WIFO: Die nachhaltigen Folgen der Finanzkrise

 

erstellt am
07. 02. 19
13:00 MEZ

Wachstumseinbruch bisher nicht aufgeholt
Wien (wifo) - Die Finanzkrise 2008 hatte in Österreich einen tiefen Einbruch der Wirtschaftsleistung zur Folge: Das reale Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2009 um fast 4%, und die Euro-Schuldenkrise 2012 bewirkte eine weitere Abschwächung. Das Niveau der Wirtschaftsleistung ist derzeit um nur 10% höher als vor zehn Jahren und liegt um gut ein Zehntel unter dem (verlängerten) Vorkrisentrend. Gemäß der mittelfristigen Prognose des WIFO wird das BIP in den nächsten Jahren um 2% pro Jahr wachsen. Der Wachstumsrückstand wird damit auch in der Periode 2017/2023 nicht aufgeholt werden.

Die auf die Finanzkrise folgende anhaltende Trendabsenkung entspricht nicht den bisherigen Erfahrungen und erscheint aus zumindest drei Gründen erklärungsbedürftig:

  • Die Tendenz einer Rückkehr zum Trend setzte in der Vergangenheit stets unmittelbar nach dem Einbruch ein und führte relativ rasch zum alten Trend zurück. Selbst nach Finanzkrisen wurden die wirtschaftlichen Folgen nach acht Jahren, die politischen (Stärkung der extre­men Rechten, Aversion gegen Minoritäten, zunehmende Streiks) nach fünf Jahren über­wunden.
  • Das Phänomen ist in allen Industrieländern zu beobachten, unbeschadet ihrer unterschied­lichen Strukturen: in allen EU-Ländern trotz deren unterschiedlicher Betroffenheit von der Finanzkrise, aber auch in den USA trotz deren expansiver Konjunkturpolitik.
  • Erklärungsbedürftig erscheint auch, warum Analysten wie Unternehmen die relativ zur Vor­krisenzeit eher unbefriedigende Wirtschaftslage erstaunlich günstig beurteilen.

Als Ursachen der mangelnden Rückkehr zum Vorkrisentrend kommen verzögerte Anpassung, Nachfrage- bzw. Strukturschwäche, Kumulierung verunsichernder Schocks oder ein Struktur­bruch in Frage.

Gegen eine Erklärung als verzögerte Anpassung spricht nicht bloß die überdurchschnittliche Dauer, sondern vor allem das Fehlen jeglicher Annäherungstendenz.

Unzureichende Nachfrage kann bestenfalls einen (kleinen) Teil des mangelnden Aufholprozes­ses erklären: Konsum und Export liegen zwar deutlich unter ihrem Vorkrisentrend, doch die gute Kapazitätsauslastung und die optimistische Einschätzung der Konjunktur lassen keine generelle Nachfrageschwäche erkennen.

Für eine Erklärung durch Strukturschwächen spricht die markante Verlangsamung des Produk­tivitätswachstum; die verschiedenen Ansätze könnten zwar die mangelnde Annäherung an den Vorkrisentrend erklären, nicht aber dessen abrupte Absenkung.

Eher könnte das die These eines Strukturbruchs infolge geänderter weltwirtschaftlicher Rahmen­bedingungen: Aufholen der Entwicklungsländer, vor allem Chinas, Stagnation der weltweiten Wertschöpfungsketten, Expansion von Märkten, die zu starker Konzentration neigen ("winner-take-all markets"), Verschiebung von realen zu Finanzinvestitionen sowie von internem zu exter­nem Wachstum (Unternehmenskäufe und Fusionen), aber auch zunehmend ungleiche Vertei­lung, Erosion der Arbeitsmarktregulierung und eine in der Bevölkerung verbreitete Attitüde einer "Generation der Verlierer". Sie haben den Verlust der Marktdominanz der westlichen Industrie­länder zur Folge, ein Phänomen, das durch die Finanzkrise schockartig bewusst wurde.

Die derzeit am ehesten plausibel erscheinende These erklärt Trendabsenkung wie Trendbruch als Folge einer Kumulierung verunsichernder Schocks: Auf den schockierenden Verlust der Marktdominanz folgten die Schocks der Finanzkrise 2008, der Euro-Schuldenkrise (2012) und der Migrationskrise (2015) sowie der desintegrierenden Brexit-Abstimmung (2016). Mit der Wahl von Präsident Trump in den USA Ende 2016 und dem Regierungswechsel in Italien (2018) setzte eine Periode generell verunsichernder und EU-kritischer Politik ein. Gemeinsam mit dem Mangel an qualifizierten Kräften dürfte das bei Unternehmen wie Politik eine Revision der längerfristigen Wachstumserwartungen ausgelöst haben, wie sie von umwelt- und klimabewussten Gruppie­rungen schon lange vorweggenommen worden war. Offenbar sehen die Unternehmen die Niveauabsenkung der Wirtschaftsaktivität und die Abwanderung von Märkten (vor allem nach Asien) unter den gegebenen Umständen als "normal" an und haben ihre Pläne darauf abge­stellt. Da das Wachstum überdies etwas rascher ausfiel als zunächst erwartet, die Gewinnlage gut und die Kapazitätsauslastung befriedigend war, schwand der Pessimismus, und es wurden Investitionen nachgeholt.

Da sich die Arbeitsmarktlage unter der Bedingung eines anhaltenden Wachstumsrückstandes eher verschlechtern wird, befindet sich die Wirtschaftspolitik in einer schwierigen Situation. Der Spielraum der Nachfragepolitik ist eng begrenzt; sie könnte bestenfalls sehr selektiv und nach­haltig vorgehen (etwa Verbesserung der Infrastruktur, Risikoabsicherung im Export). Zur Milde­rung des Strukturbruches muss gegen die Verdrängung auf strategisch wichtigen Märkten an­gekämpft werden. Anstelle der sich offenbar anbahnenden Politik von Handelsbeschränkun­gen und nationaler Abschottung erscheint eine Forcierung der Technologiepolitik als die dafür adäquate Strategie. Effizient und erfolgreich kann eine solche Politik vor allem auf EU-Ebene geplant und durchgeführt werden.

Manche Strukturänderungen, wie etwa die zunehmend ungleiche Einkommensverteilung oder der Trend zur Dominanz der Finanzmärkte ("financialisation"), können aber auch durch natio­nale Maßnahmen zumindest gemildert werden. In Österreich setzt das vor allem Maßnahmen im Bereich der Exportstruktur und der dahinterliegenden Produktionsstruktur sowie der Vertei­lung voraus. Die Politik sollte rascher als bisher auf die neuen weltwirtschaftlichen Herausforde­rungen reagieren, die Struktur auf rasch wachsende Märkte und Produktkategorien umorien­tieren und die Effizienz generell steigern.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.wifo.ac.at

 

 

 

 

 

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