Viren als Risikofaktoren für Zöliakie

 

erstellt am
20. 06. 16
11:00 MEZ

Am Ausbruch der Autoimmunerkrankung Zöliakie könnten nicht nur genetische Faktoren, sondern auch bestimmte Virusinfektionen beteiligt sein. Das zeigen Ergebnisse eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF. Risikogruppen könnte künftig eine Impfung gegen Darmviren helfen.
Chikago/Wien (fwf) - Verdauungsbeschwerden, schwere Entzündungsprozesse des Dünndarms, Nährstoffmängel und infolgedessen Blutarmut und Osteoporose zwingen Betroffene der Autoimmunerkrankung Zöliakie eine lebenslange strikte Diät ohne Gluten einzuhalten. Denn das in vielen Getreidearten enthaltene Protein verursacht bei an Zöliakie Erkrankten, dass das eigene Immunsystem den Darm angreift. Bisher steht fest, dass die Fallzahlen in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen sind, und Betroffene ein erhöhtes Risiko für weitere Autoimmunerkrankungen aufweisen. Weniger Klarheit besteht über die Auslöser: Neben genetischen Faktoren wurden zuletzt in der Forschung auch bestimmte Viruserkrankungen mit erhöhtem Auftreten von Zöliakie assoziiert. Grund genug für Reinhard Hinterleitner, diesen möglichen Zusammenhang und Auslösungsprozess näher zu erforschen. Ein eigenes Zöliakie-Forschungslabor an der University of Chicago bot dem österreichischen Zellbiologen im Rahmen eines vom FWF finanzierten Erwin-Schrödinger-Stipendiums dafür die optimalen Bedingungen.

Verdächtige Viren am Tatort Darm
Hinterleitners Untersuchungen im Team der Gastroenterologin Bana Jabri zeigten einen starken Zusammenhang zwischen Darmvirusinfektionen und Zöliakie. Hinterleitner analysierte Proben des Serums und 150 Dünndarmbiopsien von an Zöliakie Erkrankten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe. Das Augenmerk lag auf Darmviren, wie dem Noro-, Rota- oder Reovirus. „Unsere Analyse für das Reovirus zeigte, dass an Zöliakie Erkrankte signifikant mehr Antikörper gegen dieses Virus hatten und diese mit virus-assoziierten Markern in den Biopsien korrelierten. Das bedeutet, dass diese höchstwahrscheinlich ku¨rzlich vergangene oder auch chronische Darmvirusinfektionen hatten“, erläutert Hinterleitner.

Checkpoint Dünndarm
Im weiteren Fokus der Untersuchung stand die Frage nach Ursachen, warum an Zöliakie Erkrankte keine orale Toleranz auf Gluten haben: „Die orale Toleranz bezeichnet die Fähigkeit von spezialisierten Zellen, den dendritischen Zellen, im Dünndarm nur bei schädlichen Eindringlingen die Immunabwehr einzuschalten. Dazu präsentieren die dendritischen Zellen den T-Zellen Gluten-Antigene. Für gewöhnlich lösen diese bei Gluten-Antigenen keine Entzündungsantwort aus. Die dendritischen Zellen von an Zöliakie Erkrankten schlagen hingegen bei Gluten-Proteinen immer Alarm, die T-Zellen, genauer T-Lymphozyten, bekommen somit die falsche Information und reagieren mit einer entzündungsfördernden Antwort“, erläutert Hinterleitner.

Viren als Auslöser von Fehlalarm
Viren können zum Auslöser des langfristigen Fehlalarms werden: „Darmviren bringen den Dünndarm aus dem Gleichgewicht. Die regulatorischen T-Lymphozyten können dadurch in pro-entzu¨ndliche T-Lymphozyten umgewandelt werden“, so Hinterleitner. „Auch die dendritischen Zellen sind durch die Infektion alarmiert. Wenn nun gleichzeitig eine Nahrungsaufnahme von Gluten erfolgt, präsentieren die bereits alarmierten dendritischen Zellen den T-Lymphozyten auch Gluten-Antigene.“ Dabei könne es zu einer falschen Informationsweitergabe kommen: Die T-Lymphozyten reagieren mit einer nicht nur gegen das Virus gerichteten entzündungsfördernden Antwort, sondern auch gegen das Gluten.

Maus & Mensch
Diesen Prozess beobachtete Hinterleitner im genetisch veränderten Zöliakie-Mausmodell: „Bei einer Reovirus-Infektion des Du¨nndarms traten bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme von Gluten a¨hnliche klinische Symptome auf wie bei an Zöliakie Erkrankten.“ Dieses ungünstige Timing könne bei jenen 20 Prozent der Bevölkerung mit den genetischen Voraussetzungen für Zöliakie und insbesondere bei jenen, die auf Virusinfektionen stärker reagieren, zu einem langfristigen Verlust der oralen Toleranz führen.
Kinder als Risikogruppe

Dies könnte auch erklären, dass Kleinkinder, die bereits eine Rotavirus-Infektion hatten, häufiger Zöliakie entwickeln: „Die Erstzufuhr von Gluten bei Kleinkindern, welche orale Toleranz auf Gluten herstellen soll, kann bei einer gleichzeitigen Virusinfektion genau das Gegenteil bewirken“, erläutert Hinterleitner. Eine fru¨hkindliche Impfung gegen Darmviren wie dem Rota- oder Reovirus könnte das Auftreten von Zöliakie in Risikogruppen vermindern. Das FWF-Projekt liefert nicht nur Einblicke in die Entstehung von Zöliakie und Ansätze zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung, sondern auch in Entstehungsprozesse weiterer Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und rheumatoide Arthritis.

Zur Person
Reinhard Hinterleitner hat an der Fachhochschule Wien Molekulare Biotechnologie studiert. Er absolvierte seine Dissertation an der Medizinischen Universität Innsbruck in Molekulare Zellbiologie und Onkologie in der Gruppe von Gottfried Baier am Department für Medizinische Genetik, Molekulare und Klinische Pharmakologie. Derzeit forscht er als Postdoctoral Fellow an der University of Chicago in der Gruppe der Gastroenterologin Bana Jabri am Department of Medicine im Fachbereich Immunologie. Sein Forschungsaufenthalt begann im Zuge eines Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.uchicago.edu
http://www.fwf.ac.at

 

 

 

 

 

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