Wissenschaft in Europa
der Woche vom 13. 07. bis 19. 07. 2002

   
Automatische Spürnase für Chlorid
Bonn (alphagalileo) - Nachdem technische Anlagen abgebaut wurden, bleibt nicht selten ein kontaminierter Boden zurück. Handelte es sich um Metall verarbeitende Betriebe, solche der Textilfertigung und -reinigung, Lackherstellung oder Tierkörperverwertung, so ist der Untergrund oft mit den zuvor verwendeten chlorhaltigen Lösungsmitteln verunreinigt. Um die Konzentration wieder unter den gesetzlich festgelegten Grenzwert zu senken, setzen Sanierungsbetriebe zunehmend elegante Verfahren ein, die mit Bakterien arbeiten.
Ohne das Erdreich bewegen zu müssen, fressen spezialisierte Stämme selbst hochgiftige halogenierte organische Verbindungen und wandeln sie in harmloses Chlorid, Wasser und Kohlendioxid um. Viele solcher Arten können aus normalen Bodenproben isoliert werden. Um die Fähigkeiten solcher Organismen zu untersuchen, setzen Wissenschaftler Verfahren ein, die meist das freigesetzte Chlorid messen. Wissenschaftler in Stuttgart haben ein Messgerät gebaut, das automatisch viele Proben abarbeitet. Es eignet sich ebenso für Medizin Am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB wird das Gerät eingesetzt, um umweltfreundlichere enzymatische chloridbindende und -abspaltende Syntheseschritte zu finden. »Der elektrochemische Sensor, den wir mit der Firma Haaf Mess-Regeltechnik weiterentwickelt haben, kann in rund einem fünfzigstel Milliliter Probe Chloridkonzentrationen bis hinunter zu zehn Mikromol pro Liter erfassen«, erklärt Dr. Christiane Buta. »Dies entspricht der Konzentration von einem Gramm Kochsalz in knapp zwei Kubikmetern Wasser.« Eine ähnlich gebaute Elektrode ist empfindlich für Bromid - es sind aber auch Messfühler für Fluorid und Jodid denkbar.
Für industrielle Anwendungen bauten Kollegen vom benachbarten Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA die Sensoren in einen Pipettierroboter ein. »Die Maschine entnimmt gleichzeitig vier Proben und injiziert sie in Mess-Schleifen«, erläutert Stefan Wößner. »Von dort gelangen sie zur Messzelle mit den Sensoren. Die Software nimmt die Werte auf und steuert gleichzeitig die nächste Probennahme. Auf diese Weise wird eine handelsübliche Mikrotiterplatte mit 96 Proben in nur neun Minuten abgearbeitet. Handarbeit dauert erheblich länger.« Im derzeitigen Aufbau können bis zu 16 solcher Platten auf einmal vorgelegt und von der Maschine durchgemessen werden.

 
Bonner Forscher geben Moorleiche ein Gesicht
2.000 Jahre alter Schädel wird lebensnah rekonstruiert
Bonn (pte) - Wissenschaftler des Bonner Forschungszentrums caesar (center of advanced european studies and research) wollen das Gesicht einer rund 2.000 Jahre alten Moorleiche möglichst lebensnah rekonstruieren. Mit Computertomografie-Daten der Leiche soll vorerst ein Kunststoffmodell des Schädels erstellt werden, wie die Forschungseinrichtung mitteilte. Zuvor wird die Leiche holografisch vermessen.
Zunächst werden in der Radiologischen Universitätsklinik Bonn Computertomografie- Aufnahmen (CT) des Kopfes gemacht. Sie stellen Schicht für Schicht ein genaues Abbild der Schädelknochen dar. Die CT-Daten werden im Forschungszentrum caesar für das so genannte "Rapid-Prototyping" verwendet. Dieses Verfahren wird im Automobil- und Maschinenbau eingesetzt, um schnell und kostengünstig Prototypen aus dreidimensionalen Datensätzen herzustellen. Aus den Daten baut die Rapid-Prototyping-Anlage Schicht für Schicht ein Kunststoffmodell des Schädels der Moorleiche auf.
Die Untersuchung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg, das zur letzten Ruhestätte der Leiche geworden ist. Der Tote, ein etwa 20 Jahre alter Mann, lebte zur Römerzeit. Ein Torfarbeiter fand ihn im Jahr 1936 im Moor von Husbäke/Niedersachsen. Vermutlich ist er verunglückt, da keine Verletzungen sichtbar sind. Die Leiche wurde im Moor als Trockenmumie konserviert und ist relativ gut erhalten, berichtet der Nachrichtendienst ddp.
Nach Angaben der Wissenschaftler sind Moorleichen die einzigen Quellen über den frühgeschichtlichen Menschen und sein Erscheinungsbild in Nordwestdeutschland. Sie liefern wichtige Hinweise auf die Krankheiten, die Körperpflege, Ernährung und Tracht der damaligen Menschen. Das Landesmuseum für Natur und Mensch Oldenburg beherbergt fünf Moorleichen aus vor- und frühgeschichtlichen Zeiten. Drei davon sind in der Dauerausstellung "Weder See noch Land. Moor - eine verlorene Landschaft" ausgestellt, die umfangreiche Informationen über die Natur- und Kulturgeschichte der Region Nordwestdeutschland vermittelt.

 
ETH Zürich präsentiert erste Bilder von Gammastrahlen der Sonne
Zürich (alphagalileo) - Der Satellit HESSI hat seit seinem Start am 5. Februar dieses Jahres Hunderte von Sonneneruptionen im Röntgenlicht registriert. Am 23. Juli sendete er zum erstenmal Daten von Photonen bei rund hundertmal grösserer Energie als gewöhnlich, von so genannten Gammastrahlen. Sie wurden während zwei Minuten anlässlich einer Eruption der X-Klasse, der mächtigsten Grössenklasse, registriert.

Erstes Bild in Gammastrahlen
Da es die ersten Photonen von HESSI bei dieser höchsten messbaren Energie waren, mussten die Forscher zürst Erfahrungen sammeln, wie man aus den Daten Bilder im Gammabereich rekonstruieren kann. Nachdem die Teleskopeigenschaften genügend bekannt waren, gelang schliesslich das erste Bild. Es zeigt eine diffuse Quelle am Sonnenrand, an einem Ort, an dem im optischen Licht ein Sonnenfleck sichtbar ist.

Qülle der Gammastrahlen
Die Verursacher der Gammastrahlen sind äusserst energiereiche Elementarteilchen. Sie werden auf eine noch rätselhafte Weise in grossen Sonneneruptionen beschleunigt. Ein Teil der Teilchen sind Protonen, die in der Korona mit Atomkernen kollidieren und diese zu Emissionen von Gammaquanten anregen. Ebenfalls beteiligt sind Elektronen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit. Diese steigen in den Magnetfeldern der Sonnenkorona in Spiralen auf und senden ebenfalls Gammastrahlen aus. Warum diese Teilchen und somit Gammastrahlen auftreten, ist nicht bekannt. Die von grossen Eruptionen beschleunigten energetischen Teilchen beschädigen Erdsatelliten und können für Astronauten lebensgefährlich sein.

Ungelöstes Rätsel Sonneneruption
Sonneneruptionen besitzen unvorstellbare Energien. Die Eruption vom 23. Juli entfesselte mehr Energie, als in einer Million Jahren in den Schweizer Kraftwerken produziert wird. Es wird allgemein vermutet, dass die Energie aus den Magnetfeldern der Sonnenflecken stammt. Bei der Explosion geht der Grossteil davon in Gasbewegungen und Heizung verloren. Im eigentlichen Kern der Energiefreisetzung aber müssen extreme Bedingungen herrschen, wie sie auf der Erde nur in Teilchenbeschleunigern auftreten, auf der Sonne natürlich in millionenfach grösseren Dimensionen.

Gammastrahlen und Sonneneruptionen
Die extremen Verhältnisse, die bei der Freisetzung von Gammastrahlen herrschen, setzen den Massstab an alle Erklärungsversuche von Sonneneruptionen. Es muss einen Ort im Energieinferno geben, an dem derartige Beschleunigungsvorgänge stattfinden können. Daher ist der Entstehungsort der Gamma-strahlen von grossem Interesse. Dazu Prof. Arnold Benz vom Institut für Astronomie: «Gammastrahlen sind wie die Blitze im Gewitter. Sie zeigen, wo die höchste Aktivität herrscht. Vielleicht führen sie die Forscherinnen und Forscher auf die rechte Spur, wie die Sonne magnetische Energie freisetzen kann.»

Datenzentrum an der ETH Zürich
Die Messungen des Satelliten HESSI erreichen täglich das Datenzentrum an der ETH Zürich, von wo aus der ganzen Welt Bilder abgerufen werden können. Die neün Gammastrahlenbilder gesellen sich dort zu den bereits vorhandenen Daten über Mikroflares und Eruptionen. Die wissenschaftlichen Arbeiten laufen auf Hochtouren. Bereits wurden weltweit über 30 Publikationen von HESSI-Forschern an Fachzeitschriften eingereicht.

 
Dart wird erwachsen
München (alphagalileo) - Warum sollte es ein Kneipenspaß bleiben, mit spitzen Pfeilen auf eine Zielscheibe zu werfen? Was in Großbritannien ein Nationalsport ist, hat im Gegensatz zum Rasenspiel Cricket längst auch auf dem Kontinent Fuß gefasst: In den siebziger Jahren machten britische Soldaten Dart in Deutschland bekannt.
Die hiesigen Spieler organisierten sich zunächst in Vereinen, es folgten Regionalverbände und bereits 1982 wurde der Deutsche Dart Verband gegründet. Da immer mehr Turniere durchgeführt wurden, schien es schließlich wünschenswert, die gespielten Punkte automatisch zu erfassen und zu summieren.
Dies leisteten Dart-Boards aus Kunststoff mit drucksensitiven Feldern. Da jedoch ein Stahlpfeil Kunststoff und Auswerteelektronik auf Daür durchlöchern würde, mussten sich die Spieler zu ihrem Leidwesen mit Kinderpfeilen aus Plastik begnügen. Nun wird das Dartspiel richtig erwachsen, denn das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT hat eine elektronische Scheibe entwickelt, die mit klassischen Steel-Darts bespiel »Als wir begannen, uns dem Problem von der technischen Seite zu nähern, kamen verschiedene Sensorsysteme in Frage«, erinnert sich Reiner Borsdorf, Leiter des Geschäftsfeldes Produktentwicklung und Prozessgestaltung. »Doch konnten wir auf verschiedene Prinzipien der Produktfindung zurückgreifen. Mit der TRIZ-Methodik, der in unserem Institut entwickelten Innovation-Roadmap und dem Technologiekalender fanden wir systematisch das Sensorsystem heraus, das sich für die gestellte Aufgabe am besten eignete.« Mit Rapid Prototyping-Verfahren wurden Prototypen hergestellt, getestet und verbessert. Am Ende hielten die Ingenieure eine Zielscheibe in der Hand, die einen Treffer in nur 0,1 Sekunden fehlerfrei und automatisch erfasst.
Doch wie ist es möglich, dass ein Stahlpfeil in das Naturfasermaterial Sisal eindringt ohne die Elektronik zu beschädigen? Anders als bei einer klassischen Sisalscheibe sind die Zielfelder durch ein Netz von Kunststoffstegen voneinander getrennt. In diese Spinne arbeiteten die Ingenieure Leiterbahnen ein, die elektrische Oszillatorkreise bilden und mit einer bestimmten Freqünz schwingen. Trifft nun ein Stahlpfeil in einen bestimmten Sektor, so verstimmt das Metall dort die Freqünz der Luftspule. Diese Änderung wird elektronisch registriert und mit einem eigens entwickelten Algorithmus ausgewertet. Für die Hardware verwendeten die Ingenieure bewusst Standardbauteile, um die nun anstehende Vermarktung der Dartscheibe zu begünstigen.