Maly Trostenez: Bundespräsident betont
 Österreichs Mitverantwortung an NS-Verbrechen

 

erstellt am
02. 07. 18
13:00 MEZ

Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei Gedenkfeier in Vernichtungslager Maly Trostenez in Belarus mit seinen Amtskollegen aus Deutschland und Weissrussland und seinem Amtsvorgänger Heinz Fischer
Maly Trostenez/Wien (apa/prk) - Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am 29. Juni in Weißrussland Österreichs Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus unterstrichen. Bei der Eröffnung einer Gedenkstätte im NS-Vernichtungslager Maly Trostenez sagte Van der Bellen laut Redetext, auch Österreicher hätten sich an den Gräuel der Nationalsozialisten beteiligt.

In dem Lager waren auch mehr als 10.000 Österreicher umgekommen. Es handelte sich um bis zu 13.000 österreichische Juden, die nach Weißrussland deportiert und dort ermordet worden waren. Zwischen 1942 und 1944 wurden bei Maly Trostinez nahe der weißrussischen Hauptstadt Minsk 40.000 bis 60.000 Menschen ermordet, darunter neben Juden auch sowjetische Kriegsgefangene oder Partisanen. Die Opfer wurden zumeist im nahegelegenen Wald von Blagowschtschina und ab 1943 im Wald von Schaschkowka erschossen oder vergast.

Bei der Gedenkfeier im Beisein seiner Amtskollegen Alexander Lukaschenko aus dem Gastgeberland, mit dem am Nachmittag noch ein separates Treffen auf dem Programm stand, und Frank-Walter Steinmeier (Deutschland) hielt der Bundespräsident fest, dass nach dem Zweiten Weltkrieg "der Wille zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Österreich mehr als zögerlich" gewesen sei.

Der Wortlaut der Moskauer Deklaration von 1943 sei lange dazu missbraucht worden, "um Österreich, das man nur als das erste Opfer Hitlerdeutschlands wahrnehmen wollte, aus der Verantwortung zu nehmen." Heute aber stehe Österreich zu seiner Mitverantwortung.

Belarus (Weißrussland) und seine Bevölkerung hätten durch Nazideutschland ebenfalls "unaussprechliche Leiden" erdulden müssen, erinnerte Van der Bellen. Die Geschichte von Maly Trostenez und seinen Opfern sei aber im Gegensatz zu anderen Lagern ("Die Leute kennen Auschwitz, und das ist wichtig") allzu lange ein weißer Fleck auf der Landkarte westeuropäischer Erinnerung gewesen.

Jedoch sei das "Vergessen und Verdrängen "in den letzten Jahren einem erstarkenden Willen zum Erinnern und Aufarbeiten gewichen", meinte Van der Bellen. "Nicht nur in Österreich, sondern in Europa, wo es immer wieder länderübergreifende Zusammenarbeit zum Lernen aus der Geschichte gibt." Alexander Van der Bellen sprach Präsident Alexander Lukaschenko - der 63-Jährige steht seit fast 24 Jahren an der Staatsspitze von Belarus - in diesem Zusammenhang "besonderen Dank" aus für die Möglichkeit, "hier gemeinsam bei der Aufarbeitung der schwierigen Vergangenheit zusammenzuwirken".

Zuvor hatte der Bundespräsident mit der Pflanzung einer Birke den Grundstein für ein österreichisches Denkmal für die Opfer von Maly Trostinez gelegt. "Möge diese Birke stehen für das Licht, mit dem wir die dunklen Winkel unserer Vergangenheit erhellen", so der Bundespräsident. In Maly Trostenez seien mehr jüdische Österreicherinnen und Österreicher ermordet worden, "als in irgendeinem anderen Vernichtungslager", erinnerte Van der Bellen auch im Beisein von Altbundespräsident Heinz Fischer und dessen Ehefrau Margit Fischer. Ihre Familie hatte während des Zweiten Weltkriegs Opfer zu beklagen, die ihr Leben in Maly Trostenez ließen.

"Am Beispiel dieser Vernichtungsstätte wird auch auf besondere Weise deutlich, wozu die menschliche Natur fähig ist", warnte Van der Bellen. "Männer, Frauen, Kinder, die noch einige Tage zuvor in den Straßen Wiens unsere Nachbarinnen und Nachbarn waren, wurden hier ihrer letzten Habseligkeiten beraubt, in den Wald von Blagowschtschina zu vorbereiteten Gruben getrieben, an deren Rand sie sich aufstellen mussten, und mit Genickschuss ermordet. Den Lärm der Schüsse überdeckten ihre Mörder, unter ihnen auch Österreicher, mit Lautsprechermusik."

Von den tausenden Wienerinnen und Wienern, die hierher deportiert wurden, überlebten gerade einmal siebzehn "diese Hölle", betonte der Bundespräsident dem Redemanuskript zufolge. Dass der "Schreckensort" Maly Trostenez und die Namen der Toten nicht endgültig dem Vergessen anheimfielen, sei letztlich aber nicht das Verdienst der Politik gewesen.

Bezüglich der österreichischen Opfer sei dies vielmehr einer "privaten Initiative von Österreicherinnen und Österreichern und dem Engagement einiger weniger zu verdanken", erinnerte der ehemalige Grünen-Chef und hob "die großartige Arbeit von Waltraud Barton und ihres Vereins IM-MER" sowie das Engagement des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus hervor.

Waltraud Barton habe mit Ihrer Initiative "nicht nur die Namen der Opfer ihrer eigenen Familie bewahrt, sondern darüber hinaus dem kollektiven Gedächtnis Österreichs einen wertvollen Dienst erwiesen", sprach der Bundespräsident seinen expliziten Dank aus. "Dass der unbeirrbare Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern die Schritte zur Umsetzung dieses Denkmals angestoßen hat, macht einmal mehr deutlich, was eine engagierte und entschlossene Zivilgesellschaft bewirken kann."

Erst dieses Engagement habe einen Neubeginn in der österreichischen Erinnerung an die Toten von Maly Trostenez ermöglicht. Es stimme nachdenklich, "dass wir erst heute hier gemeinsam stehen, um den Grundstein für dieses Denkmal zu legen", meinte der Bundespräsident. "Erst heute, das heißt fast 77 Jahre nach den ersten Deportationen von Wiener Jüdinnen und Juden nach Minsk."

   

Auch Mahnung für Gegenwart
Bundespräsident bei gemeinsamer Gedenkfeier mit Steinmeier und Lukaschenko - "Entrechtung der Juden war ein langer Prozess"
Das geplante österreichische Denkmal in Maly Trostenez in Weißrussland kann auch eine Mahnung für die Gegenwart sein. Dieser Ansicht war Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Donnerstag auf APA-Anfrage, nachdem er in dem ehemaligen NS-Vernichtungslager nahe Minsk als symbolische Grundsteinlegung einen Baum gepflanzt hatte.

Der systematische Antisemitismus und die Entrechtung der Juden bis hin zu dem Moment, wo sie nicht mehr wert gewesen seien als ein Insekt, das zertreten werden durfte, sei nicht von heute auf morgen gekommen, sondern ein langer Prozess gewesen, erinnerte der Bundespräsident. Das dürfe man auch in der Gegenwart nicht aus den Augen verlieren.

Dass sein medienwirksamer Besuch in Maly Trostenez dazu dienen könnte, der schwarz-blauen Regierung knapp vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft vor allem hinsichtlich der Beteiligung der rechtspopulistischen FPÖ einen Dienst in Sachen Imagepflege zu leisten, stellte Van der Bellen gegenüber dem ORF in Abrede. Die zeitliche Koinzidenz sei ein "historischer Zufall".

Alexander Van der Bellen wurde von seinem Vorgänger Heinz Fischer und dessen Gattin Margit Fischer begleitet, deren Familie selbst Opfer in Maly Trostenez zu beklagen hatten. Der Altbundespräsident rief in Erinnerung, dass 2018 ein Jubiläumsjahr sei, in dem der 100. Jahrestag der Ausrufung der Ersten Republik aber auch des Einmarsches deutscher Truppen in Österreich 1938 gedacht werde.

Es sei unfassbar, dass während des folgenden Nationalsozialismus Tausende Menschen hierher gebracht worden sei, um sie systematisch zu ermorden. Zumal das Töten mit einer "bürokratischen Exaktheit durchexerziert" worden sei.

Geplant ist die Errichtung eines vom Architekten Daniel Sanwald entworfenen Denkmals, das aus einem Wettbewerb hervorging, bestehend aus zehn gleich große steinernen Stelen - als Symbol für die zehn "Wiener Transporte" nach Maly Trostenez. Bruchkanten zeigen das willkürliche Herausreißen der Opfer aus der Gesellschaft.

Im Vernichtungslager waren während des Zweiten Weltkriegs nach unterschiedlichen Angaben rund 60.000 Menschen ermordet worden, manchen Quellen zufolge sogar bis zu 200.000. Darunter waren mehr als 10.000 österreichische Juden.

Damit kamen in Maly Trostenez vermutlich mehr österreichische Wiener Jüdinnen und Juden gewaltsam ums Leben als in Auschwitz oder anderen Konzentrations- oder Vernichtungslagern des Dritten Reiches. Die Opfer wurden zumeist im nahegelegenen Wald von Blagowschtschina und ab 1943 im Wald von Schaschkowka erschossen oder vergast.

Österreichs Botschafter in Minsk, Bernd Alexander Bayerl, hielt zudem fest, dass auch Angehörige anderer Religionsgemeinschaften sowie verschiedener politischen Gruppierungen ("Kommunisten, Sozialisten, Christlichsoziale") an diesem Ort getötet worden seien.

Zu Mittag nahmen Alexander Van der Bellen und Heinz Fischer an der Eröffnung einer allgemeinen Gedenkstätte in Maly Trostenez teil. Gemeinsam mit Deutschlands Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier und Weißrusslands Präsidenten Alexander Lukaschenko.

Getragene Trauermusik aus Lautsprechern und züngelnde Flammen auf Videowalls sorgten dabei für einen feierlichem bis melodramatischen Rahmen. An den Bäumen des rundum liegenden Waldes erinnerten gelbe Namenszettel an die vielfach aus Wien stammenden Opfer. Zum Beispiel Therese Füchsel, Berthold Altenstein und Ziwie Messer, unter deren Gedenkbaum Van der Bellen nach jüdischer Tradition einen Stein niederlegte.

Es gelte, durch das gemeinsame Erinnern an die Vergangenheit eine gute Zukunft zu schaffen, erklärte der weißrussische Präsident. Heutzutage würden Nazismus und Xenophobie aber keinen Halt vor Landesgrenzen machen, warnt er.

Frank Walter Steinmeier erklärte, "das Wissen, um das was hier geschehen ist", werde "zu einer tonnenschweren Last". Was hier geschehen sei, habe tiefe Wunden geschlagen. Die Errichtung einer Gedenkstätte sei daher von unschätzbarem Wert und erst durch die Bereitschaft Weißrusslands zur Versöhnung möglich geworden. Er stehe hier "voller Scham, welches Leid Deutsche über dieses Land" gebracht hätten.

Die gemeinsame europäische Verantwortung von "nie wieder Krieg" gründe auf dem Wissen, was hier geschehen sei. Wer ein gemeinsames Europa wolle, müsse um die Geschichte wissen, erklärte Steinmeier.

Mit Alexander Lukaschenko, der seit 24 Jahren im Amt ist, hatte Van der Bellen vor seinem Rückflug am Nachmittag noch einen Gesprächstermin. Dabei wollte er auch jene Themen anschneiden, derentwegen das Verhältnis von Belarus zur EU nicht so sei, wie es sein könnte, sagte der Bundespräsident und nannte die Todesstrafe als Beispiel, die in Weißrussland noch aktuell sei. Hingegen seien die wirtschaftlichen Beziehungen gut, konstatierte Alexander Van der Bellen. Auf diesem Gebiet dürfte es bereits Vertrauen geben, schlussfolgerte der Bundespräsident.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.bundespraesident.at
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