OÖ: Die nächsten Schritte zur Gentechnik-Freiheit

 

erstellt am
07. 05. 15
11.00 MEZ

Berlin/Linz (lk) - Nach jahrelangem Ringen und der Forderung nach mehr Selbstbestimmung der Länder beim Anbau von GVO-Pflanzen wurde Mitte Jänner 2015 mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments eine Änderung der EU-Freisetzungsrichtlinie finalisiert. Das ist die rechtliche Voraussetzung für das Umsetzen eines Selbstbestimmungsrechts der Regionen, die Ermöglichung regionaler GVO-Verbote. Ein großer Erfolg Oberösterreichs, das dieses Selbstbestimmungsrecht in einem elfjährigen Engagement durchgesetzt und damit die EU in einem Kernbereich verändert hat.

Bei der gemeinsamen Konferenz "GMO free Europe" des von OÖ gegründeten Netzwerks der Regionen und der GVO-NGOs wird es von 7. bis 9. Mai in Berlin u.a. um die Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten gehen. Vor allem aber sollen erstmals die Kräfte gebündelt werden für die nächsten notwendigen Schritte zur GVO-Freiheit.

Die nächsten Schritte am Weg zur Gentechnik-Freiheit: eine europaweit einheitliche Positiv-Kennzeichnung für GVO-freie Lebensmittel sowie ein schrittweiser Ausstieg auch aus GVO-Futtermitteln. Aktuell oberstes Gebot: eine Gefahr für das Selbstbestimmungsrecht beim GVO-Anbau oder für die europäischen Lebensmittelstandards und Kennzeichnungen durch TTIP verhindern!


Erfolg aus OÖ: GVO-Selbstbestimmungsrecht auf EU-Ebene durchgesetzt
LR Anschober: "Vor über elf Jahren haben wir von Oberösterreich aus durch die Gründung einer Allianz der Regionen für ein Selbstbestimmungsrecht bei GVO den politischen Prozess zur Lösung beim Anbau in Gang gesetzt. Davor gab es ein klares Nein der EU und des EuGH zu einem Selbstbestimmungsrecht. Für Oberösterreich und viele weitere Regionen mit einer klaren Haltung gegen GVO ist dies der entscheidende Schritt zu Rechtssicherheit und langfristiger GVO-Freiheit!"

Die Allianz hat bereits 63 Regionen, verbindet damit rund 187 Mio. Bürger/innen, also knapp 37 Prozent der EU-Bevölkerung. Und als 64. Region hat sich Bremen aktuell für das Netzwerk entschieden.
Anschober: "Gemeinsam haben wir es geschafft, die EU von unten zu verändern und haben ein Selbstbestimmungsrecht errungen, das uns auch zukünftig GVO-freie Felder garantieren wird! Jetzt wollen wir die Kräfte bündeln, um bestmögliche nationale und regionale Umsetzungen des Selbstbestimmungsrechtes, eine verbesserte Kennzeichnung, einen schrittweisen GVO-Ausstieg auch bei Futtermitteln zu erreichen und zu verhindern, dass TTIP Anti-GVO-Regelungen gefährdet."


Rasche nationale Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts gefordert
Zur Umsetzung des "Opt-out" sind nun die Mitgliedstaaten gefordert, entsprechende nationale Regelungen zu erlassen bzw. anzupassen. In Österreich haben sowohl das Gesundheits- als auch das Landwirtschaftsministerium bereits Gesetzesnovellierungen vorgeschlagen, die in Abstimmung mit den für den Anbau zuständigen Bundesländern nun zu finalisieren sind.

Auch die Konferenz "GMO FREE EUROPE" in Berlin vom 7.-9. Mai 2015 widmet sich dem Thema der nationalen Umsetzung des Opt-Out. Die Vertreter/innen des Netzwerks der europäischen GVO-freien Regionen sowie der NGOs in Europa treffen hier zusammen. Einheitliche Lösungen von Mitgliedstaaten oder doch regionale Lösungen stehen zur Diskussion. Oberstes Ziel ist, dass kein "Fleckerlteppich" an unterschiedlichen Regelungen entsteht.
Am 22. April 2015 hat die EU-Kommission einen weiteren Vorschlag vorgelegt, wonach einzelne Mitgliedstaaten in Zukunft die Möglichkeit haben sollen, auch den Einsatz von GVO in Lebensmitteln oder Tierfutter zu untersagen. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch sehr eng gefasst. EU-Parlament und Rat sind als nächstes am Zug, diesen Vorschlag zu beraten. Umwelt-Landesrat Anschober würde eine europaweit einheitliche Regelung bevorzugen. Zumindest sind jedoch vergleichbare Regelungen wie beim Saatgut erforderlich.

Die Entwicklung des Anbaus von Gentechnik-Pflanzen in Europa
In der EU ist aktuell nur eine gentechnisch veränderte Pflanze zum kommerziellen Anbau zugelassen, und zwar seit 1998 der gentechnisch veränderte Mais MON810. In zahlreichen EU-Ländern wie Österreich, Deutschland, Frankreich, Polen, Ungarn, Bulgarien, Griechenland und Luxemburg ist der Anbau dennoch verboten. So beschränkt sich der Anbau insbesondere auf Spanien und Portugal, kleinere Flächen sind weiters in Tschechien, Slowakei und Rumänien zu nennen.

Für 2014 wurden lt. offiziellen Regierungsangaben, die "Friends of the Earth Europe" zusammengestellt hat, folgende Anbauflächen verwendet (siehe Tabelle Seite 4). Die GVO-Industrie hat ihr Ziel einer flächenhaften GVO-Ausbringung in Europa nicht geschafft und verliert immer mehr an Boden.

Die Zulassung für den Anbau ist auf EU-Ebene in der sog. Freisetzungsrichtlinie (RL 2001/18/EG) geregelt. Als Grundlage ist eine wissenschaftliche Sicherheitsbewertung notwendig, wobei die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine wichtige Rolle spielt. Eine Reform der EFSA ist ebenfalls eine wichtige Forderung der Allianz.


GVO-Kennzeichnung bei Lebensmitteln: Prozesskennzeichnung
Das erneuerte System der Gentechnik-Kennzeichnung ist mit 18. April 2004 in Kraft getreten und gilt seitdem im ganzen EU-Raum für alle GV-Lebens- und Futtermittel. Die Basis der Zulassungs- und Kennzeichnungspraxis bildet die Europäische Verordnung (EG) 1829/2003.
Die Kennzeichnung soll es den Konsument/innen ermöglichen, zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen bzw. biologisch erzeugten Produkten frei wählen zu können.

Im Detail müssen alle Lebens- und Futtermittel, bei denen zumindest ein Bestandteil aus einem gentechnisch veränderten Produkt stammt, mit einem bestimmten Wortlaut gekennzeichnet werden - "enthält genetisch veränderte Organismen" bzw. "aus Mais (bzw. Soja, Raps oder andere Kulturart), genetisch verändert".

Dies gilt für:

  • Produkte, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen, wie Mais oder Sojaschrot;
  • Produkte, die aus GVO hergestellt wurden, selbst aber keine nachweisbaren GVO mehr beinhalten, wie z.B. Maiskeimöl oder Lecithin aus gentechnisch verändertem Soja.


Beispielsweise ist die GVO-Freiheit beim Einsatz von Sojalecithin mit Zertifikaten zu belegen. Bei Kontrollen der Oö. Lebensmittelaufsicht wird darauf geachtet, dass diese Zertifikate vorgelegt werden und dies klar rückverfolgbar ist. Wird ein anderes Sojalecithin verwendet, ist der GVO-Hinweis in der Kennzeichnung zu machen.


Schwerpunktaktionen zu gentechnisch veränderten Organismen
Aus dem Lebensmittelsicherheitsbericht des Gesundheitsministeriums 2013: "2013 wurden im Rahmen der amtlichen Kontrolle 276 Proben, darunter 246 Proben Mais, Soja, Reis und Papaya in vier Schwerpunktaktionen, auf gentechnisch veränderte Organismen (GVO) untersucht. Durch Screeningverfahren bzw. spezifische Untersuchungen auf einzelne Events wurden sowohl in Österreich produzierte als auch importierte Produkte geprüft.
Zwei Proben (0,7 %) getrocknete Papaya mussten wegen des Nachweises von nicht zugelassenen GVO beanstandet werden. In zehn Proben (3,6 %) waren Spuren an GVO vorhanden. Deren Gehalt lag entweder unter der Grenze für eine Deklarationspflicht oder er war so gering, dass eine Quantifizierung nicht möglich war."

Bei den oö. Proben gab es keine Beanstandungen.
Trotzdem finden sich österreichweit aber immer wieder Hinweise auf GVO im Spurenbereich unter der Nachweisgrenze.


Handlungsbedarf: Erweiterung der Kennzeichnungspflicht & schrittweise GVO-Freiheit auch bei Futtermitteln
Seit 2004 ist die EU-Kennzeichnungs-Verordnung für gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel zwar in Kraft, nach wie vor weist sie aber große Lücken auf: Lebensmittel von Tieren, z.B. Fleisch, Eier, Milchprodukte, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, müssen nach wie vor nicht gekennzeichnet werden, obwohl der Großteil der GVO-Produkte, wie Soja oder Mais, in Futtermitteln verwendet wird.
Viele Regionen planen derzeit eine klare Kennzeichnung - Deutschlands Bundesregierung hat die Forderung nach Einführung einer EU-weiten Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden, im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Slowenien hat ein GVO-frei-Label beschlossen.

Bei der Konferenz "GMO free Europe" von Donnerstag bis Freitag wird unter Regionsvertreter/innen und NGOs auch die Frage der Kennzeichnung europaweit als zentraler Punkt behandelt. Ziel ist, die Kennzeichnung weiter zu verbessern durch europaweit einheitliche Regelungen. Seit Jahren fordert die Allianz eine europaweit einheitliche Einführung eines "GVO-frei"-Labels.

LR Anschober: "Als ersten Schritt müssen wir eine europaweite Positiv-Kennzeichnung durch ein "GVO-frei"-Label bei tierischen Produkten erreichen, wie es in Österreich schon existiert und sich durch externe Kontrollstellen auszeichnet. Auch bei Bio-Lebensmitteln sind die Konsument/innen natürlich auf der sicheren Seite. Längerfristig muss aber unser Ziel sein, dass wir gentechnisch veränderte Organismen auch in Futtermitteln verbannen - hier kann Oberösterreich als Speerspitze abermals ein Zeichen setzen."

Tipps für Konsument/innen
In Österreich hat der Ruf der Konsument/innen nach GVO-freien Lebensmitteln, z.B. im Zuge des Gentechnik-Volksbegehrens 1997, dazu geführt, dass sich praktisch alle Handelsunternehmen gegen eine Listung kennzeichnungspflichtiger Produkte ausgesprochen haben.

Wirkliche Sicherheit auf Gentechnik-Freiheit geben natürliche jene Lebensmittel, die nach strengen Kriterien hergestellt und kontrolliert werden: Bio-Produkte einerseits, andererseits auch Lebensmittel mit dem grünen Kontrollzeichen "Ohne Gentechnik hergestellt" - dies bedeutet, dass die Lebensmittel während der gesamten Produktion (vom Feld über die Fütterung bis zur Verpackung) nicht mit Gentechnik in Berührung gekommen sind.
Rund 2.300 Lebensmittel sind aktuell mit dem Qualitätszeichen ausgelobt, zu finden unter http://www.gentechnikfrei.at.

Appell: Keine Rückschlage bei GVO-Selbstbestimmung durch TTIP & Co
Hinsichtlich der Verhandlungen zu Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA besteht nach aktuellem Stand die Gefahr, dass die Klagemöglichkeit von Konzernen gegen Staaten bei einem Opt-Out aufgrund eines Wettbewerbsnachteils gewährt wird - andererseits sind auch Abschwächungen bei europäischen Lebensmittel-Standards zu befürchten.

1. Gefahr Schiedsgerichte
Beispiel: Eli Lily vs. Kanada: Pharmakonzern versucht kanadische Gesetze zu ändern (aktuell noch keine Entscheidung).
Es handelt sich um die Klage des amerikanischen Pharmariesen Eli Lilly gegen Kanada. Dazu wurde das nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) bemüht, in dem in Kapitel 11 ein Investitionsschutz verankert ist.
Der Konzern forderte 500 Mio. Dollar vom kanadischen Staat, da Gerichte des Landes Patente der Medikamente Straterra (gegen ADHS) und Zyprexa (gegen Schizophrenie) für ungültig erklärt hatten. Dies geschah, weil der im Patent versprochene Nutzen nicht nachgewiesen wurde. Insbesondere die wissenschaftliche Aussagekraft der durchgeführten Studien wurde angezweifelt, nachdem Klage von einem konkurrierenden Generikahersteller eingereicht wurde. Nach kanadischem Recht muss für die Erteilung eines Patentes jedoch dieser versprochene Nutzen vorhanden sein. Nach Meinung des Konzerns stellt das kanadische Gesetz unvernünftig hohe Anforderungen an die wissenschaftlichen Studien. Die Regelung sei diskriminierend, willkürlich und auffallend subjektiv. Beobachter dieses Falls gehen davon aus, dass das Hauptziel von Eli Lilly nicht das Erlangen der Entschädigungssumme ist, sondern eine Änderung der kanadischen Gesetze.

2. Gefahr: Abschwächung der Lebensmittel-Standards in Europa
Im Auftrag der Fraktion Bündnis90/ Grüne im Deutschen Bundestag hat "Testbiotech", ein Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, die Studie "Freihandel - Einfallstor für die Agro-Gentechnik. Auswirkungen von CETA und TTIP auf die EU-Regelungen im Bereich der Landwirtschaft - eine kritische Begutachtung" durchgeführt.

Nach dem Beschluss zu CETA durch die EU (und eventuell später zu TTIP) sind, so die Studienautoren, Änderungen bei den Zulassungsverfahren zu erwarten. Zum einen ist davon auszugehen, dass das Vorsorgeprinzip immer stärker in den Hintergrund gedrängt wird. Zudem ist es auch fraglich, ob in Zukunft überhaupt noch alle gentechnischen Verfahren durch Zulassungsverfahren erfasst werden.
So besteht u. a. die Gefahr, dass die nach jahrelangen politischen Auseinandersetzungen gesetzten Standards der EU durch diese Änderung der "Spielregeln" außer Kraft gesetzt werden.

Die Schlussfolgerung für die Autoren: Bei den TTIP-Verhandlungen sollten sensible Bereiche wie Umwelt- und Verbraucherschutz im Bereich der Lebensmittelerzeugung vollständig ausgenommen werden. Gelingt es nicht, das Verhandlungsmandat entsprechend zu präzisieren und auch die Verhandlungen entsprechend zu führen, sei eine Verschlechterung des Status Quo nur über einen Abbruch der Gespräche zu verhindern.

LR Anschober: "Bei der GVO-Konferenz in Berlin werden die Teilnehmer/innen ein Positionspapier diskutieren, in dem das Vorsorgeprinzip der EU als zentrales Prinzip und als unantastbar definiert wird - hierbei darf es keine Zugeständnisse durch Freihandelsabkommen geben!"

 

 

 

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