Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt

 

erstellt am
01. 10. 15
09:00 MEZ

Neue Ausstellung im Jüdisches Museum Wien Dorotheergasse
Wien (rk) - Das Jüdische Museum Wien, ein Unternehmen der Wien Holding, zeigt ab 30. September 2015 "Post41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt". Die Ausstellung im Extrazimmer des Palais Eskeles ist dem Gedenken an jene 5.000 Jüdinnen und Juden gewidmet, die während des NS-Regimes vom Wiener Aspangbahnhof ins Getto Litzmannstadt deportiert wurden und bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr zurückkehrten.

Zeugnisse über das Leben und Sterben im Getto
Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen 1939 wurde die Stadt Lódz in Litzmannstadt umbenannt und sollte "deutsch und judenfrei" werden. Die jüdische Bevölkerung wurde enteignet und 1940 in ein im Armenviertel der Stadt errichtetes Getto zwangsumgesiedelt. In Häusern ohne Kanalisation und Wasser litten mehr als 160.000 polnische Jüdinnen und Juden aus Lódz und Umgebung, abgeschlossen von der Außenwelt, an Hunger, Kälte und Gewalt.

Im Herbst 1941 kamen in Litzmannstadt die Deportationszüge aus dem "Westen" an. Weitere 25.000 Menschen mussten im Getto untergebracht werden, darunter 5.000 Jüdinnen und Juden aus Wien und 5.000 österreichische Roma und Sinti. Viele der Deportierten starben in den ersten Monaten an Hunger und Krankheiten, die meisten wurden 1942 im nahegelegenen Kulmhof/Chelmno ermordet. Die Auflösung des Gettos erfolgte im Sommer 1944. Die Gettoinsassen wurden nach Auschwitz deportiert. Nur etwa 800 Personen blieben als "Aufräumkommando" im Getto zurück. Einige von ihnen hatten den Mut, umfassendes Dokumentationsmaterial über das Getto für die Nachwelt zu verstecken.

Das Getto Litzmannstadt stand unter der Befehlsgewalt der Deutschen Gettoverwaltung. Innerhalb des Gettos leitete eine von ihr abhängige jüdische Administration unter Leitung des "Judenältesten" Mordechai Chaim Rumkowski die Belange der Gettoinsassen. Die jüdische Bevölkerung war damit gezwungen, ihre Vernichtung und Ausbeutung mit zu organisieren. Rumkowski veranlasste die Einrichtung eines Gettoarchivs, in dem alle verfügbaren Informationen und Dokumente über die Geschichte des Gettos gesammelt wurden. Hier entstand eines der wichtigsten Zeugnisse über das Leben und Sterben im Getto Litzmannstadt: die Lódzer Getto-Chronik. Unter ihren VerfasserInnen waren auch Oskar Rosenfeld und Alice Chana de Buton, beide aus Wien.

Private Zeit-Dokumente
Obwohl - oder vielleicht gerade weil - die Deutsche Gettoverwaltung für die Berichterstattung von "außen" ein rigoroses Bilderverbot verhängte, wurde das Getto von "innen" auch fotografisch sehr genau dokumentiert. Auftrag der jüdischen Gettofotografen war es, die Gettobetriebe und Einrichtungen der Gettoverwaltung zu dokumentieren, um die NS-Behörden von der wirtschaftlichen Kapazität des Gettos zu überzeugen und sein Weiterbestehen abzusichern. Über den offiziellen Auftrag hinaus, hielten die Gettofotografen auch die prekären Lebensverhältnisse im Getto fest, bestrebt, das Grauen zu zeigen, aber die Würde der Menschen dabei nicht zu verletzten.

Persönliche Zeugnisse stellen auch jene 3.400 Postkarten aus dem Lódzer Staatsarchiv dar, die 1941/42 von aus Wien deportierten Frauen, Männern und Kindern an Verwandte und Bekannte außerhalb des Gettos gerichtet waren. Sie erreichten niemals ihre Adressaten, sondern blieben auf dem Gettopostamt liegen. Handschriften und Texte ermöglichen es, den Beziehungsgefügen im Getto nachzugehen. Viele Karten enthalten kaum Satzzeichen, die angesprochenen Themen gehen ineinander über, alles musste Platz finden auf zehn Mal vierzehn Zentimetern Papier.

"POST41. Berichte aus dem Getto Litzmannstadt" rückt individuelle Selbstäußerungen aus dem Getto - Chronik-Einträge, Fotos, Postkarten, Tagebücher und Zeitzeugenberichte - in den Blickpunkt, die vor allem als Zeugnisse der Selbstbehauptung gelesen werden können. Der Zensur und der Selbstzensur unterworfen, wurde vieles in Chiffren und Andeutungen verpackt. In diesem Sinne sind die Quellen als Versatzstücke einer Rekonstruktion zu verstehen, einer Erzählung, die sich letztlich nicht erzählen lässt. "Niemand kann das wirklich verstehen. Es war eine Atmosphäre, die man nicht schildern kann. Man kann sie nicht filmen, man kann sie nicht erzählen", sagt Grete Stern, eine der wenigen Überlebenden aus Wien, im Dokumentarfilm "Aspangbahnhof 1941. Geschichte einer Frauenfreundschaft".

Zur Ausstellung erscheint das gleichnamige Gedenkbuch (ISBN-Nr. 978385476-475-5) im Mandelbaum Verlag zum Preis von EUR 29,90, das ab sofort im Museum erhältlich ist. Die von Regina Wonisch, Angelika Brechelmacher und Dan Fischman kuratierte und von Bernhard Denkinger gestaltete Ausstellung ist von 30. September 2015 bis 6. März 2016 im Museum Dorotheergasse, einem Museum der Wien Holding, zu sehen. Das Museum in 1010 Wien, Dorotheergasse 11, ist von Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am zweiten Standort, im Museum Judenplatz, Judenplatz 8, 1010 Wien, ist von Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, Fr 10 bis 14 Uhr geöffnet. Für beide Museen gibt es ein gemeinsames Ticket (gültig vier Tage ab Ausstellungsdatum) zum Preis von EUR 10, ermäßigt EUR 8, Gruppen EUR 7, Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr frei, StudentInnen (bis 27 Jahre), Zivil- und Präsenzdiener EUR 5, Schulklassen haben nach wie vor freien Eintritt, für die Schülerführung ist ein Kostenbeitrag von EUR 20 zu leisten.

Diese Ausstellung ist Teil des österreichisch-polnischen EU-Projektes "POST 41. Wiener Jüdinnen und Juden im Getto Litzmannstadt"; Projektleitung: Angelika Brechelmacher.

Projektteam: ARGE grenzen erzaehlen, Wien; Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt; Forschungszentrum für historische Minderheiten, Wien; Jüdisches Museum Wien; Staatsarchiv in Lódz; Institut für Toleranz, Lódz; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien; Kanzlei - Internationaler Verein für Wissenschaft und Kultur, Wien; Institut für Konfliktforschung, Wien; Hannelore Steinert, Düsseldorf.

Fördergeber: Europe for Citizens Programme; Bundeskanzleramt Österreich - Kunst und Kultur; RD Foundation Vienna Research, Development and Human Rights; Österreichischer Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus; Zukunftsfonds der Republik Österreich.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.jmw.at

 

 

 

 

 

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