Zu erwartende Kostenentwicklung im Pflegebereich
 übersteigt vereinbarten Kostendämpfungspfad

 

erstellt am
04. 07. 17
13:00 MEZ

Wien (fiskalrat) - Eine aktuelle Studie des Büros des Fiskalrates1) ergibt, dass der Kostenzuwachs (ohne Gegenmaßnahmen) im Pflegebereich über den Werten des vereinbarten Kostendämpfungspfads liegen könnte. Je nach Szenario betragen die Ausgaben im Jahr 2021 zwischen 8 und 685 Mio EUR mehr als geplant. Langfristig steigen die gesamtstaatlichen Nettoausgaben für Altenpflege laut Projektionen des Büros des Fiskalrates je nach Szenario von 1,3% des BIP (2015) zum Teil deutlich auf 1,4 bis 1,9% des BIP (2030) bzw. auf 1,9 bis 3,6% des BIP (2060).

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf eine Evaluierung der fiskalischen Komponente der Nachhaltigkeit und der diesbezüglichen Restriktionswirkung. Fragen der systemischen Weiterentwicklung im Langzeitpflegebereich sowie der zukünftigen Pflegefinanzierung im Rahmen einer aufgrund der hohen Bedeutung des Themas anstehenden Systemreform sind nicht Gegenstand der Analyse.

Im Paktum Finanzausgleich 2017-2021 wurde zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eine Valorisierung der Zweckzuschüsse aus dem Pflegefonds und jährliche Zusatzmittel für Länder und Gemeinden in Höhe von 300 Mio EUR für die Bereiche Gesundheit, Pflege und Soziales vereinbart, um eine nachhaltige Haushaltsführung sicherzustellen. Gleichzeitig wurde ein Kostendämpfungspfad für den Bereich der Altenpflege festgelegt, der einen Anstieg der Bruttoausgaben der Länder und Gemeinden von 3,6 Mrd EUR (2016) auf max. 4,5 Mrd EUR bis zum Jahr 2021 erlaubt. Nach Berechnungen des Büros des FISK steigen die Pflegekosten der Länder und Gemeinden (ohne Gegenmaßnahmen) je nach Szenario auf 4,5 bis 5,2 Mrd EUR im Jahr 2021. Diese projizierten Kostenpfade für die Altenpflege liegen im Jahr 2021 zwischen 8 und 685 Mio EUR über den zulässigen Werten des Kostendämpfungspfads.

Der Beitrag des Bundes beträgt etwas mehr als die Hälfte der öffentlichen Mittel für das Pflegewesen (im Bereich der Altersleistungen), das in die Zuständigkeit der Länder fällt und von den Gemeinden mitfinanziert wird (2016: Bund: 51%; Länder und Gemeinden: 49%). Im Jahr 2021 ergeben die eigenen Projektionen einen Finanzierungsanteil der Länder und Gemeinden von zumindest 52% (Bund: 48%). Dabei steigt die Dotierung der Pflegefondsmittel ausgehend von 350 Mio EUR (Bundesanteil 2/3; Anteil der Länder und Gemeinden 1/3) in den Jahren 2016 und 2017 bei einer jährlichen Valorisierung um 4,5% schrittweise auf 417 Mio EUR bis zum Jahr 2021 an. Der Pflegefonds läuft in der derzeitigen Form jedoch Ende 2021 aus, sodass eine nachhaltige Finanzierungslösung nach 2021 erforderlich ist.

Im Jahr 2015 lagen die gesamtstaatlichen Bruttoausgaben für Altenpflege in Summe bei 5,6 Mrd EUR oder 1,6% des BIP. Dieser Teilbereich der Sozialausgaben (2015: 100 Mrd EUR oder 29,4% des BIP) setzt sich aus den Ausgaben der Länder und Gemeinden für mobile und stationäre Pflegedienste (3,4 Mrd EUR), dem Bundespflegegeld (2,0 Mrd EUR), Pflegekarenzgeld und Ersatzleistungen (Überbrückungshilfen) sowie den Fördermitteln der 24-Stunden-Betreuung (in Summe 0,2 Mrd EUR) zusammen. Die gesamtstaatlichen Nettoausgaben für Altenpflege lagen 2015 in Summe bei 4,3 Mrd EUR oder 1,3% des BIP (Bruttogesamtausgaben abzüglich privater Beiträge und Ersätze der betreuten Personen in Höhe von 1,3 Mrd EUR). Da der Pflegebereich mit dem Gesundheitswesen eng verwoben ist, dürften die Gesamtkosten unter Einbeziehung der Kosten im Gesundheitsbereich jedoch höher liegen. Eine umfassende Statistik, die sämtliche Komponenten des staatlichen Pflegewesens erfasst, steht nicht zur Verfügung.

Die Entwicklung des Pflegebedarfs ist in erster Linie durch die Demografie determiniert, die in den kommenden Jahren durch einen markanten Anstieg des Anteils älterer Personen an der Gesamtbevölkerung in Österreich charakterisiert ist. Im Jahr 2015 repräsentierte die Gruppe der über 80-Jährigen jene Personengruppe, die in der Regel vermehrt Pflegeund Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen muss 5,0% der Gesamtbevölkerung. Bis zum Jahr 2030 wird sich dieser Anteil auf 6,6%, bis zum Jahr 2060 auf 11,0% erhöhen. Die Anzahl der über 80-Jährigen steigt auf das 1,5-Fache bis zum Jahr 2030 bzw. auf das über 2,5-Fache bis zum Jahr 2060.

Die Quote der gesamtstaatlichen Pflegekosten für Altersleistungen in Prozent des BIP steigt laut eigenen Projektionen von 1,3% (2015) bis 2030, abhängig vom Szenario, auf 1,4 bis 1,9% und bis 2060 auf 1,9 bis 3,6%. Unterschiedliche Annahmen bezüglich Morbidität, Ausmaßes des Trends zur formellen Pflege sowie die Indexierung der Stückkosten treiben die Abweichungen in den Resultaten verschiedener Projektionsszenarien. Die Wahl der zugrundeliegenden Bevölkerungsprognose (EUROPOP2013 vs. EUROPOP2015 oder Statistik Austria 2016) hat vernachlässigbare Auswirkungen auf die Resultate.

Die demografische und gesellschaftliche Entwicklung dämpft das Potenzial informeller Pflege, die bislang vorrangig von Frauen geleistet wurde. So nimmt die Frauenerwerbsquote von 65,3% (2015) auf 67,4% (2030) zu. Zudem geht der relative Anteil der Bevölkerungsgruppe der Frauen im Alter von 40 bis 59 Jahren zurück. Schließlich steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte (z. B. infolge Alterung, steigender Scheidungsraten, Rückgang des intergenerativen Zusammenlebens). Vor diesem Hintergrund werden professionelle häusliche Pflege und institutionelle Pflegeund Betreuungsleistungen wichtiger.

Das durchschnittliche jährliche Wachstum der Pflegekosten für den Zeitraum 2015 bis 2030 liegt, abhängig vom Szenario, zwischen 4,4 und 6,2%. Während die Ausgaben für das Pflegegeld, gedämpft durch die unterdurchschnittliche Valorisierung, mit durchschnittlich 2,5 bis 5,2% p. a. wachsen, entwickeln sich die Nettoausgaben für (formelle) Pflegedienstleistungen der Länder und Gemeinden mit 5,8 bis 7,8% p. a. deutlich dynamischer. Überdurchschnittlich stark wird auch die Entwicklung der Ausgaben für geförderte 24-Stunden-Betreuung mit 4,2 bis 7,0% p. a. erwartet, welche in der Projektion als Substitut zur stationären Pflegedienstleistung betrachtet wurde.

Die mobilen und stationären Pflegekosten weisen im Bundesländervergleich große Unterschiede auf, die aus dem öffentlich verfügbaren Datenmaterial nur vereinzelt (z. B. im stationären Bereich auf Basis der unterschiedlichen Personalschlüssel) erklärt werden können. Vergleichbare regionale Detailinformationen, insbesondere über qualitative Merkmale und deren Kosten, fehlen. Die Bandbreite des Bruttoaufwands pro Bewohntag (unter Berücksichtigung des relativen Grads der Pflegebedürftigkeit), der im Gegensatz zum Pro-Kopf-Aufwand die abweichende durchschnittliche Verweildauer einer betreuten Person in stationärer Betreuung berücksichtigt, lag im Jahr 2015 zwischen 74 EUR (Tirol) und 238 EUR (Wien) bzw. im Durchschnitt bei 127 EUR. Allerdings stellt Tirol insofern einen "Ausreißer" dar, als in den erfassten Bewohntagen auch die Selbstzahler die das Entgelt ohne staatlichen Zuschuss entrichten enthalten sind. Hier wären detaillierte Vergleichsstudien zwischen den Ländern wichtig, bei denen

Best-Practice-Erfahrungen gesammelt werden können.
Die aktuelle Studie zeigt eine Vielzahl an zwischenstaatlichen Finanzströmen im Pflegebereich, die beispielhaft die Komplexität der österreichischen Finanzierungsarchitektur der öffentlichen Haushalte und ein Kernproblem der föderalen Staatsarchitektur Österreichs widerspiegeln. Hinter der Nettobelastung der Länder und Gemeinden für Pflegedienstleistungen in Höhe von 2,1 Mrd EUR im Jahr 2015 steht ein Transfervolumen mit Gemeinschaftsfinanzierungen in Höhe von 6,8 Mrd EUR im Pflegebereich.

1) Grossmann, B. und P. Schuster (2017). Langzeitpflege in Österreich: Determinanten der staatlichen Kostenentwicklung. Studie im Auftrag des Fiskalrates, Wien. Die von den Autoren in der Studie zum Ausdruck gebrachte Meinung gibt nicht notwendigerweise die Meinung des Fiskalrates wider.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.fiskalrat.at

 

 

 

 

 

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