Hartinger-Klein will AMS neu organisieren

 

erstellt am
28. 11. 18
13:00 MEZ

Rechnungshof kritisiert Kostenmanagement und fehlende Steuerungsmöglichkeiten
Wien (pk) - Sozialministerin Beate Hartinger-Klein will das AMS neu organisieren. Dieses leiste in vielen Bereichen gute Arbeit, zur Steigerung der Effizienz seien Strukturmaßnahmen aber "absolut notwendig", sagte sie am 27. November im Rechnungshofausschuss des Nationalrats. In Angriff genommen werden soll die Reform im kommenden Jahr, an der 1994 erfolgten Ausgliederung will die Sozialministerin aber nicht rütteln.

Anlass für die Ankündigung von Hartinger-Klein war die Diskussion über einen äußerst kritischen Prüfbericht des Rechnungshofs ( III-65 d.B. ), der in mehrfacher Hinsicht Reformbedarf beim Arbeitsmarktservice (AMS) aufzeigt. So haben die RechnungshofprüferInnen im Zuge ihrer Einschau in den Jahren 2015 und 2016 sowohl bei der Steuerung als auch bei der Leistungseffizienz und beim Kostenmanagement zahlreiche Defizite festgestellt. Die derzeitigen Entscheidungsstrukturen seien viel zu kompliziert, um rasch auf aktuelle Entwicklungen am Arbeitsmarkt reagieren zu können, machte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker auch heute im Ausschuss geltend. Sie vermisst außerdem langfristige Steuerungselemente.

Ein zentrales Thema bei den Ausschussberatungen war auch die geplante Aufteilung der arbeitssuchenden Personen in drei Gruppen. Während die SPÖ negative Auswirkungen dieser Kundensegmentierung auf am Arbeitsmarkt ohnehin benachteiligte Gruppen wie Langzeitarbeitslose, behinderte Menschen oder Frauen mit Betreuungspflichten fürchtet, wurde das System von AMS-Vorstand Johannes Kopf verteidigt. Er erwartet sich davon eine effektivere Unterstützung der Betroffenen und einen effizienteren Mitteleinsatz. Eine Benachteiligung von Frauen werde es jedenfalls nicht geben, versicherte Kopf. Das System wird ihm zufolge 2019 erprobt, 2020 soll es dann flächendeckend umgesetzt werden.

Was die Kritikpunkte des Rechnungshofs betrifft, machte Kopf geltend, dass die Prüfung, die die Jahre 2011 bis 2015 umfasste, in einen Zeitraum fiel, wo das AMS aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise vor großen Herausforderungen stand. So habe man mit nur geringfügig mehr Personal 70% mehr Kunden betreuen müssen. Etliche Empfehlungen seien mittlerweile aber umgesetzt worden. Kopf verwies darüber hinaus auf eine EU-weite Vergleichsstudie, bei der das AMS gemeinsam mit zwei anderen Arbeitsvermittlungsagenturen als exzellent bewertet wurde. Das Förderbudget des AMS für 2019 ist laut Kopf bereits fixiert, bei der Sitzung am 4. Dezember werde es nur um die Verteilung der Mittel gehen.

Föderale Organisation hemmt effektive Arbeitsmarktpolitik
In seinem Prüfbericht macht der Rechnungshof nicht nur auf Versäumnisse des Managements aufmerksam, auch die föderale Organisation und die schwache Position des Bundes im Verwaltungsrat tragen seiner Meinung nach zur Ineffizienz des Systems bei. Neben der Einführung eines umfassenden Controllings beim AMS und einem nachhaltigen Kostensenkungsprogramm empfehlen die PrüferInnen daher auch eine neue Organisationsstruktur mit stärkeren Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten des Bundes sowie Durchgriffsrechten des AMS-Vorstands gegenüber den Landesorganisationen. Weiters regen die PrüferInnen an, die Arbeitsmarktrücklage, die aus Überschüssen der Arbeitslosenversicherung gebildet wird, aus der Gebarung des AMS herauszulösen, da sich diese zu einem zunehmend intransparenten Sonderfinanzierungsvermögen entwickelt habe.

Der derzeitige Aufbau des AMS ist nach Meinung der PrüferInnen für die Aufgabenerfüllung jedenfalls ungeeignet. Ohne bundesweite Steuerung könnten die föderal zersplitterten Geschäftsstellen des AMS Probleme am Arbeitsmarkt, wie sie seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 vermehrt auftraten, nicht angemessen bewältigen. Die Aufteilung der AMS-Betreuungsgebiete entlang von Gebietskörperschaftsgrenzen in 100 einzelnen Stellen stehe einer aktiven und kostengünstigen Bearbeitung des Arbeitsmarkts im jeweiligen regionalen Wirtschaftsraum entgegen, heißt es im Bericht. Eine 2015 gestartete bundesweite Strategieänderung für eine Neuausrichtung der Arbeitsvermittlung sei zudem am Widerstand des AMS-Verwaltungsrats gescheitert.

Die problematische Organisationsstruktur ist nach Einschätzung der PrüferInnen allerdings nicht der alleinige Grund, warum die Effektivität arbeitsmartktpolitischer Fördermaßnahmen in den Jahren zwischen 2011 und 2015 stetig abgenommen hat. Vielmehr wurde auch den Kostenstrukturen und der Kostenverantwortung beim Arbeitsmarktservice insgesamt viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar startete das AMS mehrere Reformprojekte zur Entlastung der Organisation, weder wurden aber deren Einsparungspotentiale berechnet noch organisatorische Konsequenzen mitbedacht, wird im Prüfbericht festgehalten. Das gilt auch für das neu entwickelte Programm zur automatisierten Jobvermittlung ("Skillmatching").

Zusätzlichen Kostendruck erwartet der Rechnungshof durch die zuletzt erfolgte Personalaufstockung beim AMS, zumal das Bundesfinanzrahmengesetz signifikante Einsparungen vorsieht. Er hält daher ein effektives Kostensenkungsprogramm für die Betriebsführung ebenso für unerlässlich wie quantifizierbare und überprüfbare Zielvorgaben für die einzelnen AMS-Geschäftsstellen. Zudem regen die PrüferInnen an, den eingeleiteten Prozess zur Verbesserung der Schulungseffektivität zu beschleunigen, in regelmäßigen Zeitabständen neue WirtschaftsprüferInnen zu bestellen und die Auslagerung der IT-Aufgaben an einen einzigen IT-Dienstleister zu überdenken.

Um die Effizienz des AMS zu steigern, empfiehlt der Rechnungshof darüber hinaus, das AMS auf neue Beine zu stellen und die Ausgliederung in der derzeitigen Form mit einem eigenen und einem übertragenen Wirkungsbereich durch einen vollständig ausgegliederten Rechtsträger zu ersetzen. Gleichzeitig wäre sicherzustellen, dass der Bund in den Eigentümergremien des AMS über eine Stimmenmehrheit verfügt und unmittelbare Steuerungs- und Eingriffsmöglichkeiten hat. Zu diesem Zweck halten es die PrüferInnen auch für erforderlich, die Landesorganisationen dem Vorstand des AMS zu unterstellen. Zweckmäßig wäre es überdies, die Gestaltung der arbeitsmarktpolitischen Förderungen auf operativer Ebene ausschließlich beim AMS zu konzentrieren.

Kundensegmentierung: SPÖ fürchtet Nachteile für Frauen und andere Gruppen
Die Kritikpunkte des Rechnungshofs wurden in der Debatte auch von den Abgeordneten aufgegriffen. Der Prüfbericht sei wahrlich kein Lobesbericht, sagte etwa Gerald Hauser (FPÖ) und wies auf eklatante Mängel beim AMS sowie die zahlreichen Empfehlungen des Rechnungshofs hin. Konkret griff er etwa die Forderung heraus, die föderale Struktur nicht an den Grenzen politischer Bezirke, sondern an regionalen Wirtschaftsräumen auszurichten. Ausdrücklich festgehalten wurde von Hauser, dass der Prüfzeitraum nicht in die Amtszeit von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein fällt.

Mehr Effizienz und Effektivität beim AMS halten auch ÖVP-Abgeordneter Hermann Gahr und JETZT-Abgeordneter Wolfgang Zinggl für notwendig. Auch wenn Einzelfälle nicht repräsentativ sein mögen, sei klar, dass beim Schulungsangebot nicht alles ganz optimal laufe, sagte Zinggl. Er wollte außerdem wissen, ob Arbeitslose gezielt in Richtung Mangelberufe und Pflege geschult werden. Ausschussvorsitzende Irmgard Griss (NEOS) sprach sich dafür aus, über die österreichischen Grenzen hinauszuschauen und an erfolgreichen Projekten in anderen Ländern Anleihe zu nehmen.

Von Seiten der SPÖ wurde insbesondere die geplante Aufteilung der Arbeitslosen in drei Gruppen angesprochen. Sowohl Irene Hochstetter-Lackner als auch Rudolf Plessl fürchten, dass sich diese Segmentierung nachteilig auf bestimmte Gruppen wie langzeitarbeitslose Personen, Frauen mit Betreuungspflichten oder behinderte Menschen auswirken wird. Plessl hält es außerdem für eine Diskriminierung von Frauen, wenn diese bei der für die Einstufung maßgeblichen Berechnung allein schon deshalb einen Punkteabzug erhalten, weil sie eine Frau sind.

Die Kritik des Rechnungshofs am AMS wurde von Plessl und Hochstetter-Lackner hingegen relativiert. Schließlich sei es im untersuchten Zeitraum mit nur 7% mehr Planstellen zu 44% mehr Vermittlungen gekommen, hob Plessl hervor. Zudem verwiesen auch die beiden SPÖ-Abgeordneten auf die Reihung des AMS unter die Top 3 in Europa.

Computer-Programm zur Kundensegmentierung seit 10 Tagen online
AMS-Vorstand Johannes Kopf machte geltend, dass das AMS in den Jahren 2011 bis 2015 mit massiv steigernder Arbeitslosigkeit konfrontiert gewesen sei. Da gleichzeitig ein starker Zuzug hochqualifizierter Arbeitskräfte stattfand, sei es schwierig gewesen, die Menschen in Arbeit zu bringen. Das AMS habe aber mehrere Projekte zur Hebung der Schulungseffektivität gestartet.

Auch die immer wieder geäußerte Kritik an Bewerbungstrainings für hochqualifizierte Arbeitslose wollte Kopf nicht gelten lassen. Diese Trainings dienten weniger dazu, um den Betroffenen zu zeigen, wie man sich richtig bewirbt, vielmehr gehe es darum, diese dazu zu bewegen, das auch zu tun. Besonders Führungskräfte über 50 seien bei Bewerbungen oft wählerischer als es das Gesetz vorsehe, sagte er. Erst später, mit fortdauernder Arbeitslosigkeit, komme dann die Einsicht, dass es besser gewesen wäre, eine angebotene Stelle anzunehmen. Die Beschwerderate bei der Ombudsstelle des AMS liegt laut Kopf lediglich bei 1%, was rund 3.500 Personen entspricht.

Verteidigt wurde von Kopf die geplante "Kundensegmentierung". Es gebe viele Menschen, die weit weg vom Arbeitsmarkt sind, etwa weil sie psychische Probleme haben, skizzierte er. Diese müsse man zunächst stabilisieren, bevor man ihnen Maßnahmen zur Höherqualifizierung wie eine Fachkräfteausbildung anbiete. Hier habe man zuletzt schon einige erfolgversprechende Formate erprobt.

Derzeit würden AMS-Kunden drei Monate in der Servicezone, die vorrangig auf Arbeitsvermittlung abzielt, betreut, schilderte Kopf. Nur wenn sie nach drei Monaten immer noch arbeitslos sind, das sind rund 60%, kommen sie in die Beratungszone mit intensiverer Beratung und Förderung. Eines der Ziele des neuen Systems sei es nun, Personen, die schlechte Chancen am Arbeitsmarkt haben, vom ersten Tag an zu betreuen und zu beraten und nicht drei Monate warten zu lassen. Gleichzeitig wolle man dem Umstand Rechnung tragen, dass Personen mit hohen Arbeitsmarktchancen weniger Unterstützung bräuchten.

Die Befürchtung, dass durch den angewendeten Computer-Algorithmus bestimmte Personengruppen diskriminiert werden, hält Kopf für unbegründet. Schließlich habe das AMS den ausdrücklichen Auftrag, Diskriminierung zu vermeiden. Vielmehr gehe es darum, die Arbeitsmarktchancen so realitätsnah wie möglich abzubilden und die Betreuung zielgerecht danach auszurichten. Bei entsprechenden Analysen habe eine Trefferwahrscheinlichkeit von 85% festgestellt werden können. Kopf machte überdies geltend, dass die Einreihung einer Person in eine der drei Gruppen und die damit verbundene Entscheidung über die Genehmigung einer Fördermaßnahme letztendlich ohnehin der individuellen Beurteilung des Beraters obliegen wird.

Kopf ist auch überzeugt, dass sich das System nicht negativ auf Frauen auswirken wird. Es habe sich vielmehr gezeigt, dass Frauen in der mittleren Gruppe, in die das meiste Geld fließen wird, überrepräsentiert und in der untersten Gruppe unterrepräsentiert sind. Das habe unter anderem auch damit zu tun, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit bei Frauen offenbar weniger einstellungshemmend auswirke als bei Männern. Überdies seien auch weiterhin 50% der AMS-Mittel für Frauen reserviert, obwohl ihr Anteil unter den Arbeitslosen nur 42% beträgt. Das Computer-Programm ist laut Kopf seit 10 Tagen online, auf die Budget- und Personalverteilung hat es vorerst aber noch keine Auswirkung.

Kopf: AMS hat etliche Empfehlungen des Rechnungshofs bereits umgesetzt
Zur Kritik des Rechnungshofs an der mangelnden Effizienz des AMS merkte Kopf an, das AMS sei verpflichtet, allen Arbeitslosen Angebote zu machen, auch wenn sie in abgelegenen Regionen wohnen oder schwer vermittelbar sind. Man wolle auch niemandem zumuten, stundenlange Wege zum AMS zurückzulegen. Welche Mittel das AMS erhalte, sei eine politische Entscheidung, dem AMS obliege es, darauf zu achten, dass diese so effizient wie möglich eingesetzt werden. Die vom AMS entwickelte Steuerung werde von anderen Staaten als Vorbild gesehen, auch wenn der Rechnungshof das System als zu komplex bewerte. Viele Empfehlungen sind Kopf zufolge überdies bereits umgesetzt worden.

Von Ausschussvorsitzender Griss auf vor kurzem von der Regierung präsentierte Daten zur Mindestsicherung angesprochen, wies Kopf darauf hin, dass das AMS ausschließlich Daten über jene MindestsicherungsbezieherInnen verfüge, die als arbeitssuchend gemeldet sind. Das seien übers Jahr gerechnet rund 110.000 Personen. Wer davon in die Gruppe mit Migrationshintergrund fällt, hängt laut Kopf davon ab, ob er bzw. sie jemals eine ausländische Staatsbürgerschaft besessen hat oder noch besitzt (erste Generation) bzw. jemals bei einer Person mit ausländischer Staatsbürgerschaft mitversichert war (zweite Generation).

Hartinger-Klein: Man muss aus der Vergangenheit lernen
Großes Lob für den Rechnungshofbericht gab es von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. Dieser sei ein "toller Bericht", man müsse aus der Vergangenheit lernen, sagte sie. Als ein Ziel für 2019 nannte Hartinger-Klein eine Steigerung der Schulungseffektivität, zudem zeigte sie sich darüber erfreut, dass es gelungen sei, das Fachkräftestipendium zu verlängern. Die Kürzung der Budgetmittel im kommenden Jahr sei auf die sinkende Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Im Pflegebereich werden ihr zufolge derzeit 5.700 Personen qualifiziert bzw. ausgebildet.

Vom Personalabbau bei SchulungsanbieterInnen werden laut Hartinger-Klein rund 900 TrainerInnen und 300 SprachlehrerInnen betroffen sein. Grund des Abbaus sei, dass die Nachfrage nach Kursen aufgrund der sinkenden Arbeitslosigkeit zurückgehe. Für die Betroffenen sei eine stiftungsähnliche Maßnahme angedacht.

Was die Arbeitsmarktrücklage betrifft, verwies Hartinger-Klein auf laufende Gespräche mit dem Finanzministerium. Ihr zufolge gibt es aber klare Regeln, dass diese Mittel für den Arbeitsmarkt zu verwenden sind und nicht für die Verwaltung.

Erste Gesamtprüfung des AMS seit Ausgliederung 1994
Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker wies darauf hin, dass der Rechnungshof das AMS erstmals seit dessen Ausgliederung 1994 einer Gesamtprüfung unterzogen habe, wobei der Fokus der Prüfung darauf lag, wie die Organisation des AMS funktioniere. Sie sieht die regionale Aufsplitterung des AMS kritisch, zudem braucht es ihrer Meinung nach langfristige Steuerelemente, um rascher auf neue Gegebenheiten und Rahmenbedingungen reagieren zu können. Kritisch bemerkte Kraker auch, dass im Zuge der Personalaufstockung beim AMS der Personalstand in den Zentralstellen stärker gestiegen sei als in den regionalen Geschäftsstellen. Der Bericht des Rechnungshofs wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at
http://www.eu2018parl.at

 

 

 

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