Wiener Raum. Raumqualitäten
 aus Perspektive der Kunst.

 

erstellt am
14. 03. 18
13:00 MEZ

Ausstellung in der Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof von 15. März bis 14. April 2018
Wien (die angewandte) - Auf die drängende politische Anforderung der 1920er Jahre neuen Wohnraum für mehr als 200.000 Menschen zu schaffen, reagierte die Gemeinde Wien mit dem umfassenden Bauprogramm der Gemeindebauten. Knapp hundert Jahre später verfügen diese Gemeindebauten immer noch über spezifische Raumqualitäten, die in aktuellen Wohnbauprogrammen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die Ausstellung Wiener Raum beschäftigt sich mit der Frage nach Raumqualitäten aus der Perspektive der Kunst, sie verknüpft Fragen des kommunalen Wohnbaus mit ästhetischen Konzepten der Skulptur der Gegenwart. Der Ausstellung ging ein Seminar an der Universität für angewandte Kunst Wien voraus. Sie wurde von Lukas Kaufmann und Eva Maria Stadler kuratiert.

Über die Auseinandersetzung mit Raum- und Formproblemen wie Maß und Proportion, Funktion und Material hinaus werden skulpturale und räumliche Ordnungen durch die Aneignung von Räumen, Vermessung von Kubaturen, der Inszenierung von Raumlinien, Türlaibungen, Fenster-nischen, Schwellen und Übergängen überprüft und neu gelesen. Im Fokus stehen nicht nur die Begriffe der Skulptur oder des Raumes selbst, sondern das Verhältnis von Körper und Raum, von Objekt und Subjekt, von Wahrnehmung und Aktion, Situation und Handlung, um dem Raum wieder eine politische Dimension zu verleihen. "Der Wiener Raum führt Künstlerinnen und Künstler zusammen und lässt sie einen vielstimmigen Chor bilden, um dem ‚Traum vom Zusammenhang‘ (Verena Dengler) einen Ausdruck zu verleihen. Es geht darum, mit der Skulptur im erweiterten Feld - wie Rosalind Krauss es in ihrem gleichnamigen Aufsatz aus dem Jahr 1979 formuliert - und ihren Möglichkeiten der Architektur plus jenen der ‚Nicht-Architektur‘ mit axiomatischen Strukturen als Grundwerte architektonischer Erfahrungen im realen Raum zu intervenieren", erläutert Kuratorin Eva Maria Stadler.

Lukas Kaufmann und Thomas Hitchcock entwarfen für diese Form der Wechselbeziehungen ein Showcase, eine Skulptur, deren Funktion es ist, mit Zeichnungen, Fotografien und Skizzen von Oskar Strnad, Friedel Dicker-Brandeis, Amelie von Wulffen, Josef Frank, Maria Lucia Stadlmayer, Johannes Porsch und Heinrich Dunst ein textuelles Gewebe zu schaffen, das die Spannung und Relationalität zwischen Raum, Körper, Textur und Haptik, Situation und Erfahrung zu vermitteln sucht. Wiener Raum wird hier als Körperarchitektur begriffen, die in Jos de Gruyter & Harald Thys’ Arbeit ‚Seated White Element’ buchstäblich sichtbar wird.

Wie Arbeitswelt und der private Raum aufeinander bezogen sind, thematisieren Verena Dengler, Sofie Thorsen und Lucy McKenzie in ihren Arbeiten. Im Spannungsfeld von Wiener Werkstätte, Wiener Werkbund und dem Roten Wien lassen sich Narrationen ausmachen, in denen das Öffentliche privat und das Private öffentlich wird.

Josef Dabernig und Marko Lulic beschäftigen sich mit der Erfahrung des Individuums als Menge, als gesellschaftlicher Körper. Der architektonische Raum wird bei Dabernig mit dem kollektiven Erleben von Arbeit und Freizeit kurzgeschlossen, während Marko Lulic der Frage nachgeht, wie sich Utopien und Ideologien in Räume und Körper einschreiben.

Christoph Meier, Manfred Pernice, Imre Nagy, Simon Iurino und Eric Kläring erweitern das Feld der Skulptur um zeitliche, habituelle und prozessuale Funktionen. Gebrauchsgegenstände oder zum Gebrauch bestimmte Materialien entfalten skulpturale Qualitäten nicht nur auf Grund ihres Status als „ready made“, sondern mehr noch als Schnittstellen zwischen Aktion und Passivität, zwischen innen und außen. Meiers Miniaturfabriken dampfen vor sich hin, Pernice’s Fahrräder markieren den öffentlichen Raum und Imre Nagy lässt mit einem bemoosten Ziegel an Raum als verdichtete Form von Zeitlichkeit denken. Gemeinsam ist ihnen das Verständnis von Skulptur als gesellschaftliche Form.

Dem Wert der Arbeit, des täglichen Tuns als körperlichen und performativen Akt verleihen Melanie Ebenhoch, Sonja Leimer, Jenni Tischer und Lone Haugaard Madsen einen besonderen Stellenwert, indem sie an der Form arbeiten, um diese werden zu lassen. Die determinierte und zugleich offene Form beschreibt ein Verständnis von Arbeit, das sich weniger im Produkt als im Prozess verorten lässt: Arbeit als Form - als soziale Bindekraft. Jenni Tischers Fadenstücke, Melanie Ebenhochs Keramiken, Sonia Leimers schwarze Löcher oder Lone Haugaard Madsens eingegipste Arbeitshose vermögen der Arbeit einen politischen und zugleich poetischen Wert zu verleihen.

Architekt_innen, wie Josef Frank, Oskar Strnad, Friedel Dicker-Brandeis oder Margarethe Schütte-Lihotzky übten bereits in der anbrechenden Moderne, in die sie selbst involviert waren, Kritik an einer allzu mechanistischen Moderne, mit ihrer nahezu blinden Unterwerfung unter die neuen Technologien. Sie vermissten die menschliche Komponente, und mehr noch die Berücksichtigung des Körpers, der Bewegung, des Blicks oder des Sentiments, wie es Josef Frank formuliert hatte.

Eva Chytilek, Sebastian Doplbaur, Nora Schulz und Anna Zwingl öffnen ihre Arbeiten für ein Wechselspiel von Kräften und Wirkungen, indem sie Fragilität, Zerbrechlichkeit, Schutz oder Anpassung und die Rolle des Individuellen in der Menge zum Thema machen.

Raumbilder wären die Träume der Gesellschaft, sagt Siegfried Kracauer, und wo immer die Hieroglyphe eines Raumbildes entziffert ist, dort böte sich der Grund der sozialen Wirklichkeit dar. Heinrich Dunst und Johannes Porsch untersuchen Hieroglyphen von Raumbildern ganz buchstäblich. Sie arbeiten mit der Überlagerung von Zeichen, wie Buchstaben, an der Konstellation von Körper und Raum im relationalen Verhältnis und beschäftigen sich dabei mit dem Bezugssystem der Beobachtung. Johannes Porsch legt seinem grafischen Entwurf, der auch der Kommunikation der Ausstellung dient, den Begriff der revolutionären Kleinarbeit von Otto Bauer, einem der österreichischen Politiker des Roten Wien zugrunde.

"Wir verstehen die Ausstellung Wiener Raum als einen relativistischen, prozessualen Raum, der sich aus Handlungen, Beziehungen, Situationen und Erfahrungen, aus dem Persönlichen und dem Gesellschaftlichen konstituiert", so Kuratorin Stadler.

Lotte Lyon, Mirjam Thomann und Heimo Zobernig entwickeln Routinen des Alltags, und machen Serie, Repetition und Reproduktion mit ihren Abweichungen und Fehlern im Spannungsfeld von privat und öffentlich zu zentralen Faktoren emanzipierten Handelns.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.dieangewandte.at

 

 

 

 

 

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