Leitl zu "Öxit": Österreich könnte bis
zu 150.000 Arbeitsplätze verlieren

 

erstellt am
16. 11. 16
10:00 MEZ

Studie des WPZ zu „Österreich in der EU oder Öxit?“ – 7 Prozent Wohlstandsgewinn durch EU – Professor Keuschnigg: „EU-Rendite für Österreich ist phänomenal“
Wien (pwk) - Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien hat die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) beim Wirtschaftspolitischen Zentrum (WPZ) in Wien eine Studie zur Frage „Österreich in der EU oder Öxit?“ in Auftrag gegeben. Inhaltlich geht es darum, die Vor-und Nachteile der EU-Mitgliedschaft auf den Tisch zu legen und die Folgen eines Austrittsszenarios zu bewerten – „auch dann, wenn derzeit keine im Nationalrat vertretene Parteien einem EU-Austritt das Wort redet“, so WKÖ-Präsident Christoph Leitl. Sehr Besorgnis erregend sei aber zum Beispiel eine aktuelle Sora-Jugendumfrage, wonach die Bereitschaft zu einem EU-Austritt unter Österreichs Jugend mit einer Zustimmungsrate von 28 Prozent deutlich stärker ausgeprägt ist als in anderen Ländern, etwa in Deutschland, wo das nur 11 Prozent wollen. „Diese doch beträchtliche Austrittsbereitschaft darf man nicht verdrängen. Vielmehr muss man mit Fakten jene, die sich einen Austritt vorstellen können, zum Nachdenken bringen – und zwar vorher, nicht nachher wie in Großbritannien, wo die Wirtschaft nach dem Brexit-Votum nun in ein Tal der Tränen läuft.“

„Österreich könnte bei einem EU-Austritt bis zu 150.000 Arbeitsplätze verlieren. Ein Öxit wäre ein schwerer Rückschlag für den Standort, er würde zu geringeren Lohnsteigerungen führen und einen Einkommensverlust von 7 Prozent des BIP bedeuten“, warnt Leitl mit Verweis auf die Ergebnisse der WPZ-Studie. Gemäß der Faustregel, wonach 1 Prozent BIP-Plus Steuereinnahmen von 1,5 Mrd. Euro nach sich zieht, wäre überdies auch ein öffentlicher Einnahmenentfall von rund 10 Milliarden Euro zu bedecken. Davon abgesehen gingen die Folgen eines Öxit weit über Österreich hinaus, warnt Leitl: „In den USA gilt nach dem Wahlsieg von Donald Trump ‚America first‘, Präsident Erdogan will die Türkei zu einer regionalen Hegemonialmacht ausbauen, Präsident Putin Russland wieder stark machen. Und wir wollen Europa schwächen? Was wir jetzt brauchen, ist eine Stärkung Europas, ist die Weiterentwicklung der Europäischen Union, damit wir angesichts der Herausforderungen in der Welt wieder handlungsfähig sind und die Globalisierung mitgestalten können.“

„Selbst bei einer egoistischen und rein nationalen Sichtweise hat die EU Österreich eine phänomenale Rendite gebracht. Den Nettozahlungen von 0,4 Prozent des BIP steht ein langjähriger Wohlstandsgewinn von 7 Prozent, also des 19-fachen gegenüber. Anders gesagt: Ohne EU-Beitritt wären wir heute um 7 Prozent ärmer, wäre die österreichische Wirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Durchschnitt jedes Jahr um 0,5 Prozent weniger gewachsen, als dies der Fall war“, betont Professor Christian Keuschnigg vom WPZ. Der EU-Beitritt habe den innovativen Exportunternehmen leichteren Zugang zum großen EU-Binnenmarkt ermöglicht und ihr Wachstum gestärkt. Er habe den Wettbewerb belebt, die Preise reduziert und damit die reale Kaufkraft gestärkt. Und der ungehinderte Zugang zum Binnenmarkt hat Direktinvestitionen multinationaler Unternehmen begünstigt, die sich seit 1995 fast verfünffacht haben. Keuschnigg: „Multinationale Unternehmen kommen nicht zu uns, weil Österreich so ein riesiger Markt wäre, sondern weil sie andere Standortvorteile nutzen und dann wieder in den EU-Markt und andere Märkte exportieren wollen.“ Für etwa 28 % der Direktinvestitionen sei die EU-Mitgliedschaft ausschlaggebend.

Ausländische Töchter machen in Österreich nur 3,2 % aller Unternehmen aus, stellen jedoch mit 566.000 Personen ein Fünftel der Beschäftigten, erwirtschaften ein Drittel (34,5 %) der Umsatzerlöse und mehr als ein Viertel (26,2 %) der Wertschöpfung.

„Ein Öxit würde die Umkehrung all dessen bedeuten, was die EU Österreich gebracht hat“, warnt Keuschnigg, wobei das Ausmaß der negativen Konsequenzen je nach Szenario unterschiedlich stark ausfallen würde: bei einem „hard Öxit“, also einer Zurückstufung Österreichs als EU-Drittland würde der Einkommensverluste langfristig, d.h. binnen etwa zehn Jahren, den gesamten Wohlstandsgewinn (7 Prozent des BIP) wieder zunichte gemacht werden, bei einer Kooperation etwa im Form eines Europäischen Wirtschaftsraumes würde sich der BIP-Verlust auf 1-2 Prozent des BIP belaufen. Klar sei aber: „Ein Öxit ist unweigerlich mit einem Austritt aus der Eurozone verbunden. Dann würden wir wieder das tun müssen, was wir vor dem Euro getan haben: uns strikt an Deutschland orientieren und etwa die Geldpolitik anderer ‚passiv nachvollziehen‘. Wir hätten de facto nicht an Autonomie gewonnen, sondern verloren.“

Einig waren sich Leitl und Keuschnigg, dass die EU angesichts der bestehenden Herausforderungen und unterschiedlichen Interessen der EU-Mitgliedstaaten weiterentwickelt werden müsse und Österreich sich hier für eine zukunftsorientierte Europastrategie einsetzen solle. So erfordere eine Währungsunion eine sehr viel tiefere Integration, weshalb die Eurozone den Kern der EU ausmachen und die Integration weiter vorantreiben müsse. Dem gegenüber sollte ein reformierter Europäischer Wirtschaftsraum für jene Mitgliedstaaten stehen, die nur eine wirtschaftliche Integration anstreben.

WKÖ-Präsident Leitl abschließend: „Wann, wenn nicht jetzt muss die Europäische Union sich weiterentwickeln, um den wirtschaftlichen wie politischen Herausforderungen – ob in der Globalisierung oder angesichts der vielen politischen Konflikte in der Welt – begegnen zu können.“

 

 

 

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