Die Kunst als »Dirne« der Politik?  

erstellt am
15. 04. 03

Die Wiener Bühnen in der Ersten Republik
Wien (pr&d) - Spannende Einblicke in die gesellschaftspolitische Wirkungsweise historischer Dramen in der Zeit von 1918 bis 1938 gewährt eine neue umfassende Dokumentation des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Die auf CD veröffentlichte Datensammlung macht erstmals die Relation von Aufführungsdetails an Wiener Bühnen und den damaligen politischen Entwicklungen transparent.


Inszenierung von "Prinz Eugen von Savoyen" des Burgtheaters in Wien am 10. Juni 1933. Historisches Schauspiel in 5 Akten von Hans Saßmann.
© Österreichisches Theatermuseum, Wien
So zeigt diese vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderte Arbeit, wie historische Ereignisse damals für wichtige politische Ziele "theatralisch" genutzt wurden.

Eine digitale Dokumentationsstelle über die Historiendramen an sogenannten "förderungswürdigen" Wiener Bühnen in der Zeit der Ersten Republik von 1918 bis 1938 ist das beeindruckende Ergebnis dieses Projekts am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Ausgangspunkt der Erforschung waren für Projektleiterin Dr. Edda Fuhrich und deren wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Julia Danielczyk die Inszenierungen der einzelnen Stücke. Sämtliche zugängliche Materialien wurden gesichtet und bibliographisch erfasst. Zusätzlich zu Programmheften, Theaterzetteln und Premierendaten wurden z.B. die Anzahl der Aufführungen und die Zusammensetzung des Ensembles festgehalten. Rezensionen oder Zeitungsberichte über Veranstaltungen, die das jeweilige Thema aufgriffen, erlauben eine Verbindung zwischen der Aufführung und den damals aktuellen politischen Strömungen herzustellen.

Dazu Dr. Julia Danielczyk: "In der Zeit nach dem Zerfall des Habsburgerreiches ­ insbesondere nach der Wirtschaftskrise im Jahr 1929 ­ wurde die Demokratie von vielen als unordentlich empfunden. Historiendramen boten sich als Maßnahme an, der Bevölkerung die kulturelle Eigenständigkeit Österreichs zu demonstrieren. Die Identifikation mit der Vergangenheit erlaubte die Akzeptanz der Gegenwart ­ und ihres politischen Systems."

Dass sich der Staat dies zu Nutze machte, konnte dadurch gezeigt werden, dass an den staatlich geförderten Wiener Theatern die Anzahl von Aufführungen insbesondere nach dem Jahr 1929 geradezu inflationär anstieg. Die Etablierung von "Abonnentengemeinden" durch die staatliche Österreichische Kunststelle (Oe.K.) führte dazu, dass von der Oe.K. ausgewählte Vorstellungen zu günstigen Preisen besucht werden konnten. Sie dienten dadurch einer Kanalisierung der Publikumsinteressen und sorgten für einen Mehrbedarf an Aufführungen einzelner Stücke.

So wurde z.B. die "Österreich-Trilogie" von Hans Saßmann gefördert, dessen antiliberale Haltung sich in der Heroisierung des Fürsten Windischgrätz, der Wien 1848 von anti-monarchistischen Revolutionären befreite, widerspiegelte. Die damit praktizierte Glorifizierung und Mystifizierung von Schlüsselfiguren der österreichischen Geschichte diente der Bestätigung des Nationalbewusstseins und der Stärkung des Glaubens an die Zukunft von Rest-Österreich. Solche Stücke wurden als Sprachrohr zeitgenössischer politischer Aussagen genutzt und avancierten zeitgleich zu Publikumshits. Dazu zählten Dramen wie "Kaiser Franz Josef I von Österreich" und "Prinz Eugen von Savoyen" ebenso wie "Kaiserin Elisabeth von Österreich" und "Josef II".

"Ähnliche Publikumshits gibt es auch heute noch, sie erfüllen ihre Funktion aber in erster Linie auf wirtschaftlicher Ebene", erklärt Dr. Julia Danielczyk und stellt damit einen interessanten Bezug zur Gegenwart her. Die Vermarktung und Verkitschung historischer Persönlichkeiten durch Produktionen wie "Sissi" im Jahr 1997 am Schönnbrunner Schlosstheater und erfolgreiche Musicals wie "Freudiana", "Elisabeth" und "Amadeus" dienen dem Österreichtourismus ungemein. Dazu Dr. Danielczyk: "Unsere Datenbank zeigt, dass die österreichische Theatergeschichte eine lange Tradition im Recycling historischer Persönlichkeiten hat. Ihre Wiederverwertung ergibt sich aus den jeweiligen gesellschaftspolitischen Verhältnissen." Damit demonstriert dieses vom FWF geförderte Projekt nicht nur seine Bedeutung für die österreichische Theatergeschichte, sondern stellt auch einen Bezug zum aktuellen Bühnengeschehen her.
     
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