Wissenschaft und Technik
der Woche vom 05. 03. bis 11. 03. 2002

   
Körpereigene Substanz wirkt gegen Infektionen
Mediziner der Uni Innsbruck stellen N-Chlortaurin künstlich her
Innsbruck (pte) - Bei der Entwicklung neuer, wirksamer und gut verträglicher Antibiotika und Antiinfektiva ist es Waldemar Gottardi vom Institut für Hygiene und Sozialmedizin der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck gelungen, künstlich die körpereigene Substanz N-Chlortaurin herzustellen. Die Substanz wirkt gegen bakterielle Infektionen und hat sich gegen Pilze und Viren als gut erträglich erwiesen.
N-Chlortaurin ist ein Abkömmling der Aminosäure Taurin und gehört zu den so genannten "Chloraminen", welche von den weißen Blutkörperchen zum Abtöten von Krankheitserregern und auch zum Schutz bei Entzündungen gegen gefährliche Stoffe wie etwa freie Radikale gebildet werden. Nach jahrelangen Forschungen über die Wirkung dieser Stoffe zur körpereigenen Abwehr wurde es mit der Synthese von N-Chlortaurin möglich, seine Eigenschaften detailliert zu erforschen.
Es zeigte sich, dass dieses Bio-Molekül gegen verschiedene Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze und Viren eine ausgeprägte abtötende Wirkung besitzt. Sogar sehr aggressive Bakterien sollen bereits nach nur einer Minute in N-Chlortaurin-Lösung ihre krankmachende Wirkung verlieren, noch bevor sie abgetötet werden. In ersten Studien am Menschen konnten bakterielle Entzündungen bei infektiöser Bindehautentzündung mit N-Chlortaurin-Augentropfen innerhalb von drei Tagen geheilt werden. Die Ergebnisse klinischer Untersuchungen von der Universitätsklinik für Augenheilkunde bei Patienten, die an einer besonders schwierig zu behandelnden epidemischen viralen Form dieser Erkrankung leiden, liegen demnächst vor.
An der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde untersucht ein Team um Andreas Neher zwei weitere Anwendungsgebiete von N-Chlortaurin: Nasennebenhöhlenentzündungen und Entzündungen des äußeren Gehörganges. Nebenwirkungen der Substanz seien nicht zu erwarten, da keine konservierenden Zusatzstoffe eingesetzt werden. Weitere Studien zur klinischen Wirksamkeit bei Infektionen in der Augenheilkunde, HNO-Heilkunde und anderen klinischen Fachgebieten befinden sich in Durchführung bzw. in Planung.

 
Uni Linz macht elektronisch aufladbare Plastikfolien möglich
Linz (idw) - Entgegen allen Lehrmeinungen ist es an der Linzer Johannes Kepler Universität gelungen, Plastikschäume elektrisch so aufzuladen, dass sie auf Druck mit elektrischen Signalen reagieren. Die Folien sind dünner als ein Haar und sehen in starker Vergrößerung wie ein Blätterteig aus. Durch Anlegen einer hohen elektrischen Spannung wird in den kleinen Hohlräumen ein Feuerwerk von Millionen winziger Blitze erzeugt. Beim Abschalten der Spannung bleibt die Ladung in diesem "Blätterteig" gefangen.
Wenn die Folien aufgeladen sind, werden sie auch elektrisch empfindlich. Auf Druck reagieren sie, indem sie elektrische Signale aussenden. Ein Anwendungsgebiet liegt z.B. darin, dass diese Folien unter dem Bodenbelag von Altersheimen verlegt werden können und etwa beim Aufprall eines Körpers ein elektrisches Signal an eine Aufsichtsperson schicken können. Dadurch wird im Bedarfsfall, wenn z.B. ein Heiminsasse aus dem Bett fällt, schnelle Hilfe möglich, ohne dass man die Zimmer ständig mit Video überwachen müsste. Weitere Anwendungsgebiete liegen in der Herstellung hauchdünner Lautsprecher oder im aktiven Lärmschutz in Fahrzeugen, indem ein "Antischall" erzeugt wird, der den Lärm neutralisiert.
Der große Vorteil der Folien liegt auch darin, dass sie unglaublich billig und in großen Flächen hergestellt werden können. Im Rahmen des auf vorerst 3 Jahre anberaumten EU-Projekts "Dura Smart", an dem außer dem Linzer Institut für Experimentalphysik auch deutsche und finnische ForscherInnen und diverse Firmen beteiligt sind, sollen thermisch stabile Plastikschäume nun bis zur Produktreife weiterentwickelt werden.

 
Educell züchtet menschliche Zellen - Produkt wird von Krankenkasse bezahlt
ChondroArt™ - menschliche Knorpelzellen im Labor nachgezüchtet und dem Patienten reimplantiert
Krems (pts) - Ab sofort wurde die revolutionäre Methode der streng autologen Zellkultivierung der Firma Educell in den Leistungskatalog der österreichischen Krankenkassen aufgenommen und wird nun für jedermann erschwinglich. Die Krankenkassen entschieden sich dieses Verfahren in den Leistungskatalog aufzunehmen, da nach genauer Analyse der Folgekosten von anderen Behandlungsmethoden festgestellt wurde, dass mit dem Educell-Verfahren Kosten eingespart werden können.
Die autologe Zellkultivierung wird ohne jegliche Fremdstoffe durchgeführt. Dem Patienten wird gesunde Knorpelmasse entnommen, im Labor unter höchsten Qualitäts- und Sicherheitsbestimmungen vermehrt und nach ca. 3 Wochen in einer Operation an der verletzten Stelle, z. B. dem Knie, wieder eingebracht. Durch diese weltweit einzigartige Methode der Österreichischen Firma mit Sitz in Krems wird das Risiko von Komplikationen, wie eventuell Infektionen, auf praktisch null zurückgeschraubt.
Das AKH Wien sowie das Orthopädische Krankenhaus in Speising konnten schon beste Erfolge erzielen. Den Patienten wird nicht nur Besserung sondern komplette Wiederherstellung versprochen. Bei zeitgerechter Anwendung können Arthrosen bis hin zu Knochenschäden vermieden werden, Unfallopfer schonender und zielgerechter behandelt werden. Den meisten Patienten ist nicht bewusst, dass Gelenksschmerzen von Knorpelschädigungen herrühren, die rechtzeitig behandelt, im schlimmsten Fall künstliche Gelenke ersparen.
Interessierten Ärzten bietet Educell Informationsveranstaltungen, an Krankenhäusern werden Einschulungen abgehalten. Patienten werden über das Produkt auch auf unserer Homepage informiert, wir verweisen aber auf die diagnostizierenden Fachärzte. Die seit 1997 bestehende Forschungsgesellschaft Educell kann nicht nur auf eine Reihe wissenschaftlicher Studien zu ChondroArt™ verweisen, sondern hat somit auch schon abgesicherte praktische Erfahrungen aus klinischen Anwendungen bei Patienten.

 
Den Bus per SMS rufen
mobilkom austria bietet erste GPRS Anwendung im öffentlichen Verkehr
Wien (pts) - Die Möglichkeiten der Kombination von Mobilfunktechnologie und öffentlichem Verkehr aufzuzeigen, lautet das Ziel eines vom BMVIT (Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie) geförderten Pilotprojekts von mobilkom austria mit dem Verkehrsverbund Ost-Region, Dr. Richard Autobusunternehmen und der Firma CoCo Software Engineering.
Bedarfshaltestellen, die wirtschaftlich gesehen nicht mehr standardmäßig von den Buslinien angefahren werden können - also nicht direkt auf der Route liegen und wenig frequentiert sind - werden technisch so ausgestattet, dass sie auch in Zukunft Fahrgästen zur Verfügung stehen. Bei der Buslinie 266 (Siebenhirten U6 - Vösendorf - Hennersdorf) und der Linie 7900/G1 (Wien - Wiener Neustadt - mittleres Burgenland) werden jeweils drei bzw. vier Haltestellen zu Bedarfshaltestellen, sogenannte BEHA-Points, umfunktioniert.

Anmeldung zum Zusteigen via SMS
Die Anmeldung zu einer Bedarfsfahrt erfolgt durch das Versenden einer SMS: An einer bei der Haltestelle angebrachten Box betätigt der Fahrgast eine Drucktaste, wodurch ein standardisiertes SMS mit den Angaben zur Haltestelle, Uhrzeit, Datum und Fahrtrichtung an einen zentralen Server gesendet wird. Dem Fahrer wird gemeldet, dass Bedarf besteht, die Haltestelle in die Route aufzunehmen. Dieser meldet der Zentrale, ob der Bus pünktlich kommt, verspätet oder bereits an der Haltestelle vorbeigefahren ist. An der Haltestelle erscheint diese Meldung auf dem Display, der Fahrgast ist informiert.
Die Bedarfshaltestellen wurden zu diesem Zweck mit neuen Haltestellensäulen inklusive Solarmodul zur Stromversorgung und einer Box - mit Display für den SMS-Versand - einschließlich integriertem GPRS/GSM Modem ausgestattet. Eine Anleitung erklärt in leicht verständlicher Form die notwendigen Schritte zur Anmeldung eines Fahrtwunsches. Das Bestellen eines Busses kann aber auch vom Handy aus erfolgen: Per SMS an 0664 300 2342. In diesem Fall wird der User über die Ankunftszeit via Mobiltelefon informiert.
"Sämtliche Kommunikationsprozesse zwischen dem zentralen Server, Bus, Bedarfshaltestelle und Handy erfolgen auf SMS-Basis bzw. im GPRS Netz," so Dr. Hannes Ametsreiter, Vorstand Marketing und Vertrieb, mobilkom austria, "wir tragen zu einer Entwicklung bei, die dem öffentlichen Verkehr eine neue Dimension gibt: Punktueller, individueller Einsatz, zeitliche Optimierung und damit letztendlich Effizienzsteigerung."
Die Anmeldungen an den Bedarfshaltestellen sind kostenlos, für die Anmeldung mittels Handy werden lediglich die Kosten für das SMS verrechnet.

 
Wiener Erfindung: Weiden und Pappeln gegen Schwermetalle
Wien (rk) - Weiden und Pappeln sollen in Zukunft helfen, Schwermetalle aus dem Boden zu ziehen und damit die Reinigung von oberflächigen Bodenbelastungen zu erreichen. Eine entsprechende Wiener Erfindung wurde am Dienstag (05. 03.) in einem Pressegespräch von Umweltstadträtin DI Isabella Kossina gemeinsam mit Ing. Marion Jaros (Wiener Umweltanwaltschaft), Univ.-Prof. Dr. Walter Wenzel (Universität für Bodenkultur) und Mag. Andreas Geisler (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur) präsentiert.
Das gemeinsam initiierte und entwickelte Projekt, das nun von der Umweltanwaltschaft gemeinsam mit der Universität zur Patentierung gebracht wurde, soll in einem weiteren auf drei Jahre angesetzten Entwicklungsschritt zur Marktreife entwickelt und damit auch international vermarktbar werden. Stadträtin Isabella Kossina betonte, dass diese Methode im Bereich des Schutzes und der Prävention der Umwelt geeignet sein könne, vor allem dort, wo der Oberboden nur mäßig belastet sei. Es sei an den Einsatz für niedrigbelastete Böden z.B. in der Landwirtschaft und auch als Präventivmaßnahme entlang von Autobahnen gedacht. Ansonsten werde Wien auch weiterhin gezielte High-Tech-Maßnahmen zur Bodensanierung treffen, allein in den kommenden Jahren sei dafür ein Betrag in der Höhe von mehr als 70 Millionen EUR vorgesehen. Die nun entwickelte Methode eigne sich aber auch sehr gut für die EU-Beitrittsländer, in denen keine ausreichenden Mittel für großflächige Sanierungen vorhanden seien.
Das von der Wiener Umweltanwaltschaft initiierte Forschungsprojekt wurde in Kooperation mit den Magistratsabteilungen 22, 45 und 48 aus der Geschäftsgruppe Umwelt, dem Wissenschaftsministerium und der Universität für Bodenkultur durch bisher drei Jahre entwickelt und stellt ein neues Verfahren im Bereich der pflanzengestützten Bodenreinigung (Phytosanierung) dar.
Das beauftragte Forscherteam um Prof. Walter Wenzel vom BOKU-Institut für Bodenforschung entdeckte dabei auf Altlastenflächen besondere Weiden und Pappeln. Diese haben - in Anpassung an ihren verschmutzten Standort - die Fähigkeit entwickelt, die giftigen Schwermetalle Cadmium, Blei und Zink wie ein Schwamm aus dem Boden zu zeihen und im Laub zu speichern. Derart effiziente "Schwermetallfresser", die beispielsweise die 700fache Menge an Cadmium gegenüber normalen Pflanzen aufnehmen, wurden unter den Baumpflanzen bisher noch nirgends auf der Welt entdeckt.
Topfversuche im Freiland haben gezeigt, dass sich Stecklinge dieser Bäume zur Reinigung eines breiten Spektrums unterschiedlicher Böden eignen. Gleichzeitig wurde im Rahmen des Projektes eine neue Verfahrensidee entwickelt und von der Stadt Wien zum Patent angemeldet. Dazu bringt man zuerst eine dünne Tonschicht auf dem verunreinigten Gelände auf, pflanzt
anschließend die Stecklinge in das verschmutzte Erdreich und überlässt das System dann quasi für mehrere Jahre sich selbst.
Das im Herbst fallende Laub verrottet auf der Tonschicht, und die dabei frei werdenden Schwermetalle werden erfolgreich vom Ton gebunden. Am Ende des Sanierungszeitraums werden Laub- und Tonschicht entfernt. Das Restlaub kann verbrannt werden, aus der Tonschicht lassen sich die Schwermetalle wiedergewinnen. Die Bäume können gefällt und das Holz relativ vielseitig genutzt werden, denn es ist im Gegensatz zum Laub schwermetallarm. Nebenbei ist das Verfahren wesentlich kostengünstiger als herkömmliche Verfahren der Bodensanierung. "Es wird sich vor allem für die Reinigung oberflächennaher Bodenverschmutzungen eignen", stellte Dipl.-Ing. Marion Jaros von der Wiener Umweltanwaltschaft als Initiatorin dieses vielversprechenden Kooperationsprojektes fest.

 
Der Homo Sapiens steht vor größtem Klimawandel seiner Existenz
Parlament: Symposium zum Thema "Klimaforschung und Politik"
Wien (pk) - Nationalratspräsident Heinz Fischer eröffnete heute im Parlament ein Symposium zum Thema "Klimaforschung und Politik", zu dem er gemeinsam mit dem Obmann der Kommission für Reinhaltung der Luft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Univ.-Prof. Dr. Othmar Preining, eingeladen hatte.
Der Nationalratspräsident wies in seinen Begrüßungsworten darauf hin, dass sich der Umweltausschuss des Nationalrates schon in wenigen Tagen mit der Ratifikation des Kyoto-Protokolls befassen werde, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass auf dem heutigen Symposium politisch und praktisch nützliche Überlegungen zu einem wichtigen Thema formuliert werden können, das die internationalen Beziehungen und den Dialog zwischen Europa, den USA und der Dritten Welt beeinflusse.
Univ.-Prof. Dr. Othmar Preining ging auf die Vielfalt der wissenschaftlichen Meinungen zum Thema "Klimawandel" ein, bejahte aber klar die Frage, dass der Mensch das Klima mit großer Wahrscheinlichkeit verändere. Daraus folge die zweite Frage, was angesichts des globalen Klimaproblems zu tun sei. Prof. Preining plädierte für die rasche Ratifikation des Kyoto-Protokolls, da dies ein wichtiges politisches Signal sei, auch wenn alle wissen, dass die dort vereinbarte CO2- Emissionsreduktion nicht ausreichen werde, sondern nur einen ersten wichtigen Schritt darstelle.
Prof. Dr. Hartmut Graßl (Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung "Globale Umweltveränderungen") sprach über "Klimaänderungen und die Transformation der Energiesysteme". Er bemühte sich einleitend, die natürlichen Ursachen für Klimaänderungen - Schwankungen der Erdbahn, Sonnenflecken, Meteoriten, Vulkanaktivität - von klimaändernden Auswirkungen menschlicher Aktivitäten zu unterscheiden. Dabei hielt es Graßl als Resultat aller ihm vorliegenden Untersuchungen fest, dass der Einfluss des Menschen auf das globale Klima eine Tatsache sei, an der kein Zweifel bestehe. Graßl untermauerte diese Aussage mit Daten zum signifikanten Anstieg der CO2-Konzentrationen in der Erdatmosphäre seit 1850 und dem Hinweis darauf, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe durch den Menschen erdgeschichtlich die größte Zunahme der CO2-Konzentration der Atmosphäre bewirkt habe. Der dadurch ausgelöste Treibhaus-Effekt überfordere die Anpassungsfähigkeit der Biosphäre, konstatierte der Meteorologe und erinnerte nachdrücklich daran, dass "die Menschen nicht von der Industrie, sondern von der Photosynthese der Pflanzen leben".
Graßl ging dann auf den Rückgang der Alpengletscher sowie auf die Erwärmung der Meere und das Steigen des Meeresspiegels seit 1992 um jährlich 2 mm ein. Graßl wies auch auf die Zunahme extremer Wetterereignisse hin und zitierte aus Hochwasserstatistiken sowie aus den Berechnungen von Rückversicherungsanstalten, die während der letzten Jahre eine Vervielfachung der Schadenssumme in Folge von Naturkatastrophen dokumentieren. In diesem Zusammenhang kritisierte der Wissenschaftler auch lokales Fehlverhalten, nämlich das Bauen in hochwassergefährdeten Niederungen oder in lawinengefährdeten Bergregionen.
Grundsätzlich warnte Prof. Graßl die Politiker davor, abzuwarten bis alle Daten der Wissenschaftler zweifelsfrei geklärt seien, und nannte als positives Beispiel das Montrealer Protokoll, durch das im Bereich der Ozon-Problematik rechtzeitig Schlimmeres verhindert werden konnte, wobei heute bekannt sei, dass die Wissenschaftler die FCKW-Probleme keineswegs übertrieben, sondern sie in ihrer Dramatik sogar unterschätzt haben. Auf Grund der ihm vorliegenden Daten hielt es Prof. Graßl für nicht ausgeschlossen, dass dem Homo sapiens im 21. Jahrhundert die größte Klimaveränderung seit seinem Entstehen drohe. Es könnten Klimaverhältnisse wie zuletzt vor 130.000 Jahren eintreten, als - wie Ausgrabungen beim Bau der Londoner U-Bahn zeigten - Elefanten und Löwen in Großbritannien lebten. Daher plädierte Prof. Graßl dafür, das Kyoto-Ziel zur Verringerung der Treibhaus-Gase umzusetzen und dem jetzt vereinbarten Protokoll die notwendigen weiteren Schritte folgen zu lassen, um den Treibhauseffekt zu mildern. Praktisch gehe es darum, das Wirtschaftswachstum vom Energieeinsatz zu entkoppeln und die globalen Energiesysteme zu transformieren, schloss Prof. Hartmut Graßl.
Dr. Nebosja Nakicenovic (International Institute for Applied Systems Analysis, Laxenburg) befasste sich in seinem Referat mit den technologischen und wirtschaftlichen Perspektiven des Klimawandels. Anhand zahlreicher Berechnungen illustrierte er die Auswirkungen von Faktoren wie Wirtschaftswachstum oder Bevölkerungsentwicklung auf den Klimawandel. In den letzten 150 Jahren sei ein deutlicher Temperaturanstieg festgestellt worden, wobei die Berechungen der Klimamodelle von 1,3 Grad Celsius bis 5,8 Grad Celsius ausgehen. Was die erneuerbaren Energiequellen (z.B. Biomasse, Sonne, Wind) betrifft, so bestünden keine physikalischen Beschränkungen; es gehe vielmehr darum, rechtzeitig entsprechende Technologien zu entwickeln, um diese nutzbar zu machen. Das Protokoll von Kyoto, das zwar nur einen kleinen Schritt in die richtige Richtung darstellt, halte er für sehr wichtig. Es müsse jedoch noch viele derartige Abkommen geben, damit eine Reduktion der Emissionen sichergestellt werden kann.
Sodann schlug er eine Reihe von Maßnahmen vor, die in Zukunft ergriffen werden müssten. Eine der wichtigsten sei dabei die Verbesserung der Energieeffizienz, und zwar sowohl was die Produktion als auch die Nutzung (z.B. Wärmedämmung) betrifft. Man gehe von einem möglichen Verbesserungspotential aus, das bei einem Faktor 10 bis 100 liege. Weitere wichtige Schwerpunkte seien der Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung sowie die Entwicklung von neuen Technologien (z.B. Trennung von Kohlenstoff). Besorgt zeigte er sich über den drastischen Rückgang der Forschungsausgaben im Energiebereich in den OECD-Staaten (außer Japan). Es sollten langfristige Programme ausgearbeitet und zahlreiche Pilotprojekte in die Wege geleitet werden, schlug Nakicenovic vor. Als positives Beispiel führte er Brasilien an, wo es gelungen sei, die Kosten für die Äthanolgewinnung aus Zuckerrohr auf ein Drittel zu senken. Abschließend unterstrich er nochmals, dass ein Strukturwandel induziert werden müsse, da er nicht automatisch eintrete; Kyoto sei nur der Anfang.
In der Folge meldeten sich noch die Abgeordneten Eva Glawischnig (G) und Erwin Hornek (V) zu Wort. Glawischnig sprach vor allem das Problem der wissenschaftlichen Unschärfe von Prognosen sowie deren Relevanz hinsichtlich politischer Entscheidungen an und befasste sich mit den Zukunftsperspektiven von Energiegewinnung aus erneuerbaren Energieträgern.
Professor Dr. Hartmut Graßl erinnerte daran, dass die Europäer bisher das Vorsorgeprinzip hoch gehalten haben, was man etwa an den positiven Entwicklungen im Bereich der Wasser- und Luftqualität sehen könne. Im Bereich des globalen Temperaturanstiegs gebe es eine so geringe Irrtumswahrscheinlichkeit, dass nicht mehr das Vorsorgeprinzip, sondern unmittelbares Handeln angesagt sei, betonte er.
Er sei sehr dankbar über die heutige Veranstaltung, die in seriöser Form zur Meinungsbildung beitrage, meinte Abgeordneter Hornek (V). Er sei überzeugt davon, dass es höchst an der Zeit sei, das Gewicht zu verlagern, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Aus eigener langjähriger Erfahrung wisse er jedoch, dass zwar die Techniken bereits vorhanden sind, aber die Akzeptanz in der Bevölkerung zum Teil noch fehle. Weiters trat er für eine verstärkte Nutzung der Sonnenenergie ein.
Prof. Dr. Hartmut Graßl zeigte die Grenzen des Einsatz von photovoltaischen Anlagen auf, da einfach zu riesige Flächen dafür erforderlich seien. Zudem müsse man nicht nur danach trachten, die Effizienz bei der Energiegewinnung zu steigern, sondern auch zukunftsträchtige Technologien entwickeln, um etwa die "Sonne direkt anzuzapfen"

 

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