Sozialpolitik: EU-Kommission eröffnet Debatte
 über effizientere Entscheidungsfindung

 

erstellt am
17. 04. 19
13:00 MEZ

Brüssel (ec) - Die EU-Kommission hat am 16. April eine Diskussion über die verstärkte Nutzung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in der Sozialpolitik angestoßen. Damit soll die Entscheidungsfindung dort, wo die EU bereits zuständig ist, zügiger, flexibler und effizienter werden. In den meisten Bereichen der Sozialpolitik, in denen die EU Handlungsbefugnisse hat, wird bereits mit qualifizierter Mehrheit entschieden. Für einige wenige Bereiche gelten jedoch weiterhin Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten sowie besondere Gesetzgebungsverfahren, bei denen das Europäische Parlament nicht gleichberechtigt mit dem Rat als Mitentscheidungsorgan fungiert.

In seiner Rede zur Lage der Union 2018 hatte Präsident Juncker eine umfassende Überprüfung aller in den EU-Verträgen vorgesehenen Überleitungsklauseln angekündigt. In der Folge wurden bereits drei Mitteilungen angenommen: zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (September 2018), zur Besteuerung (Januar 2019) und zu Energie und Klima (April 2019). Die Mitteilung über die Überleitungsklauseln in der Sozialpolitik ist die vierte in dieser Reihe.

Der für den Euro und den sozialen Dialog, für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission Valdis Dombrovskis sagte: „Um auf den raschen Wandel in der Gesellschaft und auf den Arbeitsmärkten reagieren zu können, brauchen wir auf EU-Ebene eine zügige, flexible und effiziente Beschlussfassung in der Sozialpolitik. Mit der heutigen Mitteilung stoßen wir die Debatte darüber an, wie wir bestehende Vertragsbestimmungen in diesem Sinne nutzen können. Der Fokus liegt auf Fällen mit eindeutigem EU-Mehrwert, damit eine Kultur des Kompromisses und der Entscheidungsfindung gefördert wird, die den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen eines fairen Binnenmarkts entspricht.“

Die für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen erklärte: „So unterschiedlich sie auch sind, streben alle Mitgliedstaaten letztlich nach einer faireren Gesellschaft auf der Grundlage von Chancengleichheit und nach einer zukunftsfähigen sozialen Marktwirtschaft. Angesichts des Wandels in der Arbeitswelt müssen wir alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente uneingeschränkt nutzen können, um die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen.“

Der Umstand, dass es in miteinander verbundenen Politikbereichen sowohl die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit als auch die Einstimmigkeit der Beschlussfassung gibt, hat zu einer uneinheitlichen Entwicklung des sozialpolitischen Besitzstands geführt. Auch wenn das Schutzniveau insgesamt hoch und umfassend ist, gibt es einige Lücken. Außerdem hat das Europäische Parlament bei besonderen Gesetzgebungsverfahren keine gleichberechtigte, wichtige Rolle als Mitentscheidungsträger, sondern wird häufig lediglich konsultiert, obwohl es die Bürgerinnen und Bürger repräsentiert, die unmittelbar von der EU-Sozialpolitik profitieren. In Zeiten des raschen und manchmal auch tiefgreifenden Wandels ist es heute wichtiger denn je, dass die EU in der Lage ist, zügig wirksame politische Antworten zu formulieren.

Mit dieser Mitteilung eröffnet die Kommission eine Debatte über die verstärkte Nutzung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in der Sozialpolitik, um die Entscheidungsfindung dort zügiger, flexibler und effizienter zu gestalten, wo die EU bereits zuständig ist. Diese Möglichkeit ist in den EU-Verträgen für mehrere spezifische Bereiche (siehe Hintergrund) durch sogenannte Überleitungsklauseln vorgesehen. Diese Klauseln erlauben unter bestimmten Umständen den Übergang von der Einstimmigkeit zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit.

Nach gründlicher Abwägung schlägt die Kommission in einem ersten Schritt zunächst vor, die Anwendung der Überleitungsklausel zur Erleichterung der Beschlussfassung in Fragen der Nichtdiskriminierung zu erwägen. Dies würde zur Weiterentwicklung des Schutzes vor Diskriminierung beitragen. Die Anwendung der Überleitungsklausel könnte schon bald auch in Betracht gezogen werden, um Empfehlungen im Bereich der sozialen Sicherheit und des sozialen Schutzes von Arbeitnehmern anzunehmen. Dies würde den Prozess der Modernisierung und der Konvergenz der Sozialschutzsysteme unterstützen.

Der Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit ändert nichts an den Zuständigkeiten. Der Anwendungsbereich und die Voraussetzungen für die Ausübung der Befugnisse der EU bleiben unberührt. Die Mitgliedstaaten bleiben beispielsweise weiterhin dafür verantwortlich, die Merkmale ihrer eigenen Sozialschutzsysteme festzulegen. Die Sozialpartner behalten ihre Kompetenzen und die nationalen Traditionen des sozialen Dialogs bleiben unberührt. Wie in den Verträgen verankert, wird die Union weiterhin nur dort tätig, wo es notwendig ist und eindeutige Vorteile bringen kann.

Die Aktivierung der Überleitungsklausel nach Artikel 48 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union müsste der Europäische Rat einstimmig, ohne Einwände der nationalen Parlamente und mit Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen.

Die nächsten Schritte
Die Kommission ruft den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen, die Sozialpartner und alle Interessenträger auf, sich auf der Grundlage der Mitteilung an einer offenen Debatte über einen verstärkten Einsatz der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens im Bereich der Sozialpolitik zu beteiligen.

Hintergrund
Eine begrenzte Anzahl von Bereichen der EU-Sozialpolitik unterliegt noch immer der Einstimmigkeit im Rat sowie besonderen Gesetzgebungsverfahren, bei denen das Europäische Parlament keine gleichberechtigte Rolle als Mitentscheidungsträger innehat, nämlich:

  • Nichtdiskriminierung aus verschiedenen Gründen (Geschlecht, Rasse oder ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Ausrichtung);
  • soziale Sicherheit und sozialer Schutz von Arbeitnehmern (außer in grenzüberschreitenden Fällen);
  • Schutz der Arbeitnehmer vor Kündigungen;
  • Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen und
  • Beschäftigungsbedingungen der Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in der Union aufhalten.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://ec.europa.eu/

 

 

 

 

 

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