erstellt am
24. 07. 15
11.00 MEZ

Oberösterreichs Ideen und Positionen zu Deregulierung und Subsidiarität in der EU
LH. Pühringer übergab Oberösterreichs Vorschläge an EU-Kommissionspräsident Juncker
Brüssel/Linz (lk) - Am 23.07. übergab Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer in anlässlich seines Besuches in Brüssel Ideen un Positionen des Landes zu Deregulierung und Subsidiarität in der EU an EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

 

 

Vorgangsweise/Ausgangspunkt
Europäische Union: Das Land wird sich verstärkt an der EU-Rechtssetzung beteiligen und auch auf dieser Ebene Deregulierungsinitiativen unterstützen sowie die notwendigen Deregulierungsschritte fordern. Der Oö. Landtag hat dazu im Jahr 2014 einen eigenständigen Mechanismus in die Wege geleitet („Subsidiaritätskontrolle“), dessen Ergebnisse nicht nur der Europäischen Kommission und dem Bundesrat zur Verfügung gestellt werden, sondern auch im Wege des Ausschusses der Regionen sowie der sonstigen Netzwerke transportiert werden.


Ziele der Maßnahmen sind:
Verringerung des Bestands an verbindlichen Rechtsvorschriften, die mit einer Aufwandsentlastung sowohl für die Verwaltung als auch für die Bürgerinnen und Bürger verbunden ist;
Raschheit: Sicherung der Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Oberösterreich durch Herstellung von Rechtssicherheit innerhalb angemessener Zeit;
Konzentration des Mitteleinsatzes: Ressourceneinsparung im Standard- und Routinebereich zur Ermöglichung eines konzentrierten Ressourceneinsatzes bei komplexeren Fällen.


Grundsätze: Zur Erreichung dieser Ziele gelten folgende Grundsätze, an denen sich die einzelnen konkret zu setzenden Maßnahmen messen lassen müssen:

Abschied vom gesellschaftlichen „Vollkasko-Denken“: Die Stärkung der Eigenverantwortung der Menschen, der Unternehmen und der Selbstverwaltungskörperschaften auch in einer komplizierter werdenden Lebensumgebung sowie die Verwirklichung des Grundsatzes der Subsidiarität. Allgemeine Gefahren, deren Folgen von der einzelnen Person durch entsprechende persönliche Vorsicht vermieden werden können, bedürfen ebenso keiner gesetzlichen Regelung wie Interessenskonflikte, die individuell durch andere Instrumente und Einrichtungen gelöst werden können. Im Zweifel hat der Gesetzgeber auf die Erlassung von (letztlich die Freiheit der einzelnen Person beschränkenden) Regelungen zu verzichten. Die einzelne Person oder die jeweils kleineren Gemeinschaften sollen befähigt werden, ihre Aufgaben eigenverantwortlich und dadurch lebensnah zu lösen.

Regelungen sind nur dann unbedingt notwendig, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen (und nicht deshalb erfolgen, weil dies für einzelnen Betroffene bequemer ist, als sich privatrechtlich abzusprechen). Dabei ist aber auch zu bedenken, dass die Sicherung des Wirtschaftsstandorts (Ober)österreich als ein sehr erhebliches öffentliches Interesse zu bewerten ist. Die Rechtssicherheit für Anlagenbetreiberinnen und -betreiber, die mit einem öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahren verbunden ist, soll als grundsätzliches Ziel nicht aus den Augen verloren werden.

Standardisierung und Vereinfachung: Behördliche Routineverfahren werden generell standardisiert und vereinfacht, um die dadurch frei werdende Ressourcen für anspruchsvolle Verfahren einsetzen zu können, die damit ebenfalls beschleunigt werden.

Gesamtheitliche Leistungsbetrachtung einschließlich der Zusammenfassung von Leistungen sowie einheitliche, konzentrierte und einfache Kontakte für die Kundinnen und Kunden der jeweiligen Verwaltungseinheit.

Vermeidung von Neuregelungen, damit eine nachgehende Deregulierung überflüssig wird: Durch diesen verfahrensmäßigen Zugang (nicht nur Durchforstung des bestehenden Rechts, sondern strikte Prüfung auch sämtlicher neuer Rechtsetzungsvorhaben an den hier verankerten inhaltlichen Grundsätzen) soll sichergestellt werden, dass die Beachtung der Ziele der Deregulierung nicht auf einzelne Projekte beschränkt sein darf, sondern eine Daueraufgabe darstellt.

Vermeidung von behördlichen Doppel- und Mehrfachprüfungen desselben Sachverhalts insbesondere auch auf Sachverhaltsebene (= Sachverständigenebene).

Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips als zentrale Grundregel für das Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten: Das Land Oberösterreich bekennt sich zum Subsidiaritätsprinzip, welches besagt, dass die Union nur dann tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Alle Entscheidungen müssen somit auf einer möglichst bürgernahen Ebene getroffen werden. Die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist somit der Schlüssel zu mehr Bürgernähe und zur Akzeptanz der EU in der Bevölkerung.

Aktive Prüfungstätigkeit: Das Land Oberösterreich nimmt seine Verpflichtungen, die dem Subsidiaritätsprinzip entspringen, ernst und wirkt daher aktiv in zahlreichen Initiativen mit, welche der Kontrolle ihrer Einhaltung dienen und die dazu beitragen, dass "Multi-Level-Governance" nicht bloß ein Schlagwort, sondern gelebte europäische Realität wird:

  • Der Oberösterreichischen Landtag betreibt seit Anfang 2015 ein eigenes Subsidiaritätsprüfungssystem, in dem der Ausschuss für EU-Angelegenheiten rund fünf Vorhaben der Kommission pro Jahr prüft und Stellungnahmen dazu abgibt. Diese Subsidiaritätsstellungnahmen ergehen an die Kommission, die Bundesregierung, weitere Landtage in Österreich und Deutschland, den Ausschuss der Regionen und an den Bundesrat als Länderkammer des österreichischen Parlaments, der eine Kammer im Sinne des EU-Subsidiaritätsprotokolls darstellt und die Stellungnahmen der Landtage gemäß Art. 23g B-VG zu erwägen hat. Der Oö. Landtag hat in den ersten Monaten bereits drei Kommissionsvorhaben geprüft und zwei Stellungnahmen abgegeben.
  • Das Amt der Oö. Landesregierung beteiligt sich durch eigene Prüfungen aktiv an der seit 2006 bestehenden koordinierten Subsidiaritätskontrolle der österreichischen Bundesländer, welche mitunter bindend ist und daher konkrete Auswirkungen auf das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung im Rat sowie auf die Subsidiaritätsprüfung des Bundesrates hat.
  • Auch im Ausschuss der Regionen bringt Oberösterreich seine Erfahrungen und Positionen im Entwurfstadium der europäischen Rechtsetzung regelmäßig ein.
 

 

25 Konkrete Ideen/Maßnahmen

[01] Aufwertung des Subsidiaritätsprotokolls – Verlängerung der Stellungnahmefrist
Das Land Oberösterreich erinnert daran, dass das Subsidiaritätsprinzip ein Grundprinzip der EU darstellt und ausdrücklich im Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union verankert ist. Durch das im Vertrag von Lissabon enthaltene "Subsidiaritätsprotokoll" hat es eine weitere Stärkung erfahren. Dieses Protokoll schuf ein System zur Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskontrolle, welches den nationalen Parlamenten das Recht gibt, zu allen Entwürfen von EU-Rechtsakten eine Rüge auszusprechen, und gegebenenfalls, wenn ein Drittel der nationalen Parlamente dies ebenso sieht, die Kommission dazu zu zwingen, ihren Vorschlag erneut zu überprüfen. Jeder Parlamentskammer kommt ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip zu. Das Land Oberösterreich würdigt die Bedeutung des Subsidiaritätsprotokolls und anerkennt die Bemühungen der EU, durch dieses Protokoll dem Prinzip zur Durchsetzung zu verhelfen. Hiezu ist es jedoch unerlässlich, die jetzige Frist zur Erhebung einer Subsidiaritätsrüge von acht Wochen auf zumindest zwölf Wochen zu verlängern, um insbesondere den zeitlichen Erfordernissen parlamentarischer Verfahren zu begegnen und allen Mitgliedstaaten und Regionen die Möglichkeit zu geben, wertvolle und sachgerechte Hinweise zur Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes abzugeben. Auch weitere Stärkungen der Rechte des Protokolls, etwa die Herabsetzung der notwendigen Zahl der rügenden Parlamentskammern, könnten wichtige Impulse zur Effektuierung des Subsidiaritätsprinzips darstellen.

[02] Frühzeitige Beachtung der Subsidiarität durch die Kommission
Das Land Oberösterreich fordert, dass der Subsidiaritätsgrundsatz auch auf Seiten der Kommission schon frühzeitig mit Leben erfüllt wird und von der Kommission nicht bloß als Rechtfertigungslast beim Vorschlag neuer Rechtsakte angesehen wird, derer man sich durch einen formalen Hinweis entledigen kann. Subsidiarität sollte kein Aspekt sein, der erst von Mitgliedstaaten und Regionen nach der Veröffentlichung eines Kommissionsvorschlags aufgegriffen wird, sondern muss aufgrund seines Ranges als Grundprinzip der Union schon frühestmöglich im Rechtssetzungsprozess der EU Beachtung finden. Bereits am Beginn jedes Rechtssetzungsvorhabens sollte sich die Kommission die grundsätzliche Frage stellen, ob der geplante Norminhalt nicht auf nationaler oder subnationaler Ebene besser geregelt werden könnte.

[03] EU-Rechtsakte nur bei entsprechender Rechtsgrundlage
Das Land Oberösterreich ist der Ansicht, dass Subsidiarität auch bedeutet, dass die Union in Rechtsbereichen, in denen keine völlig eindeutige Rechtsgrundlage für ihr Tätigwerden besteht, davon Abstand nimmt, Rechtsakte vorzuschlagen. Die EU sollte aufgrund des unionsrechtlichen Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nur dort tätig werden, wo die Verträge ihr das klare und unzweideutige Recht dazu geben. Auch das Vorlegen nichtbindender Mitteilungen und Empfehlungen durch die EU sollte in Rechtsbereichen, die den Mitgliedstaaten zukommen, unterlassen werden, um eine zunehmende Erosion der nationalen und regionalen Kompetenzen zu unterbinden. Als Beispiel sind hier etwa die Mitteilungen der Kommission zur Energieunion zu nennen, in denen mitgliedstaatliche Kompetenzen erkennbar langfristig gefährdet werden.

[04] Weniger delegierte Rechtsakte
Das Land Oberösterreich erkennt in der steigenden Anzahl von sogenannten „delegierten Rechtsakten“ ein weiteres Beispiel für eine Kompetenzerosion zu Ungunsten von Mitgliedstaaten und Regionen. Delegierte Rechtsakte beruhen auf einer Basisgesetzgesetzgebung von Rat und Parlament und räumen der Kommission Rechte von faktisch gesetzgeberischer Art ein. Mitgestaltungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten existieren – im Gegensatz zum früheren Komitologieverfahren – kaum mehr. Durch die Häufung von Kommissionsvorschlägen, in denen vorgesehen ist, dass Regelungen im Rahmen von delegierten Rechtsakten bzw. Durchführungsakten weiterverfolgt werden sollen, werden mitgliedstaatliche Kompetenzen in erheblicher Anzahl an die Kommission delegiert. Dies ist sowohl vom Gesichtspunkt der demokratiepolitischen Legitimität als auch vor dem Hintergrund der Bürgernähe kritisch zu beurteilen.

[05] Richtlinien als Zielvorgaben
Das Land Oberösterreich bemerkt, dass das Rechtsakt der Richtlinie, welcher nach seiner Grundkonzeption gemäß Art. 288 AEUV geradezu ein Musterbeispiel für eine Form der Subsidiarität wäre, zunehmend seinen Charakter als leitende Vorgabe verliert und immer öfter zu einer detailliert ausformulierten Regelung wird. Obwohl in den Verträgen normiert ist, dass Richtlinien nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, den innerstaatlichen Stellen aber die Wahl der Form und der Mittel überlassen, sind Richtlinien in der Praxis in aller Regel höchst konkrete und sehr genaue Rechtsakte, die von den Mitgliedstaaten oft nicht mehr inhaltlich umgesetzt werden können, sondern – ohne Rücksicht auf nationale und regionale Rechtsordnungen, -begriffe und –traditionen – oft wörtlich abgeschrieben werden müssen. Das Land Oberösterreich fordert daher, dass die Kommission im Sinne einer sinnvollen Deregulierung die Rechtsform der Richtlinie wieder gemäß ihrer eigentlichen Bestimmung verwendet und sich auf eine Vorgabe der zu erreichenden Ziele beschränkt.

[06] Kein formalistischer Prüfungsmaßstab
Das Land Oberösterreich stellt mit zunehmender Besorgnis fest, dass die dargestellte Detailliertheit unionsrechtlicher Vorgaben Hand in Hand geht mit einer Form der Kontrolle der mitgliedstaatlichen Umsetzung durch Kommissionsdienststellen, die mitunter nicht mehr den Zweck der Maßnahmen vor Augen hat, sondern sich auf bloße Formulierungsfragen zurückzieht. Der enge, geradezu formalistische Prüfungsmaßstab, den die Kommission in einigen Vertragsverletzungsverfahren - vor allem im Energiebereich - anlegt, führt dazu, dass Unionsrechtsakte immer seltener harmonisch in nationale und regionale Rechtsordnungen eingepasst werden können, und dass stattdessen oftmals Sondergesetze geschaffen und neue Rechtsbegriffe eingeführt werden müssen. Dies zersplittert die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, trübt die legistische Qualität der Normen, steht nationalen Deregulierungsbestrebungen im Wege und ist daher keineswegs bürgerfreundlich.

[07] Verkürztes Vertragsverletzungsverfahren nur bei Nichtumsetzung
Das Land Oberösterreich ist der Auffassung, dass das verkürzte Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV die geschilderte Problematik massiv verschärft. Insbesondere seine rigide Anwendung durch die Kommission und die dabei festzustellende Auflösung der Unterscheidung zwischen Nichtumsetzung und Schlechtumsetzung von Richtlinien führt dazu, dass sich die Mitgliedstaaten und ihre Regionen angesichts der unmittelbar drohenden Sanktionen gezwungen sehen, auf einen redlichen juristischen Wettstreit der Argumente vor dem EuGH zu verzichten und schon im Mahnverfahren - bzw. spätestens im Klagsverfahren - alle Kritikpunkte der Kommission letztlich zu akzeptieren, nur um den bereits im ersten Urteil des EuGH zu verhängenden gravierenden Zwangsgeldern und Pauschalbeträgen zu entgehen. Wenn aber den Mitgliedstaaten auf faktischem Wege – durch Androhung erheblicher finanzieller Folgen – die Möglichkeit genommen wird, ihre Argumente zur Frage der Umsetzung von Richtlinien vor einer unabhängigen Instanz vorzubringen, dann ist dies ein nicht zu leugnendes rechtsstaatliches Problem, welchem sich die Union zu stellen hat. Das Land Oberösterreich fordert daher die Kommission auf, das verkürzte Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 260 Abs. 3 AEUV wie ursprünglich vorgesehen nur in solchen Fällen anzuwenden, in denen ein Fall der Nichtumsetzung von Richtlinien vorliegt. Überall dort, wo nationale und subnationale Rechtsvorschriften existieren und diese nach Auffassung der Mitgliedstaaten eine Richtlinie voll umsetzen, kann maximal eine Schlechtumsetzung vorliegen; ob die Umsetzungsmaßnahmen tatsächlich ausreichend sind, hat der EuGH im regulären Verfahren gemäß Art. 258 AEUV zu klären.

[08] Deregulierung durch adäquate Reaktion auf EuGH-Judikatur
Das Unionsrecht ist in einem hohen Maße durch die Rechtsprechung des EuGH determiniert, oft auch in einer Weise, die ursprünglich nicht vom EU-Rechtssetzer intendiert war. Um einer Überregulierung durch Richterrecht entgegenzuwirken, fordert das Land Oberösterreich, dass in solchen Fällen der Unionsgesetzgeber entsprechend reagiert und das EU-Recht so ändert, um die wieder ursprünglich von Kommission, Rat und Parlament gewünschte Rechtsfolge zu erzielen.

[09] Bessere Folgenabschätzung
Eine Vielzahl von Unionsregelungen wirkt sich deshalb in den Mitgliedstaaten als Überregulierung aus, weil im Rechtssetzungsprozess die Folgen des Rechtsaktes zu wenig erwogen wurden. Das Land Oberösterreich fordert daher die Kommission dazu auf, größeres Augenmerk auf die Folgenabschätzung von Rechtsakten zu legen, in welcher insbesondere die Grundsätze der Deregulierung und das Hinterfragen der Notwendigkeit einer Regelung im Mittelpunkt stehen sollten.

[10] Energieunion darf nicht zu Überregulierung und Subsidiaritätsverletzung führen
Der Ausschuss für EU-Angelegenheiten des Oö. Landtags prüfte die Mitteilung "Paket zur Energieunion. Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie", COM(2015) 80 final vom 25. Februar 2015 und stellte dabei fest: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass durch mehrere in der Mitteilung einseitig vorgenommene Darstellungen in letzter Konsequenz die primär rechtlich verankerte Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten bezüglich ihrer Energieversorgungssysteme beeinträchtigt wird. Insbesondere die argumentative Bevorzugung der Atomenergie im Text dieses für die Energieunion zentralen Dokuments wird es den Mitgliedstaaten in der Zukunft erschweren, ihren atomkritischen Kurs fortzusetzen und aus der Kernenergie auszusteigen bzw. ihren Ausstieg beizubehalten. Die Union lässt eine generelle Zentralisierungstendenz im Energiebereich erkennen und nimmt eine Schwerpunktsetzung vor, die Bereiche betrifft, in denen die Ziele sehr wohl auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend verwirklicht werden können. Die dargestellten Kritikpunkte stehen daher in einem direkten Spannungsverhältnis mit dem Subsidiaritätsprinzip gemäß Artikel 5 Abs. 3 EUV.“

 

 

[11] Keine Scheinsubsidiarität - echte Untersagungsrechte bei der Verwendung von GVO
Weiters analysierte der Ausschuss für EU-Angelegenheiten des Oö. Landtags den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 hinsichtlich der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die Verwendung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, COM(2015) 177 final vom 22. April 2015, und hielt als Ergebnis Folgendes fest: „Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die durch den Verordnungsvorschlag den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit zur Untersagung der Verwendung von zugelassenen GVO und gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln sich bei näherer Prüfung als eine bloß scheinbare Erweiterung der mitgliedstaatlichen Mitwirkungsmöglichkeiten erweist. Insbesondere das Verbot, sich auf Gründe des Schutzes menschlicher und tierischer Gesundheit sowie auf Gründe des Umweltschutzes zu berufen, entlarvt den Verordnungsvorschlag als Fall bloßer "Scheinsubsidiarität", in dem sich die vermeintliche Erweiterung der mitgliedstaatlichen Einflussnahme als lediglich fiktiv erweist. Da zu befürchten ist, dass angesichts der neuen Rechtslage eine Lockerung des Beurteilungsmaßstabs der Kommission bei der GVO-Zulassung erfolgt, besteht im Ergebnis die realistische Gefahr einer Erhöhung der Zahl der zugelassenen GVO sowie gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln und damit einer Verschlechterung der Situation derjenigen Mitgliedstaaten, die einer Verwendung von GVO kritisch gegenüber stehen. Der Verordnungsvorschlag verstößt damit zwar nicht unmittelbar gegen das Subsidiaritätsprinzip gemäß Artikel 5 Abs. 3 EUV, steht aber angesichts der drohenden Verschlechterungen für die Mitgliedstaaten zweifellos in einem gewissen Spannungsverhältnis zu demselben.“

[12] Kein Zwang zum Breitband-Anschluss
Die Richtlinie 2014/61/EU über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation verpflichtet Bauherren dazu, bei Neubauten oder umfangreichen Gebäuderenovierungen zwingend „hochgeschwindigkeitsfähige gebäudeinterne physische Infrastrukturen“ bis zu den Netzabschlusspunkten vorzusehen. Dieser Zwang zum Breitband-Anschluss verstößt gegen das Prinzip der Eigenverantwortung der Bürger und stellt eine krasse Überregulierung dar. Auch die Regelung, wonach jeder Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze ein Recht auf Zugang zu bestehenden gebäudeinternen physischen Infrastrukturen hat, ist überschießend und sollte dereguliert werden. Das Land Oberösterreich fordert daher, diese Verpflichtungen aufzuheben und die Art. 8 und 9 der RL 2014/61/EU entsprechend abzuändern.

[13] Verringerung der Verwaltungslasten der Bauprodukteverordnung
Die Bauprodukteverordnung Nr. 305/2011 sieht unter anderem vor, dass alle Hersteller von Bauprodukten für jedes Produkt, für das eine harmonisierte Norm im EU-Amtsblatt kundgemacht wurde, eine Leistungserklärung erstellen müssen (CE-Kennzeichnung). Die Verordnung legt somit auch nichtindustriellen Unternehmen, die mit handwerklichen Produktionsmethoden individuelle Produkte erzeugen, eine unnötig hohe administrative Belastung auf. Durch eine Deregulierung in Form einer Novellierung der Ausnahmebestimmungen des Art. 5 könnten die Verwaltungslasten für solche Unternehmen entscheidend verringert werden.

[14] Vereinfachung der Naturschutzrichtlinien
Die in der Praxis sehr relevanten Naturschutzrichtlinien, konkret die Vogelschutzrichtlinie 2009/147/EG und die FFH-Richtlinie 92/43/EWG, sollten auf ihre Aktualität und Zweckmäßigkeit überprüft werden. Beide Richtlinien regeln unterschiedliche von den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen, welche die Ausweisung von Vogelschutzgebieten bzw. die Ausweisung von Schutzgebieten für Lebensräume und Arten von Gemeinschaftsinteresse zum Ziel haben, welche zusammen das so genannte Natura 2000-Netzwerk bilden. Insgesamt ergibt sich ein komplexes und zum Teil stark veraltetes Regelungswerk, das in der Vergangenheit aufgrund unterschiedlicher Fach- und Rechtsmeinungen von Mitgliedstaaten und Kommission zu langwierigen Vertragsverletzungsverfahren führte. Das Land Oberösterreich fordert eine Vereinfachung, Aktualisierung und Deregulierung dieser Normen, etwa in Form einer Zusammenführung der sich zum Teil überschneidenden Richtlinieninhalte. Allfällige Initiativen der Kommission in diesem Bereich werden unterstützt.

[15] Hinterfragen der Umgebungslärmrichtlinie
Die Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG regelt die Ermittlung der Belastung der Bevölkerung durch Umgebungslärm und das Erstellen von Aktionsplänen zur Vermeidung und Verminderung von Lärm. Es ist zu hinterfragen, ob dieser Bereich – unbeschadet seiner inhaltlichen Wichtigkeit – wirklich ein Problem von transnationalem Ausmaß darstellt, welches eine unionsweit harmonisierte Regelung durch die EU erfordert. Eine nationale bzw. regionale Regelung könnte besser auf die unterschiedlichen Erfordernisse in den Mitgliedstaaten eingehen.

[16] Praxisferne INSPIRE-Richtlinie
Die Richtlinie 2007/2/EG zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE) machte in Österreich auf nationaler und regionaler Ebene die Erlassung zahlreicher völlig neuer Gesetze erforderlich, welche unter anderem Nutzungsvorschriften, Verfahrensregeln für den Zugang zu Geodaten sowie Monitoring- und Berichtspflichten regeln mussten. In Oberösterreich fand dies durch das Oö. Geodateninfrastrukturgesetz statt. Fünf Jahre nach Erlassung muss festgestellt werden, dass es in Oberösterreich in der Praxis keine Anwendungsfälle für dieses Gesetz gibt und dieses daher eine unionsrechtlich veranlasste, aber tatsächlich nicht benötigte Regelung darstellt.

[17] Invasive gebietsfremde Arten
Die Eindämmung der Verbreitung invasiver gebietsfremder Arten ist ohne Zweifel eine wichtige naturschutzrechtliche Aufgabe. Dennoch stellt der Vorschlag für eine Verordnung über die Prävention und die Kontrolle der Einbringung und Verbreitung invasiver gebietsfremder Arten ein Beispiel für Überregulierung dar, welches auf nationaler und regionaler Ebene neue Behördenzuständigkeiten, Genehmigungsverfahren, Untersuchungen, Aktionspläne und Berichtspflichten erforderlich macht.

[18] Weniger Hygienevorgaben für Küchen (GHP und HACCP)
Die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene enthält allgemeine Lebensmittelhygienevorschriften für Lebensmittelunternehmer und normiert strenge, bisweilen überzogene Hygienevorgaben. Besonders aufwendig sind die sogenannten Rückstellproben.

[19] Deregulierung im Forstwesen
Die Verordnung (EG) Nr. 2173/2005 zur Einrichtung eines FLEGT-Genehmigungssystems für Holzeinfuhren in die Europäische Gemeinschaft regelt einen in Oberösterreich nicht existenten Sachverhalt. Probleme des illegalen Holzeinschlages kommen in Oberösterreich faktisch nicht vor und wenn doch, dann nur in einem solch geringen Ausmaß, dass die bestehenden Regelungen des Forstgesetzes ausreichen, um dies zu verhindern. Die Überwachungs-, Dokumentations- und Berichtspflichten stellen unnötige Überregulierungen dar und sind mangels Wirkung entbehrlich.

[20] Deregulierung bei bäderhygienerechtlichen Bestimmungen
Die umfangreichen Berichtspflichten der RL 2006/7/EG über die Qualität der Badegewässer und deren Bewirtschaftung machen zeitaufwendige und umfangreiche Recherchen der Behörde erforderlich und führen daher zu einem hohen Verwaltungsaufwand.

 

 

[21] Deregulierung bei Arbeitnehmerschutzvorschriften
Im Bereich des Arbeitnehmerschutzes haben die EU-Regelungen einen derartigen Grad an Dichtheit und Detailliertheit erreicht, dass deren Umsetzung eine regelrechte Flut an nationalen und regionalen Rechtsvorschriften erforderlich gemacht hat. Als Beleg sei hier nur beispielhaft auf die alleine im Gemeindebereich geltenden, 15 verschiedenen Arbeitnehmerschutzverordnungen hingewiesen, die allesamt unionsrechtlich bedingt sind:

  • Oö. Gemeinde-Bildschirmarbeitsverordnung
  • Oö. Gemeinde-Gesundheitsüberwachungsverordnung
  • Oö. Gemeindeverordnung über physikalische Einwirkungen
  • Oö. Gemeinde-Bauarbeiterschutzverordnung
  • Oö. Gemeindeverordnung biologischer Arbeitsstoffe
  • Oö. Gemeinde-Sprengarbeitenverordnung
  • Oö. Gemeinde-Fachkenntnisverordnung
  • Oö. Gemeinde-Arbeitsstoffgrenzwerteverordnung
  • Oö. Gemeinde-Schutzausrüstungsverordnung
  • Oö. Gemeindeordnung über explosionsfähige Atmosphären
  • Oö. Gemeinde-Arbeitsstättenverordnung
  • Oö. Gemeinde-Kennzeichnungsverordnung
  • Oö. Gemeindesicherheits- und Gesundheitsschutzdokumente-Verordnung
  • Oö. Gemeinde-Arbeitsmittelverordnung
  • Oö. Gemeinde-Lastenverordnung


Es ist naheliegend, dass der Vollzug dieser vielfältigen und komplexen Vorschriften insbesondere Klein- und Kleinstgemeinden vor große Schwierigkeiten stellt. Für den Landesbereich gilt im Übrigen noch einmal dieselbe Zahl an vergleichbaren Vorschriften.

[23] Konzentration auf erhebliche europarechtliche Fragen
Die Verwaltungs- und Kontrollpraxis der Kommission führt bisweilen dazu, dass die Mitgliedstaaten mit Fragestellungen konfrontiert werden, die keine erhebliche europäische Relevanz aufweisen. Als Beispiel kann etwa im Verkehrsbereich das Pilotverfahren Nr. 4059/12/HOME genannt werden, in dem die Kommission eine Erhöhung der erlaubten Geschwindigkeit an Binnengrenzübergangsstellen auf österreichischen Straßen fordert, in Oberösterreich konkret beim Grenzübergang Wullowitz. Ungeachtet der existierenden Straßengestaltung, welche sich an realen, physischen und baulichen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Verkehrssicherheitserfordernissen orientiert, besteht die Kommission auf einer Geschwindigkeitserhöhung, obwohl eine solche selbst bei der Durchführung kostenintensiver Baumaßnahmen nur schwer möglich wäre. Die Kommission schafft somit künstlich einen Verwaltungsaufwand rechtlicher wie faktischer Natur, welcher weder für die Bürger noch für die Mitgliedstaaten einen Nutzen oder gar einen europäischen Mehrwert bringt.

[23] Vereinfachung der GAP – Ländliche Entwicklung
Die Gemeinsame Agrarpolitik bedarf in vielen Bereichen einer grundlegenden Vereinfachung. Im Kern wird bezüglich der Ländlichen Entwicklung gefordert, weniger Detailregelungen zu normieren und mehr Subsidiarität walten zu lassen, weniger Berichtspflichten vorzusehen und mehr Flexibilität bei der Evaluierung zu ermöglichen. So ist vor allem der Detaillierungsgrad der Programme zu hinterfragen; diese könnten einen mehr strategischen Charakter erhalten und bei den Maßnahmen mehr auf die zu erreichenden Ziele als auf Detailfestlegungen eingehen. Angeregt wird weiters eine Streichung der Vorgaben für Auswahlverfahren gemäß Art. 49 der VO Nr.1305/2013. Es sollte den Mitgliedstaaten überlassen werden, wie sie es sicherstellen, dass eine Gleichbehandlung der Projektträger gewährleistet wird und bei welchen Maßnahmen welche Art der Projektauswahl angewandt wird. Außerdem sollte aus beihilfenrechtlicher Sicht auch für Maßnahmen außerhalb des Art. 42 AEUV die wettbewerbsrechtliche Genehmigung gemeinsam mit der Programmgenehmigung ausgesprochen werden. Diese Änderung hätte zur Folge, dass Beihilfeninstrumente dem Begünstigten schneller zur Verfügung gestellt werden könnten.

[24] Vereinfachung der GAP – Kontroll- und Rechnungsprüfungssystem
Das Kontroll- und Rechnungsprüfungssystem der Gemeinsamen Agrarpolitik sollte einer Deregulierung unterzogen werden. Leistungsanreize für Mitgliedstaaten zur Schaffung effektiver Kontrollsysteme sind ebenso notwendig wie praxisgerechte Bestimmungen zur Reduktion der Vor-Ort-Kontrollen. Zum Kontrollzeitpunkt wird angemerkt, dass die gemäß Art. 26 der VO Nr. 809/2014 notwendige Kontrolle aller Förderkriterien, Verpflichtungen und sonstigen Auflagen zu mehrmaligen Kontrollbesuchen pro Jahr führen und einen wesentlichen Mehraufwand für den Antragsteller bedeuten. Es muss ausreichend sein, wenn der für eine Vor-Ort-Kontrolle ausgewählte Begünstigte zu einem Zeitpunkt kontrolliert wird, an dem die meisten Anforderungen und Standards, für die er ausgewählt wurde, überprüft werden können. Das Land Oberösterreich hält weiters zum Gegenstand der Vor-Ort-Kontrollen fest, dass die derzeit normierte Begehung und Kontrolle aller beantragten Parzellen einen hohen zeitlichen Aufwand für den Antragsteller bedeuten; diese Regelung könnte durch Stichprobenkontrollen von mindestens der Hälfte der Parzellen des Betriebs ersetzt werden.

[25] Vereinfachung der GAP – Statistiken, Informations- und Dokumentationspflichten
Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik ist derzeit eine Vielzahl von Berichtspflichten und statistischen Abfragen vorgesehen. Das Land Oberösterreich fordert, dass die Kommission eine Prüfung der GAP auf tatsächlich notwendige Analysen- und Berichtspflichten durchführt und dass sich die statistischen Regelungen der GAP auf das unbedingt Notwendige beschränken. Die abgefragten Parameter sollten reduziert werden und die Verwendung von bereits verfügbaren Daten sollte im Vordergrund stehen.

 

 

 

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