Eine Zukunft für die Vergangenheit

 

erstellt am
08. 02. 17
13:00 MEZ

Neuzugänge aus der Sammlung Herbert Exenberger – Sonderschau im Dachgeschoß im Waschsalon Karl-Marx-Hof
Wien (gamuekl) - Am 8. Oktober 2009 verstarb der langjährige Bibliothekar des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und Autor zahlreicher Publikationen, Prof. Herbert Exenberger. Exenberger, der sich auch im Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen engagierte, war auch privat ein Sammler und Bewahrer. Seine Witwe, Sigrid Exenberger-Bernthaler, überließ nun dem Waschsalon Karl-Marx-Hof einige Objekte als Dauerleihgaben. Diese Neuzugänge werden bis Ende des Jahres als Konvolut im Dachgeschoß des Waschsalons ausgestellt.

Zu sehen sind Büsten, seltene Abzeichen, Mitgliedsausweise, Fotos, Streuzettel und Gedenkpostkarten aus der Ersten Republik.

Herbert Exenberger, geboren am 14.8.1943, erlernte zunächst den Beruf des Elektromechanikers. Über den zweiten Bildungsweg absolvierte er die Prüfung für Volksbibliothekare und wurde Leiter einer Zweigstelle der Wiener Städtischen Büchereien. Von 1970 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 war er Bibliothekar des DÖW, wo er die dortige Bibliothek ausbaute. In seinen zahlreichen Publikationen setzte sich Herbert Exenberger mit der Geschichte der NS-Opfer auseinander, daneben hielt Exenberger zahlreiche Vorträge im Bereich der Volks- und Erwachsenenbildung und gestaltete zeitgeschichtliche Ausstellungen. Er gehörte seit der Gründung dem Vorstand des Restituta-Forums an und war maßgeblich an der Gestaltung der Restituta-Dokumentation "Glaube gegen NS-Gewalt" im Wiener Hartmannspital beteiligt. Bis zuletzt war Herbert Exenberger auch ehrenamtlicher Mitarbeiter des Bezirksmuseums Simmering.

Herbert Exenberger wurde für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. Unter anderem erhielt er den Victor-Adler-Staatspreis, das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien und posthum das Goldene Ehrenzeichen des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. 2011 wurde eine Verkehrsfläche auf den ehemaligen Mautner-Markhof-Gründen in Exenbergerweg benannt.

Der Karl-Marx-Hof
wurde nach Plänen des Otto-Wagner-Schülers Karl Ehn als Musterbeispiel eines monumentalen "Superblocks" errichtet. Baubeginn war im Oktober 1926, die offizielle Eröffnung fand am 12. Oktober 1930 statt.

Ursprünglich gab es im Karl-Marx-Hof 1.382 Wohnungen für etwa 5.000 Menschen.
Heute sind es durch Zusammenlegungen noch 1.272 Wohnungen.

Der Karl-Marx-Hof verfügte von Beginn an über zwei Zentralwäschereien mit 62 Waschständen, zwei Bäder mit 20 Wannen und 30 Brausen, zwei Kindergärten, eine Zahnklinik, eine Mutterberatungsstelle, eine Bibliothek und ein Jugendheim, ferner über ein eigenes Postamt, eine Krankenkasse mit Ambulatorium, eine Apotheke und 25 Geschäftslokale. Auch die 1929 gegründete und vom Architekten Ernst Lichtblau geleitete "Beratungsstelle für Inneneinrichtung und Wohnungshygiene" hatte hier ihren Sitz.

Im Februar 1934 war der Karl-Marx-Hof ein Zentrum des Widerstandes gegen den Austrofaschismus.

Nach der Niederlage der Sozialdemokratie wurde die Anlage in "Heiligenstädter Hof" umbenannt, ein Name, den auch die Nationalsozialisten beibehielten.

Am 1. Mai 2010 wurde im Waschsalon Nr. 2 in der Halteraugasse 7, wo im Erdgeschoß nach wie vor Wäsche gewaschen wird, eine Dauerausstellung zur Geschichte des Roten Wien eröffnet. Im ersten Stock und im Dachgeschoß des denkmalgeschützten Gebäudes erfahren die BesucherInnen alles über das Rote Wien der Ersten Republik.

   

DAS ROTE WIEN
ist ein einzigartiges gesellschaftspolitisches Experiment, das sämtliche Lebensbereiche
der Menschen umfasste - von der Sozial- und Gesundheitspolitik über das Bildungswesen
bis zum sozialen Wohnbau.

Im Wohlfahrts- und Gesundheitswesen war es der engagierte Arzt und Stadtrat Julius Tandler, der erkannte, dass die Ursachen vieler Erkrankungen und gesellschaftlicher Missstände in den sozialen Verhältnissen liegen. Auf seine Initiative hin entstand ein dichtes Netz von Kindergärten und Horten, von Schulzahnkliniken und Mutterberatungsstellen. "Was wir auf Jugendhorte verwenden, ersparen wir an Gefängnissen. Was wir in der Schwangeren- und in der Säuglingsfürsorge ausgeben, ersparen wir an Irrenanstalten." (Julius Tandler)

Im Bereich der Bildung öffnete Otto Glöckel den Frauen den freien Zugang zu den Universitäten und startete die "Wiener Schulreform", die die unterschiedlichsten Strömungen der fortschrittlichen Pädagogik dieser Zeit vereinte.

Auch die Schaffung neuer Erholungs- und Freizeiträume war integraler Bestandteil des Konzepts der sozialdemokratischen Stadtverwaltung. Zur sportlichen Betätigung der Bevölkerung wurden neue Spiel- und Turnplätze eingerichtet, und anlässlich der Zweiten Arbeiterolympiade 1931 wurde das Praterstadion erbaut.

Die größte Errungenschaft des Roten Wien war jedoch der kommunale Wohnbau. Insgesamt wurden in knapp 10 Jahren über 380 Gemeindebauten mit mehr als 64.000 Wohnungen errichtet, manche davon als regelrechte "Stadt in der Stadt" mit eigener Infrastruktur. Als Teil dieser Gemeinschaftseinrichtungen entstanden in den neu errichteten Gemeindebauten auch zahlreiche Arbeiterbüchereien.1932 etwa wurden in den rund 60 Arbeiterbüchereien mehr als zwei Millionen Entlehnungen registriert.

Parallel zur kommunalen Wohnbautätigkeit entwickelte die sozialdemokratische Stadtverwaltung ein Bäderkonzept, das erstmals auch den hygienischen Erfordernissen einer Millionenmetropole Rechnung trug. Von 1919 bis 1929 entstanden - meist im Verbund mit großen Wohnhausanlagen - 25 neue Badeanstalten.

Die finanzielle Grundlage für all diese Vorhaben schuf Finanzstadtrat Hugo Breitner mit einem neuen, sozial gestaffelten Steuersystem, einer zweckgewidmeten Wohnbausteuer und diversen Luxusabgaben.

"Die Betriebskosten der Schulzahnkliniken liefern die vier größten Wiener Konditoreien [...]. Die Schulärzte zahlt die Nahrungsmittelabgabe des Sacher. Die gleiche Abgabe vom Grand-Hotel, Hotel Bristol und Imperial liefert die Aufwendungen für die Kinderfreibäder. Das städtische Entbindungsheim wurde aus den Steuern der Stundenhotels erbaut und seine Betriebskosten deckt der Jockey-Klub mit den Steuern aus den Pferderennen." (Hugo Breitner)

Die Dauerausstellung "Das Rote Wien im Waschsalon Karl-Marx-Hof" widmet sich
dieser aufregenden Epoche in der Geschichte unserer Stadt.

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.dasrotewien.at

 

 

 

 

 

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