BR-Präsident Kneifel trifft Parlamentarierdelegation
aus Südtirol

 

erstellt am
30. 09. 15
09:00 MEZ

Abgeordnete einig: Südtiroler Autonomie darf nicht angetastet werden – Bei Doppelstaatsbürgerschaft sowohl Südtiroler als auch österreichische MandatarInnen zögerlich
Wien (pk) - Die aktuelle Asylkrise stand am 29.09. im Mittelpunkt einer Aussprache einer hochrangigen Parlamentarierdelegation aus Südtirol mit Bundesratspräsident Gottfried Kneifel. Obwohl in Südtirol nur eine geringe Zahl von AsylwerberInnen untergebracht ist und die Flüchtlingsroute über den Brenner derzeit noch kaum genutzt wird, wie der Südtiroler Landtagspräsident Thomas Widmann berichtete, zeigten sich die Südtiroler MandatarInnen sehr interessiert am Umgang der Politik mit der Situation in Österreich. Auch in Südtirol gebe es große Sorgen, da nicht abschätzbar sei, wie lange der Flüchtlingsstrom anhalten werde, sagte Widmann.

Kneifel wies zum einen auf die enormen Anstrengungen der Behörden und die große Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung hin, gab aber auch zu bedenken, dass viele Leute Angst hätten. Viele hätten das Gefühl, dass ihre Heimat bedroht sei. Für ihn ist es Aufgabe der Politik, sowohl mit Anstand als auch mit Hausverstand auf die Situation zu reagieren, wobei er einräumte, dass es noch nicht auf alle Fragen eine Antwort gebe. Der Bundesratspräsident glaubt, dass bei der Integration der AsylwerberInnen vor allem auch auf die Gemeinden große Herausforderungen zukommen.

Hilfreich für eine rasche Integration von Flüchtlingen wäre Kneifel zufolge die rasche Entscheidung über ein Bleiberecht für AsylwerberInnen nach dem Vorbild der Schweiz. Dort werde innerhalb einer Woche über diese Frage entschieden, skizzierte er. Er kann sich auch vorstellen, AsylwerberInnen mit Bleiberecht den Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen, noch bevor das Asylverfahren endgültig abgeschlossen ist. Man sollte alle, die qualifiziert sind, möglichst rasch in den Arbeitsmarkt integrieren, so Kneifel. Dann würde auch die immer wieder geäußerte Kritik verstummen, dass AsylwerberInnen nicht arbeiten würden. Ein wichtiges Signal wäre seiner Auffassung nach außerdem die explizite Verankerung eines "Asyls auf Zeit" mit einer automatischen Prüfung der Lage im Fluchtland nach drei Jahren.

In die EU setzt Kneifel kurzfristig keine großen Erwartungen. Europa bietet derzeit das Bild einer Hilfs- und Orientierungslosigkeit, hielt er fest. Andererseits sei die EU an Krisen immer gereift, zeigte er sich insgesamt zuversichtlich.

Bedenken des Südtiroler Abgeordneten Andreas Pöder von der BürgerUnion, das kürzlich in Österreich beschlossene Durchgriffsrecht des Bundes bei der Bereitstellung von Flüchtlingsquartieren könnte als Vorbild dienen, auch in anderen Bereichen föderale Strukturen außer Kraft zu setzen und den Zentralstaat zu stärken, teilte Kneifel nicht. Er wies darauf hin, dass sich das Durchgriffsrecht auf Quartiere des Bundes beschränke und überdies befristet sei. ÖVP-Abgeordneter Hermann Gahr, Obmann des Südtirol- Unterausschusses des Nationalrats, hob hervor, dass Solidarität innerhalb Österreichs notwendig sei.

Abseits des Themas Asyl maß Kneifel der Demokratievermittlung und der Demokratiebildung große Bedeutung bei. Da habe man in der Vergangenheit einiges vernachlässigt, sagte er. Man dürfe nicht davon ausgehen, dass die Demokratie eine stabile Konstante sei. Vor diesem Hintergrund begrüßte der Bundesratspräsident auch die Ergebnisse der Enquete-Kommission des Nationalrats zur Demokratiereform. Südtirol könne auf diesem Gebiet wenig vorweisen, räumte Landtagspräsident Widmann zu dieser Frage ein. In der Bevölkerung sei derzeit vielmehr die Stimmung, dass Politik so wenig wie möglich kosten dürfe, ergänzte ein Delegationsmitglied.

Einig waren sich Kneifel und Widmann, was die Beziehungen zwischen Österreich und Südtirol betrifft. Freundschaften gehörten gepflegt, auch wenn die Beziehungen ohnehin sehr gut seien, meinten sie übereinstimmend.

Der von Landtagspräsident Widmann angeführten Delegation gehören neben dem Landtagsvizepräsidenten Roberto Bizzo auch die Mitglieder des Präsidiums des Südtiroler Landtags und die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen an. Im Anschluss an das Gespräch mit Kneifel traf die Delegation mit Mitgliedern des Südtirol-Unterausschusses des Nationalrats zusammen, wo vor allem die Frage einer doppelten Staatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen erörtert wurde.

   

Im Anschluss an das Gespräch mit Bunderatspräsident Gottfried Kneifel traf die Südtiroler Parlamentarierdelegation unter der Leitung von Landtagspräsident Thomas Widmann mit Mitgliedern des Südtirol-Unterausschusses des Nationalrats zusammen. Bei der von Ausschussobmann Hermann Gahr geleiteten Debatte ging es vor allem um eine mögliche Bedrohung der Autonomie Südtirols durch die angestrebte Verfassungsreform in Italien sowie die Frage der Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen. Der Südtirol-Unterausschuss des Nationalrats will sich demnächst mit einer zu diesem Thema vorliegenden Bürgerinitiative befassen. Geht man von der heutigen Diskussion aus, zeichnen sich weder in Österreich noch in Südtirol konkrete parlamentarische Initiativen zur Umsetzung des Anliegens ab.

Wie der Südtiroler Landtagspräsident und sein Parteikollege von der Südtiroler Volkspartei Dieter Steger betonten, hat für Südtirol die Aufrechterhaltung der Autonomie Südtirols Priorität. Die Politik der Regierung Renzi habe in ganz Italien eine negative Einstellung gegenüber autonomem Regionen befördert, schilderte Widmann die derzeitige Lage aus seiner Sicht. Auch wenn die italienische Regierung mehrfach klargestellt habe, dass die Südtiroler Autonomie nicht angetastet werde, müsse man Acht geben, dass diese mit der bevorstehenden Verfassungsreform nicht ausgehöhlt werde. Renzi wolle Italien über zentralistische Maßnahmen sanieren, Südtirol dürfe dabei aber nicht unter die Räder kommen, so der Tenor in der Aussprache. Steger hob in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch die Schutzmachtfunktion Österreichs für Südtirol hervor und bedankte sich für das Engagement der österreichischen Politik in dieser Frage.

Was die Frage der Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen betrifft, äußerte sich Steger zurückhaltend. Die Doppelstaatsbürgerschaft sei "ein bisschen eine emotionale Geschichte" und werde von den SüdtirolerInnen von Herzen gewünscht, sagte er, dieses Projekt könne aber nur funktionieren, wenn es in Südtirol und in Österreich einen Konsens in dieser Frage gebe. Auf technischer Ebene ließen sich die offenen Fragen lösen, ist Steger überzeugt, man müsse aber aufpassen, dass der Schuss nicht nach hinten losgehe. Auch SVP-Abgeordnete Maria Hochgruber Kuenzer meinte, man könne vorab schwer sagen, ob die Geschichte gut gehen würde oder nicht. Für sie wäre die Doppelstaatsbürgerschaft aber eine der Möglichkeiten, um ein klares Signal an zentralistische PolitikerInnen zu senden.

Gar nichts mit einer Doppelstaatsbürgerschaft anfangen können Riccardo Dello Sbarba (Grüne) und Alessandro Urzi (L'Alto Adige nel cuore). Man solle sich auf den Ausbau der Autonomie konzentrieren und "gefährliche Experimente" bleiben lassen, sagte Sbarba, der vor allem in drei Punkten Bedenken äußerte. So ist er sich nicht sicher, ob die Forderung nach einer Doppelstaatsbürgerschaft überhaupt mit der Südtirol-Autonomie vereinbar ist. Deren Ziel sei es schließlich, eine ethnische Minderheit in einem fremden Staat zu schützen. Überdies wäre es seiner Meinung nach schwer zu entscheiden, wer überhaupt um eine österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen dürfe. Was tue man etwa mit einem ehemaligen Österreicher, der erst nach 1918 nach Südtirol gekommen ist, fragte er. Durch Ausschlussgründe riskiere man eine Zweiklassengesellschaft, das sei einem friedlichen Zusammenleben nicht förderlich. Schließlich fürchtet Sbarba, dass Österreich durch einen Beschluss des Südtiroler Landtags unter Druck gesetzt würde.

Alessandro Urzi glaubt überhaupt, dass die Diskussion künstlich aufgebauscht ist. In der Bevölkerung sei die Doppelstaatsbürgerschaft kein Thema, vielmehr handle es sich um das Problem einiger PolitikerInnen, erklärte er. Würde man das Thema Doppelstaatsbürgerschaft forcieren, würde man seiner Meinung nach nur Misstrauen in Italien säen und Konflikte wie in Spanien schüren, die Rechte Südtirols würden ohnehin schon jetzt von vielen fälschlicher Weise als ungerechtfertigte Privilegien gesehen. Auch dass die Autonomie Südtirols durch die Verfassungsreform in Gefahr ist, befürchtet Urzi im Gegensatz zu seinen Abgeordnetenkollegen nicht, schließlich sei diese international verankert und über die Schutzmachtfunktion Österreichs abgesichert.

Ähnlich wie Urzi argumentierte auch Landtags-Vizepräsident Roberto Bizzo (Partito Democratico). Die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft würde nicht zu einer Stärkung der Autonomie führen, sondern zu einer Stärkung des Zentralismus, erklärte er. Damit würde man ein großes Risiko für die Autonomie eingehen, die Bizzo trotz der Zentralismusbestrebungen der Regierung Renzi grundsätzlich als gut abgesichert ansieht.

Positiv zu einer Doppelstaatsbürgerschaft äußerten sich dem gegenüber Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), Andreas Pöder (BürgerUnion) und Pius Leitner (Freiheitliche). Es sei ihm bewusst, dass es Gespräche in dieser Frage bedürfe und dass ein solcher Schritt Konsequenzen habe, sagte Knoll, seiner Meinung nach sind aber alle offenen Fragen lösbar. Ihm zufolge gibt es auch bereits eine weitgehend positive Stellungnahme der italienischen Regierung. Generell sieht Knoll die Autonomie Südtirol durch die Zentralismusbestrebungen der Regierung massiv bedroht.

Andreas Pöder warnte davor, die bestehende Autonomie Südtirols, die auf dem Schutz von Minderheiten fuße, in eine territoriale Autonomie umzuwandeln. Italien werde zu einem "Ultra-Zentralstaat" umgebaut, es herrsche eine Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar eine Feindseligkeit gegenüber autonomen Regionen, hob er hervor. Im Zuge der angestrebten Verfassungsreform wird Südtirol seiner Darstellung nach zwar eine Schutzklausel angeboten, man erwarte von Südtirol aber, sich an die neue Verfassung anzupassen, statt die Verfassung auf Südtirol abzustimmen. Die doppelte Staatsbürgerschaft sieht Pöder als identitätserhaltendes Schutzinstrument, sie könne jedoch kein Ersatz für andere Maßnahmen sein.

Pius Leitner machte geltend, dass in Südtirol ein Wunsch nach Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft bestehe. Die Bevölkerung stelle sich aber auch die Frage nach dem konkreten Nutzen. Wie Knoll ortet er keine Einwände der italienischen Regierung gegen einen solchen Schritt. Allgemein gab Leitner zu bedenken, dass Renzis Politik dazu geführt habe, dass in Italien, und zum Teil auch in Südtirol, nicht mehr verstanden werde, warum Südtirol Autonomiestatus habe. Auch für ihn wäre eine Territorialautonomie eine große Gefahr.

FPÖ und Team Stronach für Doppelstaatsbürgerschaft
Von österreichischer Seite stellten sich nur die FPÖ und das Team Stronach ausdrücklich hinter die Forderung einer Doppelstaatsbürgerschaft für SüdtirolerInnen. Sowohl FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer als auch Team-Stronach-Abgeordneter Christoph Hagen sehen den Ball aber auf der Seite Südtirols liegen. Erst wenn sich die SüdtirolerInnen selbst einigen und der Südtiroler Landtag Beschlüsse fasse, könne Österreich handeln, erklärte Neubauer. Er habe jedenfalls das Gefühl, dass es in Südtirol mehr Angst in Bezug auf die anstehende Verfassungsreform gebe und dieses Problem als vordringlich erachtet werde. Neubauer bekräftigte, dass der Autonomiestatus Südtirols nicht mit anderen autonomen Provinzen Italiens vergleichbar sei, und appellierte an die österreichische Politik, die Schutzmachtfunktion auszuüben.

Für Hagen wäre die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft nur eine Reparatur der seinerzeitigen Beschlüsse zu Südtirol. Die SüdtirolerInnen hätten, anders als etwa die slowenische Minderheit in Kärnten, keine Entscheidungsmöglichkeit gehabt, ob sie zu Österreich oder zu Italien gehören wollen, führte er ins Treffen. Was die Angst in Südtirol betrifft, im Zuge der Verfassungsreform "über den Tisch gezogen" zu werden, sieht er wie Neubauer Österreich als Schutzmacht gefordert.

Skepsis bei anderen Fraktionen
Klar gegen die Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft wandten sich hingegen die Abgeordneten Georg Willi (G) und Christoph Vavrik (N). Er verstehe den emotionalen Wunsch, sagte Willi, aus seiner Sicht würden aber etliche Punkte gegen einen solchen Schritt sprechen. Konkret verwies er etwa auf starke Bedenken in Österreich und die Gefahr einer Spaltung der Südtiroler Gesellschaft. Die Doppelstaatsbürgerschaft stärke überdies die Schutzmachtfunktion Österreichs gegenüber Südtirol nicht und trage nichts zur Stärkung der Autonomie Südtirols, etwa was Kompetenzen und Finanzen anlangt, bei. Darüber hinaus müsste man eine diskriminierungsfreie Lösung auch für andere AltösterreicherInnen finden, bekräftigte Willi.

Den genannten Bedenken schloss sich auch Vavrik an. Er sieht insbesondere die Frage ungeklärt, wer in den Genuss der Doppelstaatsbürgerschaft kommen solle. Man würde die Büchse der Pandora aufmachen, warnte er. Grundsätzlich ließe er sich in dieser Frage aber noch überzeugen, sagte Vavrik, die heutige Diskussion habe das aber nicht bewirkt. "Voll und ganz" bekannte sich Vavrik im Namen der NEOS zur Autonomie Südtirols und zur Schutzmachtfunktion Österreichs. Es sei wichtig, die Autonomie sowohl im Geist als auch dem Buchstaben nach zu leben, unterstrich er.

Seitens der SPÖ hielt Abgeordneter Walter Bacher fest, er verstehe den Wunsch nach einer Doppelstaatsbürgerschaft. So wie es ausschaue, gebe es aber auch in Südtirol keine einhellige Meinung in dieser Frage, betonte er. Bacher gab auch zu bedenken, dass Österreich viele rechtliche Hürden beseitigen müsste, wobei FPÖ-Abgeordneter Werner Neubauer einwandte, dass es keiner Verfassungsänderung bedürfte, sondern eine einfache Mehrheit im Nationalrat reichen würde.

Ausschussobmann Gahr (V) kündigte zur gegenständlichen Thematik eine Empfehlung des Südtirol-Unterausschusses an. Man müsse die 22.000 Unterschriften der Bürgerinitiative ernst nehmen, sagte er und äußerte auch Verständnis für die Forderung. Es sei aber zu berücksichtigen, dass es kontroversielle Ansichten und rechtliche Bedenken gebe. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung sei nicht in dem Ausmaß gegeben, wie es notwendig wäre.

An der Aussprache nahm von österreichischer Seite auch der FPÖ-Abgeordnete Peter Wurm teil. Im Rahmen ihres offiziellen zweitägigen Besuchs in Österreich führte die Südtiroler Delegation auch Gespräche im Bundeskanzleramt und im Außenministerium.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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