Großküchen, die Umwelt schützen
 und Tierleid vermeiden

 

erstellt am
20. 11. 17
13:00 MEZ

Initiative „Gutes Gewissen – Guter Geschmack“: Fachtagung im Donauspital und Showkochen im Seniorenwohnhaus Tamariske
Wien (rk) - Die Stadt Wien stellt täglich 100.000 Mahlzeiten bereit – sei es in Kantinen, Schulen, Kindergärten, Spitälern oder SeniorInnenwohnhäusern. Bei einer derartigen Menge kann mit der richtigen Auswahl der Zutaten vieles zum Besseren bewegt werden: Wenn Lebensmittel gekauft werden, die unter möglichst geringen Umweltbelastungen, unter hohen Sozialstandards, aber auch unter Vermeidung von Tierleid hergestellt wurden.

Die Initiative „Gutes Gewissen – Guter Geschmack“ lud daher zu einer Fachtagung im Donauspital und einem Showkochen mit Produktpräsentation im Haus Tamariske des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser. Beide Veranstaltungen standen unter dem Motto: Wie kann vor allem in Großküchen das Bewusstsein für einen derart umfassend nachhaltigen Einkauf geschärft werden und welche Vorbilder gibt es dafür bereits?

Kennzeichnungspflicht – Auszeichnungen - Forderungskatalog
„Gutes Gewissen – Guter Geschmack“ wurde von der Wiener Umweltschutzabteilung – MA 22 und der Tierschutzombudsstelle Wien (TOW) ins Leben gerufen und wird seit heuer auch vom Ökosozialen Forum Wien unterstützt. Im dritten Jahr ihres Bestehens konnte die Initiative bereits konkrete Erfolge erzielen: So wird beispielsweise gemeinsam mit der Landwirtschaftskammer an einer Kennzeichnungspflicht für sogenannte „versteckte Eier“ gearbeitet. Das sind Eier, die etwa in bereits fertig produzierten Kuchen oder Aufstrichen enthalten sind und deren Herkunft – anders wie bei Schaleneiern – derzeit nicht deklariert werden muss. Diese „versteckten Eier“ können daher auch aus dem EU-Ausland stammen, wo sie teilweise unter desaströsen Bedingungen für Umwelt und Tiere hergestellt werden.

„Im Rahmen unseres Programms ÖkoBusiness Wien bereiten wir überdies eine Auszeichnung für Gastronomie- und Hotelerie-Betriebe vor, die umfassend nachhaltig für Umwelt und Tierwohl arbeiten“, ergänzt Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung – MA 22. Eva Maria Persy, Leiterin der Tierschutzombudsstelle Wien, verweist auf einen Forderungskatalog an die künftige Bundesregierung, der gemeinsam mit allen namhaften Tierschutzorganisationen erarbeitet wurde: „Darin sind auch die wichtigsten Anliegen unserer Initiative enthalten – wie ein Verbot von tierquälerischen Praktiken wie die Ferkelkastration ohne Betäubung.“ Auch wird der Einsatz von tierfreundlich erzeugten Produkten in öffentlichen Einrichtungen gefordert – nach dem Vorbild des von der MA 22 geleiteten Programmes ÖkoKauf Wien.

Fachtagung „Gemeinschaftsverpflegung: richtig – gut – günstig“
Wissensaustausch, die Präsentation vorbildlicher Groß- und Gemeinschaftsküchen und die Vernetzung wichtiger Akteure war das Anliegen der Fachtagung „Gemeinschaftsverpflegung: richtig – gut – günstig“ im Wiener Donauspital – SMZ Ost. Zunächst wurde das Thema in drei Expertenvorträgen aufgearbeitet: Professor Hans-Peter Hutter, Oberarzt am Department für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der MedUni Wien erläuterte die gesundheitlichen Aspekte des Fleischkonsums. Demnach könne laut einer Studie durch eine Fleischreduktion im Lebensmittelmix die Gefahr vorzeitiger Sterbefälle um vier bis elf Prozent reduziert werden. Auch die CO2-Belastung durch die Produktion unserer Lebensmittel kann durch Fleischreduktion um rund ein Viertel gesenkt werden.

Tierarzt und Lebensmittelwissenschafter Professor Rudolf Winkelmayer widmete sich den ethischen Aspekten des Fleischkonsums. „Niemand würden seinen Hund so behandeln, wie Schweine gehalten werden“, gab Winkelmayer ein Beispiel. Auch er empfiehlt zumindest eine deutliche Fleischreduktion – „wir sollten Reduktarier werden“ – und „so Bio wie möglich“ zu konsumieren.

Siegrid Stagl, Professorin für ökologische Wirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien betonte in ihrem Referat, dass es bei einem entsprechend politischen Willen „mittelfristig keine ökonomischen Zwänge“ gebe. „Märkte sind sozial und kulturell geprägt, sie funktionieren nicht nach physikalischen Gesetzen.“ Marktregeln können daher sehr wohl im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation geändert werden.

Lebensmittel als Hebel für den Klimaschutz
Josef Taucher, Generalsekretär des Ökosozialen Forums Wien, betont in diesem Zusammenhang, dass Lebensmittel ein zentraler Hebel für die Umwelt- und Klimaschutzpolitik seien: Die Wahl der Lebensmittel hat direkte Auswirkungen auf den Land- und Bodenverbrauch, den Wasserverbrauch, dem Einsatz von Pestiziden und Fungiziden und nicht zuletzt auf das Transportwesen. „Für ein Kilo Fleisch werden 4 bis 25 Kilo Getreide benötigt. Hier liegt ein großes Potenzial, Ressourcen einzusparen: Würden die Erträge nicht an Nutztiere verfüttert, könnten 3,5 Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden“, betont Josef Taucher.

Vorbildliche Beispiele
In einem Podiumsgespräch wurden anschließend bei der Fachtagung im Donauspital Betriebe und Einrichtungen präsentiert, die bereits vorbildliche Initiativen umgesetzt haben. Wie etwa die Schulküche „echt.im.biss“ im Bachmann-Gymnasium Klagenfurt: Hier wird alles frisch zubereitet, Verpackungsmaterialien reduziert, auf Palmöl verzichtet; es wird gemeinsam mit SchülerInnen gekocht und Bauernhöfe, von denen die Produkte kommen, besucht. Im Uniklinikum Graz wiederum wurde die Cook-And-Chill-Produktion umgestellt. Hier gelten im Küchenbetrieb nun die Grundsätze: Gesunde Ernährung, regional, saisonal und wenn möglich in Bioqualität.

Im Rahmen des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) wird beispielsweise im Krankenhaus Hietzing der Einsatz von Biolebensmitteln schön seit längerem forciert, wie Christina Schmidt, die Koordinatorin für nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln im KAV erläuterte. Überdies gibt es einen saisonalen Sommer- und Winterspeiseplan und es wird nur eine von drei Speisen mit Fleisch angeboten. Im Angebot ist im KH Hietzing auch der „natürlich gut Teller“, eine langjährige Initiative der Wiener Umweltschutzabteilung: Ein umfassend nachhaltiges Menüangebot in Bioqualität, regionalen, saisonalen Lebensmitteln, Fleischreduktion und fair gehandelten Produkten.

Für Martina Leising, Diätologin am sozialmedizinischen Zentrum Floridsdorf, sollte in diesem Zusammenhang Wirtschaftlichkeit in der Spitalsverpflegung nicht oberste Priorität haben: „Wir sind doch ein Gesundheitsbetrieb und haben einen entsprechenden Auftrag.“

Der Milan Urban Food Policy Pact
Ein Hebel für die Umstellung auf und die Förderung einer umfassend nachhaltigen Ernährung ist der „Milan Urban Food Policy Pact“, der im Oktober 2015 von Bürgermeister Michael Häupl unterschrieben wurde. Für dessen Umsetzung ist die Koordinatorin Adelheid Sagmeister, die im Rahmen der Wiener Umweltschutzabteilung – MA 22 eine Ernährungsstrategie für Wien erarbeitet.

Zum Abschluss der Fachtagung im Donauspital wurden in Arbeitsgruppen Ideen gesammelt, wie diese vorbildhaften Einrichtungen und Initiativen verstärkt, neue Standards gesetzt und Impulse für den Umweltschutz und das Tierwohl in Gemeinschaftsküchen ermöglicht werden können.

Showkochen und Produktpräsentation im Haus Tamariske
Bei der Fachtagung ist auch das Beschaffungswesen im Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) präsentiert und mehrfach als Vorbild genannt worden. Was in den 30 Wiener „Häusern zum Leben“ bereits umgesetzt ist, wurde bereits am Vortag im Haus Tamariske in Wien-Donaustadt demonstriert: Im Speisesaal wurde eine Menüfolge des „natürlich gut Tellers“ live für die BewohnerInnen des Hauses zubereitet und kommentiert – und draußen im Foyer konnten sie sich bei den anwesenden ProduzentInnen über die verwendeten Produkte informieren: regionale, saisonale, Bio Lebensmittel – und Betriebe, die in ihrer Produktion Maßnahmen gegen das Tierleid setzen.

Grundsätzlich gilt im KWP: In allen 30 Häusern wird täglich frisch gekocht. Den BewohnerInnen werden fünf abwechslungsreiche Mahlzeiten serviert, das sind jeden Tag 36.000 Portionen. Mindestens 3-mal pro Woche gibt es den umweltfreundlichen „natürlich gut Teller“ auf dem Speiseplan.

Nachhaltigkeit als Win-win-Situation
Etwa 70 Prozent der im KWP verarbeiteten Lebensmittel werden aus der Region bezogen, 30 Prozent sind Bio-Ware, die Süßwasserfische stammen zum Großteil aus österreichischer Zucht, die Meeresfische sind MSC-zertifiziert. „Die organisatorische Planung geht so weit, dass zum Beispiel die Verhandlungen mit den Bio-Bauern bereits ein Jahr im Voraus beginnen, erläutert Gerhard Schöberl, Verantwortlicher für die Lebensmittelbeschaffung im Kuratorium. „Teilweise wird die Ernte ganzer Felder abgenommen. Eine Win-win-Situation für beide Beteiligten: Das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser bekommt einen guten Preis und die 150 Bio-Bauern haben eine Abnahmegarantie.“

Und das Angebot wird ständig weiter verbessert: Künftig sollen im KWP auch Würste aus Hänchenfleisch angeboten werden – Hähne aus Freilandhaltung, die nicht, wie sonst meist in Legehennen-Betrieben üblich, aus rein wirtschaftlichen Gründen gleich nach dem Schlüpfen getötet wurden.

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.umweltschutz.wien.at

 

 

 

 

 

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