratische Initiativen betrifft, sieht er auch die VertreterInnen der Initiativen selbst gefordert, ihre Anliegen medial aufzubereiten, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Die JournalistInnen tendierten dazu, weniger über Sachfragen, sondern mehr über die Meinungen von Parteien und Personen zu einem Thema zu berichten, schloss er sich dem Politikexperten Filzmaier an.

Keinesfalls vorstellen kann sich Sablatnig gesetzliche Vorgaben für Printmedien über das Ausmaß der Berichterstattung über bestimmte Initiativen oder das Verhältnis von Argumenten und Gegenargumenten. Ein professioneller Journalist sei es gewohnt, einen Nachrichtenwert zu beurteilen und wisse, wie er zu arbeiten habe, bekräftigte er. Überdies gehöre zur Berichterstattung auch der Kommentar, auch wenn dieser nicht im Sinne einer Initiative sei. Direktdemokratische Initiativen hätten grundsätzlich die Sympathie der JournalistInnen, meinte Sablatnig, sie müssten aber auch auf medialen Gegenwind vorbereitet sein.

Zimmermann: Qualitätsjournalismus stärker fördern
Astrid Zimmermann, neben ihrer Tätigkeit für den Presseclub Concordia auch Gesellschafterin des Medienhaus Wien, wandte sich gegen Befürchtungen, finanzstarke Initiativen könnten bei einer Ausweitung der direkten Demokratie die Berichterstattung in Medien kaufen und diese für sich instrumentalisieren, bzw. Befürchtungen, Medien könnten eigene Kampagnen starten. Alles, was Medien bei direktdemokratischen Entscheidungen machen könnten, könnten sie auch jetzt schon, argumentierte sie.

Für eine ausgewogene und qualitative Berichterstattung brauchen Medien nach Meinung von Zimmermann vor allem Zugang zu Informationen und Transparenz. Nur so könne man gewährleisten, dass JournalistInnen nicht von Insiderwissen und Whistleblowern abhängig seien. In diesem Zusammenhang kritisierte sie nicht nur das Amtsgeheimnis, sondern auch den Umstand, dass MitarbeiterInnen von Behörden und Ministerien oftmals Sprechverbot auferlegt bekommen. Auch das derzeit in parlamentarischer Verhandlung stehende Informationsfreiheitgesetz löse das Problem nicht, konstatierte sie.

Um seriöse Berichterstattung zu forcieren, regte Zimmermann an, die Presseförderung umzustellen und statt auf Vertriebsförderung mehr auf Qualitätsförderung und die Ausbildung von JournalistInnen zu setzen. Sie verwies auch auf eine Regelung in den USA, wonach Medien, die hohe Werbemittel von einer Kampagnenseite erhalten, kostenlos Platz für die Gegenseite zur Verfügung stellen müssten.

Barth: Freier Informationszugang für alle BürgerInnen
Ein freier Informationszugang für alle Bürgerinnen und Bürger war das Hauptanliegen von Josef Barth, Gründer des "Forum Informationsfreiheit" und Initiator von transparengesetz.at. BürgerInnen bräuchten für Entscheidungen Informationen, unabhängig davon, ob es um direkte Demokratie oder indirekte Demokratie gehe. Klassische Medien könnten zwar Aufmerksamkeit auf Themen lenken und zum Teil zur Informationsbeschaffung beitragen, sie könnten aber nur Informationenstücke abbilden, machte er geltend. Grundsätzlich sei es Aufgabe der öffentlichen Stellen, Informationen bereitzustellen, und zwar permanent, online und im Original. Alle BürgerInnen, die sich selbst Informationen holen wollen, müssten dies tun können.

Schweighofer: Schulterschluss gegen neue Mediensysteme notwendig
Styria-Vorstand Klaus Schweighofer, Vorsitzender des Verbands österreichischer Privatsender (VÖP), erachtet es für vorrangig, ernsthaft darüber nachzudenken, wie die derzeitige Medienvielfalt auch in Zukunft sichergestellt werden kann. Die Medienlandschaft befinde sich im größten Umbruch seit 50 Jahren, wenn nicht in ihrer gesamten Geschichte, meinte er. Er sieht die Gefahr, dass neue Mediensysteme, die den globalen Markt bedienen und keinen spezifischen Österreich-Bezug haben, heimische Medien verdrängen und in Hinkunft Logarithmen statt Journalismus den Nachrichtenmarkt dominieren. Schweighofer urgierte in diesem Sinn einen Schulterschluss in Österreich, es gehe um eine neue Medienarchitektur.

   

Um die Rolle der Medien für direkte Demokratie ging es auch im Diskussionsteil der fünften Sitzung der parlamentarischen Enquete-Kommission zur Demokratiereform. Mit der relativ überschaubaren Berichterstattung darüber zeigten sich einige Redner im Diskussionsteil unzufrieden. Die in der Öffentlichkeitsarbeit tätige Barbara Ruhsmann bezweifelte, dass ein Kommentar von ihr zur Enquete-Kommission in Medien überhaupt erscheinen würde. Auch kritisierte sie die oft wenig ernsthaft betriebene Einbindung von BürgerInnen in politischen Diskussionssendungen wie zum Beispiel im ORF-Bürgerforum. Dieses gleiche einer Arena, die BürgerInnen sitzen rundherum, die PolitikerInnen in der Mitte. Allerdings fänden in einer Arena Gladiatorenkämpfe statt und keine Diskussionen, so Ruhsmann. "Ein Forum hingegen ist etwas, wo sich alle auf die gleiche Ebene begeben."

Mehr Unterstützung durch Medien
Auch die BürgerInnenvertreterIn Marlen Ondrejka (kaufmännische Angestellte) zeigte sich von der geringen Berichterstattung wenig angetan. Zuerst habe sie aus einem Dreizeiler in einer Tageszeitung überhaupt von der Enquete-Kommission erfahren, viel mehr Berichterstattung als damals gebe es nun auch nicht.

Ähnlich drückte es der Pensionist Heinz Emhofer aus. Nun habe die Politik BürgerInnen eingeladen, aktiv mitzudiskutieren, von Seiten der Medien dagegen gebe es allerdings bisher kaum Unterstützung.

Sie habe über Facebook von der Enquete-Kommission erfahren und es spannend gefunden, einmal als Nicht-Politikerin im Parlament zu reden, erzählte Michelle Missbauer (derzeit in Ausbildung). Sie wünsche sie sich, "dass wir als Vorbild dienen und auch in Zukunft BürgerInnen bei wichtigen Themen ins Parlament geholt werden".

Zur Kritik an der weitgehend fehlenden Berichterstattung sagte der Abgeordnete Dieter Brosz von den Grünen: "Wenn wenig berichtet wird, gibt's vielleicht einen Grund dafür." Man müsse sich die Frage stellen, ob die Diskussion ernst gemeint sei und am Ende etwas dabei herauskomme, oder ob es sich um eine Inszenierung handle.

Wann ist etwas eine "G'schicht"?
"Ist es eine G'schicht?" – diese Frage steht für Nikolaus Scheraks (NEOS) stets im Vordergrund, was er den Medien vorwarf. Eine "G'schicht" wäre die Enquete-Kommission Demokratie nämlich vermutlich erst dann, wenn sich zwei Abgeordnete streiten und dabei handgreiflich werde. An Politik und Medien appellierte Scherak, Transparenz sei wichtig für BürgerInnen. Allerdings müsste sich dann auch in der Berichterstattung etwas ändern.

Einen oft falschen Fokus warf Wolfgang Gerstl (ÖVP) den Medien vor. So habe es zum Beispiel bei der Reform der Verwaltungsgerichte kein Medieninteresse gegeben, weil sich alle einig waren. "Deswegen war's keine G'schicht", so Gerstl. Andere Themen, etwa TTIP, würden zu wenig differenziert beleuchtet.

Mehr Transparenz auch in den Medien
Den Transparenz-Ball spielte Harald Stefan von der FPÖ den Medien zurück. Seiner Meinung nach müsste auch offengelegt werden, welcher Journalist welcher politischen Partei nahe steht, wer Medien finanziert usw. Vielleicht werde so wenig über die Enquete-Kommission berichtet, weil sie "einfach kein Reißer" sei, nur weil man sich hier intensiv damit beschäftige. Dessen müsse man sich bewusst sein.

Etwas früher in der Diskussion hatte der Universitätsdozent Paul Luif auf das Problem der Repräsentativität der JournalistInnen hingewiesen. In dieser Berufsgruppe sei das linke Spektrum überrepräsentiert, was dazu führe, dass VertreterInnen anderer Parteien es schwerer hätten, Themen unterzubringen.

Dem hielt der Journalist Charles Ritterband (NZZ International) entgegen, dass die Installierung eines neuen, rechtsgerichteten Chefredakteurs bei der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) gerade noch verhindert werden konnte. Ob Österreich schon bereit für direkte Demokratie sei, daran zweifle er. Denn in jedem Fall könnte diese von der extremen Rechten missbraucht werden.

Das große Ganze gemeinsam gestalten
"Ich halte die Österreicher für fähig genug, mit mehr direkter Demokratie als bisher zu leben", zeigte sich der Grazer Universitätsprofessor Klaus Poier überzeugt. Letztendlich müssten Abgeordnete und WählerInnen gemeinsam wachsen, das große Ganze gemeinsam gestalten. Allerdings müsse man dazu den BürgerInnen sagen, dass sie sich einbringen sollen. Das sehe er auch als eine Aufgabe der Medien, so Poier.

Ebenfalls keine Angst vor mehr direkter Demokratie zeigte der ÖVP-Bundesrat Gottfried Kneifel. Doch wer mitentscheiden wolle, brauche dazu Orientierung und Information, so Kneifel. Eine Aufgabe von PolitikerInnen und Medien müsse es daher sein, künftig Zusammenhänge besser als bisher zu erklären. Sorgen bereitet Kneifel derzeit eher das Gefühl, die Kluft zwischen Informierten und Uninformierten werde immer größer.

Balance halten zwischen repräsentativer und direkter Demokratie
Es sei das Interesse der Politik, Geschichten zu liefern. Und der Druck der Medien sei hierzulande groß genug, betonte Josef Cap von der SPÖ. In jedem Fall gelte es, die Balance zwischen repräsentativer und direkter Demokratie zu halten. Für ihn bleibe die repräsentative Demokratie nach wie vor wichtig, da die Handlungs- und Funktionsfähigkeit keinesfalls eingeschränkt werden dürfe.

In Bezug auf Abstimmungsergebnisse werde die Macht der Medien überschätzt, sagte Claudine Nierth, die Bundesvorstandssprecherin von "Mehr Demokratie Deutschland". Allerdings würden BürgerInnen ohne Informationen manipulierbar. Ihrer Einschätzung nach wäre eine gute Abstimmungsbroschüre (wie es sie etwa in der Schweiz gibt, Anm.) am sinnvollsten, um dagegen zu halten. Zur Stärkung der direkten Demokratie in Österreich meine Nierth abschließend: "Eine Gesellschaft sollte selbst entscheiden, wann sie reif genug ist, um direkte Demokratie einzuführen."

Bei der Einbeziehung von BürgerInnen in Sitzungen sei man derzeit noch im "Versuchsstadium", ebenso beim Zugang zu Informationen beziehungsweise Akten, gab Daniela Musiol von den Grünen zu. Allerdings sei vieles kulturell bedingt und ändere sich langsam, zeigte sie sich überzeugt.

Gemeindepolitik ideal für direkte Demokratie
Als einen Ort, wo Menschen sich noch ausmachen können, wie sie leben wollen, bezeichnete Uwe Trummer (Landessprecher Steiermark, NEOS) die Gemeindepolitik. In Feldbach etwa trage unter anderem die Kleine Zeitung sehr viel dazu bei, kritisch äußerte er sich dagegen über (Gratis-)Medien, in denen es Berichterstattung nur gegen Inserate gebe. "Regionalisierung erhöht die Nähe zum Bürger und sichert auch Qualität", so Trummer.

Die letzten beiden Jahre in den Gemeinden Steyr und Kirchberg bezeichnete der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Christian Dörfel (ÖVP) als eine sehr spannende Zeit in Hinblick auf direkte Demokratie. Allerdings kritisierte er die fehlende Berichterstattung – nicht zuletzt auch bei der anstehenden Verabschiedung des Bürgerrechtepakets, das unter anderem die Hürden für Volksbefragungen herabsetzen soll. Für Dörfel ist direkte Demokratie "eine Frage der politischen Korrektur" und betreffe somit auch Medien als "Säulen der Demokratie".

Darüber, dass es bei der Volksbefragung in Wien keinen Aufschrei der Bevölkerung gab, zeigte sich der ÖVP-Landtagsabgeordnete Norbert Walter verwundert. Für ihn sieht eine Form der Demokratie folgendermaßen aus: Zuhören, sich eine Meinung bilden, dann das Urteil fällen.

Die Frage, ob es wirklich Sinn macht, das viel gelobte Schweizer Modell der Volksbefragungen hierzulande einzuführen, müsse man sich stellen, so Peter Wittmann von der SPÖ. Schließlich liege die Beteiligung dort teilweise bei nur 35 Prozent.

Eine Sache des politischen Willens
Barbara Ruhsmann rief in Erinnerung, dass spätestens nach der heutigen Enquete-Kommission mit der konkreten Arbeit begonnen werden sollte. Auch im Namen der "Initiative Demokratie" sprach sie sich dafür aus, die Arbeit nicht ohne eine Meinungskonsultation der Bevölkerung zu beginnen, es brauche nun rasch eine Umfrage. "Wenn schon so wenige Stellungnahmen abgegeben wurden, dann muss man das eben abfragen", so Ruhsmann.

Ähnlich beurteilte auch Heidelinde Reiter, Bundesrätin der Grünen, die Situation. Es sei eine Sache des politischen Willens, hier etwas zu tun oder eben nicht. Jedoch glaube sie, dass die Notwendigkeit von mehr direkter Demokratie sehr wohl erkannt werde.

 

 

 

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