EU braucht eine industrielle Vision

 

erstellt am
12. 10. 18
13:00 MEZ

Um im globalen Wettbewerb auch in Zukunft erfolgreich zu bestehen, bedarf es laut den Teilnehmern einer Expertendiskussion der Industriellenvereinigung in Brüssel jedoch einer langfristigen industriepolitischen Vision und der Umsetzung konkreter Maßnahmen
Brüssel/Wien (wienerberger) - Der EU-Wirtschaftsstandort müsse im globalen Kontext betrachtet werden. Nur mit einer langfristigen industriepolitischen Vision, der konsequenten Umsetzung einer dementsprechenden Strategie und massiven Anstrengungen aller Beteiligten könne die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und Asien stärken. Diese Ansichten vertraten und diskutierten Wienerberger-CEO Heimo Scheuch und RHI Magnesita-CSO Reinhold Steiner mit der Abgeordneten zum Europäischen Parlament Barbara Kappel und Wolfgang Burtscher, stv. Generaldirektor DG Research and Innovation, sowie BusinessEurope-Generaldirektor Markus Beyrer und IV-Büroleiter Gernot Haas auf einer von der Industriellenvereinigung in Brüssel am 11. Oktober veranstalteten Diskussion zum Thema „Industriestandort Europa reloaded - Die EU-Industriestrategie in einer globalen Wirtschaft“.

Europäische Industriepolitik als essenzieller Bestandteil politischer Initiativen
Wienerberger-CEO Heimo Scheuch sieht in Europa eine Vielzahl von Unternehmen, die fit für den globalen Wettbewerb, innovationsfreudig und zukunftsorientiert sind. Der Wirtschaftsstandort EU müsse jedoch durch gezielte Maßnahmen durch den europäischen Gesetzgeber für zukünftige Herausforderungen gestärkt werden. Neben stabilen und vorhersehbaren Rahmenbedingungen für lokale Wertschöpfung und der Schaffung lokaler Arbeitsplätze fehle Scheuch vor allem der strategische Blick in die Zukunft: „Aktuell fehlt es zuallererst einmal an ambitionierten strategischen Zielen für die europäische Industrie. Wir brauchen eine langfristige industrielle Vision: Die Politik soll sich dazu bekennen, wo sie die Industrie in Europa in 2030 aber auch in 2050 sieht.“ Denn eine aktive EU-Standort- und Industriepolitik könne in Zeiten der Unsicherheit und des Wandels mit ihren positiven Aspekten wie Arbeitsplatzsicherung bzw. -schaffung oder Steigerung des Wohlstands eine ganz entscheidende Rolle spielen, um die Identitätskrise der EU durch den Brexit zu überwinden, so der Wienerberger-Chef. Damit das gelingt, „müssen Industrieanliegen jedoch essenzieller Bestandteil der EU-DNA werden, das heißt sämtliche politische und gesetzgeberische Initiativen müssen auf ihre Verträglichkeit gegenüber der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie überprüft werden“, ist Scheuch überzeugt.

Für Reinhold Steiner, CSO von RHI Magnesita, ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls das zentrale Thema für den Industriestandort Europa. Er ist überzeugt, dass sich Europa eine Frage stellen muss: „Wollen wir eine starke industrielle Wertschöpfung in Europa, oder sollen unverzichtbare Produkte nach Europa importiert werden – vor allem aus China?“ Damit begäbe sich aus der Sicht von Steiner am Beispiel der Feuerfestindustrie die gesamte europäische Hochtemperaturindustrie in eine langfristige, strategische Abhängigkeit von außereuropäischen Playern. Er sehe auf die Feuerfestindustrie große Herausforderungen zukommen, wenn die Auswirkungen neuer Initiativen nicht global bedacht würden. „Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit Regeln für die Zuteilung von CO2-Zertifikaten aus. Dabei droht der europäischen Feuerfestindustrie durch unbedachten europäischen CO2-Handel ein Kollateralschaden. Trotz einer starken Innovationsagenda sind wir an die fundamentalen Naturgesetze gebunden, die eine Reduktion natürlicher, geogener Prozessemissionen per Definition nicht erlaubt.“, ergänzt Steiner.

Globale Herausforderungen fordern massive Erhöhung der Anstrengungen
Für die Abgeordnete zum Europäischen Parlament Barbara Kappel müssten sich die EU und die Unternehmen vor allem auf das Thema Industrie 4.0 einstellen: „Die vierte industrielle Revolution ist eine globale Herausforderung. Die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Technologien, welche die Privatsphäre Einzelner oder die Sicherheit der Daten im Allgemeinen schützen, werden wir meistern. Denn das Kernelement der Wirtschaft von morgen ist die intelligente Vernetzung von Menschen zu Maschine oder Maschine zu Maschine. Nur so können neue Wertschöpfungspotenziale entstehen.“

Europa müsse seine industrielle Basis auf jeden Fall vermehrt stärken, so Wolfgang Burtscher, stv. Generaldirektor DG Research and Innovation: „Europa hat eine exzellente Forschungs- und Innovationslandschaft und wir haben eine starke europäische Industrie, die in vielen Bereichen führend ist. Um bestehende Innovationsdefizite wettzumachen, vor allem aber um die neuen Chancen, die die nächste Innovationswelle mit Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz bietet, voll zu nützen, müssen Unternehmen, öffentliche Haushalte sowie Gesetzgeber die Anstrengungen massiv erhöhen.“

Investitionen in die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas finden bei Markus Beyrer, Generaldirektor BusinessEurope, volle Unterstützung. „Forschung, Entwicklung und Innovation sind essenziell. Dass Industriepolitik als eine Priorität des österreichischen EU-Ratsvorsitzes festgelegt wurde und das eindeutige Bekenntnis der Wirtschaftsministerin, sich beim EU-Budget für eine stärkere Zukunftsorientierung einzusetzen, hat die volle Unterstützung der Industrie. Es wird entscheidend sein in europäische Forschungs- und Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu investieren und Schlüsseltechnologien zu stärken. Hier geht es um nicht weniger als unsere Technologieführerschaft“, so Beyrer.

Konkrete Maßnahmen für Europas Industrie sichern unsere Zukunft
Gernot Haas, Leiter des Büros der Industriellenvereinigung in Brüssel unterstreicht dabei die positive Rolle der aktuellen Ratspräsidentschaft: „Die österreichische Ratspräsidentschaft ist sehr engagiert in der Erarbeitung einer langfristig ausgerichteten Strategie zur EU-Industriepolitik. Die damit verbundenen Elemente, wie ein Industrie-Performance-Indikatoren-Set oder das Mainstreaming von Industriebelangen, sind wichtige Weichenstellungen für den Industriestandort Europa. Es gilt nun, das Momentum zu nützen und ein starkes Signal an die nächste EU-Kommission zu senden, in diesem Bereich legislativ tätig zu werden.“

Mit dem Juncker-Plan und „Horizon Europe“ habe die Europäische Union laut den Teilnehmern bereits wichtige Initiativen gestartet. Aus Sicht der Industrieexperten müsse die EU-Industriepolitik die Anstrengungen aber weiter erhöhen. Österreich solle dabei seine Rolle als Ratsvorsitzender nutzen, um richtungsweisende Impulse für eine langfristige Vision der EU für die Industrie zu definieren und um konkrete Maßnahmen der Industriepolitik in Angriff zu nehmen. Dazu gehöre neben einer globalen Ausrichtung und einer Vision vor allem ein schneller Abbau bürokratischer Hürden, eine konkrete Strategie gegen den Fachkräftemangel und die gezielte Förderung von industriellem Wandel.

 

 

 

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