Amnesty International Research-Mission in Traiskirchen

 

erstellt am
14. 08. 15
15.30 MEZ

Traiskirchen Symptom systematischer Mängel im Umgang mit Asylwerbern
Wien (amnesty international) - Die Research-Mission von Amnesty International stellte ernsthafte Verletzung von bindenden Standards in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen fest. Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich beschreibt die Situation als „Strukturelles Versagen“. Völlig überbelegt, unzureichende medizinische und soziale Versorgung, leicht vermeidbare administrative Hürden, Verzögerung beim Weitertransport in andere Einrichtungen und eine besonders prekäre Situation für Kinder und Jugendliche, die ohne elterliche Begleitung nach Österreich gekommen sind.

Das sind die wesentlichsten Ergebnisse, die vom Research-Team von Amnesty International während seiner Inspektion am Donnerstag, den 6. August 2015 festgestellt wurden. Am Freitag, den 14.8. präsentierte die Menschenrechtsorganisation ihre Feststellungen der Öffentlichkeit.

„Selbst verschuldetes Systemversagen“
"Traiskirchen ist das zentrale Symptom für ein weitreichendes strukturelles Versagen des föderalen Österreich im Umgang mit Asylwerbern", soHeinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich

In der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen selbst werden aber auch einige grundlegende Standards in der Unterbringung von Asylwerbern verletzt: „Österreich ist weder in einer finanziellen Misere noch in einer ressourcenknappen Situation: Das Versagen in der Flüchtlingsversorgung wäre leicht vermeidbar, die Ursachen sind vor allem administrative Fehler. Ein System, das die Menschenrechte von Asylwerbern schützt und respektiert, ließe sich ohne wesentlichen Kostenaufwand verwirklichen“ ist er überzeugt: „Es ist völlig unnötig und beschämend, beispielsweise einen zwölfjährigen Bub getrennt von seinem Vater unterzubringen – mit dem Ergebnis, dass beide lieber im Freien schlafen, als getrennt zu sein.“

Daniela Pichler, die Leiterin des AI-Research-Teams, berichtet von fehlenden Unterkünften und elendslangen Warteschlangen: "Als wir vor Ort waren, mussten rund 1500 Menschen in Traiskirchen im Freien schlafen, dazu kommen noch jene, die außerhalb des Geländes übernachten. Ein unhaltbarer Zustand."

Vielfach müssten sich die Asylwerber, darunter auch Schwangere und Frauen mit Babys, stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen, berichtet die Amnesty-Expertin, „ein einfaches Wartenummernsystem wäre schon eine deutliche Verbesserung“. Besonders prekär sei auch die Situation der Kinder und Jugendlichen, die allein nach Österreich geflüchtet seien. Pichler: „Es gibt für sie keine adäquate Betreuung. Viele von ihnen sind noch immer obdachlos.“

Unzureichende medizinische Hilfe, verschmutzte Sanitäranlagen
Von einer mangelnden medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Traiskirchen spricht Siroos Mirzaei, der als medizinischer Experte von Amnesty International ebenfalls dem Research-Team angehörte: „Die Menschen müssen oft lange, manchmal sogar tagelang warten, bis sie behandelt werden. Dadurch können ersthafte medizinische Probleme entstehen“, betont der Arzt.

Den vier anwesenden Ärztinnen und Ärzten bleiben nur wenige Stunden pro Tag für die Behandlung von kranken Flüchtlingen. Den Großteil ihrer Zeit sind sie mit Kontrolluntersuchungen bei der Registrierung der Menschen beschäftigt.

Die Duschen und Toilettenanlagen der Betreuungsstelle fand das Research-Team in einem fürchterlichen hygienischen Zustand vor: „Teilweise schwammen noch Exkremente herum“, berichtet Mirzaei.

Schluss mit der Obdachlosigkeit
Amnesty International hat nun eine Reihe an Forderungen ausgearbeitet, die die Lage der Flüchtlinge schnellstmöglich verbessern sollen: Neben der vordringlichen rechtlichen Neugestaltung des Zuweisungs- und Unterbringungssystems zur sofortigen Beseitigung der Obdachlosigkeit in der Betreuungsstelle Traiskirchen fordert Amnesty International etwa eine ausreichende, menschenrechtskonforme medizinische Versorgung. Besonders schutzbedürftige Gruppen, darunter Überlebende von Folter, gesundheitlich schwer beeinträchtigte Personen, Schwangere, ältere Menschen sowie unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge sollen verstärkt in den Blickpunkt rücken. Für Kinder und Jugendliche, die allein nach Österreich geflüchtet sind, verlangt Amnesty International umgehend eine altersadäquate Betreuung und einen gesetzlicher Vormund, der ihre Interessen wahrt.

Flüchtlings-Management muss Menschenrechte schützen und nicht Chaos verursachen
Patzelt: „Österreich verletzt derzeit Menschenrechtsstandards in der Unterbringung und Verwaltung von Asylwerbern. Bund und Länder müssen wirksame Schritte setzen, um die vorwiegend durch administrative Mängel verursachte Obdachlosigkeit sofort zu beenden. Vor allem müssen sie sich darauf konzentrieren, die Menschenrechte von Asylwerbern, insbesondere von unbegleiteten Kindern und Minderjährigen zu schützen, zu respektieren und zu erfüllen.“


 

Stellungnahme des Innenministeriums
Wien (bmi) - Amnesty International besuchte am 06.08. die Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Am 14. August 2015 wurde der "Besuchsbericht" veröffentlicht. Die Feststellungen in dem Bericht kommen nicht überraschend. Die Situation ist prekär, es handelt sich um eine Ausnahmesituation - wie das Innenministerium bereits vor Wochen klargestellt hat.

Die Zahl der Asylsuchenden ist in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen - hin zu einer Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Im aktuellen Versorgungsmodell ist die Verantwortung zwischen Bund und Ländern aufgeteilt, es gibt Länderquoten, und Gemeindekompetenzen, mit denen die Aufnahme von Asylsuchenden verhindert werden kann. Mit diesem Versorgungsmodell konnte auf eine Steigerung in diesem Ausmaß nicht entsprechend reagiert werden.

Der Bund konnte über einige Zeit noch als "Puffer" diesen Mehrbedarf abdecken, während Bundesländer ihre Quoten nicht erfüllten. Diese "Puffer-Wirkung" ist seit mehreren Wochen ausgereizt. Daraus hat sich die Situation entwickelt, wie sie sich derzeit darstellt.

"Mehr Solidarität in Österreich und Europa"
Für nachhaltige Lösungen sind dem Bund derzeit noch die Hände gebunden, weil er rechtsstaatlich über keine Instrumente verfügt, um umfassend für eine entsprechend Betreuung zu sorgen. Eine neue Verfassungsbestimmung soll dies ändern. "Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen", sagt Innenministerin Mag.a Johanna Mikl-Leitner. "Schließlich ist ohnehin für jedermann deutlich ist, dass diese Situation nicht tragbar ist. Wir brauchen Lösungen für diese Menschen." Schrittweise seien seit dem Besuch von Amnesty International Verbesserungen vorgenommen worden. Für einige Hunderte Asylsuchende konnten weitere Notquartiere durch das Innenministerium eröffnet werden.

"Eine nachhaltige Lösung ist aber nur auf einer gesamtstaatlichen und einer europäischen Ebene möglich", sagt Mikl-Leitner. "Die Solidarität, die wir uns von Europa erwarten, müssen wir aber auch innerhalb von Österreich leisten können. Wir brauchen Akut-Maßnahmen mit Unterstützung des österreichischen Bundesheeres sowie von NGOs und wir brauchen die größtmögliche Unterstützung der Länder und Gemeinden." Die Gespräche zwischen Vertretern von Amnesty International und Bediensteten des Innenressorts waren konstruktiv und werden fortgesetzt. "Das Innenministerium wird seinerseits den möglichsten Beitrag zur Lösung dieser Problematik leisten", betont Innenministerin Mikl-Leitner.

     

zurück

 

 

 

 

Kennen Sie schon unser kostenloses Monatsmagazin
"Österreich Journal" in vier pdf-Formaten? Die Auswahl
finden Sie unter http://www.oesterreichjournal.at