"Volkskultur als Dialog. Aufgeführt und vorgeführt"

 

erstellt am
16. 12. 15
11:00 MEZ

Sommerakademie des Österreichischen Volksliedwerks von 24. – 27. August 2016, Gmunden am Traunsee
Gmunden/Wien (vlw) - Der Volkskundler Richard Weiss hatte einmal beschrieben, wie die Fremdverklärung der Schweizer Hirten nach 1800 in Selbstverklärung umgeschlagen sei. Die als Ursuppe der Nation verklärten Hirten veranstalteten dann selbst Umzüge, die ihre Bedeutung thematisierten; mit Käsen, Jodeln, dem kämpferischen Schwingen und anderem mehr. Freilich hatten das Alphirtenfest patrizische Berner angeregt. Der Blick von außen, aufs „Volk“, hatte Volkskultur, Lieder, Trachten und Bräuche in nationale Selbstbilder und dann bald in den frühen Tourismus eingegliedert. Auch in Österreich scheint Volkskultur besonders in touristischen Regionen lebendig und auffällig. Sie wurde und wird in Heimatabenden vorgeführt.

Gebildete Herren wie Konrad Mauthner oder der Baron Spiegl haben im 20. Jahrhundert in der Sommerfrische Volkskultur gesammelt, haben Lieder, Bräuche und Trachten aufgezeichnet. Lehrer taten das, notierten Bemerkenswertes, das zum identitätsproduktiven Markenzeichen werden konnte. Der Tourismus hat Armutsgebiete zu oft blühenden Dienstleistungsregionen gemacht. Tourismus wurde zum Agenten der Modernisierung und nutzte – hochmodern – als Markenzeichen oft die als ‚historisch’ bezeichnete Volkskultur. Viele ihrer Formen würden ohne den Tourismus heute nicht existieren. Auf Volkskultur gegründete Identität funktioniert nicht selbstgenügsam, sondern bedarf der Bühnen, der Zustimmung und des Beifalls der Anderen.

Die Verwertung von ‚Volkskultur’ (der Begriff war um 1900 entstanden) hat sich oft mit dem Postulat der Echtheit gestoßen. Sie sollte vom Kommerz frei sein und sich von Präsentationen auf der Bühne fernhalten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten sich bei den gesellschaftlichen Eliten Mythen einer romantisierten Idee von Volkskultur ausgebildet. Sie sahen die im Volk selbst entstandene Kultur als prinzipielles Gegenstück zur Hochkultur. Volkskultur musste echt, dufte nicht kommerziell sein. ‚Rein’ und nicht ‚verderbt’, sollte sie anders als die Hochkultur nicht zum Geschäftsfeld werden.

Diese Vorstellungen der Intellektuellen hatten und haben mit historischen Praxen nichts zu tun. Für Volkskultur gab es immer Bühnen und in der Regel wurden Musikanten (es gab nur solche) und die Akteure der Bräuche entlohnt. In Stadtrechnungen und anderen Ausgabenbüchern tauchen die Zahlungen als „Reichnisse“ auf. Die wurden nicht nur Berufsmusikern wie den städtischen Türmern als Vergütungen gereicht. Auch andere Musikanten haben ihr Einkommen mit Musik aufgebessert. Häufig waren sie Dienstboten und Knechte. Bauern ließen eher spielen und in Gegenden mit größeren Bauernstellen galt es sogar als unter ihrer Würde, selbst Musik zu machen.

In der Moderne bekommt Volkskultur eine neue Bedeutung und ihre Medienbezogenheit und die Vielfalt der Repräsentationen stößt sich mit den alten Aufführungspraxen und ihren Bildern. Doch ist die Präsentation auf der Bühne keine Einbahnstraße: Bühnenpraktiken halten Einkehr in populäre Präsentationen von Volkskultur und auch die Gegenrichtung funktioniert. Die Folklorismusdebatten des letzten Jahrhunderts (auf sie stößt man immer wieder!) waren bestimmt von der bürgerlichen Idee der Echtheit und Authentizität.

Das führt zu neuen Fragen. Hat sich die Kritik der Aufführung am falschen Ort, zur falschen Zeit und im falschen Kontext verändert? Ist Volkskultur prinzipiell mobil geworden? Wie und wo haben sich Aufführungspraxen wie auch Akteure gewandelt? Wann können neugeschaffene Kontexte als authentisch verstanden werden? Rühren die Anmutungen der Authentizität daher, wenn etwa der Pfeifertag als besonders echte Veranstaltung gilt?

Konkret und weiter gefasst: Was geschieht mit Volkskultur in der Moderne, unter welchen Bedingungen verändern sich Formen der Performanz? Was bedeutet die Verbindung von Techniken des Marketings und / mit Volkskultur? Ist die Bühne als einer der Orte, an denen sie präsentiert wird, gewöhnlich und verwandelt sie sich dadurch in eine neue Gattung, die in starke Institutionen eingebettet, unsere Alltage bestimmt?

Ein weites Feld (Theodor Fontane/Günter Grass), das die gegenwärtige Existenz von Volkskultur und ihre Praxen behandelt.

Die Sommerakademie "Volkskultur als Dialog" wird seit 1992 mit Unterbrechungen abgehalten. Sie ist eine Diskussionsplattform, die sowohl den praktischen als auch den theoretischen Zugang zur Volkskultur zu hinterfragen und zu überprüfen versucht. Ziel dieser jährlichen Veranstaltungsreihe ist es, das breite Betätigungsfeld der Volkskultur zu reflektieren und Brücken zu schlagen zwischen jenen, die Volkskultur leben, und jenen, die sich wissenschaftlich damit beschäftigen. Denn Volkskultur ist ein lebendiger Dialog zur Selbstvergewisserung unserer modernen Lebenswelt. Weitere Informationen zu vergangen Themen finden Sie hier >

Das Österreichische Volksliedwerk lädt ein, Beiträge zur Sommerakademie 2016 bis zum 20. Jänner 2016 vorzuschlagen und bittet um Weitergabe dieser Nachricht an interessierte Personen und Kreise.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.volksliedwerk.at/

 

 

 

 

 

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