Salzburg: Großer Kunstpreis geht an Ilse Aichinger

 

erstellt am
02. 11. 15
10:00 MEZ

Schellhorn: Die höchst dotierte Kunstauszeichnung des Landes Salzburg geht an die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger
Salzburg (lk) - Der mit 15.000 Euro dotierte Große Kunstpreis des Landes Salzburg 2015 geht an die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger, die am 1. November ihren 94. Geburtstag feiert. Die Jury bestehend aus Petra Dallinger, Tomas Friedmann und Günther Stocker sprach sich einstimmig dafür aus, den Preis für das literarische Gesamtwerk, der gebürtigen Wienerin zuzuerkennen. Nach Karl-Markus Gauß und Peter Handke wird der Preis erstmals an eine Autorin vergeben.

Der Anerkennungspreis für das literarische Gesamtwerk eines Autors mit besonderem Salzburg-Bezug wird im Dreijahres-Rhythmus abwechselnd für bildende Kunst, Musik und Literatur vergeben. Ilse Aichinger, die von 1963 bis 1984 in Großgmain/Salzburg lebte, ist nach Gerhard Amanshauser, Walter Kappacher, Karl-Markus Gauß und Peter Handke die fünfte ausgezeichnete Literatin.

Die Preisverleihung durch Kulturreferent Landesrat Dr. Heinrich Schellhorn findet im Rahmen der Kunstpreisverleihung am 09.12. in der Salzburger Residenz statt. "Diese Auszeichnung ist nicht nur die höchste für Literatur des Landes Salzburg, sondern es ist ein Anerkennungspreis für das Gesamtwerk von Ilse Aichinger. Die gebürtige Wienerin, die 21 Jahre lang in Salzburg lebte und hier eine Reihe wichtiger Werke verfasste, gilt als Meisterin des präzisen Wortes und als Grande Dame der österreichischen Literatur. Sie ist eine bedeutenden Repräsentantin der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur", so Schellhorn, der sich bei der unabhängigen Jury bedankte.

Die unabhängige Jury - Petra-Maria Dallinger (Direktorin Adalbert-Stifter-Institut), Tomas Friedmann (Leiter Literaturhaus Salzburg) und Günther Stocker (Institut für Germanistik, Universität Wien) - begründete ihre Wahl folgendermaßen: "Die Bedeutung von Ilse Aichinger ist in der deutschsprachigen Literatur unbestritten. Ihr zeitloses, von allen literarischen Moden unbeeindrucktes Gesamtwerk mag schmal sein – und doch ist es gewaltig. Bereits 1945 verfasste sie einen Text in dem das Wort Konzentrationslager fällt, zum ersten Mal in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Mit ihrem Essay 'Aufruf zum Misstrauen' wandte sie sich ein Jahr später gegen Geschichtsverdrängung und appellierte an kritische Selbstanalyse. Ihr einziger, autobiographischer Roman 'Die größere Hoffnung' (1948) bildete einen Meilenstein in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Für ihr präzis-poetisches Schreiben, ihr radikal-zeitloses stilbildendes Gesamtwerk und für ihre kritisch-humane Haltung soll die Dichterin Ilse Aichinger mit dem Großen Kunstpreis des Landes Salzburg 2015 ausgezeichnet werden. Salzburg war für Ilse Aichinger seit ihrer Kindheit ein wichtiger Bezugspunkt, hier schrieb sie Lyrik und Kurzprosa, Szenen und Hörspiele."

Am 9. Dezember wird Ilse Aichingers Tochter, Mirjam Eich, den Kunstpreis stellvertretend für ihre Mutter entgegennehmen, da die 94 Jährige aus gesundheitlichen Gründen den Preis nicht selber entgegennehmen kann. Mirjam Eich: "Im Namen meiner Mutter bedanke ich mich herzlich für diesen Preis. Ich freue mich sehr darüber, auch weil die Stadt Salzburg und vor allem das ländliche Salzburg sowohl im Leben meiner Mutter als auch in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt haben. Heu und Schnee sind zwei ihrer liebsten Wörter und für mich untrennbar mit dem Land Salzburg verbunden."

Zur Person Ilse Aichinger
Ilse Aichinger kommt gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Helga am 1. November 1921 als Tochter eines Lehrers und einer jüdischen Ärztin in Wien zur Welt. Die Familie lebt bis zur Scheidung der Eltern 1927 in Linz, dann kehrt die Mutter mit den Kindern nach Wien zurück, wo Ilse meist bei ihrer Großmutter bzw. in Klosterschulen lebt. Bereits in ihren ersten veröffentlichten Texten – "Das vierte Tor" (1945), "Aufruf zum Mißtrauen" (1946) – zeigt sich die für Aichingers Schreiben typische sprach- und gesellschaftskritische Haltung und die radikale Hinterfragung der eigenen Existenz. 1948 erscheint ihr einziger Roman "Die größere Hoffnung", die Geschichte des halbjüdischen Mädchens Ellen im Wien der Kriegsjahre. Für ihre Erzählung "Spiegelgeschichte" erhält sie 1952 den renommierten Preis der Gruppe 47. 1953 erscheint ihr erstes Hörspiel "Knöpfe" und der Erzählband "Der Gefesselte". Im selben Jahr heiratet sie den Dichter Günter Eich und zieht mit ihm nach Lenggries, wo die Kinder Clemens (1954) und Mirjam (1957) geboren werden. Ab 1963 lebt die Familie in Großgmain. Hier entstehen bei zunehmender Verknappung und Präzisierung der Sprache auch eigenständige, neue literarische Formen wie die Dialoge "Zu keiner Stunde" oder der nach Günter Eichs Tod (1972) entstandene Band "Schlechte Wörter". 1984, nach dem Tod ihrer Mutter, zieht Ilse Aichinger für vier Jahre nach Frankfurt, seit 1988 lebt sie wieder in Wien. Angeregt von dem Journalisten, Literaturwissenschafter und Herausgeber ihrer Werke, Richard Reichensperger, beginnt Ilse Aichinger im Herbst 2000, regelmäßig Kolumnentexte für die Tageszeitungen Der Standard und Die Presse zu schreiben, die ihrer Leidenschaft fürs Kino und ihrem Sinn für die Absurditäten der Welt entspringen.

 

 

 

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