Forderung nach EU-Austritt findet
 wenig Widerhall im Parlament

 

erstellt am
27. 01. 16
11:00 MEZ

Verfassungsausschuss schließt Beratungen über Volksbegehren ab
Wien (pk) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats am 26.01. hat seine Beratungen über das EU-Austritts-Volksbegehren ohne konkrete Empfehlung abgeschlossen. Zwar stieß die massive Kritik der InitiatorInnen des Volksbegehrens an der EU zum Teil auf offene Ohren, der Forderung nach einem EU-Austritt wollte sich aber kein Abgeordneter bzw. keine Abgeordnete dezidiert anschließen. Es sei besser, bestehende Probleme gemeinsam mit den anderen EU-Staaten zu lösen, als sich mit einem Austritt aus der Union zu isolieren, meinte etwa SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen stellvertretend für zahlreiche ähnliche Wortmeldungen. Die FPÖ will in der Plenarsitzung vom 27.01. einen Antrag auf Abhaltung einer Volksbefragung einbringen, das Volksbegehren selbst zielt auf die Durchführung einer Volksabstimmung ab.

Wohlmeyer sieht Gefahr eines Atomkriegs in Europa
Heute kamen im Ausschuss, ergänzend zum Expertenhearing im Dezember (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1381/2015), noch zwei von den VertreterInnen des Volksbegehrens nominierte Experten zu Wort, die beide einem EU-Austritt Österreichs das Wort redeten. So zeigte sich etwa der Ökonom Heinrich Wohlmeyer davon überzeugt, dass es Österreich zahlreiche Vorteile brächte, würde das Land der EU den Rücken kehren. Konkret nannte er etwa mehr Spielräume in der Handelspolitik und damit bei der Sicherung von Arbeitsplätzen. Derzeit habe Österreich diesen Bereich vollständig an die EU abgegeben und daher keine Möglichkeiten, Allianzen für faire Handelsbedingungen zu schmieden, die das Land wettbewerbsfähig erhalten, kritisierte er. Durch die Agrarpolitik der EU droht ihm zufolge außerdem die Liquidation der vielfältig wirtschaftenden Klein- und Mittelbetriebe, was die Ernährungssicherheit in Krisenfällen gefährde.

Wohlmeyer warnte überdies vor der Gefahr eines Atomkriegs in Europa. Die EU beteilige sich aktiv an den von den USA betriebenen Eskalationen gegenüber Russland, was ein hohes Risiko eines militärischen Befreiungsschlags Russlands berge, mahnte er. Österreich tue es in diesem Zusammenhang nicht gut, dass es seine Neutralität "de facto weggelegt hat". Wohlmeyer hält die EU auch nicht für reformierbar, schließlich seien alle "Fehlkonstruktionen" mit Verfassungsrang ausgestattet.

Schachtschneider: Wirtschaft Österreichs würde nach EU-Austritt aufblühen
Ähnlich heftig fiel die Kritik an der EU durch den deutschen Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider aus. Der Binnenmarkt und die Währungsunion seien gescheitert, die EU-Mitgliedschaft bringe Österreich viel mehr Nachteile als Vorteile, ist er sich sicher und machte dies unter anderem an der hohen Arbeitslosigkeit durch Produktionsverlagerungen und sinkenden Einkommen breiter Bevölkerungsschichten trotz Wirtschaftswachstums fest. Der Euro und die lockere Geldpolitik der EZB hätten die Probleme zudem noch verschärft, dazu kämen fragwürdige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs.

Schachtschneider ist überzeugt, dass die österreichische Wirtschaft nach einem EU-Austritt aufblühen würde. Gefahr für den Handel und die Exportwirtschaft sieht er nicht, diese seien durch internationale Handelsabkommen gesichert. Auch eine eigene, moderat aufgewertete Währung würde Österreich seiner Einschätzung nach keineswegs schaden. Mit der Einführung einer gemeinsamen Währung habe man einen europäischen Bundesstaat erzwingen wollen, dadurch habe man aber den langjährigen Vertrauensaufbau zwischen den EU-Ländern zerstört, übte auch der Ökonom Wohlmeyer Kritik am Euro.

Ein EU-Austritt hätte laut Schachtschneider darüber hinaus den Vorteil, dass die österreichische Bevölkerung ihre Souveränität wieder frei ausüben könnte. Österreich könnte wieder demokratisch, rechtstaatlich und sozial werden, meinte er. Derzeit gehe das Recht weitgehend nicht mehr vom Volk aus. Das Subsidiaritätsprinzip werde von der EU nicht berücksichtigt. Wenn es politisch opportun sei, pflege die Union überdies Gesetze zu missachten, kritisierte Schachtschneider. Sowohl er als auch Wohlmeyer glauben darüber hinaus, dass Österreich die derzeit unkontrollierte Massenzuwanderung außerhalb der EU leichter in den Griff bekommen würde.

InitiatorInnen des Volksbegehrens pochen auf Volksabstimmung
Anders als beim Expertenhearing im Dezember blieben die ProponentInnen des Volksbegehrens heute bis zum Schluss der Debatte anwesend. Inge Rauscher, Bevollmächtigte des Volksbegehrens, warf der EU in Anlehnung an die Stellungnahme Wohlmeyers gefährliche Großmachtpolitik im Sog der USA und der NATO vor. Diese Politik habe die Flüchtlingsströme mitausgelöst, ist sie überzeugt. Für "volkswirtschaftlich verheerend" hält Rauscher außerdem die Urteile des Europäischen Gerichtshofs, bei einem Austritt aus der EU würde die heimische Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig werden. Zudem könne Österreich wieder eine eigene Währung "anstelle des desaströsen Euro" einführen. Generell machte Rauscher auf die mehr als 260.000 Unterstützungserklärungen für das Volksbegehren aufmerksam, die trotz eines von ihr georteten Informationsboykotts der Medien erreicht werden konnten.

Sowohl Rauscher als auch ihr Stellvertreter Helmut Schramm machten darüber hinaus geltend, dass laut einer IMAS-Umfrage 45% der ÖsterreicherInnen einen EU-Austritt befürworten. Schramm pochte in diesem Sinn auf die Abhaltung einer Volksabstimmung. Die von zahlreichen Ministerien eingeholten Stellungnahmen haben den Mitinitiator des Volksbegehrens nicht überzeugt. Wenn die EU-Mitgliedschaft ein solcher Erfolg wäre wie behauptet, warum sei dann immer weniger Geld für den Sozialstaat da und warum würden die Löhne und Gehälter nicht im selben Ausmaß steigen wie das BIP, fragte er. Zudem kritisierte Schramm, dass Österreich "aufgrund der Zwangsaushöhlung der Neutralität durch die EU" auf der schwarzen Liste des Terrors gelandet sei. Alternativ zum EU-Beitritt regt er eine EFTA-Mitgliedschaft an.

Auch der Volksbegehrens-Proponent Markus Lechner vermisst eine öffentliche Diskussion über die Kosten und die Nutzen der EU-Mitgliedschaft. Seiner Einschätzung nach gleicht das im Raum stehende zusätzliche BIP-Plus von einem halben Prozent die Nachteile der EU nicht aus. Lechner ortet unter anderem eine materielle Aushöhlung des Mittelstands durch die EU-Finanzpolitik. Er drängte außerdem insgesamt auf einen Ausbau der direkten Demokratie in Österreich.

SPÖ und ÖVP für Verbleib Österreichs in der EU
Etliche Kritikpunkte der VertreterInnen des Volksbegehrens wurden zwar von den Abgeordneten geteilt, der Forderung nach einem EU-Austritt wollte sich aber kein Mandatar anschließen. Die EU sei bei weitem das Beste, was Europa für Frieden und Zusammenarbeit geschaffen habe, zeigte sich etwa SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen mit Blick auf die Geschichte überzeugt. Statt sich zu isolieren, müssten bestehende Probleme gemeinsam mit den anderen europäischen Staaten gelöst werden. Die SPÖ sehe die EU nicht als statisches Projekt, sondern als Prozess, den Österreich mitentwickeln müsse. Muttonen machte überdies geltend, dass Sicherheitsfragen nur international zu lösen seien und nationalstaatliche Umweltstandards nichts bringen würden.

Für einen Verbleib Österreichs in der EU machten sich auch Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf (V) und seine Fraktionskollegin Beatrix Karl stark. Es gebe viele Probleme in der EU, räumte Kopf ein, so funktioniere die Solidarität in der Flüchtlingsfrage nicht, zudem wäre es notwendig, sich stärker auf Wesentliches zu konzentrieren, insgesamt sei der europäische Integrationsprozess aber eine 70-jährige Erfolgsgeschichte. Die EU sei auch nicht für die hohe Verschuldung Österreichs verantwortlich, betonte er, "daran sind wir selber schuld". Auch den Strukturwandel in der Wirtschaft habe die EU nicht verursacht, dieser sei ein natürlicher Prozess. Die Schweiz stehe mit ihrer Eigenständigkeit in Summe nicht besser da als Österreich, ist Kopf insgesamt überzeugt. Karl verwies auf zahlreiche Studien, denen zufolge Österreich enorm vom EU-Beitritt sehr profitiert habe.

FPÖ kündigt Antrag auf Volksbefragung an
Seitens der FPÖ kündigte Abgeordneter Harald Stefan einen Antrag seiner Fraktion bei der Plenarsitzung am 27.01. auf Abhaltung einer Volksbefragung über einen EU-Austritt Österreichs an. 261.000 Unterschriften seien aussagekräftig, die große Skepsis der Bevölkerung gegenüber der EU angebracht, argumentierte er. Schließlich sei diese in vielen Bereichen unfähig, Lösungen zu finden, etwa in Bezug auf die Masseneinwanderung. Viele Versprechungen, die den ÖsterreicherInnen vor dem EU-Beitritt gemacht wurden, seien zudem nicht eingetroffen. Für Stefan ist es in diesem Sinn legitim, die Bevölkerung zu fragen.

Kritisch zur EU äußerte sich auch Team-Stronach-Abgeordneter Christoph Hagen. Viele Argumente der Volksbegehrens-BefürworterInnen hätten seine Unterstützung, betonte er. Einem EU-Austritt Österreichs würde er derzeit aber nicht zustimmen, zu viele Fragen seien ungelöst. Als Beispiele nannte Hagen die notwendige Wiedereinführung von Zöllen und Fragen des freien Kapital- und Personenverkehrs. Als ersten Schritt hält er stattdessen eine Umsetzung der vier Forderungen Großbritanniens für sinnvoll.

Grüne für besseren Austausch zwischen Parlament und Bevölkerung
Gegen einen Austritt Österreichs aus der EU wandten sich auch die Grün-Abgeordneten Daniela Musiol und Wolfgang Zinggl, auch wenn sie sich mit der Entwicklung der EU unzufrieden zeigten. Jede Form der nationalen Abschottung könne keine Lösung sein, ist sich Zinggl sicher, es gebe wenige Probleme, die ein einzelner Staat heute noch alleine bewältigen könne. Bei bilateralen Verträgen ziehe meist der Stärkere den Schwächeren über den Tisch. Statt aus der EU auszutreten, solle sich Österreich stärker in die EU einbringen und soziale Aspekte forcieren, schlug Zinggl vor.

Musiol hob vor allem ihr jahrelanges Engagement für die Weiterentwicklung der direkten Demokratie in Österreich hervor. Bisher sei allerdings keine gesetzliche Regelung zustande gekommen, was automatische Volksabstimmungen bzw. Volksbefragungen über qualifiziert unterstützte Volksbegehren betrifft, bedauerte sie. Direkte Demokratie könne parlamentarische Demokratie aber nicht ersetzen, mahnte Musiol, vielmehr müsse man einen besseren Austausch zwischen Parlament und Bevölkerung anstreben.

Eine Volksbefragung über das Anliegen des Volksbegehrens wäre allerdings selbst dann nicht abgehalten worden, wenn das ursprünglich gemeinsam von den Koalitionsparteien und den Grünen geschnürte Demokratiepaket umgesetzt worden wäre. Das Paket sah eine automatische Volksbefragung nur bei Unterstützung eines Volksbegehrens durch 10% der Bevölkerung vor, wie Zweiter Nationalratspräsident Kopf hervorhob.

Kritik am Verhalten der InitiatorInnen des Volksbegehrens übte NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak. Zur politischen Diskussion gehöre es auch dazu, sich die Argumente des Anderen anzuhören und nicht apodiktisch die eigene Meinung für die einzig richtige zu halten, hielt er etwa zum Auszug von Rauscher und Schramm aus der letzten Ausschusssitzung fest. Als Abgeordneter sei er zudem überzeugt, dass er in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat lebe, wies Scherak gleichzeitig überschießende Kritik an der EU zurück und betonte, die Argumente der EU-Gegner hätten ihn nicht überzeugt. Keine der sechs Parlamentsparteien befürworte einen EU-Austritt, glaubt er. Gegen undifferenzierte Beschimpfungen und Unterstellungen gegenüber den Parlamentsparteien durch die InitiatorInnen des Volksbegehrens setzte sich auch Musiol zur Wehr.

EU-Austritts- Volksbegehren erhielt 261.056 Unterschriften
Begründet wird die Forderung nach einer Volksabstimmung über einen EU-Austritt Österreichs von den InitiatorInnen des Volksbegehrens damit, dass so gut wie alle vor dem EU-Beitritt gemachten Versprechungen gebrochen worden seien. Statt eines Aufschwungs sei es in den letzten Jahren zu einer enormen Abwärtsentwicklung Österreichs gekommen, argumentieren die UnterzeichnerInnen mit Verweis auf die hohe Arbeitslosigkeit, die steigende Staatsverschuldung und einen Kaufkraftverlust der breiten Masse. Auch im Bereich der Umwelt und der Landwirtschaft sowie bei den Sozialleistungen orten sie Verschlechterungen, zudem machen sie auf demokratische Defizite der EU aufmerksam. Unterstützt wurde das Volksbegehren ( 781 d.B. ) von 261.056 ÖsterreicherInnen bzw. 4,12% der Wahlberechtigten.

Über die Beratungen im Verfassungsausschuss wird nun ein Bericht erstellt, wie Ausschussobmann Peter Wittmann erklärte. Er wird unter anderem die Stellungnahmen aller angehörten ExpertInnen enthalten, auch die von verschiedenen Ministerien eingeholten Stellungnahmen werden dem Bericht angeschlossen. Das Plenum des Nationalrats wird bereits morgen darüber diskutieren.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.parlament.gv.at

 

 

 

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