Die österreichische Zahlungsbilanz 2002  

erstellt am
29. 04. 03

Österreich am Vorabend der EU-Erweiterung – Erstmals seit 10 Jahren erzielt Österreich einen Leistungsbilanzüberschuss – Exportquote erreicht mit 36% ein neues Rekordniveau
Wien (oenb) - Die Oesterreichische Nationalbank hat am Montag (28. 04.) im Rahmen einer Pressekonferenz die Ergebnisse der österreichischen Zahlungsbilanz des Jahres 2002 vorgestellt. OeNB-Gouverneur und EZB-Rats-Mitglied Dr.Klaus Liebscher ging dabei insbesondere auf die Bedeutung der Statistik für die Geldpolitik und die Rolle der OeNB als wichtigem Statistikproduzenten ein. Geldpolitik sei zwar eine Kunst, verlässliche Statistiken seien aber eine unverzichtbare Basis rationaler Entscheidungen. Politische Entscheidungen ohne verlässliche Statistiken seien wie eine Autofahrt im dichten Nebel ohne Nebelscheinwerfer. Trotz erheblicher Fortschritte in den letzten Jahren gebe es sowohl im europäischen als auch insbesondere im österreichischen statistischen System noch gewisse Lücken und die Notwendigkeit ständiger qualitativer Verbesserung, das heißt insbesondere die Forderung nach rascherer Veröffentlichung international vergleichbarer, zuverlässiger Daten. Nachholbedarf würde in Österreich insbesondere im Bereich der Preisstatistik für Dienstleistungen oder der Erzeugerpreise oder bei den Daten zum Dienstleistungssektor im Allgemeinen bestehen. Die bevorstehende Erweiterung der EU um zehn weitere Mitglieder sei eine weitere statistische Herausforderung.

Diese zusätzlichen Anforderungen an die Statistikproduzenten bedürfen, so Gouverneur Liebscher, auf europäischer Ebene, aber insbesondere auch in Österreich eines zusätzlichen Ressourceneinsatzes. Aktuelle Daten seien nicht umsonst dafür umso wertvoller. Die moderne Informationsgesellschaft verlange aber auch nach einer neuen statistischen Kultur, die von der Entlastung der Respondenten, der Nutzung vorhandener Datenquellen und der Kooperation der Statistikproduzenten gekennzeichnet sei.

In diesem Zusammenhang verwies Gouverneur Liebscher auf das im Mai 2002 unterzeichnete Kooperationsabkommen zwischen OeNB und Statistik Austria, das vor allem auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Zahlungsbilanzstatistik, Volkswirtschaftliche Finanzierungsrechnung und Registerführung abziele. Dabei gelte es, die jeweiligen komparativen Vorteile - der OeNB in Angelegenheiten der Finanzwirtschaft, Statistik Austria in der Realwirtschaft – einzusetzen und entsprechende Synergien zu lukrieren.

In der Folge ging Direktor Dr. Peter Zöllner, das für den Bereich Statistik zuständige Mitglied des Direktoriums der Oesterreichischen Nationalbank, auf die wichtigsten Ergebnisse der österreichischen Zahlungsbilanz des Jahres 2002 ein.

Im Jahr 2002 habe Österreich zum ersten mal seit einem Jahrzehnt wieder einen Leistungsbilanzüberschuss erzielt. Entscheidende Bedeutung sei dabei der Handelsbilanz zugekommen. Österreichs Exporteure hätten in schwierigem Umfeld Marktanteile gewinnen können und die Exportquote mit 36% des BIP auf neue Höchstwerte geschraubt. Gleichzeitig seien aber die Importe wegen der schwachen Nachfrage – insbesondere im Bereich der Ausrüstungsinvestitionen – gesunken, wodurch die Handelsbilanz erstmals in der 2.Republik ins Plus gedreht habe. Im Tourismus habe Österreich als sicheres Reiseland von der weit verbreiteten Flugangst profitiert. Auch die Einkommensbilanz habe zur Leistungsbilanzverbesserung beigetragen, was u.a. eine Folge der gesunkenen Zinsen sei.

In Bezug auf die Kapitalbilanz stellte Direktor Zöllner fest, dass die Finanzmärkte im Jahr 2002 von einem besonders hohen Maß an Unsicherheit geprägt schienen. Sichere und kurzfristige Anlageformen, vorzugsweise im Euroraum, seien im Vordergrund des Anlegerinteresses gestanden. Im Bereich der Direktinvestitionen habe Österreich im Jahr 2002 eine Sonderrolle eingenommen. Entgegen dem weltweiten Trend seien die aktiven Direktinvestitionen Österreichs deutlich gestiegen und hätten das zweithöchste Jahresergebnis erbracht. In Zentral- und Osteuropa lägen die Investitionen auf Rekordniveau. Sehr stark eingebrochen seien hingegen die Investitionen der Ausländer in Österreich. Bei den Wertpapierumsätzen sei ein anhaltender Trend zu risikoärmeren Anlageformen zu beobachten gewesen, insbesondere in Euro-Schuldverschreibungen. Österreicher hätten vor allem in Euro denominierte Papiere aus dem Euroraum, Ausländer österreichische Staatsanleihen gekauft.

Besonderes Augenmerk widmete Direktor Zöllner jenen zehn Ländern, deren Beitritt in die EU kurz bevor steht. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und den nunmehrigen “Accession Countries” haben für beide Seiten erhebliche Bedeutung. So erwirtschafte Österreich gegenüber diesen Ländern einen regelmäßigen Leistungsbilanzüberschuss. Ungarn und die Tschechische Republik zählten mittlerweile zu Österreichs wichtigsten Handelspartnern. Die Beitrittsländer seien aber auch für den Tourismus ein wichtiger Wachstumsmarkt. Polen, Slowaken, Tschechen und Ungarn buchten in Summe mittlerweile bereits eben so viele Nächtigungen in Österreich wie Italiener. Herausragend sei aber die Rolle Österreichs als Direktinvestor in dieser Region. Hier nehme das kleine Österreich sogar in Absolutwerten Spitzenplätze unter den Auslandsinvestoren ein. Anleihen der Beitrittsländer– beispielsweise aus Ungarn und Polen – fänden bereits in Österreich Absatz, auch dann, wenn sie in der Währung des Emissionslandes denominiert sind. Ihr Marktanteil übertreffe in manchen Bereichen schon die

Rolle des US-Dollar. Als Folge dieses Engagements fließt ein steter Einkommensstrom nach Österreich, was dazu beiträgt, die Abflüsse in den Euroraum zumindest teilweise auszugleichen. Die Verwirklichung der Erweiterung im Jahr 2004 wird daher für Österreichs Wirtschaft von besonderem Nutzen sein.

Abschließend dankte Direktor Zöllner den Meldern, die wesentlichen Anteil am Entstehen einer qualitativ hochwertigen Statistik haben. Dabei verwies er auch auf das ständig wachsende statistische Informationsangebot der OeNB. Er hob vor allem die seit eineinhalb Jahren erfolgreich tätige "OeNB-Statistik-Hotline" hervor, die in statistischen Fragen der Öffentlichkeit gerne behilflich ist (Tel.: 01-40420-5555).

Im Detail stellt sich das Zahlungsbilanzergebnis 2002 folgendermaßen dar:

Österreich konnte im Jahr 2002 zum ersten Mal seit 1990 wieder einen Leistungsbilanzüberschuss erzielen. Mit 1,6 Mrd Euro bzw. 0,7% des BIP liegt das Ergebnis allerdings immer noch in jener Bandbreite, die die OeNB traditionell als “ausgeglichen” bezeichnet. Den entscheidenden Beitrag für diese Verbesserung lieferte die Handelsbilanz. Aber auch die geringeren Nettoabflüsse bei den Vermögenseinkommen haben zur Aktivierung der Bilanz beigetragen.

Erstmals seit Bestehen der 2.Republik weist die Handelsbilanz einen Überschuss auf. Die österreichischen Exporte wuchsen im Berichtsjahr um immerhin 4,1%, während die Importe angesichts des schwachen Konsumwachstums und rückläufiger Anlageinvestitionen wertmäßig um 2,2% zurückgingen. Die Entwicklung folgt hier dem Euroraum, wo die Exporte um 2,4% stiegen und die Importe um 3,4% abnahmen. Gegenüber ihren Mitbewerbern aus dem Euroraum konnte die österreichische Exportwirtschaft Marktanteilsgewinne erzielen. Auch in weniger traditionellen Märkten, wie den baltischen Staaten oder China war Österreich im Jahr 2002 äußerst erfolgreich.

Die wichtigste Position innerhalb des Dienstleistungsverkehrs mit dem Ausland ist der Reiseverkehr. Die Zahl der Ausländernächtigungen ist im Kalenderjahr 2002 um 2,5% gestiegen. Auffallend war die Tatsache, dass nicht nur die Nächtigungszahlen in der Wintersaison zugenommen haben. Nach einem Jahrzehnt, in dem es fast durchwegs deutliche Rückgänge gegeben hat, gab es 2002 auch in der Sommersaison ein deutliches Nächtigungsplus. Österreichs Ruf als sicheres Reiseland und seine geographische Nähe zu den wichtigsten Quellmärkten dürften sich vorteilhaft ausgewirkt haben. Nach den vorläufigen Zahlungsbilanzergebnissen der Deutschen Bundesbank hat Österreich als Zielland deutscher Touristen etwa ab Mitte 2001 seit langer Zeit wieder Marktanteile gewonnen – vorwiegend zu Lasten der Überseedestinationen. Die Deviseneinnahmen aus dem Reiseverkehr (einschließlich “Internationaler Personentransport”), stiegen im Einklang mit der Nächtigungs- und Preisentwicklung um 4,8%. Im Jahresverlauf machte sich eine zunehmende Zurückhaltung bei den Ausgaben bemerkbar. Die Reiseverkehrsausgaben der Österreicher sind im Jahr 2002 geringfügig gesunken. Dadurch verbesserte sich der Überschuss der Reiseverkehrsbilanz um 800 Mio auf 3,2 Mrd Euro.

Im Jahr 2002 hat sich der Nettoabfluss in der Einkommensbilanz um 1,1 auf 2,3 Mrd Euro verringert. Den entscheidenden Beitrag liefern die Vermögenseinkommen: Die seit dem Jahr 2000 zu beobachtenden hohen Gewinnausschüttungen von Direktinvestitionsunternehmen halten an:

Der Strom ausgezahlter Gewinne nach Österreich lag 2002 bei über 1 Mrd Euro, der Gewinnabfluss erreichte 1,8 Mrd Euro. Der Saldo der Erträge aus Wertpapierveranlagungen hat sich nach Jahren wachsender Defizite gegenüber 2001 kaum verändert: Dieser Entwicklung liegen zwei Ursachen zu Grunde: Zum einen ist das Nominalzinsniveau weiter gesunken, vor allem aber sind die Forderungsbestände österreichischer Gläubiger im abgelaufenen Jahr deutlich stärker gewachsen als die entsprechenden Verbindlichkeiten. Die Trendwende hat bereits früh im Jahr 2002 eingesetzt, so dass sich die Ertragseffekte ebenfalls bereits im Jahr 2002 bemerkbar gemacht haben. Der Einkommensüberschuss Österreichs aus grenzüberschreitenden Krediten, Einlagen und Währungsreserven hat sich im Jahr 2002 annähernd verdoppelt und betrug über 2 Mrd Euro.

Die Transferbilanz schloss 2002 mit einem Abgang von 1,7 Mrd Euro. Während die öffentlichen Nettotransfers dank der sparsamen Gebarung des EU-Haushalts im Jahr 2002 auf 870 Mio Euro abnahmen, wuchs das Defizit der privaten Transfers auf 810 Mio Euro.

Spiegelbildlich zur Leistungsbilanz entwickelt sich die Kapitalbilanz. Erstmals seit zehn Jahren ist Österreich im Jahr 2002 wieder als Kapitalexporteur in Erscheinung getreten. Der Kapitalexport erreichte ein Volumen von 5,7 Mrd Euro.

Entgegen dem internationalen Trend haben die aktiven Direktinvestitionen Österreichs im Jahr 2002 deutlich zugenommen und erreichten mit 5,7 Mrd Euro das zweithöchste jemals gemessene Volumen. 60% der aktiven Direktinvestitionen entfielen auf Mittel- und Osteuropa. Damit wurden sogar die Rekordinvestitionen Österreichs in dieser Region aus den Jahren 2001 und 2002 übertroffen. Spitzenreiter unter den Zielländern war die Tschechische Republik mit 890 Mio Euro (vor allem dank der Aufstockung der Beteiligung der Erste Bank an der Ceska Sporitelna). Hohe Investitionen von 760 Mio gab es auch in Polen (v.a. im Zusammenhang mit Umstrukturierungen innerhalb des HVB-Bank Austria Verbundes). Ein außergewöhnlich hohes Investitionsvolumen war in Kroatien (mit 450 Mio Euro) zu verzeichnen. Mit Ungarn, Slowenien und der Slowakei finden sich drei weitere Beitrittsländer auf der Liste der zehn wichtigsten Zielländer österreichischer Direktinvestitionen. Die dominierende Branche war im Jahr 2002 wieder einmal der Finanzsektor.

Drastisch war im Berichtsjahr der Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen in Österreich, mit 1,8 Mrd Euro der geringste Wert seit 1995. Dennoch haben insgesamt etwa 400 Unternehmen neue Direktinvestitionen in Österreich begründet oder bestehende durch Kapitalzufuhr erweitert. Allerdings handelt es sich meist um relativ kleine Vorhaben, nur etwa 30 erreichen einen zweistelligen Millionenbetrag. Nach den Megadeals der Jahre 2000 (Bank Austria) und 2001 (Austria Tabak) gab es im Jahre 2002 aber nicht nur keine neue Großinvestition, sondern auch zahlreiche Desinvestitionen, d.h. Rückkäufe österreichischer Unternehmensanteile aus dem Ausland.

Per Saldo hat Österreich damit - erstmals seit den frühen neunziger Jahren - mehr im Ausland investiert als umgekehrt und damit die “Direktinvestitionslücke” merklich abbauen können.

Mit 25½ Mrd Euro haben österreichische Investoren im Jahr 2002 annähern doppelt soviel in ausländische Wertpapiere veranlagt wie im Jahr zuvor. Bevorzugt gekauft wurden Schuldverschreibungen aus dem Euroraum, worin ein Wunsch nach Sicherheit zum Ausdruck kommen dürfte. Mit einem Drittel sind deutsche Emittenten bei österreichischen Investoren am beliebtesten. Emissionen aus den USA waren mit 6% dagegen weit abgeschlagen und rangieren gleichauf mit Emissionen aus den Beitrittsländern. Bemerkenswert ist der Vorjahresvergleich: Schuldverschreibungen des Euroraums wurden 2002 doppelt soviel erworben wie 2001, während sich das Anlagevolumen in Schuldverschreibungen der USA 2002 gegenüber 2001 halbierte.

In engem Zusammenhang mit der Regionalgliederung steht die währungsweise Betrachtung. Die dominierende Rolle des Euro als Nominalwährung hält Wechselkursrisiken gering. Mit einem Anteil von 3% bewegen sich Dollaranleihen in der Größenordnung von “Exotenwährungen”, etwa dem Polnischen Zloty (2%), der dänischen Krone (2%), dem Forint oder der Tschechischen Krone (1%).

Mit 20 Mrd Euro haben ausländische Investoren im Jahr 2002 nur wenig mehr in österreichische Wertpapiere investiert als im Jahr davor. Langfristig festverzinsliche Wertpapiere waren dabei mit 19 Mrd Euro die mit Abstand attraktivste Wertpapierkategorie für ausländische Anleger. Im Vordergrund des Interesses standen Staatsanleihen. Der rege Nettoabsatz während des Jahres 2002 führte dazu, dass nunmehr bereits mehr als zwei Drittel der umlaufenden Staatspapiere in ausländischer Hand sind.

Neben dem Staat haben vor allem österreichische Banken im Ausland Wertpapiere begeben. Unternehmensanleihen sind in Österreich nach wie vor quantitativ wenig bedeutend, obwohl eine leichte Zunahme zu verzeichnen war. Die ins Ausland verkauften Schuldverschreibungen waren zu fast 70% in Euro denominiert, mit einigem Abstand folgten US-Dollar und Schweizer Franken.

Markantestes Ergebnis bei den “Sonstigen Investitionen” – im Wesentlichen Kredite und Einlagen – war im Jahr 2002 die deutliche Reduktion des Auslandsgeschäfts der österreichischen Banken um jeweils mehr als 10 Mrd Euro. Im Verlaufe des Jahres zogen sie Kapital von ihren ausländischen Sicht - und Terminkonten ab, gleichzeitig haben auch die ausländischen Institute ihre Einlagen in Österreich reduziert.

Die Auslandskredite zeigen, dass die Vergaben ausschließlich im Bereich der langfristigen Kredite erfolgten, im kurzfristigen Bereich kam es zu Kapitalrückflüssen, das heißt zu Tilgungen. Nach Schuldnerländern gegliedert ergaben sich zwei gegenläufige Entwicklungen: Aus dem Euroraum kam es zu merklichen Kapitalrückflüssen bzw. Tilgungen, im Gegensatz dazu erreichte die Ausweitung der Kreditlinien gegenüber den zehn Beitrittsländern neue Höchstwerte (1,7 Mrd Euro).

Die österreichische Volkswirtschaft erhöhte ihre Kreditverbindlichkeiten im Ausland in annähernd demselben Ausmaß wie im Jahr davor (um knapp 2,5 Mrd Euro), was der Hälfte des Transaktionsvolumens des Jahres 2000 entspricht. Die Kreditaufnahme erfolgte zu jeweils 40% im Euroraum bzw. in den drei EU-Mitgliedsstaaten außerhalb des Währungsraums.

Insgesamt resultierte aus dem Kapitalverkehr im Bereich der Sonstigen Investitionen ein Kapitalzufluss nach Österreich im Ausmaß von 2 Mrd Euro.

Im Jahr 2002 verringerten sich die österreichischen Währungsreserven als Folge ertragsoptimierender Transaktionen um 1,8 Mrd Euro.
     
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