Klubwechsel: NR-Präsidentin Bures
 legt Expertenpapier für Reform vor

 

erstellt am
12. 10. 15
09:00 MEZ

Verfassungsexperte Öhlinger: Klubförderung am Wahltag deckeln - Zusammensetzung von Ausschüssen "einfrieren" – Unterschiedliche Reaktionen auf Reformpapier
Wien (pk) - Nationalratspräsidentin Doris Bures hat der Präsidialkonferenz am 09.10. ein Expertenpapier zum Thema Klubwechsel vorgestellt. Verfassungsjurist Theo Öhlinger zeigt auf, wie die Klubförderung oder die Zusammensetzung von Ausschüssen beim Austritt als auch bei einem Beitritt von Abgeordneten zu einem anderen Klub geregelt werden könnten. Weitere Gespräche sind für die Sitzung des Geschäftsordnungs-Komitees am 29. Oktober 2015 vorgesehen.

In den letzten Monaten haben sieben Abgeordnete des Nationalrates den Klub jener Partei, für die sie bei der letzten Wahl kandidiert haben, verlassen. Sie sind entweder einem anderen Parlamentsklub beigetreten (Rouven Ertlschweiger, Marcus Franz, Kathrin Nachbaur, Georg Vetter) oder aber wurden sogenannte "wilde" Abgeordnete ohne Klubzugehörigkeit (Jessi Lintl, Gerhard Schmid, Ruppert Doppler). Die Diskussion über diese Vorgänge hat ein Spannungsverhältnis zwischen dem in der Verfassung verankerten freien Mandat und dem Verhältniswahlrecht deutlich gemacht. Nationalratspräsidentin Doris Bures sprach von einer "Schieflage zwischen freiem Mandat und dem Willen der WählerInnen".

Die Präsidialkonferenz des Nationalrates ist in einer Sondersitzung im Juni zum Ergebnis gekommen, dass ein Klubwechsel während der Legislaturperiode nach geltendem Recht zulässig ist. Die Mitglieder der Präsidiale haben sich allerdings darauf verständigt, sich im Herbst mit der Frage auseinander setzen zu wollen, ob rechtspolitisch ein Bedarf einer Neuregelung bzw. Präzisierung besteht.

Nationalratspräsidentin Bures hat daher den renommierten Verfassungsjuristen Theo Öhlinger ersucht, das aktuelle Spannungsverhältnis zu analysieren, Reformmöglichkeiten aufzuzeigen und somit eine sachliche und fundierte Diskussionsgrundlage für weitere Gespräche zu schaffen.

Die Nationalratspräsidentin unterstreicht, dass es ihr keinesfalls darum gehe, Klubwechsel künftig zu verbieten. "Sehr wohl sollen aber die Konsequenzen von Übertritten überdacht und Möglichkeiten geprüft werden, wie sich der Wählerwille in der Klubförderung und in der Zusammensetzung von Ausschüssen stärker widerspiegeln könnte."

Nationalratspräsidentin Bures spricht von "sehr überlegenswerten Vorschlägen, um den Wählerwillen zu stärken". Die Expertise zeige sehr deutlich den Spielraum für "sanfte Reformen" des Gesetzgebers auf. Bures hofft daher auf "konstruktive und lösungsorientierte Gespräche, die der Glaubwürdigkeit der Politik gerecht werden". Für die Umsetzung der Vorschläge wäre eine Änderung des Geschäftsordnungs-Gesetzes und des Klubfinanzierungsgesetzes notwendig.

Öhlinger: Handlungsbedarf bei der Klubförderung
Professor Theo Öhlinger bestätigt in seiner Analyse, dass ein Klubaustritt gesetzlich nicht untersagbar ist. Um den Wählerwillen stärker gerecht zu werden, sieht Öhlinger allerdings Handlungsbedarf bei der Klubförderung. Die geltende Rechtslage sieht eine Anpassung der Klubförderung sowohl bei einem Austritt als auch bei einem Beitritt zu einem anderen Klub vor. Das sollte sich nach Ansicht Öhlingers ändern. Konkret empfiehlt der Verfassungsexperte, die Höhe der Klubförderung am Beginn der Legislaturperiode nach oben hin zu deckeln. Ein "Beitritt" zu einem anderen Klub während der Periode sollte also keine Erhöhung der Klubförderung zur Folge haben.

Die Reduktion der Klubförderung bei einem Austritt hält der Verfassungsexperte hingegen für sachlich gerechtfertigt: "Es gibt keinen Grund, einen verkleinerten Klub proportional stärker zu fördern, als es seiner Größe entspricht." Nach der Rechtsprechung des VfGH wäre dies sogar "unsachlich und daher verfassungswidrig". Daher bedürfte es in dieser Hinsicht keiner Änderung der Rechtslage.

Das freie Mandat stehe einer solchen asymmetrischen Regelung nicht entgegen. "Das freie Mandat ist ein Individualrecht und garantiert keine subjektiven Rechte der Klubs", so Professor Öhlinger. Es erscheine daher sachgemäß, "wenn der Gesetzgeber die Klubs gemäß ihrer sich aus den Nationalratswahlen ergebenden Stärke abgestuft fördert, Übertritte dabei aber nicht dem Wahlergebnis gleichstellt. "Klubwechsel fördern nicht die Stabilität der parlamentarischen Arbeit und sind schon aus diesem Grund nicht unbedingt förderungswürdig. Der Gesetzgeber darf es jedenfalls vermeiden, finanzielle Anreize für einen Klubwechsel zu schaffen", heißt es im Expertenpapier.

Ausschüsse für die Dauer einer Legislaturperiode besetzen
Änderungen empfiehlt Öhlinger auch, was die Zusammensetzung von Ausschüssen im Falle eines Klubwechsels betrifft. Nach der geltenden Rechtslage ist bei Veränderungen der Klubstärke eine Neuwahl der Ausschüsse nach dem neuen Stärkeverhältnis vorzunehmen. "Verfassungsrechtlich ist diese Regelung aber keinesfalls geboten", erklärt der Verfassungsexperte. Vor dem Hintergrund der Verhältniswahl des Nationalrats wäre es naheliegend, "die dem Wahlergebnis entsprechende Verteilung der Ausschussmandate über die gesamte Legislaturperiode festzuschreiben". Ein durch "Mitgliederschwund" verkleinerter Klub würde demnach die ihm zu Beginn der Legislaturperiode zugesprochene Sitze nicht verlieren und ein Klub, dessen Fraktion sich vergrößert hat, keinen zusätzlichen Sitz gewinnen.

Einer speziellen Regelung bedürfte dabei der Fall, dass ein Klub durch Austritte unter die Grenze von fünf Mitgliedern und damit unter die "Klubstärke" fällt. Für diesen Fall schlägt Öhlinger vor, dass entweder die betroffenen Ausschüsse um die Mitglieder des wegfallenden Klubs verkleinert werden oder es könnte eine Neuwahl nach dem (ursprünglichen) Stärkeverhältnis der verbliebenen Klubs erfolgen.

Klubgründungen wurden bereits 2013 präzise geregelt
2013 – anlässlich der Gründung des Team Stronach – wurde bereits die Frage von Klubgründungen in der Geschäftsordnung präzise geregelt. Seither ist die Bildung von Nationalratsklubs nur mehr bis zu einem Monat nach dem ersten Zusammentritt des Nationalrates in einer Gesetzgebungsperiode möglich. Zudem können sich Abgeordnete, die nicht derselben wahlwerbenden Partei angehören, nur mit Zustimmung des Nationalrates zu einem Klub zusammenschließen. Der Wechsel von Abgeordneten von einem zu einem anderen Klub wurde jedoch nicht explizit geregelt.

Diskussion soll Ende Oktober im Geschäftsordnungs-Komitee fortgesetzt werden
Die ersten Reaktionen auf das von Nationalratspräsidentin Doris Bures in Auftrag gegebene Rechtsgutachten zum Thema Klubwechsel sind unterschiedlich ausgefallen. Im Anschluss an die Präsidialkonferenz, bei der das Reformpapier diskutiert wurde, kamen insbesondere von der FPÖ und vom Team Stronach kritische Töne. Er halte es für keine gute Idee, bei der Klubförderung etwas zu ändern, nur weil die ÖVP zuletzt einige Abgeordnete abgeworben hat, meinte etwa Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar gegenüber den Medien. Schließlich bräuchten Abgeordnete Mitarbeiter und eine adäquate Büroinfrastruktur für ihre Arbeit. Dritter Nationalratspräsident Norbert Hofer erachtet es vor allem für notwendig, die Vorschläge zur Ausschusszusammensetzung noch genauer unter die Lupe nehmen. Seiner Ansicht nach könnte es problematisch sein, wenn es im Ausschuss andere Mehrheitsverhältnisse als im Plenum gibt.

Grundsätzlich positiv, was die Reformvorschläge zur Klubförderung betrifft, äußerte sich hingegen Grün-Abgeordneter Dieter Brosz. Bei einem Klubwechsel solle es keine "Transfergelder" wie im Fußball geben, meinte er. In Bezug auf die Zusammensetzung der Ausschüsse liegen ihm zufolge mehrere Vorschläge am Tisch, über die man diskutieren könne. Gerade für diesen Bereich hält NEOS-Klubchef Matthias Strolz eine Lösung für vorrangig, und zwar noch vor der Einsetzung des nächsten Untersuchungsausschusses. Die NEOS seien dafür, dass das Team Stronach auch in künftigen Untersuchungsausschüssen vertreten ist, betonte er.

Zur Frage der Klubförderung merkte Strolz an, das Abwerben von Abgeordneten anderer Klubs schade der Glaubwürdigkeit der Politik und dürfe kein "Geschäftsmodell" sein. Er will die Vorschläge Öhlingers aber erst nach einer gewissen "Abkühlphase" diskutieren. Schließlich sei es auch klar, dass Abgeordnete Infrastruktur brauchen. Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf verwies auf die bevorstehende Diskussion im Geschäftsordnungskomitee, wobei ihm zufolge auch ein Gutachten des Parlamentarismus-Experten Werner Zögernitz vorliegt.

Nationalratspräsidentin Doris Bures bekräftige ihren Wunsch nach einer ernsthaften Diskussion über die Vorschläge. Es tue dem Parlament nicht gut, wenn in der Öffentlichkeit auch nur der geringste Anschein entstehe, dass hinter einem Klubwechsel monetäre Interessen stehen, sagte sie. Nicht rütteln will Bures an der Bestimmung, dass ein Klub seinen Klubstatus verliert, wenn er weniger als fünf Abgeordnete hat.

Verfassungsexperte Theo Öhlinger kann sich im vorliegenden Rechtsgutachten vor allem in zwei Punkten neue Regelungen vorstellen, um dem Wählerwillen besser gerecht zu werden (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1067/2015). So könnte ihm zufolge die Zusammensetzung der Ausschüsse auf Basis des Wahlergebnisses am Beginn einer Legislaturperiode festgelegt und für die Dauer der gesamten Periode eingefroren werden. Einem Klub, dem es gelingt, andere Abgeordnete anzuwerben, sollte keine höhere Klubförderung bekommen, der kleiner werdende Klub aber dennoch Geld verlieren.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

 

 

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