Demokratie-Enquete: Kein breiter
 Konsens über Demokratieentwicklung

 

erstellt am
24. 09. 15
09:00 MEZ

SPÖ und ÖVP nehmen Ergebnis über Weiterentwicklung der Demokratie zur Kenntnis, Opposition spricht von massivem Rückschritt
Wien (pk) – Fast ein Jahr lang hat sich das Parlament damit beschäftigt, wie Demokratie in Österreich gestärkt oder neu gedacht werden kann. In acht Sitzungen hat die Enquete-Kommission rund 50 nationale sowie internationale ExpertInnen aus Politik, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft angehört, auch BürgerInnen hatten zum ersten Mal Rederecht in diesem parlamentarischen Gremium. Am 23.09. hat der Nationalrat die Ergebnisse der Demokratie-Enquete mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP zur Kenntnis genommen. Demnach soll eine verfassungsmäßige Ermächtigung den Ländern und Gemeinden künftig mehr direktdemokratische Instrumente ermöglichen und BürgerInnen bei bestimmten Themen schon vor dem Gesetzgebungsprozess via Crowdsourcing eingebunden werden. Außerdem will man ein objektives Abstimmungsbüchlein nach Schweizer Vorbild einführen und das Amtsgeheimnis abschaffen, wie aus dem 9-seitigen Abschlussbericht hervorgeht.

Demgegenüber steht ein 42-seitiger Minderheitsbericht und die scharfe Kritik der Oppositionsfraktionen, dass es sich bei den Ergebnissen der Enquete-Kommission um einen Rückschritt in Sachen Demokratie in Österreich handelt. Im Konkreten vermisst die Opposition jenes Vorhaben aus dem Jahr 2013 geschnürten Demokratiepaket, das es ermöglichen soll, auf Bundesebene über erfolgreiche Volksbegehren automatisch eine Volksbefragung durchführen zu können. Die erneute Forderung der gesamten Opposition in Form eines gemeinsamen Entschließungsantrags hinsichtlich der Einführung einer Volksgesetzgebung oder "zumindest einer verpflichtenden Volksbefragung nach einem qualifizierten Volksbegehren", wie es in der Initiative heißt, wurde im Plenum abgelehnt. Demnach gibt es also auch nach der Enquete-Kommission keinen breiten fraktionsübergreifenden Konsens im Parlament, wie die Demokratie in Österreich weiterentwickelt werden soll.

SPÖ: Minderheiten müssen vor Mehrheiten geschützt werden können
Von Seiten der SPÖ wurde das Ergebnis der Enquete-Kommission ausnahmslos positiv bewertet. Die Ideen würden nun schrittweise umgesetzt werden, wie sich Peter Wittmann (S) überzeugt zeigte. Der ursprüngliche Kompromiss wurde in seiner Begutachtung vor zwei Jahren nicht gut geheißen, außerdem würde durch die Unverbindlichkeit einer Volksbefragung nur noch mehr Verdrossenheit in der Bevölkerung geschürt, argumentierte er das Abweichen seiner Fraktion. Er halte es außerdem für eine Fehlentwicklung, wenn zu einem Zeitpunkt, in dem sich Milliardäre Parteien kaufen könnten, zusätzlich Möglichkeiten geschaffen würden, das auch mit Gesetzen tun zu können. Es sei letztendlich Medien und Leuten mit dem nötigen Kapital möglich, für eine Sache zu kampagnisieren. "Wer würde die Minderheit vor der Mehrheit schützen?", so die Frage Wittmanns an das Plenum. Auf "wesentliche Unterschiede" zwischen parlamentarischer Demokratie und möglichen Dynamiken bei direktdemokratischen Instrumenten machte Andrea Kuntzl (S) aufmerksam. Diese liegen darin, manchmal auch unpopuläre Schritte zu setzen, sind diese gesellschaftspolitisch oder auch nur für eine kleinere Gruppen wichtig, wie sie meinte. "Der Schutz der Minderheit vor der Mehrheit ist etwas Wesentliches", so auch Kuntzl.

Von einem "wirklichen Diskussionsprozess" sprach Josef Cap (S), der in Punkto Transparenz und Entscheidungsprozesse viel Potential im Abschlussbericht sah. Etwa sei Crowdsourcing nicht zu unterschätzen, meinte er, die Schaffung von Öffentlichkeit in einer mediendominierten Demokratie sei nicht hoch genug einzuschätzen. Die Enquete-Kommission habe ordentlich gearbeitet, der Endbericht sei eine Basis, die nun relativ rasch umgesetzt werden soll, sagte Harald Troch (S). Er selbst will keine Elite-Demokratie sondern niederschwelligen Zugang in Bundesländern und Gemeinden, Information und Bildung sei dabei wesentlich. Geht es nach Troch, wird das Modell der direkten Demokratie in der Schweiz "ein wenig zu verabsolutiert".

ÖVP: Forderungen der Parteien gingen zu weit auseinander
Das Argument der Negativstellungnahmen gegenüber dem ursprünglichen Kompromiss, etwa von der Bundespräsidentschaftskanzlei oder dem Verwaltungsgerichtshof, brachte auch die ÖVP in die Diskussion ein. Ein Konsens ist aus Sicht Wolfgang Gerstls (V) aber auch deswegen nicht zustande gekommen, weil die Forderungen der Parteien, beispielsweise in Sachen Unterstützungsquoren nach einem erfolgreichen Volksbegehren, zu weit auseinandergingen. Nichtsdestoweniger bedeute der Abschlussbericht einen Schritt in die Zukunft, etwa was Crowdsourcing betrifft. Die Partizipation jedes Bürgers sei ihm nämlich heilig, wie Gerstl meinte.

"Die Weiterentwicklung der Demokratie muss sorgsam überprüft werden", so Michaela Steinacker (V), die darauf hinwies, dass die Ergebnisse der Demokratie-Enquete letztendlich den heimischen rechtsstaatlichen Anforderungen stand halten müssten. Bedenken von Höchstgerichten könne man nicht so einfach vom Tisch wischen. Was die Stärkung der Demokratie betrifft, sei es wesentlich, dass "bei den Bürgern ausreichend Informationen landen", wie sie meinte.

"Die Vorstellungen von direkter Demokratie lagen einfach zu weit auseinander", sagte Asdin El Habbassi(V), äußert positiv sah er die Einbindung von BürgerInnen in der Enquete-Kommission und damit die Möglichkeit, PolitikerInnen "ein wenig zu spiegeln". Am Ende des Tages seien Empfehlungen für echte Veränderungen herausgekommen, beispielsweise jene für ein Informationsfreiheitsgesetz. Zumal eine Demokratie davon lebe, dass BürgerInnen Zugang zu Informationen bekommen.

FPÖ: Ergebnis ist Begräbnis erster Klasse
SPÖ und ÖVP hätten endlich die "Gretchenfrage" offen beantwortet, wie sie tatsächlich zur direkten Demokratie in Österreich stehen. Dabei handle es sich um einen deutlichen Rückschritt, geht es nach der FPÖ, die sich nach wie vor für eine Volksgesetzgebung stark macht. "Das, was das Parlament darf, müssen auch die BürgerInnen dürfen", unterstrich Harald Stefan (F), der das Ergebnis der Enquete-Kommission und das Vorgehen von SPÖ und ÖVP heftig kritisierte. "Wenn sie antreten, um ein Reformpaket in Österreich auf die Wege zu bringen, dann ist das gleichbedeutend mit einem Begräbnis erster Klasse", sagte auch seine Fraktionskollegin Petra Steger in Richtung Regierungsfraktionen, die aus ihrer Sicht im Abschlussbericht nur Nebenthemen aufgegriffen hätten, "die am wenigsten weh tun". Mit der Enquete-Kommission sei eine "riesen Show" veranstaltet worden, bereits mit der Absicht im Hinterkopf, "das alles am Ende wieder abzudrehen", so der Vorwurf der FPÖ-Abgeordneten. SPÖ und ÖVP hätten sich einmal mehr als größte Verwalter des Stillstands unter Beweis gestellt.

Grüne: Keine Gesprächsbereitschaft von SPÖ und ÖVP
"Ich hatte ursprünglich den Eindruck Seitens SPÖ und ÖVP, dass man es ernst meint mit der Weiterentwicklung der direkten Demokratie", brachte Daniela Musiol ihre Enttäuschung für die Grünen auf den Punkt. Nicht verstehen wollte sie die nunmehrige Argumentation der Regierungsfraktionen, zumal diese vor einem Jahr dieselbe gewesen seien. "Wovor haben sie Angst?", so die Frage Musiols in Richtung SPÖ. Forderungen der Grünen betreffen dabei nach wie vor die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung, wie im Minderheitsbericht der Opposition artikuliert. Auch wenn politische Anschauungen der Oppositionsfraktionen oft weit auseinandertriften würden, hätte man es dennoch geschafft, sich an einen Tisch zu setzen. Zu dieser Gesprächsbereitschaft seien SPÖ und ÖVP nicht bereit gewesen, wie die Grünen-Abgeordnete kritisierte.

Dieter Brosz (G) vermisst im Abschlussbericht konkrete Angaben zur Finanzierung und Ausführung bestimmter Vorschläge, etwa was das Crowdsourcing betrifft. Zweifel hegte er deswegen an ihrer Ernsthaftigkeit, zumal manche Empfehlungen auch in eine "gewisse Skurrilität abdriften" würden. Als Beispiel nannte er den Vorschlag von Livestreams in öffentlichen parlamentarischen Ausschüssen. Die es aber de facto nicht gibt, wie Brosz klarmachte. SPÖ und ÖVP würden hingegen Transparenz im Hohen Haus permanent verhindern. Eine deutliche Besserung würde eine Öffnung des Begutachtungsverfahrens für BürgerInnen bringen. Seine Fraktion werde jedenfalls mit Nachdruck einfordern, dass die Empfehlungen von SPÖ und ÖVP auch umgesetzt werden.

NEOS: Abschlussbericht von einem optimalen Ergebnis meilenweit entfernt
Das optimale Ergebnis der Demokratie-Enquete hätte für die NEOS umfassende Transparenz und direkte Mitbestimmung bedeutet, wie Abgeordneter Nikolaus Scherak für seine Fraktion klarmachte, der Mehrheitsbericht der Regierungsfraktionen sei davon aber "meilenweit entfernt". Man habe es nicht geschafft, bei beiden dieser Grundvoraussetzungen Verbesserungen zu finden. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses oder die Einführung des Fachs "Politische Bildung" würden bereits im Regierungsprogramm stehen, dafür hätte man die Enquete-Kommission nicht gebraucht, "wir treten hinter einen zwei Jahre alten Kompromiss zurück", so die Kritik von Scherak.

Team Stronach fordert weiterhin direkte BürgervertreterInnen im Parlament
In Zeiten der Politikverdrossenheit sei es wichtig, Menschen direkt mitentscheiden zu lassen, sagte Christoph Hagen vom Team Stronach, der positive Beispiele aus seiner Heimatgemeinde in Vorarlberg nannte. Das Team Stronach spreche sich nach wie vor für Bürgerbeteiligung aus, konkret fordert die Oppositionspartei eine Reduktion der Nationalratsabgeordneten auf 150, wobei 100 von den Parteien, die übrigen 50 direkt aus dem Volk als BürgervertreterInnen vorgeschlagen werden sollen.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

 

 

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