Die Erste Österreichische Lehrlingsstudie

 

erstellt am
12. 08. 16
11:00 MEZ

Erstmals mit neu entwickelter Lehrlingstypologie – Wie Lehrlinge im Jahr 2016 über ihren Beruf, ihren Ausbildungsbetrieb, über ihre persönliche Zukunft und Politik denken
Wien (tfactory) - Es macht den Eindruck, als wäre die Jugend von heute bestens an den aktuellen Zeitgeist angepasst. Man hört und liest allenthalben von Vertretern einer "Generation Y": individualistisch, flexibel, lernwillig, unkonventionell. Nur hat die Sache einen Haken. Denn das, was die "Generation Y", bei der es sich in Wirklichkeit lediglich um ein kleines, hochqualifiziertes Segment der unter 30jährigen handelt, will, lässt sich nicht so selbstverständlich verallgemeinern, wie das regelmäßig getan wird. So haben etwa deren Vorstellungen vom Arbeitsleben etwa mit denen von Lehrlingen gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil orientiert sich die Mehrheit der Lehrlinge an den Leitwerten einer traditionellen Arbeitswelt: Sicherheit, Stabilität, Kontinuität und eine klare Trennung von Beruf und Privatleben sind für sie von großer Bedeutung. Die zeitgeistigen disruptiven Umstürzler alles Bestehenden sucht man unter Lehrlingen vergeblich. Die Einstellungen eines großen Teils der Lehrlinge sind ganz im Gegenteil unzeitgemäß. Vielleicht liegt darin der Grund warum man sie weitgehendst ignoriert. Das zeigt sich klar in der aktuellen zweiten Welle der von der tfactory Trendagentur in Kooperation mit dem Institut für Jugendkulturforschung durchgeführten "Ersten österreichischen Lehrlingsstudie".

Verschiedene Branchen, verschiedene Lehrlinge
Wenn aber Lehrlinge geradezu als Gegenstück zur "Generation Y" gelten können, was wollen sie wirklich? Hier lohnt sich ein zweiter Blick. Dabei wird man feststellen, dass die Gruppe der Lehrlinge alles andere als homogen ist. Ausgehend von den Erlebnissen der zweiten Welle der "Ersten österreichischen Lehrlingsstudie" wurde eine Typologie entwickelt. Diese differenziert nach Sparten zwischen fünf idealtypischen Lehrlingsgruppen, die sich nicht nur in Hinblick auf ihre Vorstellungen vom Arbeitsleben, sondern auch was die Freizeitkultur betrifft, mitunter sehr deutlich voneinander unterscheiden. Auch darin, was sie sich vom idealen Arbeitgeber und vom idealen Ausbildner erwarten, sind sich diese Typen keineswegs einig. Konkret wird zwischen Lehrlingen aus den Sparten Handel, Industrie, Gewerbe und Handwerk, Tourismus und Freizeitwirtschaft und der überbetrieblichen Lehrausbildung differenziert. Empirische Grundlage der Typologie bildet eine repräsentative Umfrage unter Lehrlingen (Stichprobengröße von n=500) sowie eine Reihe von qualitativen Interviews mit Angehörigen der Zielgruppe.

All equal - all different: Die moderne Lehrlingstypologie
Im Rahmen der Studie wurde zum ersten Mal eine Österreichische Lehrlingstypologie nach Ausbildungsbranchen erarbeitet. Folgende Typen werden beschrieben:
DIE KONVENTIONALISTEN (Handelsangestellte)
DIE ABENTEURER (Freizeitwirtschaft & Tourismus)
DIE HEDONISTEN (Gewerbe & Handwerk)
DIE RATIONALISTEN (Industrie)
DIE ENTKOPPELTEN (Überbetriebliche Lehre)

Im Folgenden wird beispielhaft ein solcher Idealtypus, jener der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung, vorgestellt.

Lehrling der überbetrieblichen Lehrausbildung: DIE ENTKOPPELTEN
Diese Lehrlinge fühlen sich in der Regel minderwertig gegenüber den "vollwertigen" Lehrlingen. Die "regulären" Lehrlinge sehen in der Regel auf sie herab: Sie leiden darunter, dass sie wenig Ansehen genießen und auch eine geringere finanzielle Gratifikation bekommen.

Ihr Berufsweg ist in den seltensten Fällen selbst gewählt. Sie werden vom AMS häufig dorthin dirigiert, wo es ein Ausbildungsangebot gibt. Dadurch ist die Identifikation mit dem Berufsfeld, in dem sie ausgebildet werden, relativ gering. Schaffen sie über lange Zeit nicht den Sprung in eine reguläre Lehrausbildung, verdüstert sich die Lebensperspektive und die Stimmung. Man steht der Zukunft und der Ausbildung immer gleichgültiger und emotionslos gegenüber.

Politisch tendiert die Gruppe zum Rechtspopulismus. Die Elitenkritik ist relativ stark ausgeprägt. Politiker genießen unter den Entkoppelten kaum mehr Glaubwürdigkeit.

Lehrlingstypologie: Die Entkoppelten
Die Identität der Jugendlichen wird in der Freizeit konstituiert. Über die Leistung im Beruf glauben sie nicht zu Ansehen und Anerkennung zu gelangen. Sie haben die ihnen gesellschaftlich zugewiesene Verliererrolle angenommen und internalisiert.An die Lösung ihrer Misere durch Leistung und Engagement glauben sie nicht mehr. Eine Wende in ihrem Leben erhoffen sie sich durch das Eintreten eines glücklichen Zufalls. Wichtig ist ihnen bei Produkten und beim Ausbildungsbetrieb das, warüber sie selbst kaum verfügen, ein hoher Statuswert. Man findet Red Bull super und bezeichnet den Betrieb als Traumarbeitgeber, tatsächlich schätzt man aber den kleinen Betrieb mit wenigen Arbeitnehmern, weil man sich dort mehr Harmonie und persönliches Entgegenkommen erwartet.

Körperliches Erscheinungsbild und das Aussehen generell ist für die Selbstachtung der Entkoppelten extrem wichtig. Anerkennung, die man über Bildung und Berufsleistung nicht erringen kann, versucht man durch die Inszenierung der Körperästhetik zu kompensieren.

Rolle des Ausbildners: Gefragt ist hier die verständnisvolle Vater- oder Mutterfigur. Die Entkoppelten brauchen eine Leitfigur, die Sicherheit vermittelt. Zumindest genauso wichtig wie die Sachebene ist die Beziehungsebene. Mit Kritik sollte sich der Ausbildner zurückhalten oder sie so verpacken, dass sie für den Lehrling auch annehmbar ist. Wird Kritik zu direkt formuliert, droht der unmittelbare Abbruch der Ausbildung.

Pädagogischer Stil: Verständnisvolles Handeln ist zentral: Fingerspitzengefühl hat große Relevanz. Die persönliche Lebenslage der Lehrlinge ist täglich zu eruieren, Einsicht in die privaten Angelegenheiten ist wichtig. Es geht darum, eine offene Gesprächssituation herzustellen, die die Lehrlinge dazu animiert, über private Dinge zu sprechen, um derart ein Frühwarnsystem zu installieren, das die immer wieder eintretenden privaten Problemsituationen rechtzeitig erkennen lässt, um den Führungsstil der Ausbildner entsprechend an die Vorkommnisse anpassen zu können. Wichtig erscheint es, die pädagogische Ausbildung der Ausbildner zu verbessern. Nützlich ist es, über eine Zusatzausbildung im Jugendcoaching, systemischen Coaching oder ähnlichen Qualifikstionsfeldern zu verfügen.

Das Studiendesign
Persönliche face-to-face Interviews (hochwertigste Erhebungsmethode!); Stichprobe: n=500, geschichtet nach Region, Geschlecht und Branchen

 

 

 

Allgemeine Informationen:
Weitere Informationen:
http://www.tfactory.com

 

 

 

 

 

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