EU-Hauptausschuss diskutiert über Brexit,
 Migration, EU-Budget und Cybersicherheit

 

erstellt am
18. 10. 18
12:30 MEZ

Regierung zieht positive Bilanz des EU-Ratsvorsitzes, Opposition ortet Versäumnisse
Brüssel/Wien (pk) - Die in der Endphase laufenden Verhandlungen zum Brexit, die Frage der Migration, der Mehrjährige Finanzrahmen und die EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und Ungarn standen am 17. Oktober im Mittelpunkt des EU-Hauptausschusses, der im Vorfeld des EU-Gipfels zusammengetreten ist. Dabei bewerteten Bundeskanzler Sebastian Kurz, Europaminister Gernot Blümel sowie die Abgeordneten von ÖVP und FPÖ den bisherigen Verlauf des österreichischen Ratsvorsitzes äußerst positiv. Sie hoben vor allem den Gipfel in Salzburg hervor, der, wie Michaela Steinacker (ÖVP) und Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) betonten, einen Politikwechsel in der EU, insbesondere in der Migrationspolitik eingeleitet habe. Auch der Bundeskanzler berichtete über positive Reaktionen seitens der Staats- und RegierungschefInnen und unterstrich, dass man dabei in der Sache ein gutes Stück weitergekommen sei. Im Gegensatz dazu sprach seitens der SPÖ Doris Margreiter von einem "peinlichen" Sitzungsverlauf. Darüber hinaus informierten Kurz und Blümel die Abgeordneten aufgrund der Fragen von Maximilian Unterrainer (SPÖ) und Peter Schmiedlechner (FPÖ), dass bereits zahlreiche Dossiers abgeschlossen werden konnten beziehungsweise ein Abschluss in Aussicht stehe.

Kurz und Blümel zum Brexit: Österreich ist um einen Deal bemüht, ist aber auch auf einen harten Brexit vorbereitet
Was die Brexit-Verhandlungen betrifft, so bewertete die Regierungsspitze das bisherige einheitliche Auftreten der EU-27 als besonders positiv. In wichtigen Fragen habe man einen Fortschritt erzielen können, schwierig gestalte sich aber noch immer die Problematik um die Grenze zwischen Irland und Nordirland sowie um die Frage des weiteren Verhältnisses zwischen Großbritannien und der EU. Wesentlich sei es, ein gutes Ergebnis zu erzielen, so der Bundeskanzler und der Europaminister gegenüber EU-Abgeordnetem Othmar Karas und den Ausschussmitgliedern Peter Haubner (ÖVP) und Reinhard Eugen Bösch. Man wolle auf alle Fälle einen harten Brexit vermeiden und einen Deal erreichen, sagte der Bundeskanzler. Ein mögliches neues Referendum, wie von Andreas Schieder (SPÖ) angesprochen, liege nicht in der Entscheidung der EU, merkte er an und wies auf die Aussage der britischen Premierministerin Theresa May hin, wonach das britische Volk nicht noch einmal befragt werde.

Man sei auf jeden Fall auf einen harten Brexit vorbereitet, versuchte Kurz die Bedenken von Bruno Rossmann (PILZ) zu zerstreuen, der in diesem Zusammenhang der Regierung eine unverantwortliche Untätigkeit vorgeworfen hatte. "Es gilt, vorbereitet zu sein, aber die Sache nicht breitzutreten", warnten Kanzler Kurz und Minister Blümel vor einer Verunsicherung der Wirtschaft und wiesen unter anderem auf die intensive Koordinationstätigkeit im Bundeskanzleramt, auf Programme der Kontrollbank und intensiven Gesprächen mit Unternehmen hin.

Seitens der SPÖ befürchtet man durch einen harten Brexit einen Sozialabbau. Gabriele Heinisch-Hosek drängte daher darauf, rasch die geplante Europäische Arbeitsschutzbehörde zu errichten und kritisierte im Einklang mit Pilz-Abgeordnetem Bruno Rossmann scharf die Sozialministerin, die den Sozialministerrat abgesagt habe. Angesichts der brennenden sozialen Fragen innerhalb der Union werte er dies als "Bankrotterklärung" des österreichischen Ratsvorsitzes, sagte Rossmann. Der Sozialministerrat sei nicht abgesagt worden, sondern man habe nicht eingeladen, weil einige EU-MinisterInnen dies nicht für sinnvoll gehalten hätten, konterte der Bundeskanzler mit Verweis auf den Gipfel mit EU-Sozialpartnern, bei dem man große Fortschritte erzielt habe. Die Sozialpartner hätten sich darüber auch äußerst positiv geäußert. In Bezug auf die Arbeitsschutzbehörde sei man zwar weitergekommen, es gebe aber noch immer Bedenken einzelner Mitgliedstaaten, die eine überbordende Bürokratie befürchten.

Kurz widersprach auch Abgeordneter Selma Yildirim (SPÖ), die die geplante Indexierung der Familienbeihilfe als europarechtswidrig ansieht. Der Vorstoß Österreichs in dieser Frage werde von vielen europäischen Staaten geteilt, berichtete Kurz und gab auch zu bedenken, dass bei den europäischen Beamten eine derartige Indexierung bestehe.

Ein heftiger Disput zwischen SPÖ-Abgeordnetem Schieder und den Regierungsvertretern entstand im Hinblick auf die Frage, ob die Verhandlungen mit Großbritannien tatsächlich diplomatisch geschickt geführt werden. Schieder ortete zu viel Egoismus, eine enge Sichtweise und eine mangelnde Kompromissbereitschaft seitens der EU. Dem setzte Europaminister Blümel entgegen, dass der Brexit nicht auf Wunsch der EU erfolge und man die Wahrung der vier Grundfreiheiten sowie der Rechte der EU-BürgerInnen und die geforderte Lösung der Grenzfrage zwischen Irland und Nordirland nicht unter dem Begriff Egoismus subsummieren könne. Zum Brexit habe vor allem die Angst vor zu viel Migration und Wohlstandsverlusten geführt, weshalb sich auch die österreichische Ratspräsidentschaft schwerpunktmäßig mit diesen Themen befasse.

Kurz: Ziel ist, illegale Migration zu stoppen und Geschäftsmodell der Schlepper zu zerschlagen
Zweites großes Thema war die Frage der Migration, wobei der Bundeskanzler die Kritik an seinen Aussagen über die Seenotrettung durch "Ärzte ohne Grenzen", die im Ausschuss insbesondere von Bruno Rossmann (PILZ) aufgeworfen wurde, zurückwies. Wenn Rettungsschiffe Menschen retten, die ertrinken würden, dann sei dies eine moralische Pflicht und diesem Vorgehen voller Respekt zu zollen, sagte Kurz. Wenn aber versucht werde, der libyschen Küstenwache zuvorzukommen mit dem Ziel, Menschen den Weg nach Europa zu öffnen, dann unterstütze man das Geschäft der Schlepper, stellte er dezidiert fest. Wenn wir es mit der Rettung von Menschenleben ernst nehmen und nicht nach Effekten haschen, dann müsse man gegen Schlepper ankämpfen und ihr Geschäftsmodell zerschlagen, so der Bundeskanzler, der sich darin einer Meinung mit den anderen Staats- und RegierungschefInnen sieht. Mit der bisherigen Politik habe man tausende Tote im Mittelmeer riskiert und verursacht, durch die Trendwende habe man die Zahl reduzieren können.

Der Bundeskanzler unterstrich in diesem Zusammenhang auch die gute Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Ländern. Voll zufrieden zeigte er sich mit der Zusammenarbeit mit Ägypten und Libyen. Selbstverständlich sei auch noch Luft nach oben, meinte er und räumte Fehler in den vorangegangenen Verhandlungen mit Marokko ein.

Die Kritik Rossmanns an einem zu niedrigen Beitrag Österreichs zum Treuhandfonds für Afrika, beantwortete der Bundeskanzler mit dem Hinweis, dass Österreich innerhalb der EU solide liege und einen stärkeren Fokus auf Wirtschaftspartnerschaften lege. Die Bekämpfung der Fluchtursachen stehe ganz oben auf der Agenda, sagte Kurz und kündigte in diesem Zusammenhang einen Afrikagipfel im Dezember in Wien an.

Was die geplante Stärkung von Frontex betrifft, so hätten einige Staaten noch immer Sorge im Hinblick auf ihre Souveränitätsrechte, daher werde es noch Nachschärfungen des Kommissionsvorschlags geben, berichtete der Bundeskanzler weiter. Er bekräftigte einmal mehr, dass man von der Politik der verpflichtenden Quoten abgekommen sei, da diese nicht funktioniere und auch kein nachhaltiges Konzept darstelle. Auch hält er die ursprünglich angedachten kontrollierten Zentren innerhalb der EU für kaum realisierbar. Nun spreche man von einer verpflichtenden Solidarität, was bedeute, dass jeder seinen Beitrag leisten müsse, und das könne auf unterschiedliche Weise geschehen. Ziel sei es, die illegale Migration zu verhindern, hielt er gegenüber Erwin Angerer (FPÖ), Doris Margreiter (SPÖ), Andreas Schieder (SPÖ) und Bruno Rossmann (PILZ) fest. Schieder hatte die Fortschritte in dieser Frage als mager bezeichnet.

NEOS-Abgeordneter Josef Schellhorn replizierte auf die Aussagen des Kanzlers und des ÖVP-Abgeordneten Wolfgang Gerstl, wonach die illegalen Grenzübertritte seit 2015 um 95% gesunken seien, und thematisierte damit die geplante Verlängerung der Binnengrenzkontrollen, die er für europarechtswidrig hält. Er wies auch auf die sinkende Zahl der Asylanträge hin. Dazu meinte der Bundeskanzler, er sehe keinen Widerspruch zum EU-Recht, zumal die EU die Binnengrenzkontrollen gestattet habe. Selbstverständlich sei es Ziel, ein Europa ohne Grenzen zu schaffen. Die noch immer bestehenden Sicherheitsprobleme sowie die weiterhin vorhandene Binnenmigration machten aber eine Verlängerung erforderlich.

Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und Ungarn: Präzises und seriöses Vorgehen
Bei den Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und Ungarn gehe es dem österreichischen Ratsvorsitz um eine seriöse und präzise Vorgangsweise, berichtete Kanzleramtsminister Gernot Blümel. Das Verfahren gegen Polen laufe bereits länger und sei von der Kommission eingeleitet worden, weil diese vor allem bei den Richterernennungen strukturelle Probleme im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit sieht. Die Bedenken gegen die laufende Justizreform konnten bislang nicht ausgeräumt werden.

Mit dem Verfahren gegen Ungarn, das vom Europäischen Parlament eingeleitet worden ist, betrete man absolutes Neuland, sagte Blümel, deshalb wolle man präzise vorgehen, weil man damit einen Präzedenzfall schaffe. Im Gegensatz zu Polen habe es mit Ungarn keinen strukturierten Meinungsaustausch gegeben, weshalb man als nächsten Schritt Ungarn um eine schriftliche Stellungnahme ersucht habe. Die EU-Kommission wurde gebeten, einen Überblick über die Vertragsverletzungsverfahren, die gegen Ungarn laufen, vorzulegen. Einen Abschluss beider Verfahren noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament hält er für schwierig, wie er gegenüber EU-Abgeordnetem Othmar Karas anmerkte.

Mehrjähriger Finanzrahmen: Schwierige Verhandlungen, aber dennoch Fortschritte
Thema im Ausschuss waren auch die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen, wobei sowohl Bundeskanzler Kurz als auch Minister Blümel die Erwartungen hinsichtlich eines baldigen Abschlusses dämpften. Beide bezeichneten die Fortschritte, die bisher erzielt wurden, als beachtlich, die Verhandlungen laufen ihnen zufolge gut. Blümel unterstrich einmal mehr die österreichische Position, wonach man in einer kleineren EU nicht mehr Geld ausgeben dürfe und sah sich dabei einer Meinung mit FPÖ-Abgeordnetem Erwin Angerer. SPÖ-Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek plädierte in der Debatte für eine Umverteilung der Mittel für den ländlichen Raum und sprach sich vor allem für mehr Geld für Frauenförderprogramme und soziale Dienste aus.

Kurz mahnt Einhaltung der Maastricht-Kriterien ein
Der Bundeskanzler sprach auch kurz den Eurogipfel an und meinte, man sei bereit über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion zu verhandeln, keinesfalls wolle man aber unkalkulierbare Risiken uneingeschränkt übernehmen. Vereinbartes, wie die Maastricht-Kriterien, seien einzuhalten, stellte er vor allem im Hinblick auf Italien unmissverständlich fest.

Was die Sorge von Doris Margreiter (SPÖ) im Hinblick auf die Freihandelsabkommen mit Investitionsschutz - beispielsweise mit Singapur - betrifft, so wies der Kanzler auf die große wirtschaftliche Dynamik der ASEAN-Staaten hin. Das Problem sei, dort für die österreichischen Unternehmen faire Bedingungen zu schaffen. Man werde jedenfalls die Abkommen genau prüfen, ergänzte Blümel.

Priorität Cybersicherheit
Sowohl Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch Europaminister Gernot Blümel bestätigten die Priorität des Themas Cybersicherheit, die von Josef Schellhorn (NEOS) angesprochen wurde. Die EU plane, ein eigenes Kompetenzzentrum aufzubauen, informierte Blümel. Österreich werde auch eine entsprechende Richtlinie mit dem Netz- und Informationssicherheitsgesetz umsetzen. Der Entwurf befinde sich gerade in Begutachtung. Im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes plane man zudem eine eigene Cyber-Security-Konferenz.

Am Beginn der Sitzung wurde die NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger einstimmig zum Mitglied des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses gewählt. Einstimmig fiel auch die Wahl auf Beate Meinl-Reisinger und Bruno Rossmann (PILZ) als Ersatzmitglieder im EU-Unterausschuss.

 

 

 

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