Volksgruppenkongress: Was blieb von 1968?

 

erstellt am
16. 11. 18
13:00 MEZ

LH Kaiser bei Podiumsdiskussion über das historische Erbe der Bewegung – Ausstellung von Andrej Blatnik am Arnulfplatz eröffnet – Erinnerungs- und Gedenkkultur sind zu pflegen
Klagenfurt (lpd) - Zum Auftakt des Volksgruppenkongresses diskutierten Landeshauptmann und Kulturreferent Peter Kaiser, die freie Journalistin Trautl Brandstaller, Universitätsprofessor Helmut Konrad sowie der ehemalige Nationalratsbageordnete Karel Smolle am 15. November im Spiegelsaal der Kärntner Landesregieung über das Thema „Was blieb von 1968? Von Revoluzzern und zivilem Ungehorsam“. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Journalistin Anneliese Rohrer.

Von den Diskutanten wurde unter anderem die Frage nach der Bedeutung der 1968-er Bewegung für Österreich und seine Gesellschaft erörtert. Der Bogen wurde dabei von der damaligen Studentenbewegung, über den Ortstafelstreit 1972, den Ortstafel-Konsens 2011 bis in das heutige Jahr und die kommende Zukunft gespannt.

Für Kaiser handelte es sich bei der 68er-Bewegung um eine „Traum-Zeit“ mit sehr viel Imitation. Die damalige Auseinandersetzung sei vor allem eine Auseinandersetzung entlang der Generationenfrage gewesen. Viele Reformen, die anderswo außerparlamentarisch erstritten wurden, wurden in Österreich durch Bruno Kreisky vorweggenommen. Dadurch wurde der Keim des Widerstands in Österreich erst so richtig mit Beginn der Anti-AKW-Bewegung sichtbar, erklärte Kaiser. Zum Ortstafelstreit und Ortstafelkonsens sagte der Landeshauptmann, der nationale Volkszorn habe im Jahr 1972 das Heft des Handelns in die Hand genommen und vor allem auch vor einer „Jugoslawisierung“ gewarnt, Österreich lebte damals zudem zu einem starken Teil noch immer seine Opferrolle. Der Ortstafel-Konsens 2011 wäre nicht zustande gekommen, wenn die bis dato entgegengesetzten und bis dahin extremsten politischen Kräfte sich in den Jahren davor nicht wesentlich verändert hätten, so Kaiser.

Brandstaller bezeichnete die 1968er-Bewegung als kulturelle Revolution. Die Studenten hätten diese ins Rollen gebracht und Bürgerinitiativen waren in Österreich „späte Früchte“ dieser Studentenbewegung, die die Idee des „mündigen Bürgers“ verfolgte. 1968 war jedenfalls eine weltweite Bewegung, selbst im kommunistischen Osten hätte sie für Veränderung gesorgt. Auch die neue Frauenbewegung sei ein Produkt dieser Zeit gewesen, erklärte Brandstaller.

Für Konrad war es ein wesentlicher Aspekt, 1968 „über den Tellerrand“ zu schauen. Die Gleichstellungsbewegung und die Genderfrage seien damals zentrale Aspekte gewesen, es herrschte Aufbruchsstimmung. Eine gewisse Imitation dieser internationalen Bewegung wurde nach Österreich geholt mit dem Ergebnis, dass auch hierzulande die Hierarchien flacher wurden.

Smolle betonte die Gründung der Klagenfurter Universität als wichtigen Meilenstein der damaligen Zeit. Smolle appellierte darüber hinaus, es den jungen slowenisch-sprachigen Menschen von heute weiterhin zu ermöglichen ihre Sprache sprechen zu können. 1968 sei das Bemühen gewesen, sich gegen eine strukturelle Unterdrückung aufzulehnen. Heute gebe es gegenüber den Kärntner Slowenen zwar viel Einsicht, aber zu wenig Wiedergutmachung, so Smolle.

Nach der Podiumsdiskussion eröffnete Kaiser die Ausstellung „Der Alpen-Adria-Raum: Eine fotographische Reise von Andrej Blatnik“ in den Räumlichkeiten der Landesregierung am Arnulfplatz. Der 1963 in Ljubljana/Laibach geborene, freischaffende Fotograf beschäftigt sich sowohl in künstlerischer Form als auch mit Reportage-Fotografie. Aus Anlass des 40-jährigen Jubiläums der Alpen-Adria-Allianz zeigt die aktuelle Ausstellung Lebensräume slowenisch-sprachiger Bewohner des Alpen-Adria-Raums in Österreich, Kroatien, Ungarn und Slowenien. Zur Ausstellung sprach Zdravko Haderlap.

Am Auftakt des Volksgruppenkongresses nahmen unter anderen auch der slowenische Generalkonsul Milan Predan, Kärntens Militärkommandant Walter Gitschthaler, Landesamtsdirektor Dieter Platzer und sein Stellvertreter Markus Matschek, Volksgruppenbüro-Leiter Peter Karpf sowie Musiker Emil Krištof teil.

   

Erinnerungs- und Gedenkkultur sind zu pflegen
Im Konzerthaus Klagenfurt wurde der 29. Europäische Volksgruppenkongress am 16. November von Landeshauptmann Peter Kaiser eröffnet. Internationale Expertinnen und Experten referierten und diskutieren diesmal unter dem Generalthema „1918-2018: Krieg und Frieden – Schlaglichter des Gedenkens, Bedenkens und Erinnerns“.

Der Landeshauptmann begrüßte die Kongressteilnehmer auf Deutsch und Slowenisch und zeigte sich erfreut darüber, dass zahlreiche Jugendliche aus Kärntner Schulen der Veranstaltung beiwohnten. In seiner Rede strich er für die Republik Österreich aber auch für Kärnten wichtige Ereignisse und Jubiläen der letzten 100 Jahre hervor. „Sie zeigen, wie sich die Gesellschaft entwickelt hat, wie einzelne Volksgruppen aber auch Staaten gewachsen sind und wie daraus die Zukunft gestaltet wurde. Daher ist es wichtig eine Erinnerungs- und Gedenkkultur zu pflegen“, so Kaiser.

Für den Landeshauptmann ist das Jahr 1918 eine bedeutende Zäsur, ein markanter Wendepunkt in der österreichischen Geschichte durch die Gründung der demokratischen Republik. „Die Monarchie zerbrach, aus einer Weltmacht wurde ein kleiner Staat, das Nationalbewusstsein erstarkte und durch das Frauenwahlrecht fand eine fundamentale Veränderung der Gesellschaft statt“, hob er hervor.

Der dunkle Fleck bzw. die grausamste Periode für den Landeshauptmann war die Zeit der Nazidiktatur bis zum Ende des 2. Weltkrieges 1945, der damalige nicht evidente, menschenverachtende Rassenwahn und der zweite Weltkrieg. „Er zerstörte ein Land und einen Kontinent, brachte Millionen von unschuldigen Opfern, und es brauchte viele Jahrzehnte der Aufarbeitung“, so Kaiser.

Als wichtiges Dokument nach Ende des 2. Weltkrieges hob der Landeshauptmann die Deklaration der Menschenrechte im Jahr 1948 hervor. „Es war ein richtungsweisendes Dokument für die Humanität, die Glaubensfreiheit und für die freie politische Gesinnung, dem auch heute noch große Bedeutung zukommt. War sie doch die Basis für die Dialogfähigkeit auf internationaler Ebene“, strich er die große Bedeutung der Deklaration hervor.

Thematisiert wurde von Kaiser auch das Jahr 1968. „Ein Ruck ging durch Europa. Eine Protestbewegung auf vielen Ebenen mit einer außerparlamentarischen Opposition entstand und brachte Ereignisse wie den Prager Frühling, die Kulturrevolution oder Woodstock hervor“, erinnerte er sich zurück.

Große Bedeutung für Kärnten hat nach Ansicht das Landeshauptmannes das Jahr 1978. „Ein kleines Ereignis in der Zeit des Eisernen Vorhanges und Kalten Krieges ging damals von Kärnten aus. Die Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria wurde gegründet und knüpfte erste interregionale Kontakte mit benachbarten Staaten“, teilte er mit. Aus ihr entstand in den letzten vierzig Jahren die Alpen-Adria-Allianz mit acht Mitgliedern. Sie zeichnet sich durch eine aktive Nachbarschaftspolitik, zukunftsorientierte Projekte und Kooperationen unter dem Motto „People to People“ aus.

Kurz beleuchtet vom Landeshauptmann wurde auch die Volksgruppenproblematik, die dank aller politischen Kräfte positiv gelöst wurde. „In der neuen Landesverfassung ist die slowenische Volksgruppe erwähnt und der Volksgruppenschutz verankert. Das ist ein erster wichtiger Schritt für den gesellschaftlichen Wandel im Land“, so Kaiser.

Ein klares Bekenntnis gab es von Kaiser für die Interregionalität, Internationalität und für Europa. „Sie sind heute eine wichtiger integrierter Bestandteil der Politik eines Bundeslandes. Wir können es uns nicht mehr erlauben den Blick auf den eigenen Baum zu werfen. Das Miteinander in einem vereinten Europa ist Grundvoraussetzung um auch global, weltweit etwas zu bewegen. Und dass Europa einer jener Kontinente ist die Vorbildwirkung haben, ist für mich auch Auftrag in der europäischen Politik. Ich sage es daher auch offen. Wir brauchen nicht weniger Europa sondern mehr Europa, aber nicht unreflektiert und unkritisch“.

Bei dem vom Volksgruppenbüro des Landes organisierten Kongress gab es heuer acht Vortragende: Emeritierter Univ. Prof Helmut Konrad von der Karl Franzens Universität Graz, a.o Universitätsprofessorin Ilse Reiter-Zatloukai von der Universität Wien, Theodor Domej, Historiker aus Klagenfurt, Assistenzprofessorin Tina Bahovec von der Alpen Adria Universität Klagenfurt, Indrek Tarand, estischer Journalist und Politiker des Europäischen Parlaments, Sergij Osatschuk, Historiker und Honorarkonsul der Republik Österreich in Czernowitz, Winfried Ziegler, Historiker und Geschäftsführer des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen, Sibiu/Hermannstadt und Thomas Pseiner, Generalsekretär der Alpen-Adria Allianz in Klagenfurt.

Markus Matschek, stellvertretender Landesamtsdirektor, begrüßte im Auditorium u.a den ersten Landtagpräsidenten Reinhart Rohr, die österreichische Botschafterin in der Schweiz, Ursula Plassnik, Gemeindebundpräsident Bürgermeister Peter Stauber, den slowenischen Generalkonsul Milan Predan, Prälat Michael Kristof, Superintendent Manfred Sauer, Landesamtsdirektor Dieter Platzer, Bezirkshauptmann Gert Klösch, Bernard Sadovnik und Marjan Sturm von der slowenischen Volksgruppe, Delegationen aus Rumänien und der Ukraine sowie Schülerinnen und Schüler des Europagymnasiums, der zweisprachigen HAK und des Alpe-Adria- Gymnasium Völkermarkt.

 

 

 

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