Chronischem Schmerz auf der Spur

 

erstellt am
18. 04. 16
11:00 MEZ

Wien (meduni) - Die Neurophysiologin Ruth Drdla-Schutting erforscht mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF die Rolle von Astrozyten bei der Entstehung von chronischem Schmerz. Innovative Gentechnik (DREADDs) soll es ermöglichen, die häufigsten Zellen des Zentralnervensystems gezielt zu behandeln.

Schmerz ist ein wichtiges Schutzsystem des Körpers. Wenn er allerdings chronisch wird, was häufig passiert, hat er jegliche sinnvolle Funktion verloren. Es kommt zu einem sogenannten Schmerzgedächtnis. Dabei werden die Schmerzen zu einer eigenständigen Erkrankung und entkoppeln sich vom ursprünglichen Auslöser. Welche Mechanismen dazu führen, dass der Körper Schmerzreize "speichert", beschäftigt die Wissenschaft angesichts der Zahl der Betroffenen und des komplexen Themas mehr denn je. Die Gen- und Hirnforschung scheint auf einem guten Weg, denn die Ursachen von chronischem Schmerz werden immer klarer. Ruth Drdla-Schutting von der Medizinischen Universität Wien ist eine jener Forscherinnen und Forscher, die immer mehr Antworten auf bisher ungeklärte Fragen finden.

Mechanismen analysieren
Die Neurophysiologin untersucht die zellulären Vorgänge des zentralen Nervensystems dort, wo sich der Schmerz manifestiert. Konkret beschäftigt sich Drdla-Schutting mit der Rolle der Astrozyten. Dieser Zelltyp kommt im Zentralnervensystem am häufigsten vor.
Ein konkreter Mechanismus zur Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses findet an den Kontaktstellen von Nervenzellen im Rückenmark statt. Dieser wird als synaptische Langzeitpotenzierung (LTP) bezeichnet. "Lange Zeit hat man sich bei der Erforschung der LTP nur auf Nervenzellen konzentriert", erklärt Drdla-Schutting. "Wir wissen aber, dass auch Astrozyten bei der synaptischen Übertragung eine Rolle spielen." Erst unlängst konnten Forscherinnen und Forscher aufzeigen, dass Astrozyten bei LTP eine Rolle im Hippocampus spielen –, der Hirnregion, die für Lernen und Gedächtnis wichtig ist. "Dennoch werden die Ergebnisse in der Scientific Community widersprüchlich diskutiert", so Drdla-Schutting und verweist damit darauf, dass die Forschung hier noch ganz am Anfang steht. Noch weniger bekannt sei, so die Forscherin, welche Rolle Astrozyten im Zusammenhang mit Schmerz im Rückenmark haben. "Das liegt vor allem daran, dass uns die Werkzeuge fehlen, diese Zellen selektiv zu blockieren oder zu aktivieren."

Schmerzursachen gezielt bekämpfen
Doch die Fährte stimmt. – Im Tierversuch konnten mit hochdosierten "Zellblockern" chronische Schmerzen teilweise rückgängig gemacht werden. Ruth Drdla-Schutting arbeitet nun daran, Astrozyten gezielt anzugreifen, sprich bei chronischem Schmerz nur diesen Zelltyp zu blockieren. Dadurch sollen bessere Ergebnisse mit weniger Nebenwirkungen erzielt werden. Um solche maßgeschneiderten Experimente durchführen zu können, hat die Wissenschafterin im Rahmen eines Schrödinger-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF bis vor Kurzem an der Universität Paris Descartes im Team der Neurowissenschafterin Cendra Agulhon an einer innovativen Technik aus dem Genlabor geforscht.

Maßgeschneiderte Methoden
Ruth Drdla-Schutting hat in Paris die Anwendung von Astrozyten-spezifischen DREADDs (Designer Receptors Exclusively Acitvated by Designer Drugs) im Rückenmark etabliert. Dabei bedient man sich genetisch veränderter ("designed") Rezeptoren, die als Sensoren auf der Oberfläche von Zellen sitzen und Signale in das Zellinnere weiterleiten. Diese veränderten Rezeptoren funktionieren wie die natürlichen, allerdings mit dem Unterschied, dass sie durch körpereigene Substanzen nicht mehr aktiviert werden können. Stattdessen wird eine Substanz zugeführt (Clozapine-N-Oxid), die die Rezeptoren ganz gezielt aktiviert. DREADDs können grundsätzlich in unterschiedliche Zelltypen, eben auch Astrozyten, eingebracht werden. Als nächsten Schritt untersucht Drdla-Schutting nun, wie sich die Aktivierung von Astrozyten mithilfe der DREADDs auf das Schmerzgedächtnis auswirkt. Erste Untersuchungen laufen gerade am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien.

Hoffnung auf innovative Therapien
Bisher werden die DREADDs nur in der Grundlagenforschung eingesetzt. Die Forschung setzt jedoch hohe Erwartungen in diese neue Technik. Ergebnisse von vorklinischen Studien in Zell- und Tierexperimenten sind vielversprechend. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter erhoffen sich, diese Rezeptoren neben chronischem Schmerz auch gegen Krankheiten wie Epilepsie, Parkinson oder Diabetes einsetzen zu können.

 

 

 

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