Stammzellforschung in Österreichs

 

erstellt am
23. 02. 18
13:00 MEZ

Status quo und Zukunftsperspektiven
Wien (imba) - Im Rahmen von SY-Stem, einer internationalen Stammzellkonferenz, die von 22. bis 24. Februar am Vienna BioCenter in Wien stattfindet, stellte Jürgen Knoblich, der Koordinator der Stammzellforschungs-Initiative am IMBA, die neuen Stammzell- Forschungsgruppen sowie aktuelle Forschungsschwerpunkte und jüngste Erfolgsgeschichten vor.

Zukunftszweig der modernen Biomedizin
Die Stammzellforschung ist eine wichtige Triebfeder für die moderne Biomedizin: Ob Krebs und andere Zivilisationskrankheiten, seltene Erkrankungen oder neue Anwendungen für die Regenerationsmedizin– weltweit setzen WissenschaftlerInnen auf Stammzellen, um die Ursachen von Krankheiten zu erforschen und neue Therapiemöglichkeiten zu erschließen.

Stammzellen sind die „Alleskönner“ unter den Zellen. Sie haben das Potenzial, Gewebe des menschlichen Körpers neu zu bilden und sind somit für die regenerative und die personalisierte Medizin nicht mehr wegzudenken. Auch als „Modellorganismus“ eröffnen Stammzellen neue ethische Dimensionen – denn dank Stammzellen, die in der Petrischale gezüchtet werden, könnten in Zukunft Tierversuche erheblich reduziert werden.

Das IMBA genießt mittlerweile Weltruf in der Stammzellforschung. Bereits 2013 sorgte der Stammzell-Pionier Jürgen Knoblich mit seinen Gehirn-Organoiden für eine wissenschaftliche Sensation. Die erstmals am IMBA entwickelte Technologie wird mittlerweile weltweit angewandt und erlaubt es, neurologische Krankheiten direkt am menschlichen Gewebe zu erforschen.

Umfangreiche Stammzellinitiative am IMBA
Seit 2016 wurde der Stammzellfokus am IMBA kontinuierlich ausgebaut. In der hauseigenen „Stem Cell Core Facility“, werden seit 2016 iPS Zellen gezüchtet. Das sind Körperzellen, etwa aus einer Blut- oder Hautprobe, die zu Stammzellen umprogrammiert werden. Sie sollen in Zukunft nicht nur der IMBA Stammzellforschung zugutekommen, sondern für die gesamte österreichische Wissenschaftsgemeinde verfügbar sein.

An unterschiedlichsten Themen der Stammzellbiologie forschen mittlerweile am IMBA 7 Gruppen – Jürgen Knoblich arbeitet an der ständigen Weiterentwicklung der Gehirnorganoide, um Krankheiten wie Epilepsie, Autismus, Schizophrenie oder Gehirntumoren eingehender erforschen zu können. Zu einigen dieser Projekten gibt es bereits Kollaborationen mit klinischen Partnern.

Sasha Mendjan hat sich zum Ziel gesetzt, die komplexe Entwicklung des menschlichen Herzens zu verstehen. Dazu spielt er diese im Labor nach und lässt aus iPS Zellen Herzgewebe in der Petrischale wachsen. So möchte er die Basis für neue Behandlungsmöglichkeiten bei Herzkreislauferkrankungen finden. Darüber hinaus will er seine Herz-Modelle so weiterentwickeln, dass sie aus Zellen von Patienten gewonnen und zum Testen von Medikamenten verwendet werden können.

Ulrich Elling gelang bereits 2011 ein außerordentlicher Clou, nämlich die Entwicklung einer Technologie zur Herstellung von haploiden Stammzellen, was bis dahin nicht möglich war. Seit 2017 steht nun basierend darauf eine Biobank für die wissenschaftliche Gemeinschaft zur Verfügung: Haplobank ist ein „Archiv der Mutanten“, mit dem sich einzelne Gene und Wechselwirkungen zwischen Genen noch effizienter erforschen lassen.

Kikue Tachibana arbeitet an der „Mutter aller Zellen“, der befruchteten Eizelle, die als einzige Zelle die Fähigkeit hat, einen gesamten Organismus auszubilden. Weltweit wird zurzeit intensiv danach geforscht, wie aus zwei spezialisierten Körperzelle, nämlich Eizelle und Samenzelle, allein durch Umstrukturierung des Zellmaterials die „mächtigste Stammzelle“ werden kann. Erst kürzlich konnte Tachibanas Team diesbezüglich wegweisende Erkenntnisse liefern.

Nach einer internationalen Ausschreibung konnten 2017 zwei neue Stammzell-GruppenleiterInnen gewonnen werden
Noelia Urbán wechselte 2017 vom renommierten Francis Crick Institute in London ans IMBA. Im Fokus ihrer Forschung stehen adulte Nervenstammzellen, die auch bei Erwachsenen ständig neue Nervenzellen bilden und durch eine Reihe von Faktoren, wie etwa Bewegung, Ernährung, Stress oder Medikamente wie Psychopharmaka gesteuert werden. Die Forscherin erhofft sich neue Einblicke in die Zusammenhänge zwischen diesen adulten Stammzellen und neurodegenerativen Erkrankungen, Gedächtnisstörungen, sowie affektiven Störungen wie etwa Depressionen.

Bon-Kyoung Koo wurde im Oktober 2017 als Gruppenleiter ans IMBA berufen. Zuvor forschte er an der Universität Cambridge und am niederländischen Hubrecht Institut in Utrecht. Er beschäftigt sich mit den Mechanismen der Zellerneuerung unsere Organe. Viele unserer Organe, wie etwa Magen oder Darm, müssen stetig Zellen erneuern, um funktionsfähig zu bleiben. Adulte Stammzellen machen dies möglich. Diese körpereigene Regeneration wird durch komplexe molekulare Signale streng kontrolliert. Koos Forschung ist daher gerade hinsichtlich der Krebsentstehung von Magen- und Darmkrebs sehr relevant. Auch der bis dato wenig erforschte Leberkrebs steht im Visier des Forschers.
Klinischer Nutzen, Netzwerke und Zukunftsperspektiven

Zusammen mit dem renommierten Stammzellexperten Marius Wernig, der in Stanford mittels Stammzellen an neurologischen Erkrankungen forscht, Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck, einem Pionier der direkten Reprogrammierung von Hautzellen in Gehirnstammzellen, sowie Martha Feucht, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, die an Epilepsie bei Kindern forscht, wurden Status Quo und Zukunftsperspektiven in der Stammzellforschung analysiert. Dabei wurde insbesondere die Signifikanz der heimischen Forschung im internationalen Vergleich betont und der klinische und gesellschaftliche Nutzen beleuchtet.

„In den letzten Jahren ist Österreich in den Blickpunkt der internationalen Forschergemeinde, gerückt, nicht zuletzt aufgrund der Errungenschaften am IMBA. Jürgen Knoblich und sein Team haben mit den ersten Gehirn- Organoiden echte Pionierarbeitet geleistet, und damit der Forschung an neurologischen Erkrankungen eine völlig neue Richtung eröffnet,“ sagte der renommierte Stammzellforscher Marius Wernig, der an der Universität Stanford mit Stammzellen an verschiedenen Nerven- und Hautkrankheiten forscht. 2016 verbrachte er einen Forschungsaufenthalt am IMBA. „Vor allem die Infrastruktur im Bereich der Stammzelltechnologie ist im internationalen Vergleich beeindruckend und gerade für junge WissenschaftlerInnen nicht selbstverständlich. Als Österreicher freue mich ganz besonders, dass ein junges österreichisches Institut wie das IMBA in der Weltklasse der Stammzellforschung mitmischt.“

Frank Edenhofer ist Professor für Genomik an der Universität Innsbruck und arbeitet an zellbiologischen Grundlagen von Stammzellen und deren biomedizinische Anwendung. Er setzt sich intensiv dafür ein, die österreichische Stammzell-Forschung intensiver zu vernetzen und deren Sichtbarkeit national wie international nachhaltig zu stärken. „Das Spektrum der österreichischen Forschungslandschaft erstreckt sich von Grundlagenforschung im Bereich der molekularen und zellulären Mechanismen, über die Modellierung von komplexen Erkrankungen wie Parkinsonsche Erkrankung und Herzmuskelschwäche bis zur klinischen Anwendung, insbesondere im Bereich der Blut- und Haut-Stammzelltransplantation. Deswegen ist besonders erfreulich, dass die österreichische Forschungslandschaft mit der Stammzellforschungs-Initiative am IMBA eine neue erfolgversprechende Komponente erhält,“ so Edenhofer.

Auch die klinische Forschung setzt große Hoffnungen auf die Stammzellforschung. „Ich bin täglich mit dem Leiden von Kindern mit schweren neurologischen Problemen wie Epilepsien konfrontiert, die mit dem aktuellen Wissen oft nur schwer oder gar nicht behandelbar sind. Nach langem „Forschungsstillstand“ bei neurologischen Erkrankungen –mangels geeigneter Krankheitsmodelle – eröffnen die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Organoide neue Möglichkeiten. Konkret laufen zurzeit zwei Studien in Zusammenarbeit mit Jürgen Knoblichs Team am IMBA, um die Ursachen von zwei genetisch verursachten Gehirnkrankheiten mit Organoiden zu erforschen, die sehr schwere Symptome bei Kindern verursachen,“ sagte Martha Feucht, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, und Leiterin der Ambulanz für Erweiterte Epilepsiediagnostik an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien

Stammzellen im öffentlichen Dialog
Auch im Bereich Bewusstseinsbildung und gesellschaftlicher Dialog sind Stammzellen am IMBA ein Thema. Bereits 2017 initiierten ForscherInnen rund um Jürgen Knoblich das erste Bioethik Symposium am Vienna BioCenter, das sich der Stammzell-Thematik widmete. Am 16. März beteiligt sich IMBA auch am UniStem Day. Ziel des internationalen „Stammzell-Tages“ ist es, Wissen über den aktuellen Stand, die Entwicklung und das Potenzial der Stammzellforschung Schülerinnen und Schülern anzubieten. Der UniStem Day möchte Neugierde fördern, Fragen vertiefen und Fakten vermitteln.

„Die moderne Biologie orientiert sich immer mehr in Richtung Medizin – und Stammzellforschung ist dabei eine wichtige Triebfeder. Innerhalb von wenigen Jahren hat diese neue Technologie die Forschung geradezu revolutioniert und eröffnet neue Möglichkeiten für eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten. Wir freuen uns, dass in Österreich die Signifikanz von Stammzellforschung für Forschung und Gesellschaft erkannt und dementsprechend bewertet wird, und dass wir dieses Zukunftsfeld für die Medizin am IMBA mitgestalten dürfen,“ sagte Jürgen Knoblich.

Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie,RNA-Biologie, Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer Forschung in Österreich.

Über das Vienna Biocenter
Das Vienna BioCenter (VBC) ist einer der führender Life-Science-Standorte Europas und vereint die außergewöhnliche Kombination aus Forschung, Lehre und Privatwirtschaft an einem Campus: 1.700 MitarbeiterInnen, 1.300 StudentInnen, 88 Forschungsgruppen und 18 Biotech-Unternehmen. WissenschaftlerInnen aus 69 Nationen schaffen ein hochdynamisches Umfeld auf internationalem Top-Niveau.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.imba.oeaw.ac.at
http://www.viennabiocenter.org

 

 

 

 

 

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