EU-Verfassung: Religionsbezug ist »Anerkennung einer Realität«  

erstellt am
04. 02. 03

Kardinal Schönborn rückt bei Medienempfang aus Anlass des bevorstehenden Mitteleuropäischen Katholikentags Fehlinterpretationen zurecht
Wien (kath.net) - Bei der Frage nach einem religiösen Bezug in der europäischen Verfassung geht es nicht "um irgendwelche rückwärts gewandten und ahistorischen Träume von Wiedereroberung oder Machtausübung, sondern schlicht und einfach um die Anerkennung einer Realität": Dies betonte Kardinal Christoph Schönborn am Donnerstagabend (30. 01.) bei einem Medienempfang im Wiener Erzbischöflichen Palais aus Anlass des bevorstehenden Mitteleuropäischen Katholikentags. Der Wiener Erzbischof verwies darauf, dass ein großer Teil der Europäer an Gott glaubt und der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Leben der Gesellschaft unübersehbar sei. "Europa ist nicht verstehbar, wenn man seine religiösen Wurzeln nicht sehen will". Letzten Endes bedeute ein Gottesbezug in der Präambel einer Verfassung "Schutz vor exzessiver Machtausübung". Gerade nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sei diese Begrenzung menschlicher Macht von besonderer Bedeutung.
Ein religiöser Bezug in einem Verfassungsdokument erhebe keinen "Exklusivitätsanspruch", betonte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz: "Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Juden, Christen und Muslime gleichermaßen verbindet, ist nicht konfessionell zu vereinnahmen". Ebenso sei klar, dass es in Europa viele Menschen gibt, für die "nicht Gott der Quell jener Grundwerte des Wahren, Guten und Schönen, der Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe ist, die abgesichert werden sollen".

Die Formulierungen der polnischen Verfassung hätten deutlich gezeigt, dass es möglich ist, sowohl den gläubigen Menschen als auch den auf einen innerweltlichen Humanismus Verpflichteten gerecht zu werden. Auch die Formulierung für die Präambel der europäischen Verfassung, wie sie jetzt etwa von der Europäischen Volkspartei (EVP/PPE) zur Diskussion gestellt wurde, sei "offen genug, nicht exklusiv, aber doch so, dass sie auch einen ausdrücklichen Gottesbezug für jene formuliert, die daraus ihre Wertüberzeugungen schöpfen".

Mit dem bevorstehenden Mitteleuropäischen Katholikentag möchte die katholische Kirche "Zeichen der Versöhnung" setzen, betonte Schönborn. Vor allem die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts habe die Völker im mitteleuropäischen Raum entzweit. Wörtlich sagte der Wiener Erzbischof in diesem Zusammenhang: "Dieses traurige Erbe gilt es zu bewältigen, es darf nicht die gemeinsame Zukunft vergiften". Der Kardinal kündigte an, dass die tschechischen und die österreichischen Bischöfe gemeinsam am 21. März eine Erklärung unter dem Titel "Versöhnte Nachbarschaft im Herzen Europas" herausgeben werden.

Ein weiteres Ziel des Katholikentags sei es, die Quellen des Christseins auf dem europäischen Kontinent - entlang der Pilgerstraßen Europas und an den großen Pilgerorten - wieder zu entdecken und dieses positive Erbe für die gemeinsame Zukunft fruchtbar zu machen. Schließlich gehe es auch darum, dass Christen "gemeinsam am Bauplatz Europa tätig sein wollen". Kardinal Schönborn erinnerte daran, dass das Motto des letzten österreichischen Katholikentags von 1983 "Hoffnung leben, Hoffnung geben" gelautet hatte. Um Hoffnung gehe es auch beim Mitteleuropäischen Katholikentag, dessen Motto "Christus - Hoffnung Europas" lautet. Hoffnung gebe der christliche Glaube, konkret "die Bemühung um die Umsetzung der guten Nachricht des Evangeliums in den Alltag des Lebens, in den Alltag der Politik,der Kultur, der Wissenschaft, der Wirtschaft".

Jahrzehnte einer "eisernen und immer wieder auch blutigen Trennungslinie" durch die Mitte Europas hätten die Menschen einander entfremdet. Jetzt gebe es die Chance, die Konsequenzen dieses langdauernden Zustands zu überwinden. Wörtlich sagte Kardinal Schönborn: "Wien und Österreich, die Kirche in unserem Land, möchten in diesem Zusammenhang einen Dienst leisten, den Dienst des Brückenbauens und des Versöhnens". Geographie, Geschichte, Kultur, Tradition, Lebensart wiesen den Österreichern diese Aufgabe zu.

Papst Johannes Paul II. habe 1998 bei seinem letzten Besuch in Wien in seiner großen Europarede in der Hofburg davon gesprochen, dass Österreich "nach vielen Jahrzehnten vom Grenzland zum Brückenland" geworden sei. Durch das Mittun am gemeinsamen Projekt Mitteleuropäischer Katholikentag wolle die Kirche in Österreich einen Schritt in die vom Papst damals gewünschte Richtung tun. Entscheidend seien dabei die drei Begriffe "bewegen, begegnen, beten." Beim Mitteleuropäischen Katholikentag gehe es um weder um ein "Hegemonialprojekt der Kaiserstadt Wien" noch um einen restaurativen Versuch im Hinblick auf die einstige österreichisch-ungarische Monarchie, unterstrich Kardinal Schönborn. Die Idee sei vielmehr von Wien aus den anderen beteiligten Bischofskonferenzen vorgelegt worden und es habe die "freudige Überraschung" gegeben, dass von überall ein "schnelles und klares ja" kam. Alle Schritte würden bewusst gemeinsam gesetzt.
 
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