Gouverneur Dr. Liebscher:
Wachstumsaussichten für den Euroraum
 

erstellt am
19. 03. 03

Bratislava/Wien (oenb) - Dr. Klaus Liebscher, Gouverneur der OeNB und EZB-Ratsmitglied, sprach am 18. März 2003 vor der Slowakisch-Österreichischen Handelskammer in Bratislava über die bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder, über die voranschreitende europäische Integration sowie über die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung.

Bezug nehmend auf die jüngste Leitzinssenkung durch den EZB-Rat auf nunmehr 2½%, ging Gouverneur Liebscher auf die aktuelle wirtschaftliche Lage ein. Die erhöhten geopolitischen Risiken, in Verbindung mit abermals höheren Ölpreisen und tieferen Aktienmärkten, hätten die Wachstumsaussichten für den Euroraum gegenüber früheren Erwartungen reduziert. Entsprechend sei für 2003 ein nur geringes Wirtschaftswachstum zu erwarten. Er gehe jedoch davon aus, dass sich die Konjunktur allmählich erholen wird, sobald sich die belastenden Faktoren zurückzubilden begonnen haben.

Diese Einschätzung der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung unterliege jedoch hohen Prognoserisiken, die vor allem im Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der geopolitischen Spannungen stünden. Die Geldpolitik könne dieser Art von Unsicherheit nicht entgegenwirken. Abhängig von der weiteren Entwicklung sei der EZB-Rat bereit, rechtzeitig und entschlossen zu handeln.

Die derzeit hohe Volatilität an den Ölmärkten würde Aussagen zur kurzfristigen Inflationsentwicklung erschweren, so Gouverneur Liebscher weiter. Im Zuge des Auslaufens der außergewöhnlichen geopolitischen Faktoren sollte sich der Ölpreis jedoch normalisieren. Zusammen mit einem erstarkten Euro, der über die Importe preisdämpfend wirkt, einem verhaltenen Wirtschaftswachstum und einer gemäßigten Lohnentwicklung, dürfte sich der Preisanstieg im Euroraum weiter zurückbilden, so dass die Teuerungsraten im Laufe des Jahres 2003 unter die 2%-Marke sinken und anschließend auf diesem Niveau verbleiben sollten.

Gouverneur Liebscher betonte, dass die Leitzinsen im Euroraum nominell wie real ein sehr niedriges Niveau erreicht haben. Die Geldpolitik bilde somit ein gewisses Gegengewicht zu den verschiedenen Faktoren, die sich zurzeit negativ auf die Konjunktur auswirken. Gleichzeitig behalte der EZB-Rat die Wahrung von Preisstabilität im Auge.

In gut einem Jahr werden aller Voraussicht nach zehn neue Mitglieder - darunter die Slowakische Republik - der Europäischen Union beitreten. Gouverneur Liebscher konstatierte, dass der wirtschaftliche Transformations- und Aufholprozess dieser Länder beeindruckend sei. Die bilateralen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Slowakischen Republik und Österreich würden hierbei eine eigene Erfolgsgeschichte darstellen. So haben sich die Exporte der Slowakei nach Österreich zwischen 1993 und 2002 in etwa verfünffacht, die Exporte Österreichs in die Slowakei mehr als verdreifacht. Betrachtet man die für beide Seiten ganz besonders wichtigen, weil gegenseitig förderlichen Direktinvestitionen, ergibt sich eine ähnlich enge Beziehung. Der Marktanteil österreichischer Direktinvestitionen in der Slowakei hat per Mitte 2002 knapp 33% erreicht, womit Österreich zu den wichtigsten ausländische Direktinvestoren in der Slowakei gehört.

Die Integration der Slowakei und der anderen neuen Mitgliedsländer der EU, so Gouverneur Liebscher, werde im wirtschafts- und währungspolitischen Bereich drei Stufen durchlaufen:

In der ersten Stufe treten die neuen Mitgliedsländer der Europäischen Union bei.
Der zweite Schritt auf dem Weg zur Währungsunion ist die Teilnahme am Wechselkursmechanismus (WKM II).

In der dritten Stufe wird - bei strikter und nachhaltiger Erfüllung der ‚Maastricht-Konvergenzkriterien' - das jeweilige EU-Mitgliedsland in den Euroraum integriert.
Für diese stufenweise monetäre Integration würden nicht nur institutionelle und rechtliche Aspekte sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung aller EU-Mitgliedstaaten, sondern auch ökonomische Überlegungen sprechen. Denn eine verfrühte Übernahme des Euro könnte für die neuen Mitgliedsländer mit unverhältnismäßig großen finanz- und realwirtschaftlichen Anpassungslasten verbunden sein und sei daher nicht anzuraten, so Gouverneur Liebscher. Andererseits sollten aber jenen Ländern, welche alle Konvergenzkriterien erfüllen, keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, in den Euroraum einzutreten.
     
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