Das Rauschen fester Körper

 

erstellt am
17. 06. 15
11.00 MEZ

Wien (tu) - Alles wackelt und vibriert: Fluktuationen unterschiedlicher Art sind entscheidend für die Eigenschaften von Festkörpern. Eine neue Methode erleichtert es nun, diese Fluktuationen theoretisch zu identifizieren. Einzelne Atome oder Moleküle lassen sich heute quantenphysikalisch recht problemlos berechnen. Festkörper, deren Eigenschaften sich aus dem Zusammenspiel von sehr vielen Teilchen ergeben, halten aber noch immer große ungelöste Rätsel bereit. Dazu gehört etwa die Hochtemperatur-Supraleitung, für die es nach wie vor keine zufriedenstellende theoretische Erklärung gibt.

Ein Grund dafür ist, dass man in der Festkörperphysik unterschiedliche physikalische Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten muss. Manchmal ist es zum Beispiel sinnvoll, die Änderungen in der Verteilung der elektrischen Ladung zu analysieren, manchmal ist der Elektronenspin die entscheidende Größe. Ein Forschungsteam der TU Wien hat nun eine mathematische Methode gefunden, mit der sich eindeutig bestimmen lässt, welche Betrachtungsweise für ein bestimmtes System die sinnvollste ist. Damit soll es nun möglich werden, Festkörpereffekte nicht bloß zu simulieren sondern auch besser zu verstehen. Die neue Methode wurde im Fachjournal „Physical Review Letters“ publiziert.

Auf den Blickwinkel kommt es an
Ein einzelnes Elektron im Festkörper zu beschreiben macht meist keinen Sinn – man spricht von „hochkorrelierten Elektronensystemen“, man muss die Gesamtheit der Elektronen gemeinsam betrachten.

Dabei kann allerlei geschehen: Elektronen können sich von ihrem Platz bewegen, elektrische Ladung wandert von Atom zu Atom, der Eigendrehimpuls eines Teilchens – der Spin – kann mal nach oben, mal nach unten zeigen und dabei die Spins der benachbarten Teilchen beeinflussen. „Diese Fluktuationen sind das eigentlich Interessante, von ihnen hängen die Materialeigenschaften des Festkörpers ganz entscheidend ab“, erklärt Alessandro Toschi vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien.

Diese Fluktuationen kann man auf unterschiedliche Weise betrachten. Diese Situation lässt sich mit der Astronomie vergleichen: Dort gibt es unterschiedliche Bezugssysteme, mit denen man arbeiten kann. Für manche Fragestellungen genügt es, die Erde als Zentrum des Universums zu betrachten, für andere wählt man ein Koordinatensystem mit der Sonne im Mittelpunkt, oder man muss sogar die Bewegung unserer ganzen Galaxie berücksichtigen. In der Festkörperphysik ist es so ähnlich. Die Fluktuationen im Festkörper kann man als Spin-Fluktuationen betrachten, oder als Ladungs-Fluktuationen, oder man kann das System in einem Teilchenpaarbild analysieren. Alle Methoden sind im Prinzip äquivalent, aber nicht unbedingt gleich praktisch und zielführend.

„Bei wissenschaftlichen Konferenzen gibt es dann oft heiße Diskussionen darüber, welcher Zugang in einem bestimmten Fall der Beste ist“, erzählt Alessandro Toschi. Genau das soll sich nun ändern: Mit einem geschickten Rechentrick gelang es Thomas Schäfer, Georg Rohringer und Alessandro Toschi gemeinsam mit Kollegen aus Deutschland (Olle Gunnarsson und Giorgio Sangiovanni), Spanien (Jaime Merino) und den USA (James LeBlanc und Emanuel Gull), die Elektronen-Fluktuationen im Festkörper in ihre Bestandteile aufzuspalten – und zwar im Spin-, im Ladungs- und im Teilchenpaarbild. Danach zeigt sich sofort, welches Bild das Beste ist: „Man möchte ein Bild verwenden, in dem die entsprechende Fluktuation in Raum und Zeit möglichst stabil ist“, sagt Alessandro Toschi.

Die unterschiedlichen Fluktuations-Typen haben unterschiedliche geometrische Muster: So kann es zum Beispiel sein, dass sich alle Teilchen einer Region gleich verhalten, oder dass sich benachbarte Teilchen immer unterschiedlich benehmen. Auch streifen- oder schachbrettartige Anregungen sind möglich. Die tatsächliche Fluktuation wird rechnerisch in diese unterschiedlichen geometrischen Fluktuations-Typen zerlegt.

Mehr als bloß Rauschen
Es lässt sich vielleicht mit dem Zerlegen von akustischen Signalen vergleichen: Wenn man auf einer stark befahrenen Straße Musik hören möchte, dann nimmt man bloß ein Rauschen wahr – wilde, ungeordnete akustische Fluktuationen. Dieses Rauschen kann man nun auf unterschiedliche Arten in Teilbeiträge zerlegen. Wenn man es auf falsche Weise aufteilt, wird jeder Teil wieder bloß Rauschen sein – wenn man es aber richtig macht, kann man das Musikstück herausfiltern und so das Wichtige vom Unwichtigen trennen.

Das Hubbard-Modell und die Spins
Mit diesem Verfahren nahm das Team das am häufigsten benutzte Modell zur Beschreibung der Hochtemperatur-Supraleitung unter die Lupe: Das zweidimensionale Hubbard-Modell. Es zeigte sich ganz eindeutig, dass für dieses Modell das Spinbild benutzt werden muss. Im Ladungs- oder Teilchenpaarbild bestehen die Fluktuationen aus vielen Teilbeiträgen, im Spinbiild hingegen gibt es nur einen einzigen wichtigen Beitrag – alle anderen kann man vernachlässigen.

„Unsere Methode soll es einfacher machen, die berechneten Daten in der Festkörperphysik besser zu verstehen – und wenn man von vornherein weiß, welche Herangehensweise für ein bestimmtes Problem am besten passt, wird man sich hoffentlich in Zukunft auch manchen zeitraubenden Irrweg sparen können“, ist Toschi zuversichtlich.

 

 

 

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