Subsidiarität dient der gesamten EU

 

erstellt am
05. 12. 17
13:00 MEZ

Diskussion über Perspektiven der Europäischen Institutionen im Parlament –
8. Subsidiaritätskonferenz in Wien zur Zukunft des Prinzips der Subsidiarität
Wien (pk) – "Vieles in Europa ist zu verändern, das Subsidiaritätsprinzip ist eine gute Möglichkeit dafür", unterstrich Ausschusses der Regionen-Mitglied Raffaele Cattaneo hinsichtlich der Bedeutung von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit für die EU und ihre BürgerInnen. Aktuelle Entwicklungen, aber auch Herausforderungen innerhalb der verbleibenden EU-Mitgliedsländer mit dem Fokus auf die von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst eingesetzte Subsidiaritäts-Taskforce standen im Fokus des ersten Round Tables der am 4. Dezember stattgefundenen 8. Subsidiaritätskonferenz. Es diskutierten hochrangige VertreterInnen der Kommission, des Parlaments, des regionalen Parlaments der Lombardei und der estnischen Ratspräsidentschaft. Das erste Panel widmete sich den Grundsätzen der Subsidiarität und jüngsten Entwicklungen, die auch zur Gründung der genannten Taskforce führten. Das erklärte Ziel war die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf Subsidiarität sowie eine bessere Rechtssetzung im täglichen Arbeiten der EU.

"Subsidiaritätskontrolle dient der Verbesserung der gesamten EU auf allen Ebenen"
Der Direktor für intelligente Regulierungs- und Arbeitsprogramme, John Watson, informierte über die Gründung der Taskforce, die ihre Arbeit im Jänner aufnehmen und Ergebnisse bereits im Juli 2018 vorlegen werde. "Eine weitreichende Debatte über ein Europa im Jahr 2025" soll anhand der Ergebnisse die Folge sein, so Watson im Hinblick auf die Aufgaben der im November gegründeten Taskforce. Ziel sei in jedem Fall eine geeintere und stärkere EU aufzubauen.

Die wirksame Anwendung der Subsidiarität stärkt die Demokratie und erhöht die öffentliche Akzeptanz von Rechtssetzung, versicherte Michael Schneider, Vorsitzender des Europäischen Subsidiaritäts-Lenkungsausschusses in diesem Zusammenhang.

Mady Delvaux hielt fest, dass Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Grundsätze seien, die weiterhin ihre Gültigkeit haben. Die Taskforce müsse daher "in mehrere Richtungen denken – was kann auf europäischer Ebene und was auf nationaler Ebene effizient gelöst werden", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments. Delvaux ist auch Berichterstatterin über die noch nicht veröffentlichten Subsidiaritäts-Jahresberichte 2015 bis 2016. Diese betreffend betonte sie, dass die vorhandenen Instrumente von den nationalen Parlamenten vielfältig genutzt werden.

Subsidiarität nicht auf reinen Verfahrensmechanismus reduzieren
Subsidiarität sei im Grunde ein geeignetes und einfaches Instrument, analysierte Marko Pomerants. Der Vorsitzende des Verfassungsausschusses des Estnischen Parlaments informierte, dass die Prinzipien Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in Estland gut angewandt werden.

Raffaele Cattaneo, selbst Mitglied des Ausschusses der Regionen (AdR), Vizepräsident von CALRE und Präsident des Regionalrates der Lombardei, sprach die Grundsätze und Charakteristika der Subsidiarität während des Round Tables an. Seiner Meinung nach müssen Subsidiaritätsmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden – der Verfahrensmechanismus müsse demnach auf fachlichem Niveau und auf politischer Ebene bearbeitet werden. EU-BürgerInnen wieder näher an die politischen Abläufe zu bringen und Vertrauen zu fördern, lasse sich laut Cattaneo erzielen, "Mithilfe der Subsidiarität lässt sich gegen dieses Gefühl der Entfernung arbeiten". Auch er blickt positiv in die Zukunft im Zusammenhang mit der eingerichteten Taskforce, so Catteneo.

   

EU-Entscheidungen müssen bürgernäher getroffen werden
Die Frage, welche Regierungsebene wofür zuständig ist, ist politisch brisant. Das Subsidiaritätsprinzip in der EU soll sicherstellen, dass Entscheidungen möglichst bürgernah getroffen werden, d.h. die EU soll nur dort tätig werden, wo die angestrebten Ziele nicht durch Maßnahmen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene besser erreicht werden können.

VertreterInnen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der estnischen EU Ratspräsidentschaft sowie der Bundesländer, Gemeinden und Städte der EU kamen in Wien zusammen, um die Rolle der nationalen und regionalen Parlamente im Subsidiaritätsmonitoring sowie die neuesten Entwicklungen rund um die von der Europäischen Kommission eingesetzten Taskforce für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu diskutieren.

"Weniger, aber effizienteres Handeln ist das Ziel der neuen Taskforce, die Kommissionspräsident Jean Claude Juncker ins Leben gerufen hat. Alle europäischen Akteure sind dabei gefordert, durch konstruktives Hinterfragen zu einer Reform der bestehenden Strukturen beizutragen. Das ist auch ganz im Sinne des österreichischen Bundesrats, der bezüglich Subsidiaritätsprüfungen eines der führenden Parlamente in Europa ist. Der Weg zu einer Union mit einer soliden Verankerung in den Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen, die sich an den Bedürfnissen ihrer Bürgerinnen und Bürger orientiert, ist der letzte Ausweg, um ein weiteres Zersplittern der EU zu verhindern. Dem wachsenden Nationalismus den Boden zu entziehen, ist auch eine Aufgabe des AdR", erklärte Edgar Mayer, Präsident des Österreichischen Bundesrats in einer Pressekonferenz anlässlich der Subsidiaritätskonferenz.

Die Aufgabe der Taskforce wird es sein, Vorschläge zu erarbeiten, wie die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in der Arbeit der Organe der Union besser angewendet werden können, in welchen Bereichen die EU Zuständigkeiten an die Mitgliedstaaten rückübertragen soll und wie sie regionale und lokale Gebietskörperschaften besser in die Gestaltung und Umsetzung der EU-Politik einbeziehen kann. Der AdR ist in der Taskforce mit drei Mitgliedern vertreten, darunter Karl-Heinz Lambertz, AdR-Präsident und Vorsitzender des Subsidiaritäslenkungsausschusses im AdR, Michael Schneider Staatssekretär in Sachsen-Anhalt und Präsident der EVP-Fraktion im AdR sowie François Decoster, Vize-Präsident der Hauts-de-France Region und Vize-Präsident der AdR-Fachkommission CIVEX.

"Der AdR ist seit Jahren in die Subsidiaritätskontrolle involviert. Wir arbeiten eng mit Regionalparlamenten und Subsidiaritätsexperten aus verschiedenen Regionen zusammen. Die Taskforce ist eine große Chance, die Art und Weise, wie die EU funktioniert, zu verändern und Städten und Regionen eine stärkere Rolle bei der Gestaltung der Zukunft Europas einzuräumen. Die Europäische Union ist nur insofern stark, als sie in der Lage ist, mit ihren Bürgern in Verbindung zu treten. Hier sind Regionen und Städte unerlässlich", erklärte Karl-Heinz Lambertz, Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen.

Neben den drei Mitgliedern des AdR wird sich die Taskforce aus drei weiteren Mitgliedern des Europäischen Parlaments und drei Mitgliedern aus nationalen Parlamenten zusammensetzen. Den Vorsitz übernimmt der Erste Vize-Präsident der Europäischen Kommission Frans Timmermans, zuständig für bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Taskforce wird ihre Arbeit am 1. Jänner 2018 aufnehmen und soll ihren Bericht bis zum 15. Juli 2018 der Europäischen Kommission vorlegen.

Das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union
Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sind in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union festgeschrieben. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde ein Mechanismus eingeführt, mit dem nationale Parlamente prüfen können, ob das Subsidiaritätsprinzip bei Entwürfen für Rechtsvorschriften der EU eingehalten wird. Im Rahmen des "Frühwarnsystems" können die nationalen Parlamente binnen acht Wochen darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Erreicht die Anzahl der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente mindestens ein Drittel, muss der Entwurf von der Europäischen Kommission überprüft werden ("gelbe Karte"). Das Verfahren der "gelben Karte" wurde zwischen 2007 und 2017 lediglich dreimal angewendet. Der AdR nimmt seine Kontrollfunktion im von ihm geschaffenen Netz für Subisdiaritätskontrolle war. Dieses Netz dient als Anlaufstelle für lokale und regionale Gebietskörperschaften um Informationen zu erhalten und ihre Ansichten zu Maßnahmen und Legislativvorschlägen der EU einbringen zu können.

     

Nationale Parlamente wollen starkes Mitspracherecht auf EU-Ebene
Neben Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP) berichteten Jean Bizet aus Frankreich und Vannino Chiti aus Italien über die bisherigen Erfahrungen. Die bestehende Frist von acht Wochen zur Prüfung neuer Kommissionsvorschläge sei zu knapp, meinte etwa Bizet, der den EU-Ausschuss des französischen Senats leitet. Chiti will aktive Gesetzgebungsvorschläge der nationalen Parlamente ("grüne Karte") forcieren. Gegen ausufernde delegierte Rechtsakte wandte sich Zwazl, die intensive Auseinandersetzung des Bundesrats mit EU-Vorhaben hat ihr zufolge aber bereits Früchte getragen.

Auf ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Subsidiarität und Solidarität machte Gerhard Jordan vom Grünen Klub im Wiener Rathaus in der anschließenden Diskussion aufmerksam. Die bisher drei "gelben Karten" der nationalen Parlamente gegenüber der EU-Kommission seien stark von Eigeninteressen der EU-Mitgliedstaaten getragen gewesen, gab er zu bedenken. Beim Widerstand gegen die EU-Entsenderichtlinie sei es etwa darum gegangen, von der Kommission vorgeschlagene Maßnahmen gegen Sozialdumping zu verhindern.

Zwazl: Bundesrat ist Verbindungsglied zwischen österreichischen Regionen und Brüssel
Der österreichische Bundesrat sieht sich laut Zwazl als Verbindungsglied zwischen den österreichischen Regionen und Brüssel. Er prüfe quasi die Länder- und Regionenverträglichkeit von EU-Vorhaben. Insgesamt hat die Länderkammer des österreichischen Parlaments in den vergangenen zehn Jahren mehr als 380 EU-Vorlagen unter die Lupe genommen und über 80 Stellungnahmen bzw. Mitteilungen gefasst, wobei sich der Bogen der behandelten Themen von steuerrechtlichen Fragen über verkehrspolitische Themen bis hin zur Digitalisierung spannt.

Die intensive Beschäftigung des Bundesrats mit EU-Vorhaben habe bereits Früchte getragen, hob Zwazl hervor. So sei es gemeinsam mit anderen nationalen Parlamenten gelungen, in einzelnen Fällen ein Umdenken in Bezug auf die massive Häufung so genannter delegierter Rechtsakte zu bewirken. Grundsätzlich sei es zwar positiv, wenn die Kommission bei kleineren Änderungen keinen neuen Gesetzgebungsprozess starten müsse, meinte Zwazl, lagere man zu viele Inhalte in delegierte Rechtsakte aus, wirke sich das aber nicht nur negativ auf die Lesbarkeit und Verständlichkeit von Vorlagen aus, sondern führe auch dazu, dass Kompetenzen der Behörden der Mitgliedstaaten zur Europäischen Kommission verschoben werden. Der österreichische Bundesrat tritt in diesem Zusammenhang auch für die Einrichtung eines öffentlichen Registers für delegierte Rechtsakte und einen frühzeitigen Zugang der nationalen Parlamente zu Entwürfen ein.

Zwazl sieht auch insgesamt die Tendenz zu zunehmenden Regulierungen kritisch. Eine Überregulierung untergrabe die natürliche Vernunft, Eigenverantwortung und Mitdenken, warnte sie. "Wem ständig das Denken abgenommen wird, der wird auch keine Ideen mehr haben", plädierte sie dafür, mündige BürgerInnen auch als solche zu behandeln. Ein klares Bekenntnis legte Zwazl zum Föderalismus in Österreich ab: Als Zentralstaat wäre das Land nie so stark geworden, ist sie überzeugt.

Bizet: Europäischer Mehrwert muss sichtbar werden
Bei der EU-weiten Vereinheitlichung und Harmonisierung des Rechts dürfe man die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen nicht außer Acht lassen, mahnte auch Jean Bizet, Vorsitzender des EU-Ausschusses des französischen Senats. Der Brexit hat für ihn die wesentliche Frage des Mehrwerts der EU klar vor Augen geführt. Die Europäische Kommission habe sich aber erst sehr spät, 2014, dazu entschlossen, ihr Programm auf zehn zentrale Punkte zu konzentrieren.

Was die Subsidiaritätskontrolle betrifft, berichtete Bizet, dass der französische Senat bisher rund 100 Texte geprüft und 27 begründete Stellungnahmen zu 32 EU-Vorhaben abgegeben hat. Die Subsidiaritätskontrolle dürfe aber nicht zu juristischem Fundamentalismus führen, wo die Form wichtiger sei als der Inhalt, warnte er. Dass die nationalen Parlamente nur acht Wochen Zeit haben, neue Vorschläge der EU-Kommission zu prüfen, ist für ihn zu kurz, er wünscht sich eine zumindest zehnwöchige Frist. Bizet kritisierte außerdem den Umgang der EU-Kommission mit Stellungnahmen der nationalen Parlamente und sprach sich für erweiterte Kosten-Nutzen-Rechnungen von EU-Vorhaben, etwa für verschieden große Unternehmen aus. Auch mehr Konsultationen der nationalen Parlamente durch die EU-Kommission sind ihm ein Anliegen.

Im Allgemeinen meinte Bizet, Europa müsse seine Fehler schneller erkennen und beheben und daran arbeiten, nicht nur als Raum, sondern als mächtiger Handlungsträger in internationalen Verhandlungen wahrgenommen zu werden.

Chiti: Nationale Parlamente sollen Gesetzesvorschläge machen können
Für eine Konzentration der EU auf zentrale Fragen wie Sicherheit, Verteidigung, Außenpolitik, Migration und Klimapolitik plädierte der Vorsitzende des EU-Ausschusses des italienischen Senats Vannino Chiti. Zudem sprach er sich für eine breitere Einbindung der nationalen Parlamente in die EU-Politik abseits von Subsidiaritätsprüfungen aus. So wäre es seiner Meinung nach zweckmäßig, würden die nationalen Parlamente die Möglichkeit bekommen, mit den Ausschüssen des Europäischen Parlaments Fachfragen zu erörtern und selbst Gesetzesinitiativen auf EU-Ebene in Form von "grünen Karten" zu starten. Es gehe um Dialog über Inhalte.

Auch eine "horizontale Subsidiarität" ist Chiti wichtig: Dazu gehört für ihn nicht nur eine bessere Einbindung der Regionen in den innerstaatlichen Entscheidungsprozess, worum sich der italienische Senat bei Subsidiaritätsprüfungen auch verstärkt bemühe. Auch Meinungen von BürgerInnen und ehrenamtlichen Verbänden müssten mehr Gehör finden.

In der anschließenden Diskussion wurden unter anderem Vorschläge hinterfragt, den Zugang zu EU-Fördermittel an einen bestimmten Verhaltenskodex zu knüpfen. Mary Freehill, Mitglied des Ausschusses der Regionen aus Irland, beklagte, dass in ihrem Heimatland EU-Politik alleine von der Zentralregierung bestimmt werde und Regionen kein Mitspracherecht hätten.

   

Ausschuss der Regionen bekennt sich zu Subsidiaritätsprinzip, fordert mehr Ressourcen und BürgerInnennähe
Die Erfahrungen, welche Regionalparlamente mit der Subsidiaritätskontrolle der EU-Gesetzgebung bisher gesammelt haben, waren Thema eines weiteren Round Table. Unter dem Titel "Subsidiaritätskontrolle in der Praxis" legten Vertreter von regionalen gesetzgebenden Körperschaften in Vorarlberg, Thüringen und Flandern den TeilnehmerInnen der 8. Subsidiaritätskonferenz des Europäischen Ausschusses der Regionen ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen dar.

Übereinstimmung herrschte dabei, dass angesichts der Komplexität der Materien die derzeitige Prüffrist von acht Wochen zu kurz angesetzt ist. Diese Erfahrungen wurden mit konkreten Erwartungen an die EU-Taskforce Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verknüpft, in der die Regionalparlamente, wie die Redner unterstrichen, in angemessener Weise vertreten sein sollten. Zudem brauche es mehr Ressourcen sowie mehr Bürgernähe, damit regionale Körperschaften eine sinnvolle Rolle in der EU-Gesetzgebung spielen können. Dabei wurde auch die immer wieder diskutierte "Rote Karte", um Vorhaben der EU-Kommission zu stoppen, wieder ins Spiel gebracht.

Regionalparlamente und Subsidiaritätskontrolle - komplexe Aufgabe in knappem Zeitrahmen
Der Vertrag von Lissabon ermöglicht den nationalen Parlamenten im Rahmen der EU-Gesetzgebung – in Österreich also Nationalrat und Bundesrat – im so genannten Frühwarnmechanismus binnen acht Wochen eine begründete Stellungnahme vorzubringen, wenn diese einen Gesetzesentwurf der EU für subsidiaritätswidrig halten. Im Rahmen des Frühwarnmechanismus können die nationalen Parlamente auch die Regionalparlamente konsultieren, die damit bereits in einem frühen Stadium des EU-Gesetzgebungsprozesses beurteilen können, ob ein Vorschlag der EU-Kommission im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht.

Der Präsident des Vorarlberger Landtags Harald Sonderegger berichtete in diesem Zusammenhang von guten Erfahrungen mit dem eigens eingerichteten Europaausschuss des Vorarlberger Landtags. Die Frist von acht Woche sei für die Bewältigung der komplexen Aufgabe seiner Ansicht jedenfalls zu kurz, sie sollte auf zwölf Wochen ausgedehnt werden. Eine sinnvolle Prüfung der Auswirkung von EU-Gesetzgebung auf die Regionen sei zudem eine Frage von Ressourcen. Letztlich nehme auch die EU-Kommission die Rückmeldungen nur in sehr begrenztem Umfang auf, merkte Sonderegger kritisch an.

Ähnlich sah es auch der Abgeordnete der thüringischen Landtags Jörg Kubitzki. Der Landtag von Thüringen verfügt seit 2011 über einen Europaausschuss, der sich in seiner Prüfung von EU-Vorschlägen auch auf die jeweiligen Fachausschüsse stützen kann, die mitberatend tätig sind. Für Kubitzki darf sich die Subsidiaritätskontrolle nicht in einer formalen Zuständigkeitsprüfung erschöpfen. Um eventuelle politische Bedenken über die Auswirkung eines EU-Vorhabens zu äußern, stehen Thüringen das "Subsidiaritätsbedenken" zur Verfügung. Das sei etwa in Gesetzesvorhaben im Bereich der Daseinsvorsorge relevant. Wie Sonderegger sprach Kubitzki sich für die Verlängerung der Fristen für eine Subsidiaritätsprüfung aus.

Karl Vanlouve ist Vizepräsident des belgischen Senats und gehört dem flämischen Regionalparlament an. Er berichtete von den Erfahrungen mit der Subsidiariät vor dem Hintergrund der starken Stellung der Regionalparlamente in Belgien. Aufgrund der faktischen Gleichwertigkeit der Gesetzgebung von Bundesstaat und Teilstaaten kann eine Subsidiaritätsrüge auf beiden Ebenen mit dem gleichen Gewicht ausgesprochen werden. Die EU-Taskforce müsse seiner Meinung nach auch bereit sein, bisherige politische Tabus zu brechen, wenn es um Fragen der Zuständigkeit der EU und um eine stärkere Dezentralisierung geht, sagte Vanlouve.

   

EuGH-Richter Bonichot: Subsidiarität ist eines der verfassungsrechtlichen Prinzipien der EU
Welche Bewandtnis es mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Subsidiaritäts- Frühwarnmechanismus für die Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat, stand im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion zum Thema "The judicial review of the principle of subsidiarity and the relevance of the Subsidiarity Early Warning System for the Court of Justice of the European Union".

Gemäß Subsidiaritätsprinzip soll die EU nur dort tätig werden, wo die angestrebten Ziele nicht durch Maßnahmen der Mitglieder auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene besser erreicht werden können. Die nationalen Parlamente können im Rahmen eines Frühwarnsystems binnen acht Wochen darlegen, wenn ein EU-Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Nachträglich – also nach Annahme des Gesetzgebungsaktes - ist die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch Erhebung einer Subsidiaritätsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union überprüfbar.

Bonichot: Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips betrifft sowohl BürgerInnen, als auch Mitgliedsstaaten und Institutionen
Jean-Claude Bonichot, Richter am Europäischen Gerichtshof, erörterte dazu aus Sicht der Rechtsprechung Aspekte der richterlichen Subsidiaritäts-Normenkontrolle und deren Möglichkeiten, den Status quo der EU-Judikatur, die Situation rund um Subsidiaritätsklagen und die rechtlichen Grundsätze des Subsidiaritätsprinzips. Subsidiarität sei ohne Zweifel eines der verfassungsrechtlichen Prinzipien der EU, sagte Bonichot zur Einleitung. Die Idee, die dahinterstehe, sei nicht neu: Sie besagt, die Gemeinschaft solle sich nur dann einmischen, wenn die Umstände es erfordern. Wenig verwunderlich sei daher, dass weitere Übertragungen der Zuständigkeiten mit einer parallelen Forderung nach Stärkung der Subsidiarität einhergingen.

Ein starke Rolle hätten hierbei die nationalen Parlamente, die die Einhaltung der Subsidiarität nicht nur überprüfen, sondern auch Nichtigkeitsklage wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip erheben könnten. Zwar hängen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität eng zusammen, erläuterte der Richter weiter – während es allerdings bei der Subsidiarität um eine Erlaubnis zu handeln und um eine Zuständigkeitsregel geht, betreffe die Verhältnismäßigkeit die Bedingungen und den Inhalt.

Das Subsidiaritätsprinzip sei zudem sowohl ein politisches, aber auch juristisches Prinzip, da es justiziabel, also einklagbar sei. Ein solche Klage sei auch nicht auf eine Einbringung durch Institutionen beschränkt. Das Prinzip betreffe somit nicht nur Behörden untereinander, sondern als demokratische Notwendigkeit sowohl BürgerInnen, Mitgliedsstaaten, als auch Institutionen. Auch bei Delegierten Rechtsakten schließt Bonichot eine Befassung des EuGH nicht aus. Die Aufgabe des Gerichtshofs sieht er darin, die Wirksamkeit sicherstellen, ohne sich allerdings auf die politische Ebene zu begeben.

Subsidiarität zwischen politischer und rechtlicher Norm
Johannes Maier, Mitglied der Subsidiarität-Expertengruppe im AdR und EU-Koordinator vom Amt der Kärntner Landesregierung, ortete demgegenüber einen sehr zurückhaltenden Zugang des EuGH zur Subsidiarität und vermisst eine klarere Spezifizierung des Subsidiaritätsprinzips seitens des Gerichtshofs. Bonichot bestätigte dazu zwar, dass der Aspekt der Subsidiarität oft vorgebracht werde. Allerdings passiere das meist nur nebenbei und ohne Argumentation. Zurückhaltung des EuGH sieht der Richter nicht – wenn es erforderlich sei, habe der Gerichtshof auch keine Angst, einen Rechtsakt aufzuheben, dies müsse aber mit der gebotenen Vorsicht und mit Fingerspitzengefühl erfolgen. Die politische sei jedenfalls eine andere als die rechtliche Kontrolle.

   

Schennach für ausgewogene Balance zwischen Subsidiarität und Souveränität der EU
"Bei der Subsidiarität geht es nicht darum, die Souveränität der Europäischen Union zu unterminieren". Mit deutlichen Worten wandte sich der stellvertretende Vorsitzende des EU-Ausschusses des Bundesrats Stefan Schennach in seinem Statement zum Abschluss der 8. Subsidiaritätskonferenz des EU-Ausschusses der Regionen gegen einen falsch verstandenen Subsidiaritätsbegriff und brach vielmehr eine Lanze für ein ausgewogenes Verhältnis von Subsidiarität und Souveränität der EU. In manchen Bereichen gebe es jedenfalls zu wenig EU, gab er zu bedenken und nannte etwa die Bekämpfung von Sozialdumping und Steueroasen, aber auch die Migrationspolitik.

Für den sozialdemokratischen Bundesrat ergibt sich überdies auch die Notwendigkeit, durch die Subsidiarität die Europäische Union den BürgerInnen näher zu bringen, gelte es doch, bei der Bevölkerung für ein positives Verständnis der Abläufe in der EU zu werben. Ähnlich sah dies auch der Tiroler Landtagspräsident Herwig Van Staa, der davor warnte, ständig über Defizite in der EU zu klagen. Die RepräsentantInnen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften seien aufgerufen, den Menschen den europäischen Gedanken und den Mehrwert der Subsidiarität zu erklären, unterstrich er. Auf regionaler Ebene sei dabei vor allem Fingerspitzengefühl gefragt, meinte Van Staa, der sich zudem für eine Stärkung der ethnischen Minderheitenrechte aussprach.

   

Converting subsidiarity into action
Unter dem Titel "Converting subsidiarity into action. Enhancing subsidiarity, proportionality and better regulation in the daily operation of the European Union" fand die 8. EU-Subsidiaritätskonferenz am 4. Dezember im Großen Redoutensaal der Hofburg statt. Die Subsidiaritätskonferenz des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union wird heuer erstmals in Österreich abgehalten. Der Bundesrat holte die alle zwei Jahre stattfindende internationale Konferenz mit Vertreterinnen und Vertretern aus den Bundesländern, Gemeinden und Städten der EU-Mitgliedsländer nach Wien.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
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