Zukunft des Dublin-Systems
 Streitpunkt in der Länderkammer

 

erstellt am
08. 10. 15
09:00 MEZ

EU-Ausschuss des Bundesrats uneins über aktuelle Asylpläne der Europäischen Kommission
Wien (pk) - Ist das Dublin Übereinkommen völlig gescheitert? Angesichts der ungebrochen hohen Zahl an Flüchtlingen, die nach Europa kommen, gibt es in der Frage zur Abwicklung von Asylverfahren nicht nur auf europäischer Ebene große Meinungsunterschiede, sondern auch im EU-Ausschuss des Bundesrats. Während SPÖ und Grüne in der Sitzung vom 07.10. aus menschenrechtlichen Gründen dafür plädierten, die Durchführung eines Asylverfahrens keinesfalls länger vom Erstaufnahmestaat abhängig zu machen, mahnte die ÖVP zur Vorsicht. Mangels Alternative sei bis auf weiteres am Dublin System festzuhalten, zumindest als Rahmen für die aktuellen Vorschläge der Europäischen Kommission zur gerechteren Verteilung Asylwerbender in der EU. Dezidiert gegen eine Abkehr von den geltenden Bestimmungen zur Durchführung von Asylverfahren wendet sich die FPÖ, für die in den jeweiligen Regionen die letztendliche Verantwortung zur Bewältigung der Flüchtlingssituation liegt.

Grundlage der Debatte bildeten Pläne der EU-Kommission, bei Krisensituationen die Umsiedlung von Asylwerbenden innerhalb der Union zu erleichtern. Verknüpft mit diesem Notfallmechanismus ist der Kommissionsvorschlag für eine EU-weit einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten, um raschere Rückführungen von Personen ohne Recht auf Asyl zu ermöglichen. Eingebettet sind diese Legislativvorschläge in die Migrationsagenda der EU, mit der die Europäische Kommission letzten Mai auf das Massensterben von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer reagiert hat. Damit sollen die Weichen für ein einheitliches EU-Asylsystem gestellt werden. Neben dem verstärkten Kampf gegen das Schlepperwesen, der Rettung von Menschenleben und der Sicherung der EU-Außengrenzen mit Registrierungszentren vulgo Hotspots zielt die EU-Migrationspolitik auf eine faire Aufteilung der AsylwerberInnen unter den EU-Mitgliedsstaaten ab. Zum umstrittenen Dublin-Mechanismus kündigt das Innenministerium an, die Kommission plane 2016 diese Verfahrensregelung durch eine neue zu ersetzen.

Hürden im Notfallplan zur Umsiedlung von Asylwerbenden
Der Verordnungsvorschlag zur Umsiedlung von Asylsuchenden innerhalb der Europäischen Union soll insbesondere Griechenland und Italien einen Teil der Flüchtlingsversorgung abnehmen, nachdem diese Staaten an der Mittelmeerküste seit Jahren mit einem starken Zustrom Schutzsuchender konfrontiert sind. Aufgrund der Flüchtlingsrouten über den Balkan denkt die Kommission auch "neue Maßnahmen zugunsten Ungarns" an. Konkret würde mit der Verordnung ein Verfahren eingeführt, das bestimmt, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständig ist, wenn ein anderes EU-Land die Flüchtlingsbewegungen nicht mehr bewältigen kann. Auf diese Weise soll eine gerechtere Verteilung der AntragstellerInnen in der Union gewährleistet und das Funktionieren des Dublin-Systems auch in Krisenzeiten ermöglicht werden. Ziel ist, Asylsuchende künftig gerecht im Unionsraum zu verteilen und zwar nach objektiven und nachprüfbaren Indikatoren, wie es im Entwurf heißt. Frei wählbar wären für AsylwerberInnen ihre Zielstaaten dann nicht mehr.

Fraglich sei dabei allerdings, merkte bei der Ausschusssitzung ein Vertreter des Innenministeriums an, ob Flüchtlinge, die in einem EU-Mitgliedsstaat registriert sind, tatsächlich dort eine mögliche Zuweisung zu einem anderen Land abwarten beziehungsweise inwieweit sie ein anderes als das von ihnen angestrebte Land – in der Regel Deutschland oder Schweden – überhaupt akzeptieren. Hier brauche es klare Regeln, selbst wenn schon aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Anreizen in den EU-Ländern eine völlig gleichwertige Verteilung der AsylwerberInnen nicht realistisch sei. Trotz dieser Bedenken wird das Vorgehen der Kommission seitens des Ministeriums begrüßt, nämlich als erster Schritt zur Angleichung der Asylstandards in den EU-Mitgliedsstaaten. Immerhin gebe das Unionsrecht derzeit gar keine Instrumente vor, mit denen die EU angemessen reagieren könne, wenn die Asylsysteme einzelner Mitgliedsstaaten extremen Situationen ausgesetzt sind. Auf Basis der angedachten Verordnung will die Kommission selbst mittels delegierter Rechtsakte den Umsiedlungsmechanismus aktivieren, wobei diese Bestimmungen höchstens für zwei Jahre gelten sollen. Ausschussvorsitzender Edgar Mayer unterstrich, das Gesamtproblem sei mit dem präsentierten Verteilungskonzept nicht zu lösen. Dennoch erwarte er sich davon die dringend nötige Entlastung der von den Flüchtlingsbewegungen direkt betroffenen EU-Länder.

Neue Verteilungsregeln auf dem Prüfstand
Entscheidende Faktoren bei einer Umsiedlung von Schutzsuchenden sind die Zahl der Anträge auf Asylstatus in einem Mitgliedstaat gemessen an seiner Bevölkerung und die Kapazitäten seines Asylsystems bzw. die Wirtschaftslage eines Landes. Auch inwieweit ein Staat sich bisher an "Solidaritätsinitiativen" der EU beteiligt bzw. davon profitiert hat, soll eine Rolle spielen, geht aus dem Kommissionsentwurf hervor. Sollte ein EU-Mitglied vorübergehend nicht in der Lage sein, sich ein Jahr lang ganz oder teilweise an der Umsiedlung von AsylwerberInnen zu beteiligen, müsste dieser einen finanziellen Beitrag zum EU-Haushalt in Höhe von 0,002 % seines Bruttoinlandsprodukts leisten. Im Falle einer teilweisen Beteiligung an der Umsiedlung würde dieser Betrag anteilig gekürzt. Das Geld soll der Kommission zufolge zweckgebunden an den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds gehen, um andere Mitgliedsstaaten bei der Bewältigung der Situation zu unterstützen. Betont wird in dem Verordnungsvorschlag allerdings, dass die angestrebte Notfallklausel zur Umsiedlung keine dauerhafte Lösung in der EU-Asylpolitik darstellt. Eine solche wolle die Kommission als Legislativvorschlag Anfang nächsten Jahres präsentieren, meinte eine weitere Expertin aus dem Innenministerium, die dem Ausschuss heute zur Verfügung stand.

Die LändervertreterInnen nutzten die Gelegenheit folglich, ihre Standpunkte zur Asylfrage gegenüber dem Ministerium zu verdeutlichen, was die Komplexität des Themas widerspiegelte. Namens der SPÖ forderten Stefan Schennach (S/W) und Ana Blatnik (S/K) vehement ein europäisches Asylsystem ein, das andere Möglichkeiten als die Dublin-Regelung zur Anerkennung von Schutzbedürftigen bietet. Welche Integrationschancen Personen in einem Land haben – beispielsweise bezüglich Sprache oder familiärer Kontakte – sei hier mitzubedenken. "Schengen retten, Dublin ist gescheitert", diesem Aufruf Schennachs wollte seitens der ÖVP Edgar Mayer (V/V) nicht bedenkenlos folgen. "Die EU braucht ein Regulativ für den Umsiedlungsmechanismus" erinnerte er seinen Vorredner. Mit kleinteiligen Änderungen wie den vorliegenden Kommissionvorschlägen sei das aktuelle Dublin-Übereinkommen nicht abzulösen, obwohl dies nötig wäre, beanstandete indes Grünen-Bundesrat Marco Schreuder (G/W).

Abgesehen davon wären Schreuder zufolge EU und Internationale Gemeinschaft gut beraten durch legale Zugangsmöglichkeiten für Flüchtlinge in die EU dem Schlepperwesen tatsächlich den Boden abzugraben. Er forderte zudem mehr Hilfe in den Flüchtlingscamps vor Ort und konnte sich die Einrichtung von EU-Büros in den Camps vorstellen. Direkt auf die Krisenregionen nahm auch FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth Bezug, jedoch mit einem anderen Fokus: Konflikte müssten sich im eigenen Land durch die dortige Bevölkerung lösen lassen, meinte sie, denn die EU könne nicht Flüchtlinge aus allen Krisenherden der Welt aufnehmen. Aus Sicht Mühlwerths wäre es eine "Bankrotterklärung" der EU, würde das Dublin-Prinzip gänzlich aufgehoben.

Für eine "ausnahmslose Registrierung an Hotspots" mit Schnellverfahren für Asylsuchende machte sich Gerhard Schrödinger (V) stark: "Das Problem ist nur auf EU-Ebene zu lösen". Wie umfassend eine solche EU-Lösung sein kann, hinterfragte wiederum Ferdinand Tiefnig (V/O) und Eduard Köck (V/N) . Ihre Einwände waren, dass Fälle einer Registrierungsverweigerung von Asylwerbenden nicht ausgeschlossen werden können und der angeregte Umsiedlungsmechanismus in mehreren Punkten zu unkonkret sei.

Debatte über Türkei als sicherer Drittstaat noch nicht abgeschlossen
Mit der Registrierung von Flüchtlingen bei Hotspots an den EU-Außengrenzen soll unter anderem festgestellt werden, ob ein Asylwerbender tatsächlich Recht auf internationalen Schutz hat. Deswegen schlägt die Kommission zur Umsetzung der EU-Migrationsagenda eine einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten vor, in die Personen ohne Anspruch auf Asyl unbedenklich zurückgeschickt werden können. Demnach sollen EU-weit die sechs Westbalkanstaaten sowie die Türkei in der Liste aufscheinen. Bislang griffen die Nationalstaaten auf ihre eigenen Listen zu sicheren Herkunftsstaaten zurück, die jedoch uneinheitlich sind und folglich zusammenhängende Verfahren durch alle Mitgliedsstaaten erschwert haben, wie die Europäische Kommission in ihrem Verordnungsentwurf hervorhebt. Eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten führe dagegen nicht nur zu einheitlicheren Verfahren, sondern wirke auch der Sekundärmigration von Asylsuchenden innerhalb der EU entgegen. Personen, die in einem Land keine Aussicht auf Asyl haben, würden damit auch in keinem anderen EU-Land Asylstatus inklusive Sozialleistungen erlangen können.

Die EU-Kommission weist aber darauf hin, dass ungeachtet der Aufnahme eines Landes in die einheitliche Liste sicherer Herkunftsstaaten weiterhin Anträge auf internationalen Schutz in jedem einzelnen Fall angemessen zu prüfen sind. Sollte es schwerwiegende Bedenken über die Sicherheitssituation einer Person in einem Staat auf der EU-Liste geben, hält die Kommission fest, könne dieser Antragstellerin oder diesem Antragsteller nicht einfach der Zutritt in den Unionsraum verwehrt werden. Grundsätzlich würden aber die Drittstaaten, deren Aufnahme in die gemeinsame EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten vorgeschlagen wird, in Bezug auf ihr Rechtssystem und der allgemeinen politischen Lage die menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Vorgaben erfüllen, heißt es im Kommissionsentwurf.

Österreich befürworte die einheitliche Liste sicherer Herkunftsländer und müsste in die nationale Liste lediglich die Türkei mitaufnehmen, so der Experte des Innenministeriums. Diesen Schritt sehen allerdings die Bundesräte Schennach (S/W) und Schreuder (G/W) sehr kritisch. Tatsächlich herrschten dort aufgrund des Konflikts mit der kurdischen Bevölkerung bürgerkriegsähnliche Zustände. Zudem habe die Türkei auch menschenrechtliche Verstöße wie Kinderarbeit nicht unterbunden, fügte Schennach an und folgerte, es sei nicht verwunderlich, dass die EU die Europäische Menschenrechtskonvention nicht unterschrieben hat, wenn sie gedenke, ein Land wie die Türkei als sicheren Ort einzustufen. Einen "Erpressungsversuch" der Türkei gegenüber der EU machte Bundesrätin Mühlwerth (F/W) aus. Da die Union in der Flüchtlingsfrage die Türkei brauche, verlange das Land, den innertürkischen Kurdenkonflikt unbeachtet austragen zu können, erboste die FPÖ-Mandatarin sich. Aus dem Innenministerium erfuhren die Ausschussmitglieder, de facto sei noch nicht abschließend geklärt, ob die Türkei tatsächlich auf der Liste bleibt. Neben den Gesprächen im Rat darüber werde auch das Europäische Parlament eine diesbezügliche Stellungnahme liefern.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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