Wissenschaft in Europa
der Woche vom 06. 08. bis 12. 08. 2002

   
Götterfunken im Internet
Bonn (alphagalileo) - Wer sich je auf den Internetseiten der Eremitage, des Louvre oder der Bayerischen Staatsbibliothek getummelt hat, weiß: Einen persönlichen Besuch können sie nicht ersetzen. Doch selbst wenn der Computermonitor die Realität nur eingeschränkt wiedergibt, so lohnt sich der Aufwand. Schon vor ihrer Reise können Literatur-, Musik- und Kunstbegeisterte die Filetstücke von Ausstellungen und Sammlungen in Augenschein nehmen.
Für Fachleute liegt der Vorteil eines gelungenen Internetauftritts ebenfalls auf der Hand: Professionelle Fotos von seltenen und empfindlichen Originaldokumenten wie Briefen oder Notenhandschriften können ohne großen Aufwand betrachtet und studiert werden. Dies gilt auch für den Nachlass eines der größten deutschen Komponisten, den das Beethoven-Haus in Bonn sammelt, verwaltet und ausstellt. Mitte Mai startete es gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Medienkommunikation IMK im nahen Sankt Augustin seinen Online-Auftritt.
»Wir stellen ein neues Modul immer erst dann online, wenn es vollständig entwickelt und getestet ist«, betont Marion Borowski. »Natürlich geht dies nur nach und nach. Doch können Sie bereits jetzt unter ,besondere Empfehlungen` in einer Sonderausstellung nachvollziehen, wo der umtriebige Komponist während seines Lebens gewohnt hat.« 13 Häuser und mehr als 70 Wohnungen in und um Wien und Bonn rühmen sich, Beethoven beherbergt zu haben. Nur einen Mausklick entfernt, erfährt man in Ton und Bild, was er in seinen verschiedenen Lebensabschnitten schrieb und komponierte. Handschriftliche Notenblätter verraten mehr über Beethovens Temperament als jedes gedruckte. Über einen virtuellen Laden kann alles bestellt werden, was Museumsshops heutzutage anbieten.
Eine erheblich umfangreichere Sammlung von Musikstücken und digitalisierten Bildern geht als multimediales Archiv ab dem kommenden Jahr schrittweise online. In hoher Qualität sind die Scans auf CD erhältlich. Dazu gesellt sich der »Digitale Salon« mit visualisierter klassischer Musik. Besucher können dann interaktiv in virtuelle Welten eintauchen. »In zwei Jahren beeinhaltet die Vollversion alle Daten«, fasst die IMK-Projektleiterin zusammen. »Sie vereint die verschiedensten Bibliotheken, Archive und Datenbanken. Ein Content-Management-System und unsere Arbeit gewährleisten, dass dann selbst englische Inhalte bruchlos und schnell abgerufen werden können.«

 
Smac hebt die Resistenz von Tumoren auf
Das Protein setzt den programmierten Zelltod in Gang
Heildelberg/Ulm (alphagalileo) - Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentums, und der Universität Ulm haben einen Weg entdeckt, wie die Resistenz von Tumoren gegenüber Krebsmedikamenten überwunden werden kann. Mit ihrer Arbeit, die in der Augustausgabe der Zeitschrift Nature Medicine* veröffentlicht wird, ebnen sie den Weg für neue Behandlungsstrategien in der Krebsmedizin.
Die meisten Krebsmedikamente wirken dadurch, dass sie in den Tumorzellen das zelleigene Selbstmordprogramm, die Apoptose auslösen. In den Zellen vieler Tumoren ist die Apoptose jedoch blockiert, und die Geschwülste sind resistent gegenüber herkömmlichen Behandlungsmethoden.
Professor Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik in Ulm und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Pädiatrische Onkologie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg, und seine Mitarbeiterin Privatdozentin Simone Fulda haben entdeckt, dass diese Blockade mit Hilfe des so genannten Smac-Proteins aufgehoben werden kann.
Smac wird in gesunden Zellen als Antwort auf Selbstmordsignale gebildet und leitet weitere Schritte auf dem Weg zum Zelltod ein. Fulda und Debatin haben Smac-Peptide (kurze Abschnitte des Proteins) hergestellt, die in resistente Tumorzellen einwandern und diese wieder für Selbstmordsignale sensibilisieren können. Gemeinsam mit Professor Michael Weller und Dr. Wolfgang Wick, Neurologische Klinik der Universität Tübingen, haben sie gezeigt, dass Smac in der Lage ist, die Resistenz von Tumoren aufzuheben. Die Wissenschaftler verabreichten Mäusen mit bösartigen Gehirn-tumoren eine Kombination aus Smac-Peptiden und einer Substanz, die den Zelltod auslöst. Bei allen Tieren verschwanden die Krebsgeschwülste ohne erkennbare Nebenwirkungen vollständig.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind ein gutes Beispiel dafür, wie biologisches Grundwissen in eine mögliche Behandlungsstrategie für Krebs übertragen werden kann. Durch die Kombination herkömmlicher Krebsmedikamente mit einer Smac-Behandlung könnte in Zukunft die Behandlung von Krebspatienten entscheidend verbessert werden.

Published Details: *Simone Fulda, Wolfgang Wick, Michael Weller und Klaus-Michael Debatin. Smac agonists sensitize for Apo2L/TRAIL- or anticancer drug-induced apoptosis and induce regression of malignant glioma in vivo. Nature Medicine, Band 8, Nr. 8 August 2002

 
Selbstlernende Bohrmaschine
München (alphagalileo) - Moderne und starke Bohrmaschinen gehen in die meisten Betonwände wie in Butter. Doch ist Beton nicht gleich Beton - je nach Anwendung werden verschiedene Arten eingesetzt. Schon hinsichtlich der Festigkeit existieren große Unterschiede: Ein Gartenweg aus Waschbetonplatten ist Butter gegenüber einem Tresorraum, der mit stahlarmiertem Schwerbeton vor Attacken geschützt ist.
Um ein Loch hineinzubohren, sollte die Schlagbohrmaschine etwas von Beton- und Gesteinsarten »verstehen«, denn die Bohrgeschwindigkeit hängt von zwei variablen Größen ab: der Drehzahl des (hoffentlich scharfen) Bohrers und der Frequenz des Hammerwerks. Um sie optimal aufeinander abzustimmen und einen maximalen Bohrvorschub zu erreichen, haben Ingenieure am Fraunhofer-Institut für Informations- und Datenverarbeitung IITB eine intelligente Antriebsregelung entwickelt, die sich selbsttätig auf unterschiedliche Bohrer, Bau- und Gesteinsmaterialien sowie Anpressdrücke des Bedieners einstellt. Ein kooperierendes Industrieunternehmen testet dieses »Mensch, Bohrhammer und Wand bilden ein mechanisches Gesamtsystem«, erläutert Dr. Helge-Björn Kuntze. »Bediener drücken und bewegen die Maschine unterschiedlich und die Wandfestigkeit variiert von Fall zu Fall. Da das dynamische Verhalten relativ empfindlich gegenüber Veränderungen dieser Parameter ist, haben wir die elektronische Antriebssteuerung mit einer lernfähigen Neuro-Fuzzy-Komponente ausgerüstet.« Als Eingangsgrößen messen mehrere Sensoren in der Maschine Schlag- und Drehzahl, elektrische Leistung, Längs- und Querbeschleunigung. Die Elektronik vergleicht diese Daten mit gespeicherten Standardsituationen und »erkennt« daraus nahezu verzögerungsfrei aktuelle Situationsparameter wie Bohrer-, Gesteinstyp und Anpressdruck. Findet sie keine genau passende Situation, so nimmt sie die naheliegensten Parameter an.
Im zweiten Schritt muss die Steuerung den optimalen Arbeitspunkt finden und einstellen. »Dieser Abgleich basiert auf realen Bohrversuchen an Beton- und Gesteinsnormkörpern«, erklärt der Leiter des IITB-Geschäftsfeldes Mess-, Regelungs- und Diagnosesysteme.. »Die zu jeder Situation passenden besten Betriebspunkte sind in Kennfeldern abgelegt und wurden in das Gehirn der Maschine implantiert.« Das Konzept der lernenden Bohrmaschine soll in Zukunft auch auf große Anwendungen übertragen werden. Das könnte dazu führen, dass es im Tunnelbau bald schneller vorwärts geht.

 
Empfindlichkeit für Sonnenbrand ist Vererbungssache
Träger von aktiven GST-Genen besser gegen "Verbrennung zweiten Grades" geschützt
Berlin (pte) - Die Haut des Menschen reagiert auf Sonnenstrahlung (UV-B-Strahlung) sehr unterschiedlich: Es kann zu Sonnenbrand, Hautkrebs oder entzündlichen Reaktionen auf zuvor eingenommene Medikamente kommen.
Eine Arbeitsgruppe um Ivar Roots und Jürgen Brockmöller vom Institut für Klinische Pharmakologie der Berliner Charité hat festgestellt, dass unabhängig vom jeweiligen Hauttyp für die sehr variablen Hautreaktionen auf UV-B-Strahlen eine bestimmte genetische Ausstattung verantwortlich ist. Die Ergebnisse wurden im American Journal of Pharmacogenomics veröffentlicht.
Es handelt sich dabei um Erbfaktoren, Gene, die die Bauanleitung für bestimmte Enzyme, sogenannte Glutathion-S-Transferasen (GST), tragen. Diese Enzyme werden nicht nur in der Haut, sondern auch in anderen Organen wirksam. Sie sind Teil des Abwehrsystems der Zellen gegen oxidativen Stress. Hautzellen werden durch UV-B-Strahlung stark gestresst, denn UV-Licht begünstigt die Bildung schädlicher, hochaktiver Sauerstoffradikale. Sauerstoffradikale sind chemische Verbindungen, die in der Zelle Eiweiße, Fette und Moleküle der Erbsubstanz verändern und Wirkstoffe aus Arzneimitteln in schädliche Zwischenprodukte umwandeln können. Dadurch werden unter Umständen in der Hautzelle Reaktionen ausgelöst, die Entzündungen oder auch Hautkrebs verursachen.
Die beiden wichtigsten GST-Gene für die Haut bei der Abwehr von Stress sind T1 und M1. Es gibt sie in aktiver und inaktiver Form. Wer keine aktiven Gene erbt, ist für UV-B-Strahlung hoch empfindlich. Dies trifft auf ca. 20 Prozent der weißen Bevölkerung zu. Je mehr aktive Gene man erbt, um so unempfindlicher ist man gegenüber Sonneneinstrahlung.
Für den Schutz der Haut gegen Sonnenbrand ist das Gen T1 weitaus wichtiger als das Gen M1. Das M1-Gen hat jedoch große Bedeutung bei der Entstehung phototoxischer Reaktionen, d.h. entzündlicher Reaktionen, die nach Einnahme bestimmter Medikamente bei intensiver Sonnenbestrahlung auftreten, so Charité-Sprecherin Silvia Schattenfroh. Mit Tests lässt sich bereits feststellen, ob die GS-Transferasen eines Menschen eine hohe, mittlere oder keine Aktivität besitzen.

 
Max-Planck-Forscher sehen Netzhaut beim Rechnen zu
Multiquanten-Mikroskopie ermöglicht neue Einblicke, wie Augen bewegte Bilder detektieren
Heidelberg (pte) - Forscher des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung und der University of Washington haben mittels einer besonderen Mikroskop-Technologie neue Einblicke darüber gewonnen, wie das menschliche Auge bewegte Bilder detektiert.
Bisher war wenig bekannt, wie die Retina (Netzhaut), ein hochspezialisierter Prozessor zur Bildverarbeitung in den Augen, Szenen analysiert, zeitliche, räumliche und farbliche Informationen extrahiert und diese an die visuellen Zentren im Gehirn weiterleitet. Ob eine lokale Signalverarbeitung bereits in den Dendriten (Nervenfortsätze) der retinalen Neurone stattfindet war unklar.
Mit einem neuen bildgebenden Verfahren, der Multiquanten-Mikroskopie, ist es nun gelungen, die lebende, lichtempfindliche Retina mit hoher Auflösung sichtbar zu machen und ihre Mechanismen der Informationsverarbeitung zu untersuchen. Sie entdeckten dabei, dass Bereiche in ein und derselben Nervenzelle weitgehend unabhängig voneinander auf unterschiedliche Bewegungsrichtungen reagieren können - also mehrere Richtungsdetektoren in sich vereinen, berichten die Forscher im Fachmagazin Nature.
In der Studie konzentrierten sich die Heidelberger Forscher auf einen bestimmten Typ von Retina-Nervenzellen, die wegen ihrer charakteristischen Gestalt auch "starburst"-Amakrinzellen (Bild) genannt werden. Diesen Zelltyp, der Signale an die richtungsselektiven Ganglienzellen weiterleitet, hatte man schon länger im Verdacht, die Richtungsberechnungen vorzunehmen.
Allerdings zeigen die am Zellkörper elektrisch abgeleiteten Antworten keinerlei Richtungsselektivität, d.h. die Zellen sind an sich bzw. als Ganzes nicht richtungsselektiv. Doch viele Amakrinzellen haben keine definierte "Ausgangsleitung", d.h. kein Axon; sie empfangen mit ihren Fortsätzen, den Dendriten, Eingangssignale, verarbeiten diese, und geben das Resultat dieser Berechnung wiederum über dieselben Fortsätze weiter, unter anderem an die richtungsselektiven Ganglienzellen.
Mit Hilfe der Multiquanten-Mikroskopie konnten die Forscher Änderungen der Ionenkonzentration bei den Ausgangssynapsen der "starburst"-Amakrinzellen mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung messen. Dabei fanden sie heraus, dass verschiedene Bereiche innerhalb ein und derselben "starburst"-Zelle weitgehend unabhängig von einander reagieren können und dabei jeweils unterschiedliche Bewegungsrichtungen bevorzugen. Somit sind also bereits ihre dendritischen Ausgangssignale richtungsselektiv, doch jeder Dendrit reagiert auf eine andere Richtung optimal.
Die feinen Dendriten von Nervenzellen sind oft so dünn, dass sie elektrophysiologischen Messungen mit Mikroelektroden nicht ohne weiteres zugänglich sind. Die durch Kalzium vermittelten biochemischen Signale, die der Kommunikation zwischen Nervenzellen zugrunde liegen, konnte in den Dendriten bis dato nicht gemessen werden. "Durch die optische Messung von dendritischen Kalziumsignalen", so Thomas Euler, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung "haben wir erstmals gezeigt, dass die Information, wohin sich ein Objekt in unserem Sichtfeld bewegt, bereits eine Stufe vor den Ganglienzellen, nämlich in den "starburst"-Zellen errechnet wird.