"Parlamentarischer Dialog -
 Digitalisierung und Demokratie"

 

erstellt am
22. 03. 19
13:00 MEZ

Von der Mediendemokratie zur Empörungsdemokratie: Ein Zukunftsmodell der redaktionellen Gesellschaft – Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures lud Medienexperten Pörksen zu Fortsetzung ein
Tübingen/Wien (pk) - "Wir befinden uns in einem Wechsel, und zwar von der Mediendemokratie" – also jener mit Gate-Keeping durch JournalistInnen - "hin zu einer Empörungsdemokratie" in Zeiten digitaler Medien, in der jeder und jede sich zuschalten kann. Der Autor, Publizist und Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, Bernhard Pörksen, von dem diese Diagnose stammt, war am Abend des 21. März als Vortragender zu Gast bei der Veranstaltungsreihe "Parlamentarischer Dialog - Digitalisierung und Demokratie" auf Einladung von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures.

Bures: Kampf gegen Desinformation, aber moderne Technologien auch als Werkzeug der Freiheit nutzen
"Es gibt einen großen Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Fake News", sagte die Zweite Nationalratspräsidentin in ihren einleitenden Worten zur Veranstaltung. Eine liberale Demokratie müsse in der Lage sein, eine scharfe Grenze zwischen freier Meinungsäußerung und Falschmeldungen zu ziehen, um die richtige Balance zwischen Reglementierung und Freiheit zu finden. Eine liberale Demokratie müsse aber auch in der Lage sein, menschenverachtende Inhalte aus dem Netz entfernen können, bezog sich Bures auf den Terror-Anschlag gegen Muslime in Christchurch mit einem grausamen Live-Video der Tat.

Um Auswirkungen der Digitalisierung auf den demokratischen Diskurs zu beleuchten, habe sie diesen parlamentarischen Dialog ins Leben gerufen. Der Traum von einem völlig demokratisierten und schier endlosen Zugang zu Information sei vor 30 Jahren mit dem World Wide Web Wirklichkeit geworden. Heute sei es die Aufgabe, den Kampf gegen die Desinformation und die Verwilderung des Diskurses aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass moderne Technologien nicht für Angriffe auf die Demokratie missbraucht werden, sondern als Werkzeug der Freiheit dienen.

"Das Brexit-Referendum ist nur ein Beispiel, wie auch versucht wird, Meinung im Netz zu beeinflussen", so die Zweite Nationalratspräsidentin. Eine kürzlich erschienene Studie im Auftrag des Europäischen Parlaments zeige, dass in Online-Kampagnen im Vorfeld des Referendums eine Reihe neuer Technologien eingesetzt wurden, um die Haltung der wahlberechtigten Briten zum Brexit zu beeinflussen. Die Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass das Netz und der Einsatz neuer Tools, etwa zur Erhebung von User-Profilen für Dark Ads, aber auch Social Bots oder Fake Accounts die kontroversen Diskussionen weiter angeheizt haben. "Natürlich sind solche Tools nicht allein schuld an der Polarisierung, die stattgefunden hat – politische Polemik und Populismus sind keine Erfindung des Internets", so Bures. Der Studie zufolge würden der Einsatz solcher Tools allerdings die politische Auseinandersetzung insgesamt verschärfen und als Brandbeschleuniger wirken.

Pörksen: Von einer digitalen Gesellschaft zum Zukunftsmodell einer redaktionellen Gesellschaft
Der Autor, Publizist und Medienwissenschaftler Professor Bernhard Pörksen beschrieb in seinem Referat zwei Grundgesetze, denen aus seiner Sicht der Wechsel von einer Mediendemokratie hin zur Empörungsdemokratie in Zeiten der digitalen Weiterentwicklungen folgt. Zum einen gebe es wie einen "digitalen Schmetterlingseffekt" eine neuartige Symmetrie von Ursache und Wirkung, wo minimale Anstöße maximale Wirkung erzielen. Zum anderen lasse ein diesbezüglicher Kontrollversuch den Kontrollverlust erst auch deutlich werden. Er illustrierte dies durch eine Geschichte einer Schülerin aus Schottland, die angehalten wurde, ihren Blog zu beenden – ihre Blog-Ankündigung dessen erlangte innerhalb kürzester Zeit eine extrem große Öffentlichkeit und führte zu einer Art "Aufmerksamkeitsexzess".

Zudem drehe sich die Logik der Skandalisierung insofern, als Mitglieder des früheren "Publikums" nun selbst Empörungsvorschläge transportieren, und Medien, die bisher am "Tor" zur Öffentlichkeit standen, diese dann aufgreifen. Der Experte sprach in diesem Zusammenhang von "tektonischen Verschiebungen im Prozess der Konstruktion von Informationswirklichkeit", wozu er vier Diagnosen anführte: Diese umfassen neben einer neuen Geschwindigkeit in der Informationsvermittlung auch eine neue Ungewissheit sowie neue Manipulationsmöglichkeiten - unter fundamentalem Angriff von Identität und Integrität der KommunikatorIn – und nicht zuletzt eine neue Sichtbarkeit, etwa durch "indiskrete Technologien" wie das jederzeit dokumentations- und sendebereite Smartphone.

Er selbst laufe in der Analyse dieser Vorgänge oft täglich zwischen der "Fraktion Euphoriker" und der "Fraktion Apokalyptiker" hin und her und suche seinen Platz, so der Medienexperte. Die Frage sei, wie man gegen Desinformation, Hass und Propaganda vorgehen und zugleich die Idee von Mündigkeit und Kommunikationsfreiheit bewahren könne. Pörksens Antwort lautet: "Bildung, Bildung, Bildung: Wir müssen von einer digitalen Gesellschaft zu einer redaktionellen Gesellschaft der Zukunft werden." Dazu brauche es in Analogie zum Umweltbewusstsein eine Art "digitale Ökologie", ein Wertbewusstsein für einen "geistigen Lebensraum" liberaler Demokratie und eine allgemeine Kommunikationsethik im digitalen Zeitalter. Die Vorschläge des Experten, um dahin zu kommen, umfassen ein eigenes neues Schulfach als Labor der "redaktionellen Gesellschaft" sowie Öffnung und Transparenz in einem optimalerweise dialogischen Journalismus. Außerdem werde man nicht darum herumkommen, auch Plattformen zu regulieren, so Pörksen. Zu deren publizistischer und redaktioneller Verantwortung brauche es auch eine neuartige Institution, eine Art "Plattform-Rat". Nicht beschnitten werden soll damit die Idee der Kommunikationsfreiheit, sondern vielmehr UserInnen die Möglichkeit gegeben werden, Plattformen einer Art "Blattlinie" zuordnen zu können. Das früher so genannte, nun medienmächtige "Publikum" brauche jedenfalls Medienmündigkeit auf dem Weg in die Neudefinition von Öffentlichkeit und in kollektiv geglaubter Information.

Im Anschluss an den Vortrag fand eine Publikumsdiskussion mit dem Experten statt. Es war der nunmehr zweite Abend aus der Veranstaltungsreihe "Parlamentarischer Dialog – Digitalisierung und Demokratie" auf Initiative von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures im Parlament. Die nächste Veranstaltung dazu ist am 6. Juni 2019 geplant.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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