BR-Symposium zu Digitalisierung und Demokratie

 

erstellt am
05. 10. 17
13:00 MEZ

Mayer: Digitalisierung braucht demokratische Gestaltung– E-Voting umstritten, Partizipation soll forciert werden – Rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft
Wien (pk) - Bereits seit drei Jahren befasst sich der österreichische Bundesrat intensiv mit den Auswirkungen, den Chancen und Gefahren des Digitalisierung für die Demokratie. In einem Symposium wurden am 4. Oktober die bisherigen Ergebnisse und künftige Herausforderungen der Digitalisierung für die Politik diskutiert. Grundlage dafür waren das vom Bundesrat herausgegebene Grünbuch "Digitalisierung und Demokratie" und die Beiträge von BürgerInnen, die auf der digitalen Plattform www.digidem.at eingebracht werden konnten. Dieser Diskussionsprozess werde noch weiter gehen, sagte der Bundesratspräsident Edgar Mayer, der zu dem Symposium eingeladen hatte. Im Anschluss an das Symposium sollen die Ergebnisse an den Zukunftsausschuss sowie an den Verfassungsausausschuss des Bundesrates weitergeleitet werden. Auf Basis dieser weiteren Beratungen werde der Bundesrat dann Anträge an den Nationalrat und die Bundesregierung formulieren, kündigte Mayer an.

Wissenschaftsminister Harald Mahrer nannte in seiner Begrüßungsrede unter anderem das Thema Datensouveränität als wichtige Aufgabe für die Politik. Mit der Frage, wie sehr das Internet und die neuen Medien die Rahmenbedingungen der Verbreitung von Informationen wie auch von Desinformationen verändert hat, befasste sich das erste Panel von ExpertInnen, die auch am Grünbuch mitgewirkt hatten. Die Vortragenden beleuchteten dabei vor allem Chancen und Gefahren für freie Meinungsbildung und demokratische Prozesse.

Bundesratspräsident Mayer: Politik kann nicht abseits stehen, wenn freie Meinungsbildung gefährdet ist
Die Macht der im Internet stattfindenden Meinungsbildung sei heute enorm, erklärte Bundesratspräsident Edgar Mayer in seiner Eröffnungsrede zum Symposium. Beunruhigend daran sei, dass diese Meinungsbildung dort auch gelenkt oder manipuliert werden kann, sei es durch Fake News oder automatisierte Postings. Das werfe ernste Fragen für die Demokratie auf, wie sich auch im aktuellen Wahlkampf gerade bestätige. Die Lösung dieser Probleme sei daher letztendlich auch eine Überlebensfrage für unsere Demokratie.

Nach Meinung mancher ExpertInnen sind wir bereits mitten in einem Informationskrieg, sagte Mayer. Hier können Politik und Gesellschaft nicht teilnahmslos abseits stehen. Vielmehr gelte es, aktiv einzugreifen, damit nicht am Ende die Demokratie als erstes Opfer des Informationskrieges zu betrauern sei, sagte Mayer. Der österreichische Bundesrat habe sich dieser wichtigen Aufgabe abseits von ideologischen oder parteiischen Interessen angenommen und auch die Öffentlichkeit eingeladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Über die digitale Plattform www.digidem.at wurden schon viele Kommentare in die Diskussion eingebracht, in denen Fragen wie die Auswirkung der Digitalisierung auf die politische und mediale Kommunikation oder das demokratiepolitisch besonders sensible Thema E-Voting angesprochen wurden. Mayer freute sich besonders darüber, dass der Nachweis gelungen sei, dass unter Einbindung der Öffentlichkeit auch hochwertige Diskussionen möglich ist. Ein gelenkter Umgang mit der Digitalisierung sei ein wichtiger Schritt für die Zukunft. Hier gehe es um die Erhaltung von Meinungsfreiheit, Transparenz und Fairness und damit um einen Schritt zur Erhaltung der Demokratie.

Bundesminister Mahrer: Digitale Demokratie braucht Datensouveränität der BürgerInnen
Wissenschaftsminister Harald Mahrer hob ausdrücklich das Engagements des Bundesrates hervor, wenn es darum geht, Debatten über gesellschaftlich relevante Themen anzustoßen. Die Frage, was die Digitalisierung für die Demokratien bedeuten, sei ein wichtiges Zukunftsthema. Die technologische Entwicklung erlaube einerseits die Ausweitung partizipatorischer Prozesse. Andererseits sei das kein Automatismus, sondern immer davon abhängig, wie Menschen mit den neuen digitalen Technologien umgehen. Eine der Debatten, die laut Mahrer viel intensiver geführt werden müsse, betrifft die Datensouveränität der BürgerInnen. Jede und jeder gebe im Internet ständig Daten von sich preis, die von Unternehmen gespeichert und ausgewertet werden. Die Diskussion darüber, wer welche Daten über wen sammelt und was damit geschieht, stelle daher eine große gesellschaftspolitische Herausforderung dar, sagte der Wissenschaftsminister. Sie berühre auch die Debatte über notwendige Erweiterungen des Grundrechtekatalogs. Mahrer rief zu einem offenen Diskurs über den digitalen Wandel auf, in den möglichst viele gesellschaftliche Gruppen, wie etwa AkteurInnen aus den sozialen Netzwerken, aber auch aus Kunst und Kultur, einbezogen werden sollten.

Veit Dengler: Neue Medien führen zu neuer Informationsunsicherheit
Medienexperte Veit Dengler verglich die gesellschaftlichen Auswirkungen des Internets mit der Kommunikationskrise, die der Buchdruck im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts auslöste. Auch heute entstehe durch eine vorhin unbekannte Fülle an verfügbaren Informationen, die sich gleichzeitig der Überprüfbarkeit entziehen, Informationsunsicherheit und eine "Derealisierung des politischen Diskurses". Das erzeuge einen vorübergehenden kollektiven Schwindelanfall, wie Dengler es formuliert. Früher hätten sich über lange Zeiträume bestimmte Regeln für den Umgang mit Informationen herausgebildet. Das Internet habe diese teilweise wieder außer Kraft gesetzt. Angesichts der gleichzeitig enorm gestiegenen Möglichkeiten zur Überwachung und Manipulation der WählerInnen könne man sich jedoch nicht darauf verlassen, dass das System sich wieder von selbst einpendelt. Dengler sieht die Gefahr, dass sich die Menschen einer neuen Tyrannei freiwillig unterwerfen. Gefordert seien daher Medienkompetenz und ein neues System der Machtverteilung und Machtkontrolle.

Paul Murschetz: Medienförderung bleibt wichtige demokratiepolitische Aufgabe des Staates
Paul Murschetz vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt ging unter dem Gesichtspunkt der Medienökonomie der Frage nach, was eine effektive staatliche Medienförderung leisten soll und kann. Sie müsse dort ansetzen, wo Marktmechanismen allein meist nicht greifen, um ein ausreichend differenziertes Medienangebot zu sichern, erklärte er. Medienförderung stelle damit eine eminente demokratie- und kulturpolitische Aufgabe und auch Verpflichtung des Staates dar, bei der es darum gehe, Medien- und Meinungsvielfalt und ein qualitativ anspruchsvolles Medienangebot zu stärken. Der digitale Wandel stellt jedoch auch den Medienmarkt vor völlig neue Herausforderungen. Kritisch bewertete Murschetz in diesem Zusammenhang das derzeitige Fördermodell in Österreich, das aus seiner Sicht nicht ausreicht, um ein effektives, faires und innovatives Medienökosystem sicherzustellen. Der österreichische Medienmarkt tendiere traditionell zu Oligopolen. Hier sei die Politik gefordert, auch eine grundsätzliche Neustrukturierung zu fördern. Moderne Medienförderung müsse daher über reine Presseförderung hinausgehen und auch digitale Medien einbeziehen. So sollten beispielsweise Blogger, unabhängige Medienprojekte oder partizipative Bürgermedien unterstützt werden, um demokratiepolitisch wichtige Diskurse zu fördern.

Wolf Schünemann: Soziale Medien verändern Wahlkämpfe
Wolf Schünemann von der Universität Hildesheim beleuchtete die Rolle von sozialen Medien in Wahlkampagnen. Welche Ausmaße der digitale Strukturwandel der Öffentlichkeit angenommen hat und welche neuen Mobilisierungsmöglichkeiten er bietet, habe sich bei Protestbewegungen und politischen Kampagnen schon vielfach gezeigt. Schünemann verwies auch darauf, dass gegenüber früheren hochgesteckten Erwartungen derzeit zunehmend die Zweifel an der Qualität der politischen Beteiligung und Auseinandersetzung via Internet in den Vordergrund getreten sind. Derzeit erfolge eine Neubewertung der Online-Kommunikation und ihrer Vor- und Nachteile, welche laut Schünemann eine ungefilterte Online-Kommunikation tendenziell infrage stellt. Er warnte in diesem Zusammenhang vor Hysterie und einer Überbewertung des Einflusses von Fake News oder Social Bots. Die Politik sollte aber sehr wohl ordnend eingreifen und den Betreibern der Social Media Vorgaben machen, die zu einem echten Wettbewerb führen.

Myriam Dunn Cavelty: Cybersicherheit muss auch Schutz der freien Meinungsbildung sein
Myriam Dunn Cavelty, vom Center for Security Studies an der ETH Zürich befasste sich unter dem Titel "Die Wahrheit stirbt zuerst" mit moderner Informationskriegsführung und den Gefahren der Verbreitung von Desinformationen. Cybersicherheit sei lange Zeit nur unter dem Gesichtspunkt der Sicherung von sensiblen Infrastrukturen vor Cyberattacken betrachtet worden. Erst in jüngster Zeit wurde man auf die Gefahr aufmerksam, dass staatliche Apparate auch versuchen können, die freie Meinungsbildung nicht nur in der eigenen Gesellschaft, sondern auch in anderen Ländern zu manipulieren. Diesen Aspekt müsse eine wirksame staatliche Cybersicherheitsstrategie beachten. Notwendig sei nicht nur ein sorgfältiger Umgang mit kritischen Daten und ein höheres Bewusstsein für Datensicherheit. Erforderlich seien auch Strategien zur Abwehr von Desinformationen, mit denen Akteure von außen versuchen, demokratische Prozesse und freie Meinungsbildung zu behindern.

Christian Swertz: Medienerziehung muss gesetzlich verankert werden
Die Erziehung des demokratischen Souveräns als zentrale Aufgabe der Medienbildung stellte Christian Swertz vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Das Internet eröffne Chancen der Partizipation und der persönlichen Entfaltung, damit Menschen ihren Platz in der Gesellschaft gestalten und letztlich ihre Aufgabe als Souverän eines demokratischen Staates wahrnehmen zu können. Für Swertz ergeben sich daher einige Empfehlungen an den Gesetzgeber. Mit Änderungen an bestehenden Gesetzen wäre es seiner Ansicht nach möglich, die passende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit pädagogische Institutionen die wichtige Aufgabe der Medienbildung mit digitalen Medien betreiben können. Das betrifft den Kindergarten und die Schule ebenso wie Jugendarbeit und Erwachsenen- und Elternbildung. Wichtig sei es auch, Medienpädagogik auf universitärer Ebene zu verankern.

   

Beim Symposium des Bundesrats zu Digitalisierung und Demokratie standen im Anschluss an das Thema "Information und Desinformation" Expertenvorträge über E-Voting, E-Government, Transparenz und Partizipation auf dem Programm. Wesentliche Diskussionspunkte bei der darauf folgenden abschließenden Diskussion waren für die rund 80 TeilnehmerInnen aus Politik und Interessensvertretung, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft etwa das E-Voting, aber auch Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie Klarnamenpflicht und Bildungsfragen.

Neben Universitäten der unterschiedlichen Fachrichtungen und VertreterInnen aus dem E- und IT-Bereich waren etwa auch Sozialpartner, ehemalige und aktive PolitikerInnen der Landes- und Bundesebene samt BundesrätInnen und Nationalratsabgeordneten vor Ort. Das heutige Symposium baut auf das Grünbuch des Bundesrats und die Online-Konsultation unter www.digidem.at auf und soll in der Länderkammer als Prozess zu einer politischen Strategie Richtung Auftrag an Nationalrat und Regierung führen.

E-Voting: Nutzenabwägung einerseits, Zweifel an Umsetzbarkeit andererseits
Zum Thema Wahlen und Abstimmungen gab Robert Krimmer, Professor für E-Governance an der Technischen Universität Tallinn Einblicke in Internetwahlen in Estland. Erich Neuwirth, Professor der Fakultät für Informatik der Universität Wien, referierte seinen Standpunkt zu "E-Voting: Nutzen und Gefahren".

In Estland ist das System des E-Voting mittlerweile identitätsstiftend und wird auch international als Art digitales Narrativ betrachtet, sagte Robert Krimmer. Es werden aktuell zum achten Mal seit 2005 Wahlen auch über das Internet durchgeführt, die Beteiligung lag zuletzt bei mittlerweile einem Drittel der abgegebenen Stimmen. Diese Form der Wahl sei im Land auch nicht mehr umstritten, gegen grundsätzliche Skepsis sei der Zugewinn an Mobilität und Komfort erkannt worden. Man habe sich in Estland für eine einfaches Verfahren entschieden, das die Briefwahl abbildet, zudem werde bei jeder Erstellung von Personalausweisen standardmäßig die E-Signatur aktiviert. Ob die Form der Internetwahl auch für andere Länder funktioniert, sei abzuwägen, so der Experte. Auf Rückfragen und Kritik aus dem Publikum ergänzte Krimmer, dass es in Österreich vermutlich wenig Grund gebe, am bestehenden System etwas zu ändern. Den Zug der Zeit müsse man trotzdem erkennen sich auf die Entwicklung der Digitalisierung in 20 bis 30 Jahren einstellen.

Skeptisch bei der Frage nach Belegbarkeit der korrekten Stimmabgabe zeigte sich demgegenüber Erich Neuwirth. Aus seiner Sicht sei es auch schwierig, beim E-Voting etwa die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs zu erfüllen, theoretische Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen. Außerdem seien die Einhaltung der Grundprinzipien der geheimen und anonymen Wahl, ebenso wie der für E-Voting erforderliche technische Wissensstand aller BürgerInnen ad hoc nur schwierig realisierbar. Neuwirth schließt nicht aus, dass Internetwahlen auch in Österreich in Zukunft in Frage kommen. Diese derzeit einzusetzen hält er allerdings für gefährlich und verweist auf die große Herausforderung, dass Wahldaten einerseits verifizierbar sein müssten, andererseits die Anonymität zu garantieren ist. Dem schlossen sich auch Diskussionsteilnehmer wie etwa die Bundesräte Reinhard Todt (S/W) und Stefan Schennach (S/W) an. Es sei gut, dass das Thema vom Tisch sei, so Schennach. Auch, dass der Gang zur Wahlurne an sich ein symbolischer Akt sei und dieser nicht zu einem "voting alone" vor dem PC werden dürfe, wurde in der Diskussion angesprochen.

Digitalisierung als Chance für mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung
Auf die Möglichkeiten zu Online-Bürgerbeteiligungen ging Andreas Kovar, Geschäftsführender Gesellschafter der Kovar & Partners GmbH, ein. Als wichtigste Vorteile von gesteigerter E-Partizipation erachtet er, dass es zu einem deutlichen Anstieg in der Akzeptanz von Entscheidungen kommt, wenn BürgerInnen mitentscheiden können, kurzfristig auf Entwicklungen reagiert werden könne und die Politik nicht nur mit WissenschaftlerInnen und InteressensvertreterInnen, sondern auch direkt mit Betroffenen in Austausch treten kann. Kovar vermisst, dass Informationen bei politischen Diskussionen derzeit nicht in ausreichendem Maß ausgetauscht werden, was allerdings weniger an den fehlenden Instrumenten liegt, als vielmehr an einem noch nicht gelernten Umgehen mit den digitalen Optionen. Für den Parlamentarismus sieht er von Seiten der Geschäftsordnung keine Behinderung, informelle in formelle Vorgänge zu integrieren. Daher gelte es, Prozedere zu entwickeln, die Digitalisierung, die in der Zivilgesellschaft schon vorangeschritten ist, auch in der Politik zu nutzen. Dadurch könne Österreich im internationalen Vergleich einen Standortvorteil erlangen.

Auch für Ursula Seethaler, Vorstandsvorsitzende von Liquid Participation fehlt es an nachhaltigen Online-Beteiligungsprozessen. Sie unterschied in ihrem Vortrag Top-down- und Bottom-Up-Strategien. Bei den Top-down-Strategien erkennt sie in Österreich bereits Fortschritte, allerdings vermisst sie genaue Definitionen von Zielsetzungen, die verfolgt werden sollen. Bei Bottom-up-Strategien müsse vor allem darauf geachtet werden, dass Tools verwendet werden, die an die jeweiligen E-Partizipationsformate angepasst werden können. Derzeit gebe es eine vielfältige Auswahl an technischen Tools für beispielsweise NGOs oder Gemeinden, wodurch die Experimentierfreudigkeit der jeweiligen Institution ausschlaggebend für die Auswahl der Anwendungen ist. Hier einen klaren Kriterienkatalog festzulegen, würde auch ein wichtiger Impulsgeber für ProgrammentwicklerInnen sein. Die Politik sei daher gefordert, klare Standards dafür aufzustellen, was Gemeinden oder Zivilgesellschaft benötigen, um nachhaltige Online-Beteiligungsprozesse zu schaffen.

Digitalisierung würde neue Möglichkeiten zur Transparenz schaffen, sagte Robert Harm von open3, dem Verein zur Förderung von open Society, openGovernment und openData. Informationstransparenz ist ein wichtiger Faktor, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu stärken. Daten sind ein wichtiges Gut, von dem mehr benötigt würde, schließlich sei Information auch ein öffentliches Gut, unterstrich Harm. Er plädierte daher für Open Government Data, wonach eine proaktive Informationsfreigabe durch den Staat umgesetzt werden soll. Lediglich wenn dadurch Privatsphäre und Sicherheit bedroht werden, dürfe Information zurückgehalten werden. Hierzu wäre ein Informationsfreiheitsgesetz nötig, das Regelungen für Informationen festlegt, wenn diese nicht veröffentlicht werden dürfen.

Für Liquid Democracy trat Moritz Ritter, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied von dem Verein Liquid Democracy, ein. Stellungnahmen zu Gesetzen sollten dadurch unabhängig von Zeit und Ort sowie direkt an Textstellen der jeweiligen Gesetze vorgenommen. Bei bestimmten Fachthemen sollten außerdem ExpertInnen anstelle von VolksvertreterInnen als stimmberechtigt herbeigezogen werden können. Die technischen Möglichkeiten hierzu seien bereits gegeben, betonte Ritter. Die "digitale Spaltung", wonach die Medienkompetenz vom Einkommen und Bildungsgrad abhängen, müsse durch bildungspolitische Maßnahmen aufgehalten werden. Außerdem fehle es Parteien und Parlamenten an Mut, digitale Plattformen nicht mehr nur als reine Distributionsmedien zu verstehen. Nicht zuletzt brauche es verbindliche Verfahren zur digitalen Beteiligung, um eine dynamische Demokratie zu schaffen.

Digitale Gesellschaftsprozesse: Effektivierung und Nutzereinbindung
"App statt Amt?" fragte Maximilian Schnödl, Chief Operating Officer von Accela und Aufsichtsrat im Bundesrechenzentrum, in seinem Vortrag. Er plädierte für digitale Transformation von Behördenwegen, wodurch eine deutliche Effektivierung dieser Prozesse entstehen würde. Beispiele aus den USA oder Dubai würden zeigen, dass eine solche Transformation von vielen Behördenwegen hin zu einer Erledigung im Internet vollzogen werden kann. Für Österreich ortete er Nachbesserungsbedarf in verschiedenen Punkten. Bei Standortfragen wie bei Betriebsgründungen, Baubewilligungen und Steuererklärungen hinke Österreich im internationalen Vergleich noch hinterher. Bei Bürgerservices war Österreich mit der Plattform help.gv.at lange Spitzenreiter im internationalen Vergleich, habe hier aber den Anschluss verpasst und müsse sich auf eine Weiterentwicklung konzentrieren. Generell gelte es auch, Innovationen im Hinblick auf digitale Transformation verstärkt zu fördern. Außerdem biete die Digitalisierung Chancen für die öffentliche Hand, effizientere Services anzubieten und die Organisation zu verbessern.

Ulrike Huemer, Chief Information Officer der Stadt Wien, kritisierte, dass Gesellschaftsprozesse der öffentlichen Hand bisher meist nur direkt in die digitale Welt übertragen würden, anstatt sie zu analysieren und in Hinblick auf die Digitalisierung weiterzuentwickeln. Man könne hier bei Usability und der Einbindung von UserInnen viel von kommerziellen Plattformen lernen. Die öffentliche Verwaltung habe zwar keine Konkurrenz zu befürchten, müsse aber auch in der digitalen Entwicklung handlungsfähig bleiben sowie Prozesse einfacher machen. Dabei müssten die Innovationskraft und Bedürfnisse von BürgerInnen berücksichtigen werden. Als Beispiel nannte Huemer hier Workshops für BürgerInnen, in denen Prozesse im Digitalen neu gestaltet werden können oder eruiert werden, welche Anwendungen tatsächlich gebraucht werden. So sei eine Störungs-App für WienerInnen entstanden, aber Huemer kann sich auch vorstellen, auf diesem Weg z.B. das Grundbuch oder ein Ideenmanagement neu zu gestalten. Wichtig sei hier aber, dass Datenschutz und Freiwilligkeit der Angebote stets bewahrt bleibt, um das Vertrauen in öffentliche Instanzen zu erhalten.

Auf entsprechende Fragen aus der Diskussion bestätigte Huemer, dass Wien viel Wert auf Open Source Software lege und diese auch einbinde. Zudem würden alle Services auch weiterhin analog angeboten, betonte sie gegenüber Bundesrätin Heidelinde Reiter (G/S), die diesen Aspekt thematisierte. Es gebe kein Entweder-oder, sondern immer eine Kombination aus online und offline, so Huemer dazu.

E-Voting, Partizipationsprozesse, Fake News in der Abschlussdiskussion
Neben dem E-Voting wurden in der abschließenden Diskussion etwa auch Partizipationsprozesse, das Thema Fake News und Kontrollsysteme sowie eine Klarnamenpflicht und Bildungsfragen thematisiert. Partizipation brauche unterschiedlichste Formen und jedenfalls Verbindlichkeit, meinte etwa Bundesrat Stefan Schennach. Ein drängendes Thema sei hinsichtlich Fake News auch die Frage, wohin sich der Wert von politischem Inhalt entwickle und welche Rolle das Parlament der Zukunft dabei haben werde. Bundesrat Martin Preineder (V/N) plädierte für Verantwortung beim Publizieren im Netz. Hier seien etwa Kontrollsysteme und Kennzeichnungsmaßnahmen zu überlegen, um feststellen zu können, woher falsche News kommen. Offene Daten werden gebraucht, so Preineder, in der Balance zwischen dem gläsernen Staat und dem gläsernen Bürger seien allerdings auf die Schnittstellen zu achten.

Eine etwaige Klarnamenpflicht wurde kontrovers gesehen. Gegen Argumente wie etwa steigendes Niveau seien auch Gründe zu beachten, warum es in manchen Situationen auch Anonymität im Netz geben müsse, hieß es in der Debatte. Zum Thema Ausbildung kam einerseits die Anmerkung, dass die sogenannten "Digital Natives" meist schlicht UserInnen seien und sich nicht mit Technikfolgen auseinandersetzen. Auf der Seite von InformatikerInnen wurde eine Art "Eid des Hippokrates" für Programmierer vorgeschlagen, damit nicht ohne Reflexion Geschäftsideen in die Welt gesetzt würden. Diskutiert wurde etwa auch, Demokratie "als Suchmaschine" zu denken, im Sinne moderner, interaktiver Formen der Partizipation. Demgegenüber wurde eine Entwicklung Richtung Unmündigkeit befürchtet.

Bundesratspräsident Edgar Mayer betonte zum Abschluss, dass die Online-Konsultation über den Link www.digidem.at nach wie vor offen ist. Das Grünbuch "Digitalisierung und Demokratie" ist auf der Website des Parlaments als PDF unter https://parl.at/ldyCO abrufbar.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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