Die erkämpfte Republik

 

erstellt am
18. 10. 18
12:30 MEZ

1918/19 in Fotografien – von 25. Oktober 2018 bis 3. Februar 2019 im Wien Museum Karlsplatz
Wien (wienmuseum) - 12. November 1918: Hunderttausende waren auf die Wiener Ringstraße gekommen, um das Ende der Habsburger Monarchie und den demokratischen Neubeginn zu feiern. An diesem Tag wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Die Ausstellung Die erkämpfte Republik erzählt anhand der Ereignisse in Wien davon, wie der neue Staat entstand und welche Folgen die Wendezeit 1918/19 hatte.

Zwölf dramatische Monate in faszinierenden historischen Fotodokumenten: Der Zerfall des Habsburgerreiches und das Kriegsende, die Rückkehr der Soldaten, Hunger und Not. 1918/19 markiert aber auch den Beginn einer neuen demokratischen Ära: Das Frauenwahlrecht wurde eingeführt, Zensur und Versammlungsverbote wurden aufgehoben, der 8-Stundentag eingeführt. Diese Errungenschaften kamen nicht von selbst - sie waren hart erkämpft. Schauplatz der Massenkundgebungen und revolutionären Proteste war die Wiener Ringstraße.

Der politische und gesellschaftliche Umbruch fand erstmals vor den Augen von Fotojournalisten statt. Woche für Woche erreichten die aktuellen Bildberichte in
den auflagenstarken Illustrierten ein breites Publikum. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Werk des Wiener Fotografen Richard Hauffe (1878-1933), der besonders eindrückliche Bilder der jungen Republik hinterließ. Ein Teil seines Werkes hat sich im Wien Museum erhalten und wird erstmals gezeigt.

Die Macht der Straße
Gute zwölf Monate, von Oktober 1918 bis Ende 1919, dauerte die politisch turbulente Epoche, in der in Österreich, so wie in vielen anderen Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas, die politischen Weichen neu gestellt wurden. Im Spätherbst 1918 überschlugen sich die Ereignisse: Monarchien zerfielen, der bedrückende, lang andauernde Krieg ging zu Ende, Kaiser mussten abdanken, und aus den Trümmern des Kriegs und der Kaiserreiche wurden neue Staaten geformt.

Genau dieses schmale Zeitfenster 1918/19 steht im Zentrum der Fotoausstellung
Die erkämpfte Republik. In einer visuellen Nahaufnahme werden ausgewählte Aspekte dieser dramatischen Umbruchszeit sowohl aus zeithistorischer, als auch aus foto- und mediengeschichtlicher Perspektive beleuchtet. Im Fokus der Ausstellung stehen die Ereignisse in Wien.

Wenn wir die Fotodokumente aus der Zeit 1918/19 betrachten, fällt auf, dass einige Monate lang die Straße, der öffentliche Raum, zum bevorzugten Ort der Politik wurde. Insbesondere die Wiener Ringstraße gehörte von Anfang November 1918 bis weit ins Jahr 1919 hinein den Massen. Sie war der Schauplatz der zahlreichen Kundgebungen und revolutionären Proteste, auch Straßenkämpfe mit Toten und Verletzten nahmen hier ihren Verlauf.

Der Ausstellungstitel Die erkämpfte Republik signalisiert, dass der Weg hin zur parlamentarischen Demokratie keiner zwangsläufigen Entwicklung folgte.
Die Republik und die Form ihrer politischen und sozialen Ausgestaltung waren vielmehr erkämpft - einerseits von den demokratischen Kräften im Land, andererseits von Teilen der Bevölkerung, die in einer beispiellosen politischen Aufbruchsbewegung für einen politischen Neuanfang auf die Straße ging.

Im Blick von Fotografie und Zeitgenossen
Es ist ein zentrales Anliegen dieser Ausstellung, die "große Politik" und die Welt der
"kleinen Leute", ihren Alltag, ihre Wahrnehmung, miteinander zu verschränken.
Das Medium, das diese Begegnung möglich macht, ist die Fotografie. Der Untergang der Habsburgermonarchie und die Gründung der ersten österreichischen Republik sind in zahlreichen Fotodokumenten festgehalten, von denen viele zum ersten Mal gezeigt werden.

Im Mittelpunkt der Schau steht das zahlenmäßig kleine, aber wichtige Werk des bedeutendsten Fotografen der österreichischen Umbruchszeit 1918/19, Richard Hauffe. Zwar ging Hauffes fotografischer Nachlass wie jener vieler seiner Kollegen in den Wirren der Zwischen- und Nachkriegszeit verloren, doch ein Konvolut hat sich im
Wien Museum erhalten und wird hier erstmals in seiner Gesamtheit präsentiert. Einzelne dieser Aufnahmen, darunter auch das berühmte Foto von der Ausrufung der Republik (Plakatsujet), wurden immer wieder abgebildet, in der Regel aber ohne Hinweise auf den Urheber, dessen fotografisches Werk und den Entstehungskontext.

Die fotografische Erzählung der in zwölf Kapitel gegliederten Ausstellung wird um Eindrücke und Wahrnehmungen von Zeitgenossen ergänzt. Neben JournalistInnen, SchriftstellerInnen, PolitikerInnenn und WissenschaftlerInnenn wie Stefan Zweig, Alfred Polgar, Joseph Roth, Egon Erwin Kisch, Rosa Mayreder, Sigmund Freud oder Josef Redlich kommen bewusst auch ganz unbekannte Menschen wie etwa die Ziegelarbeiterin Marie Toth oder der Facharbeiter Albert Lang zu Wort, die ihre Eindrücke in Tagebüchern, Briefen oder Erinnerungen festgehalten haben.

Manchen Zeitgenossen erschienen die damaligen Ereignisse unwirklich und schwer fassbar. Zu rasant waren die tagtäglichen Veränderungen, zu unabsehbar die längerfristigen Folgen. So schrieb etwa Stefan Zweig am 27. Oktober in seinem Tagebuch: "In Österreich überstürzen sich die Dinge mit namenloser Geschwindigkeit. Die Lawine rollt rasch: man möchte ihr zuschauen, wie sie stürzt, aber sie hält nicht inne. Es ist furchtbar, diese Eile, dieses rasende Tempo."

Zeit der Frauen
"Heraus mit dem Frauenwahlrecht!" Diese Forderung wurde bereits auf sozialdemo- kratischen Frauenkundgebungen vor dem Ersten Weltkrieg erhoben - vergebens. Gegen Kriegsende nahmen die Frauen den Kampf um das Wahlrecht wieder auf.
Am 24. März 1918 fand im Wiener Rathaus unter dem Motto "Für Frauenwahlrecht und Völkerfrieden" eine große "Frauentagsversammlung" statt.

Im Sog des politischen Umsturzes ging dann alles sehr schnell, die Konservativen gaben die Widerstände gegen die Gleichberechtigung an der Wahlurne auf. Im neuen Grundgesetz der Republik, das am 12. November 1918 beschlossen wurde, war auch das Frauenwahlrecht verankert. Tage später, am 16. November, wurden durch Kooption die ersten Frauen in den Wiener Gemeinderat aufgenommen.

Freie Presse
Kaum war der Krieg zu Ende und der k. u. k. Militär- und Propagandaapparat, der in der Kriegszeit mit eiserner Hand regiert hatte, zerbrochen, begann ein neuer, frischer Wind zu wehen - jener der demokratischen Öffentlichkeit. Man wagte sich ab November 1918 wieder, öffentlich die eigene Meinung zu sagen, Kundgebungen zu besuchen
und zu organisieren, zu demonstrieren, ohne Behinderung der Zensur und der Polizei Flugblätter zu verteilen und Zeitungen zu drucken. Aufbruchshoffnung und neues Selbstbewusstsein waren an die Stelle von Zwang und Repression getreten.

Auch die Fotografen traten nach Jahren der Unterdrückung und Kontrolle im Krieg mit neuem Selbstbewusstsein auf. Sie dokumentierten die Tristesse des verlorenen Krieges, die heimkehrenden Soldaten, Hunger und Not. Sie begleiteten aber auch die ersten Schritte der jungen Republik: die Arbeit der republikanischen Regierung unter Karl Renner, den Wahlkampf für die erste Parlamentswahl der Republik im Februar 1919, die Beteiligung der Frauen an der Wahl, aber auch die ersten internationalen Hilfslieferungen, die ins Land kamen.

Der politische Umbruch 1918/19 fand vor der Kamera statt. Regelmäßig berichteten die fotografisch illustrierten Wochenzeitungen über die neuen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. In besonders großer Aufmachung wurde über das Gründungsdatum der Republik, den 12. November 1918, berichtet. Fotografische Bildberichte und zwei filmische Dokumentationen hielten die Massenkundgebungen am Ring und vor dem Parament fest. Die Ausstellung zeigt, wie der 12. November 1918 geradezu als Mediengroßereignis konzipiert und inszeniert wurde.

Die wichtigsten fotojouranlistischen Berichte der Jahre 1918/19 stammen vom Wiener Fotografen Richard Hauffe (1878-1933). Während viele andere Fotojournalisten wie
z.B. Carl Seebald, Charles Scolik jun., Josef Perscheid oder Heinrich Schuhmann jun. in den Monaten und Jahren zuvor den Krieg fotografiert und Ende 1918 ins zivile Leben zurückkehrten, begann Hauffe seine Fotokarriere genau am 12. November 1918.
Der überzeugte Demokrat und Anhänger der Sozialdemokratie wurde zum wichtigsten Bildchronisten des politischen Umbruchs. Seine Aufnahmen wurden in den auflagenstarken illustrierten Wochenzeitungen des Landes, etwa dem Interessanten Blatt, den Wiener Bildern oder der Wiener Illustrierten Zeitung veröffentlicht und erreichten dadurch ein breites Publikum.

Nachkriegselend und Hunger
Der 12. November 1918 stellt ein zutiefst symbolisches Ereignis dar, das die komplexe und turbulente Gründungsgeschichte der österreichischen Republik auf einen einfachen Nenner bringt. Die Gründung und Verankerung dieser Republik ist jedoch keineswegs auf die kurze Vorgeschichte dieses Tages zu reduzieren. Vielmehr handelte es sich um einen monatelangen Prozess der Umgestaltung, Öffnung und Demokratisierung, der weit in das Jahr 1919 und teilweise bis in die 1920er Jahre hineinreichte.

Die Startbedingungen für die Republik waren alles andere als günstig.
Der verlorene Krieg lastete schwer auf dem Land, die Stimmung unter den Kriegs- heimkehrern pendelte zwischen Niedergeschlagenheit und Revolutionsbereitschaft, schwere Hungersnöte plagten Wien, die Spanische Grippe, Tuberkulose und andere Krankheiten forderten auch noch nach Kriegsende viele Opfer. Dazu kamen die extreme Kohlennot, das Wohnungselend und die schlechte Gesundheitsversorgung.

Der Hunger war 1918/19 die größte Hypothek für die junge Republik. "Die Männer rauchen, damit ihnen der Hunger vergeht", schrieb die Wienerin Fritzi Sallaba in einem Brief im Dezember 1918. Und sie ergänzte: "Wie Schatten gehen die Menschen herum." Besonders in Wien war 1918/19 die Versorgung mit Nahrungsmitteln katastrophal. Viele Hungernde unternahmen sogenannte Hamsterfahrten auf das Land. Die Großstadtbewohner kauften bei den Bauern der Umgebung Lebensmittel oder suchten in den abgeernteten Feldern nach Essensresten. Frierende Wiener holzten ganze Parks und Grünzonen ab, wobei sich der Wiener Wald als besonders ergiebiges Brennstoffreservoir erwies.

Lichtblicke
Anfang 1919 brachten internationale Hilfsprogramme endlich Linderung für die von Hunger und Not gebeutelte Bevölkerung. Zahlreiche Staaten und gemeinnützige Organisationen sagten ihre Unterstützung zu. Der erste Lebensmittelzug für das hungernde Wien rollte Ende Dezember 1918 ein, er kam aus der Schweiz.

Mit amerikanischer Hilfe wurden ab Mitte 1919 in Wien Kinderausspeisungen eingerichtet, die täglich zehntausende Kinder versorgten.

Am 3. Februar 1919 begann eine weitere Kinderhilfsaktion, die ein enormes Echo in der Öffentlichkeit fand. Zehntausende Wiener Kinder reisten mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen zur Erholung ins Ausland, nach Dänemark, Norwegen, Schweden, England, in die Niederlande, nach Spanien, Italien, Deutschland und in die Schweiz.

Während der ersten Monate der jungen Republik wurden weitreichende Sozialreformen umgesetzt, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen verbesserten.
Eine dieser Maßnahmen, die auf Initiative des Staatssekretärs für soziale Fürsorge Ferdinand Hanusch zurückging, war die gesetzliche Verankerung des 8-Stundentags im Dezember 1918. Sie brachte die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf ein erträgliches Maß. Von den überlangen Arbeitszeiten bis zu 16 Stunden und Nachtschichten, z.B. zur Produktivitätssteigerung in Fabriken, waren im 19. Jahrhundert nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder betroffen. Diese Belastungen gehörten nun der Vergangenheit an.

Mitte 1919 hatte sich die politische Situation in Österreich einigermaßen stabilisiert, wichtige Entwicklungen standen zu diesem Zeitpunkt aber noch an: der Beschluss einer neuen Verfassung im Jahr 1920, die Umsetzung wichtiger Sozialgesetze, der Aufbau eines neuen Berufsheers, die Einlösung mancher Bedingungen des Pariser Friedens- vertrags oder die endgültige Festlegung der Grenzlinie in Südkärnten und im Burgenland, um nur einige Beispiele zu nennen.

Trotzdem machte sich erstmals zaghafte Hoffnung breit. In der Fotoberichterstattung der Illustrierten kehrte der Alltag zurück. Im Sommer 1919 lichtete der junge Sport- fotograf Lothar Rübelt drei Wurfathletinnen des Damensportvereins Danubia in kurzen Hosen und mit entblößten Beinen ab. In Bildern wie diesen, die vor dem Krieg noch vollkommen undenkbar gewesen waren, kündigte sich eine neue Zeit an.

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.wienmuseum.at

 

 

 

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