Schönborn: »Wir müssen die EU nicht heilig sprechen«  

erstellt am
16. 07. 03

Wiener Kardinal im »Focus Europa«-Interview: Europa nicht verstehbar, wenn man seine christlichen Wurzeln ausblendet
Wien (kath.net/PEW) - Mit dem Mitteleuropäischen Katholikentag möchte die Kirche drei Impulse geben: Einen Impuls "zur Versöhnung der durch die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinander gerissenen Völker", einen Impuls "zur Wiederentdeckung des geistig-geistlichen Grundmusters Europas" und einen Impuls für die Christen, "mit Mut und Entschlossenheit am 'Bauplatz Europa' mitzubauen". Dies betonte Kardinal Christoph Schönborn in einem Interview für die neueste Ausgabe der vom "Institut für den Donauraum und Mitteleuropa" (IDM) herausgegebenen Zeitschrift "Focus Europa". Europa habe nicht nur christliche Wurzeln, auch die Christen von heute hätten dem Kontinent etwas zu geben, "ein mehr an Würde, an Mitmenschlichkeit, an Einsatz für die Menschenrechte, an Antworten auf die Fragen nach woher, wohin, wozu des Lebens".

In dem Interview nahm der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz auch zur Diskussion um einen religiösen Bezug in der künftigen europäischen Verfassung Stellung. Es gehe dabei nicht so sehr um einen "Gottesbezug", sondern um die Anerkennung von zwei Tatsachen, betonte Schönborn: "Europa ist nicht verstehbar, wenn man seine christlichen Wurzeln ausblendet und die überwiegende Mehrheit der Europäer bekennt sich zum christlichen Glauben". Derzeit liege der Entwurf der Verfassung vor, wie er vom EU-Konvent erarbeitet wurde: "Man wird sehen, ob in der Endfassung die eigentlich selbstverständliche Anerkennung dieser Tatsachen erfolgt". Freilich wäre auch ein "Gottesbezug" durchaus wünschenswert, betonte Schönborn. Denn er würde zum Ausdruck bringen, dass "menschliche Macht beschränkt ist und niemals Absolutheitsansprüche stellen darf". Wohin solche Absolutheitsansprüche führen, habe die Geschichte des 20. Jahrhunderts drastisch vor Augen geführt, erinnerte der Kardinal.

Auf jeden Fall sei aber bedeutsam, dass "auch der Entwurf erstmals die Rolle, Bedeutung und Eigenständigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Europäischen Union ausdrücklich anerkennt". Das sei ein großer Fortschritt, betonte Schönborn, "insbesondere im Hinblick auf die Situation in jenen laizistisch geprägten europäischen Ländern, wo Religion ja bisher ausschließlich als Privatsache eingestuft wurde". Im Artikel 51 des Verfassungsentwurfs sei ausdrücklich vom "offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog" mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften die Rede, erinnerte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz. Gerade in Österreich sei dieser Dialog nichts Ungewöhnliches: "Die Kirchen sind bei uns selbstverständlich in das Begutachtungsverfahren bei Gesetzesvorhaben eingebunden". Das habe sich bewährt und die "guten Erfahrungen aus Österreich mögen ein bißchen dazu beigetragen haben, dass etwas ähnliches jetzt auch auf europäischer Ebene zustande kommen soll". In Österreich spiegle sich in der Einbeziehung der Kirchen in das Begutachtungsverfahren das Staat-Kirche- Verhältnis: "Staat und Kirche sind voneinander vollkommen unabhängig, aber sie kooperieren im Interesse der selben Menschen, die ja zugleich Bürger und Gläubige sind".

Auf die Frage, was er Leuten in Ostmitteleuropa sage, die um ihre christlichen Werte in der EU fürchten, meinte der Wiener Erzbischof: "Wir müssen die EU nicht heilig sprechen. Aber die Union bietet einen Raum, in dem sich die Christen sehr aktiv am Bau des 'gemeinsamen Hauses Europa' beteiligen können. Das ist eine große historische Chance, die es zu nützen gilt". Aber natürlich dürften die Christen nicht mit verschränkten Armen als Zuschauer abseits stehen, sie müssten sich "einbringen". Gerade im Hinblick auf Länder wie Polen oder die Slowakei gebe es da große Hoffnungen. Wörtlich meinte Schönborn in diesem Zusammenhang: "Ich bin etwa überzeugt, dass Polen im neuen Europa wegen seiner Größe, seiner historischen Tradition und seiner geistigen Stärke eine wichtige Rolle spielen wird".

Im Hinblick auf die viel zitierte Suche nach der europäischen Identität oder Seele stellte Kardinal Schönborn fest: "Man muss Europa keine Seele geben, Europa hat eine Seele, es gilt nur, sie wiederzuentdecken". Manche scheinen sie vergessen zu haben; der praktische Materialismus habe vieles zugedeckt. Schönborn: "Aber die Seele Europas ist vorhanden; sie ist in den großen Kathedralen der europäischen Metropolen, aber sie ist zum Beispiel genauso auch in den jungen Leuten, die ihre Freizeit hergeben, um alten Menschen in Heimen Gesellschaft zu leisten, sie ist in den betenden Gemeinschaften eindrucksvoller Klöster und kleiner Dorfkirchen, sie ist auch in den Forschungszentren und Hörsälen, in den Büros einflussreicher Leute und in den schlichten Wohnungen von Familien, die sich tagtäglich darum bemühen, Glaube, Hoffnung und Liebe in den Alltag zu übersetzen".
     
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