Vizekanzler Reinhold Mitterlehner tritt zurück!

 

erstellt am
10. 05. 17
14:30 MEZ

Wien (öj) - In einer zu Mittag sehr kurzfristig einberufenen Pressekonferenz gab Vizekanzler, Wirtschaftsminister und ÖVP-Bundesparteiobmann Reinhald Mitterlehner seinen Rücktritt aus allen seinen Funktionen bekannt. Seit Monaten bereits gab es – neben den "normalen" Zwistigkeiten der ÖVP mit dem Koalitionspartner SPÖ – auch innerparteiliche Auseinandersetzungen, die Mitterlehner zunehmend unzufrieden machten. Noch vor einem Jahr, als Bundeskanzler Christian Kern die Regierungsführung übernommen hatte, freute sich Mitterlehner über einen Neustart der Koalition. Sein gutes Verhältnis zu Kern und sein Wunsch, sachbezogene Politik zu machen, waren offensichtlich.

Die Begründung Mitterlehners finden Sie hier gleich im Anschluß.

Was Mitterlehners Rücktritt nun für Auswirkungen haben wird, werden erst die nächsten Tage zeigen: Für das kommende Wochenende wird eine Sitzung des ÖVP- Bundesparteivorstands einberufen werden, während der über Mitterlehners Nachfolge in Regierung und Partei beraten werden soll.

Als wahrscheinlichster Kandidat dafür wird Außenminister Sebastian Kurz genannt, der über hervorragende Umfragewerte verfügt und von dem man hofft, daß er die Zustimmung zur ÖVP um einige Prozentpunkte erhöhen könnte. Und damit kommt auch die Frage zu einer Neuwahl verstärkt ins Spiel, um die ja schon seit geraumer Zeit spekuliert wird. Turnusmäßiger Wahltermin wäre der Herbst 2018, eine Zeitspanne, die der Regierung nicht allzuviele poltische Beobachter geben. Ob nun ein möglicher ÖVP-Chef Sebastian Kurz mit hervorragende Umfragewerten bereit sein wird, als Vizekanzler unter Christian Kern sozusagen in der zweiten Reihe die Koalition noch etwas mehr als ein Jahr lang aufrecht zu erhalten, gilt als eher unwahrscheinlich, worin sich die meisten Kommentatoren einig sind. Es könnte also sein, daß die ÖVP mit einem interimistischen Parteichef und Sebastian Kurz als ÖVP-Spitzenkandidat in eine Neuwahl geht. Die könnte dann möglicherweise heuer im Herbst abgehalten werden.

Lesen Lesen Sie eine Zusammenfassung der Reaktionen dazu in unserer Aktualisierung am 11.05. (mm)

 

 

Das gesamte Statement im Wortlaut:

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Darf sie all recht herzlich begrüßen, zu etwas ungewöhnlicher Zeit heute Mittag und auch zu einem ganz sicherlich nicht ganz normalen Anlass. Ich muss einleiten damit, dass ich die letzten Tage mit intensiven Überlegungen verbracht habe, wie ich denn die Situation mit der Partei und der Regierung aber auch persönlich gestalte und ich muss sagen in dem Zusammenhang wie ich das tue, dass ich sowohl Zeitpunkt als auch Inhalt von allen Schritten selber definiere. Ich habe unter anderem gestern Abend mit meiner Familie auch die Situation besprochen und den letzten Mosaikstein in einem eigentlich schon fertigen Bild hat dann der ORF; also die ZIB 2, abgegeben und zwar mit der Anmoderation vom Armin Wolf: "Danjgo, die Totengräber warten schon." Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen wenn ich im Rabenhof bin oder die Tagespresse lese, finde ich so etwas pointiert und gut inszeniert, kann ich vielleicht sogar lachen. Am Schluss haben ja auch die Totengräber ihr Ende gefunden und der Django überlebt immer. Aber ehrlich die Fragestellung für ein öffentliches Medium, das Leitmedium im Land und da geht es nicht mehr um die Inszenierung, da geht es um den Menschen der dahinter steht. Da muss ich ihnen ganz sagen, dann finde ich das nicht mehr pointiert, sondern fehl am Platz. Das war eigentlich der letzte Punkt, aber ein kleiner Punkt, dass ich zum Selbstschutz und zum Schutz meiner eigenen Familie die entsprechenden Konsequenzen ziehen möchte. Ich bin kein wehleidiger Mensch was den Umgang mit Medien, das haben sie in den letzten Jahren durchaus bemerkt. Es ist einmal so einmal so, keine Frage. Ich finde es ist genug. Und darf das auch einigermaßen was die Argumente anbelangt so untermauern: Sie kennen mich und ich hoffe sie schätzen mich auch so ein, ich bin ein Mann des Ausgleichs, ich bin einer dem etwas daran liegt, dass Inhalte entsprechend kommuniziert werden und auch integriert werden können in unsere Gesellschaft. Ich habe in den letzten Monaten und Tagen keinen Sinn mehr gesehen bei einer Inszenierung auf der einen Seite, der Plan A, auf der anderen Seite Gegenreaktionen und wechselseitige Provokationen. In der Mitte gewissermaßen mit sinnhaften Darstellungen und mit dem Versuch Inhalte zu transportieren über zu bleiben, das macht, auch wenn sie die heutige Eskalation sehen, keinen wirklichen Spaß, aber auch keinen Sinn mehr. Was aber tiefer gehend ist und was dahinter liegt als Problem: Es ist meiner Meinung nach unmöglich mit einer derartigen Konstellation einerseits Regierungsarbeit zu leisten und gleichzeitig die eigene Opposition zu sein. Regierungsarbeit und gleichzeitige Opposition ist ein Paradoxon. Zum Dritten, ich bin kein Platzhalter, der auf Abruf, bis irgendjemand Zeitpunkt und Konditionen festlegt und dem die passen, hier agiert, und vor allem ich werde es dann kurz noch beleuchten, der irgendwo an einer Stelle oder gar an einem Amt verleibt oder klebt. Wir brauchen darüber hinaus auch Entscheider, ich rede jetzt als Parteiobmann mit allen und Rechten und Pflichten in jedem Bereich, die eine Wahl auch rechtzeitig vorbereiten können. Und wir brauchen keine Doppelfunktionen oder gar verdeckte Strukturen.

Deshalb meine Damen und Herren lege ich alle meine Funktionen zurück, in Partei und Regierung. Und zwar mit folgender Struktur und folgendem Zeitplan. Ein Parteiobmann, in der nächsten Vorstandssitzung, die wir zeitnah, vermutlich am Wochenende einberufen werden, einberufen werden, da geht es darum einen geschäftsführenden Obmann festzulegen und dann den entsprechenden Bundesparteitag einzuberufen und abzuwickeln. Das impliziert und das überrascht sie natürlich angesichts der Umstände nicht, aber ist trotzdem festzuhalten, dass ich nicht als Spitzenkandidat antrete.

Aber es ist trotzdem festzuhalten, dass ich nicht als Spitzenkandidat antrete. Das hat einen bestimmten Sinn, warum ich Ihnen das sage. Weil das die Spitzen der Partei und auch der präsumtive Nachfolger schon monatelang auch wissen. Meine Damen und Herren, damit bin ich der 16. Parteiobmann der Österreichischen Volkspartei, der sein Amt jetzt entsprechend zur Verfügung gestellt. Irgendwo fühle ich mich den Werten verpflichtet, ich fühle mich auch der Tradition verpflichtet – es ist immerhin der vierte Obmann der letzten zehn Jahre. Schon der leichte Hinweis darauf kann ein qualitatives Problem sein, der jeweiligen Führungskräfte, könnte aber auch ein strukturelles Problem sein, oder auch die Notwendigkeit, unser Erscheinungsbild zu überdenken.

Zum weiteren, was die Funktion Vizekanzler, Wissenschafts- Wirtschafts- und Forschungsminister anbelangt, darf ich Ihnen sagen, dass auch diese Funktion zurückgelegt wird. Und zwar – nachdem die entsprechenden Entscheidungen der Partei am Wochenende fallen – mit 15. Mai, das ist der kommende Montag.

In dem Zusammenhang darf ich Ihnen auch illustrieren, auch wenn es sie weniger berühren wird, warum ich in den letzten Monaten trotz aller Querschüsse und aller sonstigen Agitationen in der Politik geblieben bin. Und zwar aus einem ganz einfach Grund: Mir ist es ein Anliegen entsprechende Inhalte zu vermitteln und Österreich in der Wettbewerbsfähigkeit nach vorne zu bringen. Und irgendwo bin ich dann genau bei dem Punkt, den ÖGB-Präsident Foglar irgendwann mal in einem Gespräch erwähnt hat. Irgendwer muss auch die Arbeit machen in diesem Land. Dem habe ich mich verbunden gefühlt. Heute hat eine Zeitung kommentiert: "Er ist erfahren, irgendwie kompetent, irgendwo ausgleichend, aber irgendwo altmodisch." Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, genau das sehe ich nicht so. Ich sehe genau in dieser Gegebenheit sogar eine Möglichkeit, Wirtschaft, Arbeitsplätze, die Kompetenz in diesem Bereich, auch in einem Wahlkampf so zu vermitteln, dass die Umsetzung erfolgreich sein kann.
Das ist nicht so, wenn durchaus auch eigene Fehler dem zu Grunde liegen. Ich möchte niemandem etwas zuschieben, keine Frage. Möchte aber trotzdem, was die Situation im Wirtschaftsbereich anbelangt, oder was dem zu Grunde liegt, erwähnen: Wir haben in der Regierung das beste Programm geschnürt, was wir in den letzten zehn Jahren gehabt haben. Was wir im Jänner vorbereitet haben, war meines Erachtens besser, als vieles je zuvor. Ich darf im Wirtschaftsbereich nur ansprechen, dass wir heute den besten Wirtschaftsklimaindex seit mehreren Jahren. Wir haben, was Wachstum anbelangt, das beste Wachstum, die Wirtschaftskrise überwunden, die Arbeitslosigkeit geht, entgegen aller Prognosen, nach unten. Wir haben Investitionsprämie, wir haben Lohnnebenkostensenkung in einem Ausmaß, wie wir uns das früher nie hätten vorstellen können. In diesem Bereich gehe ich auch nicht die berühmte "Riccola"-Diskussion ein – "Wer hat's erfunden?" Das ist mir zur blöd. Weil im Endeffekt brauchen Sie es nur zu lesen, wo es entstanden ist und wem es zuzuordnen ist.

Aber ein kleiner Tipp für alle, die nachher noch in der Regierung tätig sind. Der Hinweis, vielleicht Regierungsarbeit von Parteiarbeit zu trennen und damit auch das Image der Regierungsarbeit zu heben. Könnte vielleicht eine wertvolle Anregung sein, muss es aber nicht.

Zweiter Punkt im Bereich Wissenschaft und Wirtschaft. Sie wissen alle, welche Vorbehalte man der Zusammenlegung entgegengebracht hat und wie die Verdachtsmomente waren. Diese sind nicht nur ausgeräumt, sondern ich traue mich zu sagen, wir haben im Wissenschaftsbereich mit der höchsten Forschungsquote, die wir je hatten – die zweithöchste in Europa. Viele vor mir haben damit begonnen, aber ich habe die Finanzierung des Wirtschaftswissenschaftlichen Fonds sichergestellt. Ich habe auch, und glaube, dass sagen zu können, dass das die Bundesimmobiliengesellschaft auch wesentlich verantwortet hat, über drei Milliarden in den Universitätsbereich gebracht. Dort läuft ein Bauprogramm, das seinesgleichen sucht. Sie wissen, alles ist immer noch zu wenig. Aber wir haben auch mit der Forschungsprämie eine Einrichtung, die dafür sorgt, dass große Unternehmen nach Österreich kommen.

Meine Damen und Herren, jetzt fragen Sie mich: Ist das alles? Nein, es ist jetzt ein Bild, das vielleicht jetzt nicht in Ihr Szenario passt. Es gibt noch viel zu tun und es tut mir auch Leid für die unterschiedlichen Zielgruppen, beispielsweise für den Universitätsbereich, was Studienplätze anbelangt. Oder auch die Klima- und Energiestudie, die wir vorbereitet haben. Oder, ich hätte sogar noch das Interesse, ein Volksbegehren für einen objektiven ORF zu starten. Also durchaus auch Anregungen von anderen Seiten, und dies und das. Ja, nicht sauer schauen, liebe Kollegen vom ORF. Aber ich kann heute die Möglichkeit nutzen, alles in Richtung Seherinnen und Seher zu bringen. Und ich tue das auch.

Im Endeffekt sind das lauter Themen, wo Sie sagen: 'Das interessiert mich nicht. Ich sage Ihnen: Bei einigen dieser Themen geht dem ein oder anderen die Sonne auf, oder unter. Und im Endeffekt geht es um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich. Das ist mein Anliegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren. Damit darf ich auch danken. Ich danke ausdrücklich meinen Weggefährten in der Partei, in der Regierung, insbesondere in meinem Büro und in meinem Kabinett. Da haben wir einige, wie Harald Kaszanits und Volker Hollenstein über Jahre die Treue gehalten. Hoffe, es schadet ihnen nicht. Ich bedanke mich selbstverständlich auch beim Koalitionspartner. Dort sehe ich sicherlich, ich habe es angesprochen, in der ständigen Inszenierung einen Grund, warum wir so dastehen. Ich möchte aber sagen, dass ich mit dem Herrn Bundeskanzler schon vorher ein sehr positives Verhältnis hatte und schon vorher hatte. Zum Dritten bedanke ich mich ausdrücklich bei den Sozialpartnern, inklusive der Industriellenvereinigung. Ich bedanke mich auch bei der Opposition. Ich muss sagen, dass wir natürlich Gegner sind, inhaltlich. Aber es war im Wesentlichen mit den NEOS und den Grünen auch eine inhaltliche Zusammenarbeit bei Studienplatzfinanzierung oder Energieeffizienz, sondern immer auch eine faire Auseinandersetzung. Das gilt auch für die Freiheitliche Partei. Ich bedanke mich auch bei den Medien, ganz pauschal. Alles andere ist in diesem Zusammenhang gesagt.

Ich bedanke mich, last but not least, natürlich auch bei meiner Familie, die immer auch zu mir gestanden ist.

Meine Damen und Herren. Sie können sich vielleicht noch erinnern, dass ich vor einem Jahr im Parlament, teilweise belächelt, Hermann Hesse zitiert habe? "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne." Ich darf heute aus demselben Gedicht ("Die Stufen") noch einmal etwas zitieren, und zwar: "Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen."

Meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommer, ich danke Ihnen und wünsche Österreich alles Gute.

Quelle: ÖVP

     

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