Schuldeingeständnis und Auftrag für die Zukunft

 

erstellt am
06. 05. 15
11.00 MEZ

Evangelische Kirche in Österreich veröffentlicht Erklärung zu 70 Jahre Kriegsende
Wien (epdÖ) - "Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist es für die Evangelische Kirche wichtig, auch 70 Jahre später nicht zu vergessen und Lehren für die Zukunft zu ziehen", heißt es in einer aktuellen Erklärung des Evangelischen Oberkirchenrats A. und H.B. in Österreich im Gedenken an das Kriegsende. Vor 70 Jahren, am 8. Mai 1945, endete mit der Kapitulation der Wehrmacht der Zweite Weltkrieg.

In der Erklärung erinnert der evangelische Oberkirchenrat daran, dass auch Österreicherinnen und Österreicher im Zweiten Weltkrieg zu Täterinnen und Tätern wurden. Darüber hinaus wird einmal mehr festgehalten, dass die Evangelische Kirche in dieser Zeit schwere Schuld auf sich geladen habe. "Mit besonderer Scham erfüllt uns auch 70 Jahre nach Kriegsende das Versagen bzw. die Mittäterschaft gegenüber Jüdinnen und Juden und gegenüber anderen Gruppen wie Behinderten, Roma oder Homosexuellen, die alle als 'unwertes Leben' angesehen und damit der Gefangenschaft oder dem Tod preisgegeben wurden", heißt es in der Erklärung. Zwar habe es auch Widerstand von evangelischer Seite gegeben, wie etwa durch Pfarrer Dietrich Bonhoeffer oder den österreichischen Oberstleutnant Robert Bernardis. Aber sie seien "eher die Ausnahme als die Regel" gewesen. Heute lehne die Evangelische Kirche Krieg als Mittel der Konfliktlösung ab. Vielmehr sehe sie ihren Auftrag darin, zu Versöhnung und Verständigung zwischen Menschen und Gruppen beizutragen; den jüdischen Geschwistern gegenüber habe die Kirche eine besondere Verantwortung. Ihr Einsatz gelte heute aber auch Menschen auf der Flucht, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen. Kein politischer Führer und keine Ideologie dürfe über Gott stehen, hält das Leitungsgremium der Evangelischen Kirche fest und betont: "Nie wieder soll sich die Kirche mit menschenverachtenden und todbringenden Kräften verbünden, sondern die Würde jedes einzelnen Menschen achten."

Die von Bischof Michael Bünker und Landessuperintendent Thomas Hennefeld gezeichnete Erklärung hat folgenden Wortlaut:

"Vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Er brachte unsägliches Leid über die Welt. Millionen Menschen wurden auf den Schlachtfeldern und in der Zivilbevölkerung verstümmelt und getötet, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben.

Mit dem Ende des Krieges war das Leid noch nicht vorüber, aber die Befreiung durch die Alliierten machte dem nationalsozialistischen Verbrechensregime ein Ende. Österreicherinnen und Österreicher waren Mittäterinnen und Mittäter. Auch die Evangelische Kirche lud schwere Schuld auf sich. Mit besonderer Scham erfüllt uns auch 70 Jahre nach Kriegsende das Versagen bzw. die Mittäterschaft gegenüber Jüdinnen und Juden und gegenüber anderen Gruppen wie Behinderten, Roma oder Homosexuellen, die alle als 'unwertes Leben' angesehen und damit der Gefangenschaft oder dem Tod preisgegeben wurden. Das Konzentrationslager Mauthausen steht für dieses Grauen auf österreichischem Boden.

Viel zu selten gab es Widerstand gegen den NS-Terror. Menschen wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer oder der österreichische Oberstleutnant Robert Bernardis und einige einer größeren Öffentlichkeit nicht bekannt gewordene Menschen, die das Regime herausforderten und ihr Gewissen und ihren Gehorsam gegenüber Gott über die Sicherung des eigenen Lebens stellten, waren die Ausnahme und nicht die Regel.

Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges ist es für die Evangelische Kirche wichtig, auch 70 Jahre später nicht zu vergessen und Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Die Evangelische Kirche lehnt Krieg als Mittel zur Konfliktlösung entschieden ab. Sie setzt sich für Verständigung und Versöhnung überall dort ein, wo Menschen heute aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder sexuellen Zugehörigkeit diskriminiert oder unterdrückt werden. Sie hat eine besondere Verantwortung für ihre jüdischen Geschwister, die sie in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vermissen hat lassen. Wir wollen nicht vergessen, dass die Kirche selbst Judenhass und christlich motivierten Antijudaismus schürte. Solidarität mit Jüdinnen und Juden heute bedeutet, sich für ein lebendiges Judentum in der Gesellschaft einzusetzen, die jüdische Wurzel der Kirche zu betonen und Antisemitismus und Antijudaismus entschieden zu bekämpfen sowie zu judenfeindlichen Aussagen und Aktionen nicht zu schweigen.

Aus dem Schrecken des Krieges zu lernen heißt auch, Menschen Schutz zu gewähren, die danach trachten, Krieg und Verfolgung zu entkommen.

Kein politischer Führer und keine Ideologie darf über Gott stehen, wie er uns im Alten und Neuen Testament begegnet. Dabei hält sich die Evangelische Kirche an ein Wort aus der Schrift: Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5,29).

Nie wieder soll sich die Kirche mit menschenverachtenden und todbringenden Kräften verbünden, sondern die Würde jedes einzelnen Menschen achten. Nur so können wir die Frohe Botschaft vom menschenfreundlichen Gott glaubwürdig leben."

 

 

 

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