EU nimmt weiteren Anlauf zur Bewältigung
 der Flüchtlingsströme

 

erstellt am
17. 12. 15
11:00 MEZ

EU-Hauptausschuss diskutiert über Flüchtlingskrise, die Forderungen Großbritanniens vor dem Referendum und den Klimaschutz
Wien (pk) - EU-Strategien zur Bewältigung der Flüchtlingskrise standen einmal mehr im Mittelpunkt des EU-Hauptausschusses vom 16.12., der im Vorfeld des Europäischen Rats am 17. und 18. Dezember 2015 stattfand. Die Ankündigungen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, die EU-Grenzbehörde FRONTEX zu stärken und deren Befugnisse bei der Sicherung der Außengrenzen sowie bei Abschiebungen zu erweitern, wurden weitgehend positiv aufgenommen. Die Abgeordneten bewerteten einhellig die Sicherung der EU-Außengrenzen als einen Schlüsselfaktor, um das Schengen-System innerhalb Europas aufrechterhalten zu können. In diesem Sinne äußerten sich explizit Christine Muttonen (S), Werner Amon, Georg Vetter (beide V), Reinhard Eugen Bösch (F), Christoph Vavrik (N) und Waltraud Dietrich (T).

Weitere Themen im Ausschuss waren die Forderungen Großbritanniens vor dem Austrittsreferendum und die Ergebnisse des Pariser Klima-Abkommens.

Diskussion um Handlungsfähigkeit der EU in Flüchtlingskrise
Bundeskanzler Werner Faymann bekräftigte, er werde sich für eine europäische Lösung zur Sicherung der Außengrenzen stark machen. Diese sei besser als einzelne nationalstaatliche Lösungen, die den Schengen-Raum ad absurdum führen würden, ist auch er überzeugt und wurde darin von Außenminister Sebastian Kurz bestätigt. Kurz erhofft sich jetzt eine Dynamik und hielt es für wichtig, dass FRONTEX auch ohne Zustimmung eines Mitgliedslandes tätig werden kann. Aus der Sicht des Bundeskanzlers ist Griechenland bereit, jede Hilfe anzunehmen. Bis zu einer effektiven Sicherung der Außengrenzen sei aber noch viel Arbeit zu erledigen, denn der Teufel stecke im Detail, sagte Faymann.

In diesem Zusammenhang gab es im Ausschuss skeptische Stimmen, insbesondere von der FPÖ und vom Team Stronach, die bezweifelten, dass die EU in der Lage sei, dieses notwendige Ziel auch zu erreichen. So meinten Reinhard Eugen Bösch und Johannes Hübner (beide F), die illegale Massenimmigration sei der EU längst über den Kopf gewachsen und auch Österreich sei nicht mehr Herr der Lage. Weder Polizei noch Armee würden eingesetzt, um die illegale Einreise zu stoppen, FRONTEX versage auf allen Ebenen. Bösch zufolge gilt der Rechtsbestand, insbesondere das Dublin-System, nicht mehr und Hübner sprach vom Chaos und der Bedrohung des sozialen Systems durch die Masseneinwanderung. Er könne nicht verstehen, dass man aufgrund des EU-Versagens in Österreich nicht handelt.

Im Gegensatz dazu befürwortete Christine Muttonen (S) die Unterstützung Griechenlands durch FRONTEX und meinte, es brauche klare gemeinsame Regelungen im Umgang mit Schutzsuchenden, die konform mit den Menschenrechten gehen. Scharfe Kritik übte sie einmal mehr an jenen Ländern, die die Aufnahme von Flüchtlingen verweigern. Solidarität dürfe keine Einbahnstraße sein. Rouven Ertlschweiger (V) sprach sich ebenfalls für eine Stärkung von FRONTEX aus, warnte aber angesichts kritischer Stimmen aus Polen und Ungarn davor, das Mandat zu verwässern.

Reduktion der illegalen Einwanderung ist Vorbedingung für kontingentierte legale Einreisemöglichkeit
Der Bundeskanzler stellte zudem klar, dass der Vorschlag, Flüchtlingen mit Hilfe des UNHCR – etwa in der Größenordnung von 50.000 Personen – eine legale Einreise in die EU zu ermöglichen, nicht bedeute, dass man zu den kolportierten 1,5 Millionen illegalen Flüchtlingen weitere aufnehmen wolle. Vielmehr gehe es darum, im Vorfeld Ordnung zu schaffen und die illegale Einreise nach Europa deutlich zu reduzieren. Dann könne man eine kontingentierte legale Einreise ermöglichen. Tatsache sei jedoch, dass viele Beschlüsse der EU noch nicht umgesetzt seien, so würden die sogenannten Hotspots noch nicht funktionieren bzw. sei nur ein geringer Teil davon eingerichtet worden. Die Diskussion über legale Einreisemöglichkeiten stehe aber erst am Beginn. Reinhard Eugen Bösch (F) hielt die Diskussion darüber jedoch für ein falsches Signal.

Grüne für EU-einheitliches Asylsystem
Seitens der Grünen rief Alev Korun dazu auf, nicht die Flüchtenden, sondern die Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch der Bundeskanzler hatte die Notwendigkeit, die Krisen diplomatisch zu lösen, unterstrichen.

Korun brachte in diesem Zusammenhang, auch unter Berufung auf den Vorschlag von Justizminister Wolfgang Brandstetter zu einem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, einen Antrag auf Stellungnahme ein, der jedoch nur von den NEOS unterstützt wurde und somit keine Mehrheit fand. Darin fordern die Grünen die Festlegung einheitlicher Regeln für Asylanträge bei EU-Vertretungsbehörden im Ausland, die Festlegung eines fairen, verbindlichen Verteilungsmechanismus und die zentrale Finanzierung des kompletten Europäischen Asylsystems, um dem Argument einiger Länder hinsichtlich der finanziellen Belastung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ferner sprechen sich die Grünen für die Ausweitung und Aufwertung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylsachen (EASO) als gemeinsame Asylbehörde aus und verlangen die Etablierung von Sektionsmechanismen gegenüber jenen Mitgliedstaaten, die sich nicht an den Verteilungsmechanismus oder die EU-Standards halten.

Appell, sich nicht in die Abhängigkeit der Türkei zu begeben
Zahlreiche Ausschussmitglieder appellierten auch, sich nicht in die Abhängigkeit der Türkei zu begeben, wie dies etwa Werner Amon (V) formulierte. Auch Waltraud Dietrich (T) hält es für eine gefährliche Variante, sich auf die Türkei zu verlassen, und Christoph Vavrik (N) nannte die Kooperation als ein notwendiges Übel. Er wolle nicht in die Situation geraten, dass man Menschenrechtsverletzungen in die Türkei auslagert.

Der Bundeskanzler hatte in seinem Einleitungsstatement den Gesprächen mit der Türkei eine besondere Bedeutung beigemessen. Unabhängig davon, wie die Verhandlungen ausgehen, müsse die EU selbst für die Sicherung der Außengrenzen sorgen, eine Einigung mit der Türkei würde aber einen Zeitgewinn bedeuten, betonte er. Hinter dem stehe nämlich ein enormer Aufwand, die EU sei bislang im Bereich der Rückführung und einheitlicher Standards für die Unterbringung von Schutzsuchenden noch nie tätig gewesen. Die Abnahme von Fingerprints an den Hotspots sei zu wenig, es brauche auch geeignete Quartiere, sonst könne man keine Rückführungen gemäß Dublin vollziehen. Davon abgesehen, gebe es mit vielen Ländern trotz vorhandener Rückführungsabkommen Schwierigkeiten. Die Zusammenarbeit mit der Türkei ist auch für den Außenminister notwendig, er sprach sich aber dafür aus, ehrlich zu sagen, dass das Ziel der Gespräche die Reduktion des Flüchtlingsstroms nach Europa ist.

Angesprochen von Peter Pilz (G), berichtete der Bundeskanzler, dass die EU für die Betreuung von Flüchtlingen in Drittstaaten 2 Mrd. € zur Verfügung stelle und weitere 3 Mrd. € für die Türkei in Aussicht genommen sind, wobei seitens der EU hier nur 500 Mio. € beigesteuert werden sollen. Da dies jedoch noch nicht der letzte Stand sei, könne man auch nichts über den konkreten österreichischen Beitrag sagen, bemerkte Faymann. Die harsche Kritik von Pilz hatte sich vor allem auf die mangelnden Beiträge zum World Food Programme bezogen. Alev Korun drängte darauf zu achten, dass die Gelder tatsächlich bei den Schutzsuchenden ankommen und nicht versickern.

EU will im Kampf gegen den Terrorismus enger kooperieren
Kurz wurde auch der Kampf gegen den Terrorismus thematisiert. Die EU strebt hier eine engere Kooperation an, um terroristische Aktivitäten rechtzeitig erkennen zu können. Das bedeutet insbesondere auch die Verfolgung von Finanzströmen. Dazu gebe es innerhalb der EU eine große politische Einigkeit, berichtete der Bundeskanzler. Reinhard Eugen Bösch (F) meinte dazu, dass die Terrorgefahr durch die Massenimmigration noch größer werde und warf in diesem Zusammenhang die offensichtliche Indoktrinierung in manchen islamischen Kindergärten auf.

Sonderfall Großbritannien
Neben der Flüchtlingskrise beschäftigte auch der Kurs von David Cameron in Großbritannien die Abgeordneten. Hauptstoßrichtung der Briten für eine Reform der Union im Vorfeld des britischen Referendums 2017 ist einerseits die Währung. Cameron fordert, nicht nur den Euro, sondern auch andere Währungen zu schützen, und das auch im Vertrag zu verankern. Derzeit sei aber noch nicht klar, so Bundeskanzler Faymann auf Wortmeldungen von Michaela Steinacker (V) und Josef Cap (S), wie sich das rechtlich und politisch umsetzen lässt und welche zusätzlichen Instrumente dafür erforderlich sind. Andererseits geht es den Briten darum zu hinterfragen, ob ArbeitnehmerInnen aus anderen EU-Ländern – weniger jene aus Drittstaaten - die gleichen Leistungen bekommen sollen wie britische StaatsbürgerInnen. Beim kommenden Gipfel wolle man darüber diskutieren, wie man mit den Forderungen umgehen soll, berichtete Faymann, was lediglich in den Bereich des Rosinenpickens gehört und inwieweit man sich auf einen Diskussionsprozess – und keine Vertragsänderung - bis zum Referendum einigen kann.

Der mögliche Austritt Großbritanniens aus der EU wurde im Ausschuss sehr unterschiedlich bewertet. Ein solcher würde die EU wirtschafts- und außenpolitisch schwächen, warnte Außenminister Sebastian Kurz, der Sympathie für einige britische Kritikpunkte zeigte. Dazu gehören etwa die Subsidiarität und die Frage der Sozialleistungsansprüche. Werner Amon (V) meinte dazu, das Referendum sei Realität und biete der EU eine gewisse Chance zur Selbstreflexion. Auch die NEOS sehen durchaus positive Elemente. Ein Ausstieg des Landes ist Christoph Vavrik zufolge aber nicht nur ein großer Verlust, sondern könnte auch seine guten Seiten haben, da sich Großbritannien immer wieder als Bremser in der EU erweise. Er vermutet hinter der Vorgangsweise Camerons auch Erpressungsversuche und meinte, man solle das Land im gegebenen Fall auch gehen lassen.

Die SPÖ teilte diese Auffassung, dass hier ein Erpressungsversuch vorliegt, und konnte im Vorstoß Camerons keine konstruktiven Verbesserungsvorschläge erblicken. Es könne nicht sein, dass ein Land in Bereichen mitentscheidet, wo es nicht mitmacht, meinte Christine Muttonen (S). Für die EU würde der Austritt Großbritanniens mehr politischen Spielraum bringen. Auch Klubobmann Andreas Schieder (S) zeigte kein Verständnis für die Haltung des Inselstaates, denn angesichts der großen Probleme brauche man ein Mehr an Europa.

FPÖ unterstützt Forderungen Camerons
Volle Unterstützung für die Position Großbritanniens kam von den Freiheitlichen. David Cameron greife vieles zurecht auf, betonte Reinhard Eugen Bösch und forderte in einem Antrag auf Stellungnahme die Bundesregierung auf, "in Koordination mit Großbritannien eine Reform der Europäischen Union im Sinne der Rückübertragung überschießender, besser in nationaler Zuständigkeit zu erledigen der Angelegenheiten an die Mitgliedstaaten auszuarbeiten". Auch dieser Antrag blieb in der Minderheit, die FPÖ wurde nur durch das Team Stronach unterstützt.

Ergebnis des Klimaschutzgipfels ist Arbeitsauftrag an EU und an Nationalstaaten
Die Grünen, konkret ihre Umweltsprecherin Christiane Brunner, brachten im Ausschuss auch das Ergebnis der Klimaschutzkonferenz von Paris zur Sprache. Sie zeigte sich erfreut darüber, dass es der Staatengemeinschaft gelungen ist, Problemlösungskompetenz zu zeigen. Mit dem Abkommen sei das Ende der fossilen Energieträger eingeleitet, sagte sie. Um das Ziel zu erreichen, werde nicht nur das Österreichische Parlament tätig werden müssen, sondern auch die EU sei gefordert nachzulegen. Erfreut über die Einigung äußerte sich auch Hannes Weninger (S), der die konkreten Zielsetzungen als wichtige Wegweiser für wirtschaftliche Entwicklung, Innovation und Technologie bezeichnete. Nun sei die EU und jeder einzelne Staat gefragt, meinte auch er. Bundeskanzler Werner Faymann stimmte in diesen positiven Tenor ein, sprach aber die Hoffnung aus, dass das Ganze nicht zu einem Boom der Atomindustrie führt.

Der zu diesem Thema eingebrachte Antrag auf Stellungnahme der Grünen fand jedoch keine Mehrheit. Dafür stimmten nur Grüne und Team Stronach. Brunner fordert darin, das 2020-Klimaziel unverzüglich auf eine 30%ige Reduktion von CO2 anzuheben, da das Ziel von 20% bereits jetzt mit 24% übererfüllt sei. Die EU-Klima- und Energieziele 2030 sollen nach Auffassung der Grünen auf ein Niveau angehoben werden, das im Einklang mit wissenschaftlich notwendigen Reduktionerfordernissen des 1,5-Grad-Ziels sind. Schließlich schlägt Brunner vor, die begonnene Reform des Europäischen Emissionshandelssystems durch eine weitere Herausnahme überschüssiger Zertifikate zu vollenden.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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