Angst: Einsicht in die Andersartigkeit des Anderen

 

erstellt am
07. 08. 18
13:00 MEZ

Der Angst als Grundgefühl der Gegenwart, deren pathologischer Ausformung zu widerstehen sei, waren die Salzburger Hochschulwochen 2018 gewidmet.
Salzburg (universität) - Angst und Furcht produktiv zu nutzen bedeute immer, Respekt und Demut zu entwickeln. Sich nicht lähmen zu lassen, sondern vielmehr Einsicht in die Andersartigkeit des Anderen zu erlangen – damit gab Erzbischof Franz Lackner Thema und Lösungsansätze der Salzburger Hochschulwochen vor. 1931 wurden sie erstmals veranstaltet. Initiatoren waren die Benediktiner aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, die den Grundstein für das legten, was von 30. Juli bis 5. August 2018 unter dem Slogan „Smarte Sommerfrische“ angeboten wurde.

Die Referenten näherten sich von den verschiedensten Seiten dem Phänomen Angst. Dass sie Teil unserer Gesellschaft ist, war für sie unbestritten. Jan-Heiner Tück, Professor für Dogmatische Theologie an der Universität Wien, zeigte, wie sich die frühere „Höllenangst“ inzwischen zu einer „Lebensangst“ gewandelt hat. War früher die Kirche vielfach ein Angststimulator, der Gott zum Buchhalter degradiert habe, so hätte sich die Entwicklung zuerst auf die Angst vor dem Sterben und in weiterer Konsequenz auf die Angst vor dem Leben konzentriert. Das „Nicht-Bestehen-Können“, der Selbstoptimierungsglaube und die Angst vor dem knappen Gut Aufmerksamkeit sei Ausdruck der heutigen Leistungsgesellschaft, die sich zunehmend von der Kirche abwende – vor allem deshalb, weil der „Kontrollgott“ an Glaubwürdigkeit eingebüßt habe. Die Krise habe sich ab dem Zeitpunkt aufgetan, als sich der säkularisierte Menschen plötzlich mit der Eigenverantwortlichkeit für sein Tun konfrontiert gesehen hat und sich dem nicht gewachsen fühlte. Tücks Credo: Der Glaube kann insofern aus dieser Krise führen, als er vermittelt, dass der Mensch darauf vertrauen könne, dass Gott ihn in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ansehe, ohne dass er dafür eine Leistung zu erbringen habe.

Von einem barmherzigen Schöpfer sprach auch Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. Vor dem Bewusstsein, dass es durch die Flüchtlingswellen seit 2015 erbitterte Diskussionen über die „Überfremdung“ westlicher Kulturen gekommen ist, zeigte er in seinen Ausführungen die Unterschiede zwischen einem monologischen und dialogischen Islam. In „Angst vor dem Islam, aber vor welchem Islam?“ differenzierte er zwischen der Sichtweise, dass Gott auf jemanden angewiesen sein, der ihm huldige (monologisch) und einem, der vor dem Hintergrund von Barmherzigkeit, Liebe und Vergebung im Menschen einen Partner sehe (dialogisch). Im ersten Modell sei der Mensch fremdbestimmt und funktionalisiert, was zu einem Missbrauch der Religion führe. Die monologische Sichtweise auf den Koran stelle seiner Ansicht nach die Legitimation für den politischen Islam dar, wo es hauptsächlich um Macht und Machterhalt gehe. Khorchide führte in diesem Zusammenhang den Aufschwung des Salafismus an, der seit 2015 bei Jugendlichen auf der Suche nach Identität, Anerkennung und Gemeinschaft extremen Zulauf hat. Andererseits habe der radikale Islam – Stichwort Islamischer Staat – viele Muslime wachgerüttelt, die sich durch dessen fundamentaler Auslegung in „ihrem“ Islam missverstanden fühlten. Die aktuellen Ereignisse hätten dazu geführt, dass sich viele Muslime wieder der Koran-Rezeption widmen würden: „Vermutlich wissen 95 Prozent der Muslime nicht, was im Islam steht“, sagte Khorchide.

Dass sich die westliche Welt dieser Flüchlingswelle zu stellen habe, sei auch eine Folge des Klimawandels. Das sagte Ottmar Edenhofer, designierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Polarisierte, ethnische Gesellschaften und gewaltsame Konflikte seien dort besonders intensiv, wenn lokale Wirtschaftsgüter wie Wasser involviert seien. So würden auch verstärkt Naturkatastrophen und eben der Klimawandel als Fluchtgrund angegeben. Umso nachhaltiger sei es, wenn sich die Staaten dieser Welt auf einen geordneten Multilateralismus einigen würden, um zusammen an der Gesundung des gemeinschaftlichen Guts Atmosphäre zu arbeiten. Anders könne man dem kollektiven Ohnmachtsgefühl nicht begegnen, das Populisten ausnutzen. Edenhofer regte Lösungen auf verschiedensten Ebenen an. Beispielsweise plädiert er dafür, Geld zu bezahlen dafür, dass fossile Rohstoffe im Boden bleiben. Die Förderung von erneuerbarer Energie führe nur dazu, dass Erdöl und Co. billiger und erst wieder genützt würden. Und er setzt sich für eine weitläufige Elektrifizierung ein, denn nur so könne die Reduktion der CO2-Emissionen auf Null bis 2050 gelingen. Als Verbündeten betrachtet Edenhofer Papst Franziskus, der sich in seiner Enzyklika „Laudato si“ für das Klima als gemeinschaftliches Gut von allen für alle einsetzt.

     

Für den Klimawandels als legitimen Asylgrund setzte sich Klaus Dörre ein. Der Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena widmete sich der Verbindung zwischen Angst und Kapitalismus. Die Flüchtlingsfrage, aber auch die Globalisierung, Sorgen um den Arbeitsplatz und gerechte Entlohnung erzeugten in der Gesellschaft eine Angst, festzustecken. Geschürt würde das durch die Eliten, die seinen Untersuchungen nach die Hauptprofiteure der Globalisierung seien. Aber auch Rechtspopulisten nützten diese diffusen Ängste aus. Deren Rassismus konzentriere sich heutzutage nicht mehr auf tatsächliche Rassen, sondern auf Kulturen und Geburtsort. Während früher die gesellschaftlichen Kämpfe zwischen „denen da oben und denen da unten“ stattgefunden hätten, tragen Populisten dazu bei, von einem „innen und außen“ zu sprechen. So finde Angstabwehr durch die Abwertung anderer statt, verarbeitet werde Angst durch Aggression und Gewalt. Einer seiner Lösungsansätze: „Wir haben dabei Angst vor Menschen, die selber Angst haben. Das kann schon ein erster Schritt sein in eine bessere Gesellschaft.“

Dem Konsumwachstum mit Persönlichkeitsentwicklung zu begegnen, war eine weitere Anregung von Klaus Dörre. Oder Humor zu entwickeln, wie die Neurologin und Humorforscherin Barbara Wild anregte. Auch wenn Angst schnelle Reaktionen ermögliche und vor Verletzungen schütze, tendiere sie andererseits auch dazu, zu generalisieren. Man müsse sehr genau hinschauen, wo die Wurzeln der Angst liegen. Beispiele dafür sind Unsicherheit, Sorgen, Neid oder Enttäuschung. Wenn man es schaffe, Angst auszuhalten, anzuschauen und sich dann von ihr zu distanzieren, könne Humor entstehen. Finde man dann noch Menschen, mit denen man lachen könne, kann er über Angst, Unsicherheit und eigene Unzulänglichkeit siegen. „Humor gibt die Freiheit, Falsches zu korrigieren und Ängsten sowie Aggressionen zivilisiert Ausdruck zu verleihen“, sagt Wild. Zugleich führte sie aber auch Medikamente zur Reduktion des Angstniveaus, Entspannungsübungen und das Verbalisieren von Emotionen als Werkzeuge zur Angstbewältigung an.

Dass Fakten nicht immer zum Sicherheitsgefühl von Menschen beitragen müssen, zeigte der Wiener Psychologe Arno Pilgram auf. Seinen Erkenntnissen nach fußt die Einschätzung von Gefahr auf drei Säulen: der Risikoeinschätzung, der emotionalen Bedrohung sowie der Verfügbarkeit von Schutz und Vermeidungsreaktionen. Und auch wenn sich Regierungen immer wieder selbst die Aufgabe gestellt hätten, die „subjektive Sicherheit“ zu erhöhen, sei Politik keine Hilfe dabei. Pilgram verwies auf das so genannte Kriminalitätsfurcht-Paradoxon. Selbst wenn es in Stadtteilen, Städten oder Regionen objektiv gesehen sinkende Kriminalitätszahlen gebe, trage das nicht automatisch zu diesem subjektiven Sicherheitsempfinden bei. Vielmehr sei persönliche Zufriedenheit und soziale Unterstützung in der Nachbarschaft ausschlaggebend dafür, ob man sich an einem Ort sicher fühle. Pilgram rief dazu auf, einen Weg zu finden, um ein würdiges Leben in Unsicherheit führen zu können.

Eingeflochten in die vielen Perspektiven von Angst waren zwei Preisverleihungen. Zum 13. Mal vergaben die Salzburger Hochschulwochen den mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis. Der Förderpreis für NachwuchswissenschaftlerInnen der Jahrgänge 1982 und jünger ging an die Wiener Theologin Annika Schmitz. Ihr Vortrag befasste sich mit Sprachlosigkeiten in der Moderne und die Bedeutung diskursiver Aneignung, unter anderem des Glaubens. Der theologische Preis würdigt das Lebenswerk, heuer jenes von Hans Joas. Der Berliner Religions- und Sozialphilosoph wünschte sich in seinem Vortrag anlässlich der Verleihung, dass die Kirche bei ihrer Suche nach einer neuen Gestalt auf Einsichten der Soziologie zurückgreift. Es lägen sehr viele Forschungsergebnisse vor, die den Prozess unterstützen könnten, beispielsweise zu Fragen nach innerkirchlichen Bewegungen, der Mystik als individualistische Ausprägung religiöser Erfahrung oder der Rolle von Orden.

An den "Salzburger Hochschulwochen" haben heuer rund 900 Interessierte teilgenommen. Im Vorjahr waren es 800 gewesen. Auch das Medienecho war groß: "Wir führen das vor allem auf das griffige und im besten Sinne anstößige Thema zurück. Offenbar ist die universitäre, denkerische Auseinandersetzung mit Themen, die an der Zeit sind, nach wie vor etwas, das funktionieren kann, das nach wie vor anspricht - gerade weil Anspruch drinsteckt,“ sagt Obmann Prof. Martin Dürnberger.

 

 

 

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