Linzer Innovationsprogramm

 

erstellt am
16. 05. 17
13:00 MEZ

50 Interviews mit renommierten Leitbetrieben, Klein- und Mittelbetrieben sowie Start-ups liefern erste Ergebnisse der Innovationsstudie
Linz (stadt) - Die Weiterentwicklung eines Wirtschaftsraumes hängt eng mit seiner Innovationskraft zusammen. Aus diesem Grund wurde auch erstmalig ein Gemeinderatsausschuss für Innovation eingerichtet, dessen Vorsitz Bürgermeister Klaus Luger führt. Dieser hat zum Ziel, das Linzer Innovationssystem zu fördern. Neben der Erstellung einer Innovationsstrategie, der Schaffung effizienterer Strukturen sowie einer verstärkten Einbindung von unterschiedlichen Stakeholdern, wird bis zum ersten Quartal 2018 ein Linzer Innovationsprogramm erarbeitet. Basis für dieses ist eine auf drei Jahre angelegte Studie. Das Institut für Organisation der Johannes Kepler Universität unter Federführung von Univ.-Prof. Robert M. Bauer untersucht dabei die Innovationsleistungen im Großraum Linz.

Ziel ist es, die im oberösterreichischen Zentralraum erbrachte Innovationsleistung zu erfassen sowie die in der Region vorhandenen förderlichen und hinderlichen Bedingungen für Innovation zu identifizieren. Die Wissenschafter wollen dadurch einerseits die komplexen Ursachen des Erfolgs und Scheiterns von Innovationen weiter entschlüsseln, andererseits Wirtschaft und Politik dabei unterstützen, die Innovations- und Wirtschaftskraft der Region zu steigern.

„Wir müssen unsere regionalen Vorteile hervorstreichen sowie Linz für Start-ups und bestehende innovative Unternehmen schmackhaft machen. Daher haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Innovationskraft im Zentralraum Linz beleuchtet und eine Bestandsanalyse vornimmt“, betont Bürgermeister Klaus Luger.

„Die Einzelinterviews haben wichtige Erkenntnisse zu Tage gefördert. Die Innovationsleistung im Großraum Linz ist enorm und noch viel zu wenig sichtbar. Gute Beziehungen zwischen den Betrieben und das öffentliche Fördersystem sind echte Stärken der Region. Bei den dringend benötigten Schlüsselarbeitskräften und bei der Innovationskultur, etwa im Umgang mit Risiko und Scheitern, da gibt es aber noch viel zu tun. Wir hoffen, unsere Studie liefert den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft Entscheidungsgrundlagen für Maßnahmen zur Stärkung der Innovationskraft im Linzer Raum“, so Professor Robert Bauer.
Innovation findet Stadt

Seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts findet eine zunächst kaum merkliche und nun immer schneller werdende Urbanisierung der Welt statt. Die Landbevölkerung stagniert oder schrumpft, die Städte wachsen. Seit 2009 leben mehr Menschen in Städten als am Land. Städte sind auch der Wirtschaftsmotor unserer Zeit: so leben derzeit etwa 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, sie erbringen sogar 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig verändert sich die Wirtschaftsweise. Im 20. Jahrhundert schuf die Massenproduktion preiswerte Massenprodukte und in der Folge den Massenwohlstand.

Die Anzahl der Industriearbeitsplätze nimmt jedoch kontinuierlich ab, während die Software- und Internetbranche oder die wissenschaftliche und pharmazeutische Forschung immer mehr Beschäftigung schaffen. Dazu kommt, dass US-amerikanische Ökonomen errechnet haben, dass ein Industriearbeitsplatz ein bis zwei zusätzliche Arbeitsplätze schafft, ein High-Tech-Arbeitsplatz im Innovationsbereich dagegen vier bis fünf.

Der wichtigste Produktionsfaktor im Innovationsbereich ist der Faktor Mensch, denn ohne Schlüsselarbeitskräfte, ohne hochqualifizierte kreative Köpfe, gibt es keine Innovation. Und hier schließt sich der Kreis zur Urbanisierung: Im zwanzigsten Jahrhundert waren Produktionsstätten wenig mobil. Arbeitende siedelten sich in die Nähe der Arbeitsstätten an. Heute sind Betriebe mobiler, sodass die Arbeit nun zu den Arbeitenden kommt: Der beste Betriebsstandort ist dort, wo die besten Köpfe wohnen. Der ohnehin schon scharfe Wettbewerb der Regionen wird dadurch zum Teufelskreis: Wo viele Hochqualifizierte und Kreative sind, meist in Universitätsstädten, dort ist es eben für weitere Hochqualifizierte und Kreative interessant, dazuzulernen und sich messen zu können. Dort siedeln sich auch die besten Arbeitgeber an, was den Ort wiederum für weitere Hochqualifizierte und Kreative attraktiv macht, für noch mehr Betriebe und so weiter.

Dazu Professor Bauer: „Im Wettbewerb der Regionen gilt heute die harte biblische Wahrheit: ‚Wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben. Wer aber nicht hat, dem wird auch was er hat, genommen werden.’ Es ist davon auszugehen, dass die regionalen Einkommensdifferenzen weiter zunehmen.”

Im Südburgenland liegt der durchschnittliche Jahresverdienst derzeit bei zwei Drittel dessen, was in Wien üblich ist. In den USA ist der Einkommensunterschied zwischen boomenden und strukturschwachen Regionen bereits so groß wie jener zwischen den USA und den Philippinen im nationalen Durchschnitt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Innovation und Bildung als zentrale Quellen zukünftigen Wohlstands ins Zentrum regionaler Wirtschaftspolitik gerückt sind.
Was Innovatoren über das Innovations-Ökosystem im Großraum Linz denken
Übergang zur Digitalisierung derzeit gut bewältigt

In rund fünfzig Interviews mit Innovatoren erfragten die JKU-Forscher – in dieser ersten Phase der Studie wurden technische Geschäftsführungen, Leitungen betrieblicher Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und Innovationsbeauftragte interviewt – wie innovative Betriebe ihren Standort, den Großraum Linz, einschätzen. Gefragt wurde insbesondere nach verschiedenen Aspekten des Innovationsökosystems, d. h. nach regionalen Rahmenbedingungen, die es den Betrieben erleichtern oder erschweren, innovative Ideen zu entwickeln und in den Markt zu bringen.

  • Als besonders positiver Faktor wurde das (ober-)österreichische Fördersystem genannt, das selbst großen Betrieben echte Erleichterung bei der Finanzierung von Innovation verschafft. Junge Unternehmen haben allerdings mitunter Schwierigkeiten, weil ihnen das Wissen über mögliche Fördertöpfe und das Know-how für die aufwändige Antragstellung fehlt. Das Beratungsangebot für Jungunternehmen wurde bereits und wird weiter ausgebaut, die Effektivität der Beratungsleistungen selbst aber wird zum Teil kritisch gesehen.
  • Eine wesentliche Stärke der Region sind die Beziehungen zwischen den Betrieben. Man kennt einander. Die überwiegenden Klein- und Mittelbetriebe entscheiden rasch und meist positiv, wenn es darum geht, mit anderen Betrieben aus der Region gemeinsam etwas auszuprobieren oder in innovativen Projekten zusammenzuarbeiten.
  • Beim wichtigsten Ökosystem-Faktor, der Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Schlüsselarbeitskräften, gibt es Engpässe. Nur die besten Betriebe, die sich einen Ruf als exzellente Arbeitgeber aufgebaut und enge Beziehungen mit Ausbildungsinstitutionen unterhalten, finden ausreichend Personal. Die meisten Betriebe sind zwar mit der Qualität der Ausbildung weitgehend zufrieden, klagen aber über zu wenige AbsolventInnen. Der durchschnittliche Bildungsstand der Unternehmen im Großraum Linz liegt unter dem der Grazer und Wiener Unternehmen. Insbesondere fehlt es an Personen mit Informatik- und Mechatro-nikausbildung. Einzelne Betriebe aus der Region haben bereits Zweigstellen in Osteuropa eröffnet, um an Fachkräfte zu kommen. Qualifizierte Zuwanderung wäre dringend notwendig, ebenso mehr und bessere Information der breiten Öffentlichkeit darüber, dass qualifizierte Zuwanderung von Schlüsselkräften in die Innovationssektoren nicht Arbeitsplätze verknappt, sondern im Gegenteil neue schafft. Positiv werden in diesem Zusammenhang die Lebensqualität und das Sozialsystem (z. B. Kinderbetreuungsplätze) in Linz gesehen: Sie erleichtern es Betrieben, Schlüsselkräfte zu bekommen und vor allem zu halten.
  • Kritisch, wenn auch mit Tendenz zur Verbesserung, wird die Fehlerkultur in der Region gesehen. Scheitern ist untrennbar mit Innovation und Unternehmertum verbunden, gilt aber vielen immer noch als verpönt. Auch insolvenzrechtlich ist Österreich international gesehen konservativ und wenig großzügig, wenn es um das Verteilen zweiter und dritter Chancen für jene geht, die aus Fehlern gelernt haben. Bemerkenswert im Zusammenhang der regionalen Innovationskultur ist auch das äußerst geringe Wissen um die in der Region erbrachte Innovationsleistung. „Selbst Insider, die jahrelang im Innovationssektor oder in innovativen Industriezweigen tätig waren”, so Prof. Bauer, „wissen extrem wenig über die zahlreichen und mitunter hochinnovativen Betriebe in der Region. Das gilt noch viel stärker für die breite Öffentlichkeit: Wer wüsste beispielsweise, wer die aktuellen Preisträger des Landesinnovationspreises sind? Durch dieses Unwissen geht der Region viel an Vorbildwirkung und Ansporn verloren. Oder umgekehrt formuliert: in diesem Bereich kann vieles verbessert und damit die Innovationskraft der Region gesteigert werden.”
  • Verbesserungspotenziale sehen die Innovatoren auch bei der Verkehrs- und IT-Infrastruktur. Schnelle Verbindungen erweitern den Aktionsradius und fördern Kreativität.
  • Positive Wahrnehmungen gibt es zu den Bemühungen einzelner regionaler Spitzenpolitiker, wenn auch bürokratische, rechtliche und infrastrukturelle Rahmenbedingungen sowie die Feingliedrigkeit politischer Initiativen von vielen Innovatoren als Hemmnisse für die Innovationskraft der Region gesehen werden. Die Betriebe sprechen sich für weniger, dafür aber größere Initiativen aus, für Gemeinde- und Landesgrenzen überschreitende Aktionen, mit klaren inhaltlichen Schwerpunkten, für „weniger Gießkanne und mehr Wasserwerfer!”

Insgesamt bestätigt sich, dass sowohl die Region den Übergang vom Zeitalter der industriellen Massenproduktion in die Ära der digitalisierten, innovationsgetriebenen Wirtschaft gut bewältigt, als auch dass es gut abgestimmte Maßnahmenbündel braucht, um im sich verschärfenden Wettbewerb der Regionen zukunftsorientiert mithalten zu können.
Innovations-Fahrplan: „alle an einen Tisch“

Neben den Interviews mit Unternehmen – den Innovatoren – werden auch Interviews mit dem sogenannten Öko-System geführt. Das Öko-System besteht aus Personen, welche die entscheidende Verantwortung für Infrastruktur, Verwaltung, Bildung, Politik, Medien und Innovationsservices innehaben. Workshops mit dem Öko-System sowie den Innovatoren ergänzen den Innovationsprozess. Ziel der Workshop-Reihe ist es, die befragten Ergebnisse gemeinsam mit allen mit Innovation befassten PartnerInnen zurück zu spiegeln, zu verdichten sowie zu ergänzen.

„Das Ziel des Gesamtprozesses liegt darin, ein Umfeld für Innovation und Unternehmertum in Linz zu entwickeln. Dieses soll auf breiter Basis stehen, daher auch die intensive Miteinbeziehung von Unternehmen, Start-ups, Institutionen und Stakeholdern. Mit dem Know-how der handelnden Persönlichkeiten gelingt es uns ein Umfeld zu schaffen, um als Vorreiter für Industrie 4.0, Robotik und digitale Transformation zu gelten“, so Bürgermeister Klaus Luger abschließend.

 

 

 

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