Neues aus der Organoid-Forschung

 

erstellt am
11. 05. 17
13:00 MEZ

Dank einheitlichem “Gehirn-Bausatz” den Ursachen von Epilepsie auf der Spur
Wien (imba) - Forscher am IMBA (Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften) konnten in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Methods eine neuartige Methode beschreiben, um dreidimensionale Gehirnmodelle aus Stammzellen- sogenannte cerebrale Organoide- noch gezielter für die Erforschung von neurologischen Krankheiten einsetzen zu können. Anhand eines systematischen „Gehirn-Bausatzes“ könnten nun Fehler in der Entwicklung menschlicher Hirnareale und defekte Schnittstellen, die neurologische Erkrankungen wie Epilepsien, Schizophrenie und das Autismus-Spektrum auslösen, leichter gefunden werden.

Jürgen Knoblich, Forschungsgruppenleiter und stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am IMBA, gelang es bereits 2013 in seinem Labor, dreidimensionale Gehirnmodelle aus menschlichen Stammzellen wachsen zu lassen. Die Gehirn- Organoide sorgten weltweit für Aufsehen, denn sie können Teilbereiche der komplexen menschlichen Gehirnentwicklung unglaublich präzise wiedergeben. Seit einigen Jahren arbeitet Knoblichs Labor intensiv daran, die Organoide zu „vereinheitlichen“, um diese Technologie noch gezielter für die Erforschung von neurologischen Erkrankungen einsetzen zu können.

„In unserer Publikation beschreiben wir, wie wir das Wachstum und die genaue neuronale Identität der Organoide systematisch kontrollieren können, um genau die Bereiche des menschlichen Gehirns wachsen zu lassen, deren Interaktionen wir beobachten wollen. In unserem Fall lassen wir zwei ‚Baublöcke‘ des Großhirns, nämlich den dorsalen und den ventralen Teil, zusammenwachsen und können „live“ beobachten, wie die beiden Regionen miteinander interagieren, “ erklärt Erstautor Joshua Bagley, der Postdoktorand am IMBA ist.

Interneurone: Nervenzellen auf Wanderschaft
Für die richtige Verarbeitung von Reizen im Gehirn spielen sogenannte Interneurone eine wesentliche Rolle. Diese besonderen Nervenzellen wirken inhibitorisch, also „dämpfend“, auf die Aktivität der Neurone in ihrer Umgebung und stellen sicher, dass diese nicht übermäßig viele elektrische Signale abfeuern. Gerade Erkrankungen wie Epilepsie und Schizophrenie stehen mit Fehlfunktionen dieser regulatorischen Nervenzellen in Zusammenhang. Im Laufe der Gehirnentwicklung entstehen Interneurone in einem Teilbereich des menschlichen Gehirns und wandern über eine weite Strecke an ihren richtigen Platz. Dabei orientieren sie sich anhand von chemischen Signalen. Sind diese gestört, kommen nicht genug Interneurone in ihrer Zielregion an und können darum ihre regulatorischen Funktionen nicht ausreichend erfüllen – Krankheiten wie Epilepsie können eine direkte Folge dieser fehlgeleiteten Migration sein.

„Faszinierend dabei ist, dass wir dabei die wandernden Interneuronen, die wichtige Regulationsfunktionen in unserem Gehirn haben, visualisieren können. Diese Zelltypen orientieren sich bei ihrer Entstehung anhand von chemischen Signalen, sogenannten ‚Chemoattractants’ und ‚Chemorepellents’, um an ihr Ziel zu wandern“, ergänzt Daniel Reumann, Doktorand am IMBA und Mitautor der Studie.

Ein Protein namens CXCR4 spielt eine Schlüsselrolle bei dieser zielgerichteten Wanderung von Zellen. Die Forscher deaktivierten diesen molekularen Wegweiser in Organoiden und konnten beobachten, wie die chemische Orientierung der Interneurone bei ihrer Wanderung vom ventralen in den dorsalen Teil nachlässt. Die wandernden Zellen „verirren“ sich und kommen nicht mehr in der Zielregion an. Dies hat zu Folge, dass in manchen Gehirnarealen Interneurone fehlen und in diesen Bereichen Neurone nicht mehr ausreichend reguliert werden. Und genau diese fehlende Regulierung kann bei Menschen zu exzessivem Feuern von Neuronen führen, was epileptischen Anfällen zur Folge haben kann. Vermutlich spielen fehlgeleitete Interneurone aber auch in anderen neurologischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Autismus-Spektrum Störungen eine Rolle.

Ein einheitliches System zur gezielten Erforschung von Epilepsie und anderen Nervenkrankheiten
„Alleine in Österreich leiden etwa 80.000 Menschen unter Epilepsie, besonders Kinder und Jugendliche sind von dieser schweren neurologischen Erkrankung betroffen. Bis vor wenigen Jahren fehlten uns Wissenschaftlern die Möglichkeiten, die vielfältigen Ursachen dieser Krankheit ausreichend zu verstehen. Die Entwicklung von Organoiden macht es uns nun möglich, viele dieser Prozesse systematisch zu untersuchen und erlaubt uns auch, gezielt Organoide aus Zellen von Patienten mit neurologischen Krankheiten herzustellen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft noch weitere Erkenntnisse liefern können, um den Weg für mögliche Therapien für Epilepsien und andere Nervenkrankheiten zu ebenen“, zeigt sich Organoidpionier Knoblich optimistisch für weitere Anwendungen dieser erstaunlichen Technologie.

Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie, Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer Forschung in Österreich.

Originalpublikation: Bagley, J. A., Reumann, D.; Bian S., Knoblich J.A. "Fused dorsal-ventral cerebral organoids model complex interactions between diverse brain regions", Nature Methods DOI:10.1038/NMETH.4304

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.imba.oeaw.ac.at

 

 

 

 

 

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