Gareth Kennedy. Die unbequeme Wissenschaft

 

erstellt am
14. 10. 16
11:00 MEZ

Von 14.10.2016 bis 29.1.2017 im Tiroler Volkskunstmuseum
Innsbruck (tlm) - Die Dokumentation von Volkskultur in Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg war geprägt von ideologisch geleiteten Wissenschaftlern. Der irische Künstler Gareth Kennedy erkundet dieses diskussionsreiche Kapitel der Ethnografie in Südtirol. Mit künstlerischen Mitteln stellt er im Tiroler Volkskunstmuseum unbequeme Fragen zur Instrumentalisierung von Volkskultur.

Das deutschsprachige, nach dem Ersten Weltkrieg von Italien annektierte Gebiet Südtirol wurde im Zuge des Faschismus und Nationalsozialismus zu einem Mittelpunkt ideologisch geleiteter Wissenschaften. Mit dem Hitler-Mussolini-Abkommen wurde die deutschsprachige Bevölkerung in Südtirol vor die Wahl gestellt. Entweder sie verließ ihre Heimat oder blieb und setzte sich sprachlicher und kultureller Unterdrückung und der Italianisierung aus. „Gareth Kennedy schafft es durch ausführliche Recherche und seinen persönlichen Blick auf die Vorkommnisse, dieses heikle Thema der Südtiroler Geschichte aufzubereiten und auf ästhetische Art zugänglich zu machen“, betont PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, und fährt fort: „Dieses Kunstprojekt verdeutlicht, dass das Tiroler Volkskunstmuseum nicht nur ein Ort für ethnografisch ausgerichtete Ausstellungen, sondern auch für künstlerische Interventionen und Diskussionsforen offen ist.“

Ideologisch geprägte Forschung
Italienische Geografen sowie österreichische Ethnologen waren damals bestrebt, die „wahren Ursprünge“ von Kultur und Bevölkerung in Südtirol zu dokumentieren. Dieser Teil der Geschichte beginnt mit Ettore Tolomei, dem Leiter des Commissariato Lingua e Cultura per l‘Alto Adige. Der faschistische Senator war u. a. für das 32-Punkte-Programm zur Italianisierung Südtirols verantwortlich. Konträr arbeitete die Südtiroler Kulturkommission im Auftrag des SS-Ahnenerbes zwischen 1940 und 1943, die das „Deutschtum“ Südtirols dokumentieren sollte.

Diese Instrumentalisierung von Folklore löst unter WissenschaftlerInnen auch heute noch heftige Diskussionen aus. „Die Debatten sind Teil des Konzepts von Gareth Kennedy und veranlassen ihn, auf kreative Weise unbequeme und tabuisierte Fragen zu stellen“, betont Mag. Karl C. Berger, Leiter des Tiroler Volkskunstmuseum, und ergänzt: „Die Präsentation im Volkskunstmuseum erfolgt in Kooperation mit dem Künstlerhaus Büchsenhausen. Der Künstler setzt hierfür seine 2014 in Bozen begonnene Forschung fort.“

Inszenierte Volkskunde
Im Auftrag der ar/ge kunst in Bozen recherchierte Kennedy 2014 in einem einjährigen Forschungsprojekt zu diesem heiklen Teil der Südtiroler Vergangenheit. Er traf WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen, aber auch Handwerker und Maskenschnitzer, um die zeithistorischen Ereignisse besser zu verstehen. Ein großes Untersuchungsfeld sah Kennedy in der Südtiroler Kulturkommission. In einer groß angelegten Feldforschung dokumentierte die Kulturkommission penibel die materiellen Güter sowie Sprach-, Musik- und Volksbräuche der Bevölkerung. Ihre Kultur sollte erhalten und „gesäubert“ und nach der geplanten Umsiedelung in besetzte Gebiete Osteuropas wieder zugänglich gemacht werden.

Holzmasken als Requisiten zur Darstellung der kontroversen Geschichte
Kennedy will mit seiner „Unbequemen Wissenschaft“ Rituale und Traditionen Südtirols nicht primär ethnografisch, sondern in einem ästhetischen Sinn erfassen und neue Assoziationen in Gang setzen. Nach Besuchen von Archiven und Museen in Bozen, Innsbruck und Wien definierte Kennedy für sein Projekt fünf Persönlichkeiten, die für die anthropologische Wissenschaft in Tirol in der Zeit von Bedeutung waren: Bronislaw Malinowski (1884–1942), Alfred Quellmalz (1899–1979), Arthur Scheler (1911–1981), Ettore Tolomei (1865–1952) und Richard Wolfram (1901–1995). Diese Personen wollte Kennedy in Form von Holzmasken in der Ausstellung präsent machen. Dafür beauftragte er fünf Holzschnitzer aus Südtirol, deren Arbeit er im Hinblick auf die damaligen Dokumentationsmethoden auf 16 mm Filmen festhielt.

Volksmusik und Bräuche in Ton und Bild
Alfred Quellmalz war ein deutscher Musikwissenschaftler. Im Auftrag der Kulturkommission sammelte er von 1940 bis 1942 Volksmusik in Südtirol. Kennedy greift für sein Kunstprojekt auf Originalaufnahmen aus der Quellmalz-Sammlung zurück. Ein wesentlicher Exponent der Forschungsgemeinschaft SS-Ahnenerbe war der österreichische Volkskundler Richard Wolfram, der von 1939 bis 1943 die Südtiroler Kulturkommission leitete. Er organisierte, inszenierte und dokumentierte Aspekte „volksdeutschen“ Kulturguts in Filmen. In der Ausstellung zu sehen sind Filme von Wolfram, die z. B. den Almabtrieb und Rasierertanz in Layen oder eine Hochzeit in Gröden festhalten.

Unterschiedliche Positionen
Große Bedeutung misst Kennedy dem Fotografen Arthur Scheler bei, der eigenständig Aspekte der Tiroler Kultur dokumentierte, ehe er 1938 aus Südtirol floh. Kennedy präsentiert dessen Artikel, der 1940 in der Zeitschrift Germanien des SS-Ahnenerbes erschien. Scheler unterstützt darin die Idee, dass die Heimat an einem anderen Ort neu erfunden werden könne.

Ideologisch geleitete Forschungen betrachtete der polnische Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski hingegen besonders kritisch. Gegen Ende der 1930er Jahre hielt er in den USA eine Vortragsreihe mit dem Titel „Nazism as Modern Magic“ ab. Der europäischen Ethnologie attestierte er eine Distanzlosigkeit zu Faschismus und Ideologie.

Neue Masken für das Volkskunstmuseum
Den fünf Holzmasken, die Kennedy bereits 2014 in Bozen zeigte, stellt der irische Künstler für seine Präsentation im Volkskunstmuseum zwei weitere hinzu: Josef Ringler (1893–1973) und Gertrud Pesendorfer (1895–1982). Ersterer war von 1928 bis 1938 und von 1945 bis 1959 Direktor des Tiroler Volkskunstmuseum. Unter den Nationalsozialisten wurde er seines Amts enthoben, aber dann von der Südtiroler Kulturkommission beauftragt, in der Arbeitsgruppe Museen, Kunstschätze, plastische Kunst und Volkskunst mitzuarbeiten – unter der Auflage, sich „von der klerikalen Opposition“ fernzuhalten.

Gertrud Pesendorfer war von 1939 bis 1945 Leiterin des Tiroler Volkskunstmuseum und der Mittelstelle Deutsche Tracht unter der Schirmherrschaft der NS-Reichsfrauenschaft. Unter ihrer Führung wurde das Volkskunstmuseum ein Zentrum für die Erforschung, Sammlung, Dokumentation und Erneuerung von Volkstrachten aus dem gesamten deutschen Sprachraum. Kennedy zeigt in seiner Installation u. a. Fotos von Pesendorfer und ihrem Team bei der Arbeit im Museum sowie 20 Südtiroler Hüte, die von der Museumsleiterin 1943 in Auftrag gegeben und angekauft worden waren.

In Korrespondenz zur Schausammlung
Kennedy positioniert seine Kunstinstallation im Volkskunstmuseum im Bereich jener drei gotischen Stuben, die aus Südtirol stammen. Er knüpft hier an die Stube als Zentrum des häuslichen Lebens an. Zugleich sieht Kennedy die Stube als idealen Ort, um Fragen zur Erfindung von Tradition zu stellen. Ganz in diesem Sinne werden diese Stuben in seiner „Unbequemen Wissenschaft“ zu einer Bühne und Diskussionsplattform.

Stuben-Forum am 15. Oktober 2016
Am Samstag, 15. Oktober 2016, 14 Uhr, diskutieren WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Disziplinen in Kennedys „Stuben-Forum“ über Tradition, Instrumentalisierung von Volkskultur und das dunkle Kapitel der Geschichte Südtirols. Neben dem Ethnologen James R. Dow (ehemals Iowa State University, USA), dem Visualanthropologen Franz J. Haller (u. a. Filmproduzent zur Ethnografie und Zeitgeschichte Südtirols), den Volkskundlern Karl C. Berger (Tiroler Volkskunstmuseum) und Reinhard Bodner (Tiroler Volkskunstmuseum) bereichern der Musikwissenschaftler Thomas Nußbaumer (Universität Mozarteum Salzburg), der Historiker Hannes Obermair (u. a. Ausstellung „BZ '18-'45: ein Denkmal, eine Stadt, zwei Diktaturen“, Bozen) sowie die Kuratorinnen Heidi Schatzl (u. a. für Oberösterreichische Landesmuseen) und Helena Pereña (Tiroler Landesmuseen) mit ihren Ausführungen das „Stuben-Forum“. Moderiert wird die Veranstaltung von Andrei Siclodi, Direktor des Künstlerhaus Büchsenhausen.

Zum Künstler Gareth Kennedy
In seiner Arbeit befasst sich Kennedy mit der gesellschaftlichen Funktion des Handwerklichen im 21. Jahrhundert und der Erfindung von Traditionen. Er ist Lektor für Bildhauerei und Erweiterte künstlerische Ausdrucksformen am National College of Art and Design in Dublin. Zusammen mit Sarah Browne, mit der er die Künstlergemeinschaft Kennedy Browne bildet, vertrat er 2009 Irland auf der Biennale in Venedig.

„Die unbequeme Wissenschaft“ hat ihren Ursprung in einer Auftragsarbeit von ar/ge Kunst in Bozen und wird im Tiroler Volkskunstmuseum in Kooperation mit dem Künstlerhaus Büchsenhausen durchgeführt. Das Ausstellungsdesign stammt vom Meraner Harry Thaler.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.tiroler-landesmuseen.at

 

 

 

 

 

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