Stellungnahme des Justizministeriums zur Reform des Außerstreitverfahrens  

erstellt am
02. 10. 03

Wien (bmj) - Die Modernisierung des geltenden Außerstreitgesetzes, das in seinen Grundzügen auf das Jahr 1854 zurückgeht, bildet einen Schwerpunkt des Arbeitsprogramms von Justizminister Dr Dieter Böhmdorfer. Nach langen - in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder auch stecken gebliebenen - Vorarbeiten wurde im Herbst 2000 der Entwurf eines neuen Außerstreitgesetzes zur allgemeinen Begutachtung versendet. Die Bedeutung dieses Vorhabens zeigte sich auch an den hiezu eingelangten äußerst umfangreichen Stellungnahmen. Nach Auswertung dieser und weiterer Gespräche mit Vertretern der Rechtsanwaltschaft, des Notariats, der Richterschaft und der Rechtspfleger wurde der Entwurf überarbeitet und nun dem Parlament zugeleitet.

Worum geht es im neuen Außerstreitverfahren?
Die Verfahren außer Streitsachen umfassen all jene Bereiche der Zivilgerichtsbarkeit, die aus den verschiedensten Gründen nicht im Zivilprozess ausgetragen werden können. Es handelt sich dabei um die Durchsetzung von Rechtsansprüchen oder die Regelung von Rechtsbeziehungen, die sehr häufig den engsten Lebensbereich des Einzelnen betreffen. So etwa die Pflegschaftsverfahren, in denen über Obsorge für minderjährige Kinder entschieden, der Besuch zu nicht obsorgeberechtigten Eltern geregelt, die gesetzlichen Unterhaltsansprüche durchgesetzt werden sollen, ebenso aber bestimmten Eheangelegenheiten (Scheidung im Einvernehmen, Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse). Das Verlassenschaftsverfahren gehört genauso dazu wie die Eintragungen in das Grundbuch und das Firmenbuch, wie Entscheidungen über die Höhe einer Enteignungsentschädigung, wie Miteigentumsstreitigkeiten und wie Sachwalterschaftsbestellungen und Entscheidungen über die Zulässigkeit einer zwangsweisen Aufnahme in eine psychiatrische Krankenanstalt. Vereinfacht ausgedrückt werden im Außerstreitverfahren Angelegenheiten unseres Rechtsalltags geregelt, und zwar besonders jener Menschen, die eines besonderen Rechtsschutzes bedürfen.

Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit dieser Materien erfordert besonders flexible Bestimmungen eines Außerstreitgesetzes. Sie müssen nicht nur auf Ein- und Mehrparteienverfahren, sondern auch auf die sogenannten Rechtsfürsorgeverfahren anwendbar sein, die von Amts wegen im öffentlichen Interesse eingeleitet und geführt werden. Sie haben überdies der Aufgabe des außerstreitigen Verfahrens gerecht zu werden, Lebensverhältnisse zukunftgerichtet zu gestalten.

Der Entwurf des neuen Außerstreitgesetzes baut daher primär auf bewährten Regelungen des geltenden Außerstreitrechtes auf und ergänzt diese um Bestimmungen, die den Grundsätzen eines modernen fairen Verfahrens und dem besonders hilfsorientierten und friedensrichterlichen Charakter des Außerstreitverfahrens Rechnung tragen.

Um alle diese Verfahren "unter einen Hut zu bringen", braucht man ein besonders flexibles Gesetz, das es dem Richter erlaubt, mit Verantwortungsbewusstsein aber auch Fantasie zukünftige Rechtsbeziehungen zu gestalten und den Rechtsfrieden nicht nur durch eine Entscheidung "von oben" autoritativ wiederherzustellen, sondern Rechtsvorsorge und juristische Lebenshilfe für die Zukunft zu bieten.

Das geltende Außerstreitgesetz stammt in seiner Grundstruktur aus dem Jahr 1854; schon damals war es eher als Provisorium bis zu einer gründlichen Neubearbeitung angelegt. Als Provisorium hat es daher schon ein ungewöhnlich langes Leben hinter sich. Dass sich die Art und Weise, wie der Richter "Rechtsfürsorge" betreibt, seither gründlich und im Sinne des Rechtsstaates zum Besseren geändert hat, liegt auf der Hand. Alle diese Verbesserungen und Auffassungswandlungen sollte man aber nicht bloß der Entscheidungspraxis der Gerichte, sondern auch dem Gesetzestext entnehmen können. Eine Neuregelung des Verfahrens außer Streitsachen war daher längst überfällig.

Das Verfahren außer Streitsachen steht als gleichwertiger Rechtsschutzzweig neben dem Zivilprozess. Angelegenheiten werden daher entweder im Zivilprozess oder im Verfahren außer Streitsachen erledigt, es sollen aber grundsätzlich keine Mischformen vorkommen, wie dies bisher etwa beim Erbrechtsstreit der Fall war. Solang sich nämlich die Erbanwärter einig waren, verblieb die Verlassenschaftssache nach bisher geltendem Recht im Außerstreitverfahren, gab es aber widersprechende Erbserklärungen, musste ein Zivilprozess geführt werden. Durch die Zweiparteienstruktur des Zivilprozesses konnte es aber sogar zu ganzen Prozessketten kommen, wenn sich nicht nur zwei, sondern mehrere Parteien um das Erbe streiten. Im Mehrparteienverfahren des Außerstreitrechts können daher mehrere (und nicht gerade billige) Prozesse vermieden werden.

Ein anderes Beispiel: Wird während aufrechter Ehe der Mutter ein Kind geboren, so gilt der Ehemann der Mutter als Vater. Sollte diese Vermutung entkräftet werden, so musste der Ehemann das Kind nach bisher geltendem Recht klagen. Wurde mit einem Urteil die Ehelichkeitsvermutung entkräftet, stand das Kind ohne Vater da und musste in einem weiteren Prozess seinen Erzeuger auf Feststellung der Vaterschaft klagen (wenn dieser nicht seine Vaterschaft anerkannte). Auch eine solche Prozesskette lässt sich nun dadurch vermeiden, dass man alle Abstammungssachen in das außerstreitige Verfahren übertragen hat.

Dem besonders hilfeorientierten und friedensrichterlichen Charakter eines Außerstreitverfahrens entsprechend wurden richterliche Anleitungs- und Belehrungspflichten deutlich gemacht und das Verfahren möglichst von Formalismen befreit. So müssen etwa Begehren auf Zahlung eines Geldbetrags im Außerstreitverfahren nicht von Anfang an ziffernmäßig bestimmt sein (weiß jede Mutter im Vorhinein, wie hoch der Unterhaltsanspruch ihres Kindes sein wird, der vom genauen Einkommen des Vaters abhängt?). Aber auch anderen Zeichen der Zeit wurde Rechnung getragen: Man ist sich heute völlig einig, dass selbstverantwortliche Lösungen, die die Parteien gefunden und die ihnen nicht vom Richter vorgeschrieben worden sind, viel größere Chance auf Befolgung und damit auf die Herstellung von Rechtsfrieden haben. Dies kann nun durch die Fortsetzung des Verfahrens mit anderen Mitteln als der juristischen Erledigung, etwa durch die im Modellversuch bereits erfolgreich erprobte Mediation oder eine Familienberatungsstelle erreicht werden. Dort ist es mitunter leichter als vor Gericht, Emotionen abzubauen und in die Lage versetzt zu werden, mit einander ein friedliches Gespräch zu führen und eine befriedigende gemeinsame Lösung zu finden.

Neue Rechtsinstitute sollen es ermöglichen, sachgerechte Lösungen im Einzelfall zu finden und gleichzeitig das Verfahren den Gegebenheiten des Einzelfalles flexibel anzupassen. So soll den Parteien die Möglichkeit eröffnet werden, ein Ruhen des Verfahrens zu vereinbaren, um während dieser Zeit eine einvernehmliche Lösung ihrer Differenzen zu finden. Umgekehrt soll das Gericht künftig auch durch besondere Anordnung ein außerstreitiges Verfahren von Amts wegen unterbrechen oder nur kurzfristig aussetzen können, um die Parteien zu veranlassen, während dieser Frist etwa die - im Modellversuch bereits erfolgreich erprobte - Mediation in Anspruch zu nehmen oder eine Familienberatungsstelle aufzusuchen und mit deren Hilfe Emotionen abzubauen und damit in die Lage versetzt zu werden, miteinander ein friedliches Gespräch zu führen und eine befriedigende Lösung zu finden.

Wenn auch einerseits die Befreiung von allen überflüssigen Formalismen ein großes Anliegen des neuen Außerstreitverfahrens ist, so wird man andererseits im Sinne eines verbesserten Rechtsschutzes oft höhere Anforderungen an das Verfahren stellen müssen als bisher. Der Rechtsschutz der Parteien wird etwa durch folgende Maßnahmen gestärkt: Es ist sichergestellt worden, dass eine Partei zum Inhalt der Anträge und des Vorbringens der anderen Partei jedenfalls Stellung nehmen kann, und es wird in der Sache keine "einseitigen Rekurse" geben. Weiters wird die erfolgreiche Partei viel häufiger als bisher auch im Verfahren außer Streitsachen ihre Kosten ersetzt bekommen können.

Gerade im Verlassenschaftsverfahren wird sich der Staat aber auch ein wenig zurückziehen müssen. Dies geschieht unter anderem dadurch, dass die Befugnisse der Notare als Gerichtskommissäre behutsam erweitert wurden. Dies führt zu einem letzten, gar nicht einfachen Bereich der Reform, in dem es darum gegangen ist, die Aufgaben und Befugnisse der Rechtsberufe, also der Rechtsanwälte und der Notare, von einander abzugrenzen. Was können und dürfen die Notare, was die Rechtsanwälte im Außerstreitverfahren? Dabei geht es um ein sinnvolles Miteinander der Rechtsberufe, wobei oberste Richtschnur das Interesse der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung an qualifizierte Unterstützung ebenso wie an einem möglichst einfachen Zugang zum Recht ist.
am Mittwoch (01. 10.)    
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