Die Spin-Doktoren

 

erstellt am
08. 09. 15
09:00 MEZ

Die Computerchips der Zukunft sollen Information auf ganz andere Art verarbeiten als heute – mit dem Spin der Elektronen.
Wien (tu) - Egal ob im Computer, im Handy oder in der programmierbaren Kaffeemaschine: All unsere heutige Elektronik verarbeitet Daten, indem sie elektrische Ladungen von einem Ort an einen anderen transportiert. Neben dieser elektrischen Ladung haben Elektronen allerdings noch eine zweite fundamentale Eigenschaft, den Elektronenspin, ihren Eigendrehimpuls. Wenn man den Spin für die Elektronik nutzbar macht, könnte man Geräte herstellen, die deutlich weniger Energie benötigen und ganz ohne Energiebedarf im Standby-Modus bleiben – diese Spin-basierte Variante der Elektronik wird als „Spintronik“ bezeichnet.

Spin-Effekte lassen sich mit Bauteilen nutzen, die auf Silizium basieren, genau wie man das von der heute üblichen Elektronik gewohnt ist. Das Forschungsteam von Prof. Siegfried Selberherr simuliert nanoelektronische Effekte am Computer, so konnten an der TU Wien bereits mehrere neue Halbleiter-Bauteile entworfen und zum Patent angemeldet werden. Nun fassen Viktor Sverdlov und Siegfried Selberherr (beide vom Institut für Mikroelektronik, Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik) in einem Übersichtsbeitrag für das angesehene Fachjournal „Physics Reports“ den aktuellen Stand der Silizium-Spintronik zusammen. Entscheidende Fragen sind mittlerweile geklärt, dass sich Spintronik durchsetzen wird, steht für die „Spin-Doktoren“ Sverdlov und Selberherr heute außer Frage.

Drehimpuls statt Ladung
„Spintronik ist die Technologie der übernächsten Generation“, sagt Siegfried Selberherr. „In den kommenden Jahren wird man die Mikroelektronik noch auf herkömmliche Weise weiterentwickeln können, doch irgendwann sind physikalische Grenzen erreicht und man muss sich etwas Neues einfallen lassen.“ Ein Problem der heutigen Elektronik ist, dass man Energie und Zeit benötigt, um die elektrischen Ladungen an die gewünschten Stellen zu transportieren, und dass man laufend Energie aufwenden muss, damit die Ladungen auch dort bleiben. Bis etwa beim Hochfahren eines Handys alle Ladungen wieder dort sitzen, wo sie vorher waren, vergeht einige Zeit, und auch bei geringer Aktivität ist der Akku meist nach zwei Tagen leer.

Wenn man statt der Ladung des Elektrons seinen Eigendrehimpuls (den Spin) verwendet, dann sieht die Sache anders aus. „In der Spintronik ist es gar nicht nötig, die Elektronen selbst zu transportieren“, erklärt Siegfried Selberherr. „Wir können sie an einem festen Ort einsperren und uns darauf beschränken, bloß ihren Spin zu manipulieren.“

Der Spin ist vergleichbar mit dem klassischen Drehimpuls eines Kreisels, der um seine eigene Achse rotiert. Allerdings ist diese Analogie nicht perfekt, denn der Kreisel kann beliebige Drehgeschwindigkeiten annehmen, man kann ihn abbremsen und in die Gegenrichtung rotieren lassen. Beim Elektron sind aus quantenphysikalischen Gründen jedoch nur zwei verschiedene Spin-Werte möglich – „Spin nach oben“ oder „Spin nach unten“. Für die Mikroelektronik eignet sich das perfekt: Genau wie man die Zustände 0 und 1 durch „Strom“ oder „kein Strom“ codieren kann, lassen sie sich auch durch die beiden möglichen Spin-Zustände darstellen.

Die entscheidenden Fragen sind daher: Lassen sich Spin-Zustände logisch verarbeiten, wie das heute in elektronischen Bauteilen gemacht wird? Und lässt sich eine sichere, effiziente Kommunikation zwischen Spintronik und herkömmlicher Elektronik gewährleisten?

Als Grundelement der Mikroelektronik wird meist der Transistor betrachtet – ein entsprechendes Element in der Spintronik steht derzeit noch nicht zur Verfügung, auch wenn es dazu zahlreiche Ideen gibt. Doch vielleicht braucht man das gar nicht: „In der Elektronik verwendet man heute CMOS-Elemente, die im Wesentlichen aus zwei Transistoren bestehen. Sie sind die grundlegenden Funktionsblöcke für logische Schaltungen – und man kann zeigen, dass man ihr Verhalten auch mit Spintronik erzielen kann“, sagt Siegfried Selberherr. Die Spintronik kann alle logischen Verknüpfungen realisieren, die man derzeit in der herkömmlichen Elektronik verwendet.

Große Fortschritte gibt es auch beim Umwandeln von elektrischen Signalen in Spin-Signale. In geeigneten Mikrostrukturen kann man durch Anlegen elektrischer Spannung Spins beeinflussen. Spintronik und herkömmliche Elektronik können also kombiniert werden, sogar innerhalb eines einzelnen Chips.

„Die Spintronik kommt – aber vermutlich nicht als Revolution, sondern Schritt für Schritt“, meint Selberherr. Spintronik ist keine kühne Zukunftsvision wie etwa der Quantencomputer, sondern der logische nächste Schritt, der seine Schatten bereits vorauswirft.

 

 

 

zurück

 

 

 

 

Kennen Sie schon unser kostenloses Monatsmagazin "Österreich Journal" in vier pdf-Formaten? Die Auswahl finden Sie unter http://www.oesterreichjournal.at